Zweite Chance

Gottes Barmherzigkeit ist größer als unser Versagen

Predigttext: Johannes 21,15-19
Kirche / Ort: 68542 Heddesheim / Ev. Landeskirche in Baden
Datum: 14.04.2013
Kirchenjahr: Miserikordias Domini (2. Sonntag nach Ostern)
Autor/in: Pfarrer Dr. Herbert Anzinger

Predigttext:  Johannes 21,15-19  (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

15 Als sie nun das Mahl gehalten hatten, spricht Jesus zu Simon Petrus: Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieber, als mich diese haben? Er spricht zu ihm: Ja, Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe. Spricht Jesus zu ihm: Weide meine Lämmer!
16 Spricht er zum zweiten Mal zu ihm: Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieb? Er spricht zu ihm: Ja, Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe. Spricht Jesus zu ihm: Weide meine Schafe!
17 Spricht er zum dritten Mal zu ihm: Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieb? Petrus wurde traurig, weil er zum dritten Mal zu ihm sagte: Hast du mich lieb?, und sprach zu ihm: Herr, du weißt alle Dinge, du weißt, dass ich dich lieb habe. Spricht Jesus zu ihm: Weide meine Schafe!
18 Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Als du jünger warst, gürtetest du dich selbst und gingst, wo du hinwolltest; wenn du aber alt wirst, wirst du deine Hände ausstrecken und ein anderer wird dich gürten und führen, wo du nicht hin willst.
19 Das sagte er aber, um anzuzeigen, mit welchem Tod er Gott preisen würde. Und als er das gesagt hatte, spricht er zu ihm: Folge mir nach!

Exegetische und homiletische Vorbemerkungen

Die Predigtperikope ist Teil des Nachtrags zum Johannesevangelium (vgl. dazu im Einzelnen die Argumente bei J. Becker: Das Evangelium nach Johannes, ÖTK 4/2, 758f). Der Nachtrag beginnt mit der Erzählung einer weiteren Erscheinung des Auferstandenen vor einigen Jüngern am See Genezareth, einem wunderbaren Fischfang und einem von Jesus vorbereiteten Mahl mit Fisch und Brot am Kohlenfeuer (Joh 21,1-14). Er bereitet das Gespräch zwischen Jesus und Petrus vor, dessen erster Teil Inhalt des Predigttextes ist (Joh 21,15-19), dessen zweiter Teil aber als Gespräch Jesu mit Petrus über Johannes gestaltet ist (Joh 21,20-24), und schließt mit einer weiteren, Joh 20,30f variierenden, Schlusswendung ab (Joh 21,25). Im Mittelpunkt des Predigttextes steht ein Gesprächsgang zwischen Jesus und Petrus, in dem Jesus Petrus dreimal fragt, ob er ihn liebe, – eine Frage, die Petrus dreimal bejaht, worauf er von Jesus dreimal beauftragt wird, seine „Lämmer“ bzw. seine „Schafe“, also seine Gemeinde, zu weiden.

Das Kohlenfeuer und die dreimalige Frage erinnern an das dreimalige Versagen des Petrus nach Jesu Gefangennahme (Joh 18,15-18.25-27). Bemerkenswert ist der Komparativ in der ersten Frage Jesu: „… hast du mich lieber, als mich diese haben?“ (Joh 21,15) Dies zielt vermutlich darauf, dass Petrus vor der Gefangennahme noch getönt hatte, er würde sogar sein Leben für den Herrn geben (Joh 13,36-38), Jesus dann aber dreimal verleugnet hatte. Abgesehen davon, dass Jesus von den Jüngern trotz der in Joh 20 berichteten Erscheinung in Jerusalem nicht erkannt wird, steht der hier nur an Petrus gerichtete Auftrag zur Gemeindeleitung in Spannung zur entsprechenden Beauftragung aller Jünger in Joh 20,21-23. Während die katholische Auslegungstradition Joh 21,15-17 in Verbindung mit Mt 16,18f als Beleg für den Primat des Papstes auswertet, wird eine protestantische Auslegung die Perikope eher als Reminiszenz an die historische Leitungsfunktion, die Petrus in der Geschichte der frühen Christenheit faktisch zugefallen war, interpretieren, ohne darin ein Präjudiz für eine besondere Ämtersukzession zu sehen, wie ja auch der Hinweis auf das Martyrium des Petrus durchaus individuell nur auf diesen bezogen werden kann. Homiletisch schafft dies die Möglichkeit, den hier an Petrus gegebenen Auftrag gleichsam zu demokratisieren und mit dem Ruf in die Nachfolge zu identifizieren, mit dem die Perikope in V. 19 schließt.

Traditionellerweise steht das Hirtenmotiv im Mittelpunkt des Gottesdienstes am Sonntag „Miserikordias Domini“, dem zweiten Sonntag nach Ostern. Gott selber ist der Gute Hirte, der seine Schafe weidet und schützt (Ps 23). Im Johannesevangelium wird dieses Bild auf Jesus übertragen (Joh 10), der diese Funktion hier auf Petrus und damit auf seine Nachfolger überträgt: Jeder soll bereit sein, die Botschaft von der Liebe Gottes weiterzutragen und Verantwortung für die Gemeinschaft zu übernehmen. Voraussetzung dafür ist die Barmherzigkeit Gottes, die sich im Verhalten Jesu gegenüber Petrus spiegelt, indem er diesen nicht bei seinem Versagen behaftet, sondern ihm vergibt und den Ruf in die Nachfolge erneuert und bekräftigt. Ich möchte in der Predigt zeigen, dass Jesu Frage an Petrus zugleich auch Gottes an uns gerichtete Frage ist: „Liebst du mich?“ Und dass Gottes Barmherzigkeit sich darin bewährt, dass er auch uns nicht auf unser Versagen festlegt, sondern uns immer wieder vergibt, indem er uns beauftragt, die Liebe, die er uns schenkt, an andere weiterzugeben.

 

 

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„Schatz, ich liebe dich!“ Diesen Satz haben vermutlich die meisten von uns schon einmal gesagt oder gehört. Sie erinnern sich, wenn es auch vielleicht schon lange zurückliegen mag. Frisch Verliebte können sich gar nicht oft genug bestätigen, dass sie einander lieben. Gewiss sagen sie dies mit vielen Gesten und Blicken, aber eben auch immer wieder mit Worten. Im Laufe der Zeit schleicht sich oft Routine in eine Beziehung ein und die verliebten Gesten, Blicke und Worte kommen sparsamer. Im Alltag zeigt sich, ob ich den Partner, die Partnerin auch mit all den Ecken und Kanten, den Macken, die mir gar nicht gut gefallen, akzeptieren kann. Unterschiedliche Interessen sind unter einen Hut zu bringen. Konflikte entstehen und sind zu bewältigen. Dann zeigt sich, wie belastbar eine Liebe ist. Was hält die Liebe aus, was erträgt sie? Vielleicht hat einer den anderen enttäuscht. Vielleicht sind Verletzungen entstanden, über die man nicht zur Tagesordnung übergehen kann. Vielleicht wandelt sich dann das freudige Liebesbekenntnis der frühen Zeit in die bange Frage: „Schatz, liebst du mich (noch)?“ Hinter dieser Frage steckt zweierlei: Der Fragende ist sich der Liebe des Partners offenbar nicht mehr sicher. Er hat aber zugleich ein Interesse daran, diese Unsicherheit auszuräumen und an der Beziehung festzuhalten. Wenn dann hinter der Zeitung nur die Antwort kommt: „Das weißt du doch“, dann ist das kein gutes Zeichen, weil der Angesprochene eine eindeutige Aussage verweigert und damit die Befürchtung, die hinter der Frage stehen mag, eher bestätigt. Unser Predigttext zeigt, dass es auch anders geht:

(Lesung des Predigttextes)

Am Ende des Johannesevangeliums wird erzählt, dass Jesu nach seiner Auferstehung einigen Jüngern am See Genezareth erscheint, wohin sie zurückgekehrt sind. Jesus lässt sie 153 große Fische fangen und isst mit ihnen Fisch und Brot am „Kohlenfeuer“.  Daran schließt sich ein Gespräch zwischen ihm und Petrus an. Interessant ist schon Jesu Anrede „Simon, Sohn des Johannes“. Hatte Jesus ihm denn nicht den neuen Namen Petrus, das heißt: „Fels“ gegeben? Allerdings erinnern wir uns daran, dass Petrus seinen Herrn nach dessen Gefangennahme dreimal verleugnete. Das erste Mal, als eine Magd ihn als Jünger Jesu identifiziert, das zweite Mal, als er sich mit den Knechten am Kohlenfeuer wärmt, und das dritte Mal, als ein Verwandter des Malchus, dem er bei Jesu Gefangennahme das Ohr abgeschlagen hatte, ihn zu erkennen glaubt (Joh 18,1f und 25-27). Als „Fels“ hatte er sich da wahrlich nicht gezeigt. In Erinnerung an die dreimalige Verleugnung fragt der Auferstandene Petrus dreimal, ob er ihn liebe. Denn das Problem muss angesprochen, es muss besprochen werden.

Nach dem Versagen des Petrus kann Jesus nicht einfach so tun, als wäre nichts geschehen. Ihr Verhältnis ist tatsächlich beschädigt, muss erst wieder geheilt werden. Jesus spricht das Problem an, indem er nach der Liebe des Petrus fragt. Er macht ihm keine Vorwürfe. Er verlangt kein Schuldbekenntnis von Petrus. Er fragt nur nach seiner Liebe. Vielleicht ist Ihnen aufgefallen: Beim ersten Mal fragt er sogar: „Hast du mich lieber, als mich diese haben?“ Denn tatsächlich hatte Petrus noch vor der Gefangennahme Jesu vollmundig getönt, er würde sogar sein Leben für Jesus lassen (Joh 13,37). Inzwischen hat Petrus längst bereut, so großspurig gewesen zu sein, und sicher noch mehr, danach so kläglich versagt zu haben. Er will sich nicht mehr besonders hervortun. Er will sich nicht besser als die anderen darstellen. Er will sich nicht mehr mit anderen vergleichen. Deshalb antwortet er ganz bescheiden und zurückhaltend: „Ja, Herr, du weißt, dass ich dich liebhabe!“ Jesus seinerseits antwortet auf das Liebesbekenntnis des Petrus mit einem dreimaligen Auftrag: „Weide meine Lämmer!“ Er vergibt ihm, indem er ihn wieder in Dienst nimmt. Obwohl Petrus versagt hat, überträgt ihm Jesus das Hirtenamt, das Jesus selber als der „Gute Hirte“ ausübt. Jesus traut ihm zu, Verantwortung für die Gemeinde zu übernehmen. Er gibt Petrus eine zweite Chance.

Es mag sein, dass mit dem Hirtenamt zunächst die besondere Führungsrolle angesprochen wird, die Petrus in der frühen Christenheit zweifellos besaß. Aber darüber hinaus bedeutet dieses Amt ja nichts anderes, als füreinander Verantwortung zu übernehmen, füreinander da zu sein. Die Liebe zu Jesus bewährt sich darin, dass wir ihm folgen. Nicht umsonst schließt Jesus den Gesprächsgang mit einem erneuten Ruf in die Nachfolge ab. Jesus nachzufolgen meint, daran festzuhalten, dass Gottes Barmherzigkeit größer ist als unsere Fehler und unser Versagen. Gott behaftet uns nicht bei dem, was in unserem Leben schief gelaufen ist, sondern er gibt uns eine zweite Chance – immer wieder neu. Er lässt uns teilhaben an Jesu Auferstehung. Es kann sein, dass dieser Weg der Nachfolge uns in Situationen führt, die wir uns nicht ausgesucht haben. Der Weg der Nachfolge ist mitunter auch ein steiniger Weg, manchmal ein Weg gegen den Strom. Das soll und darf nicht verschwiegen werden. Bei Petrus führte dieser Weg ins Martyrium. Er soll bei der Christenverfolgung in Rom unter Kaiser Nero gekreuzigt worden sein. Darauf spielt unser Bibeltext an, wenn er Jesus sagen lässt: „Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Als du jünger warst, gürtetest du dich selbst und gingst, wo du hinwolltest; wenn du aber alt wirst, wirst du deine Hände ausstrecken und ein anderer wird dich gürten und führen, wo du nicht hin willst“.

Aber dieser Weg des Petrus gilt nicht für jeden Christen. Welchen Weg Gott Sie und mich führen will, dass wissen wir nicht. Was wir aber wissen, ist dies: Gottes Wege mit uns zielen auf die Vollendung unseres Lebens ab. Sie schenken uns ein erfülltes Leben. Denn wenn Gott selber mit uns geht, dann weidet er uns auf grünen Auen und führt uns zu frischem Wasser; er versorgt uns mit dem, was wir zum Leben brauchen. Er beschützt uns, wenn wir durch dunkle Schluchten gehen. Wir müssen keine Angst haben vor Unglück und Gefahr, denn sein Stecken und Stab trösten uns. Er lädt uns an seinen Tisch und schenkt uns voll ein. Er gibt uns Gemeinschaft. Weil wir darauf bauen dürfen, dass uns Gottes Güte und Barmherzigkeit ein Leben lang folgen werden, darum sind wir dankbar und froh. Deshalb kann unsere Antwort auf Gottes Frage an uns: „Liebst du mich!“ nur uneingeschränkt die des Petrus sein: „Ja, Herr, du weißt, dass ich dich liebe!“

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Ein Kommentar zu “Zweite Chance

  1. Pastor i.R. Heinz Rußmann

    Ohne falschen Überschwang predigt Pfarrer Dr. Anzinger über die Liebeserklärung des Petrus. Jesus fragt ihn: Hast Du mich lieber, als mich jene haben ? und Petrus erwidert: Du weißt, daß ich dich liebhabe. Beides steht im ersten Teil der Predigt im Vordergrund. Danach wird Petrus die besondere Führungsrolle in der Urchristenheit zugesprochen. Der Fischer wird zum Hirten. Ohne falschen Überschwang endet die Predigt, weil Petrus in Rom zum Märtyrer wurde. Der Prediger verschweigt auch nicht, daß der Weg der Christen in der Nachfolge oft ein steiniger Weg ist. Anrührend und mit Überschwang endet aber dann die Predigt mit dem schönsten Psalm: Der Herr ist mein Hirte, und der gegenseitigen Liebeserklärung von Gott an uns und von uns zu Gott.

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