Zuspruchsfähigkeit gefragt

Wir brauchen Menschen, die uns in schwierigen Situationen Mut zusprechen

Predigttext: Matthäus 9,35-38; 10,1 (2-4) 5-7
Kirche / Ort: Schornsheim/Udenheim (Rheinhessen)
Datum: 02.06.2013
Kirchenjahr: 1. Sonntag nach Trinitatis
Autor/in: Pfarrer Kurt Rainer Klein

Predigttext: Matthäus 9,35-38; 10,1 (2-4) 5-7 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

35 Und Jesus ging ringsum in alle Städte und Dörfer, lehrte in ihren Synagogen und predigte das Evangelium von dem Reich und heilte alle Krankheiten und alle Gebrechen.  36 Und als er das Volk sah, jammerte es ihn; denn sie waren verschmachtet und zerstreut wie die Schafe, die keinen Hirten haben.  37 Da sprach er zu seinen Jüngern: Die Ernte ist groß, aber wenige sind der Arbeiter.  38 Darum bittet den Herrn der Ernte, daß er Arbeiter in seine Ernte sende.  10,1 Und er rief seine zwölf Jünger zu sich und gab ihnen Macht über die unreinen Geister, daß sie die austrieben und heilten alle Krankheiten und alle Gebrechen.
(2 Die Namen aber der zwölf Apostel sind diese: zuerst Simon, genannt Petrus, und Andreas, sein Bruder; Jakobus, der Sohn des Zebedäus, und Johannes, sein Bruder;  3 Philippus und Bartholomäus; Thomas und Matthäus, der Zöllner; Jakobus, der Sohn des Alphäus, und Thaddäus;  4 Simon Kananäus und Judas Iskariot, der ihn verriet.)
5 Diese Zwölf sandte Jesus aus, gebot ihnen und sprach: Geht nicht den Weg zu den Heiden und zieht in keine Stadt der Samariter,  6 sondern geht hin zu den verlorenen Schafen aus dem Hause Israel.  7 Geht aber und predigt und sprecht: Das Himmelreich ist nahe herbeigekommen.

Vorbemerkungen

Unsere Perikope findet sich in der großen Aussendungsrede des Matthäus in 9,35-11,1. Jesus hat in den Synagogen gelehrt, die frohe Botschaft verkündet und alle Krankheiten und Leiden geheilt. Er selbst bekommt Mitleid, ihm dreht sich der Magen um (esplangchnistae), als er die Menge sieht, weil er sie hilflos und verängstigt findet, wie Schafe ohne einen Hirten. Wir erfahren nach vorhergehendem Wirken Jesu in Galiläa von der Notwendigkeit, die Jünger in die Mitarbeit am Reich Gottes einzubeziehen. Die Ernte ist groß, doch es fehlen Arbeiter. Die Jünger sollen Gott bitten, dass er sie in die Ernte sendet; denn es ist Gottes, nicht ihr eigener Entschluss. Jesus handelt im Namen Gottes und gibt seinen Jüngern Vollmacht, böse Geister  auszutreiben sowie Krankheiten und Leiden zu heilen.

Die Predigt fokussiert den Blick Jesu auf „die hilflosen und verängstigten Menschen“ (V. 36). Damit wird die Brücke vom Predigttext in unsere heutige Zeit  geschlagen. Viel ist in unserer Gesellschaft vom Gehetzt- und Ausgelaugtwerden, vom Erschöpft- und Überfordertsein die Rede. Dass solche Menschen einen Hirten brauchen, heißt in unserer Sprache und Lebenswelt, dass sie Menschen in schwierigen Situationen nötig haben, die ihnen Mut und Zuversicht (frohe Botschaft) zusprechen. Zuspruch ruft gute Gedanken hervor. Zuspruch ist Medizin für die Seele und wirkt hochpotent wie ein Medikament, weil es das Erwünschte und Herbeigesehnte zum Möglichen und Machbaren werden lässt. Dadurch werden auf wundersame Weise Veränderungen im Gehirn und Hormonhaushalt eines Menschen in Gang gesetzt (s. Spiegel Nr. 21, 18.5.2013: Der heilende Geist, S. 56ff). Lassen wir uns selbst wie die Jünger Jesu in den Dienst der frohen Botschaft nehmen. Bitten wir Gott darum, dass er uns zuspruchsfähig macht und wir unseren Mitmenschen zum „guten Hirten“ werden. Dann werden auch wir im Stande sein, schlechte Gedanken (böse Geister) auszutreiben und Blockierungen (Krankheiten) zu heilen.

(Bibelsprache in der Predigt nach Gute Nachricht Bibel.)

 

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Wie der Film hieß, kann ich nicht mehr sagen. Auch die Handlung ist mir weitestgehend in Vergessenheit geraten. Ich muss so zwölf, dreizehn Jahre alt gewesen sein. Ein Flyer lud uns Kinder ein. Zum Dorfkino für eine Mark an einem Samstagnachmittag um fünfzehn Uhr. In einem Nebenraum unseres einzigen Gasthauses sollte er gezeigt werden. Der Film handelte von einem Filmemacher, der das Leid der Menschen auf der Welt filmen und auf die Leinwand bringen wollte. Auf seiner Suche nach Drehorten kam er durch vertrackte Umstände als Gefangener in ein Gefangenenlager. Er musste schwer arbeiten, wurde von den Aufsehern drangsaliert und geschunden, erlebte am eigenen Leib große Pein. Die einzige Freude der Gefangenen bestand darin, einmal in der Woche zu einer Filmvorführung zusammen zu kommen. Dabei erlebte er, wie die gepeinigten Gefangenen lachen, ihren traurigen Alltag vergessen und entspannen konnten. Das rief einen Bewusstseinswandel hervor. Der Filmemache schwor sich: „Wenn ich hier wieder herauskomme und ein freier Mann bin, werde ich einen Film drehen, der die Menschen zum Lachen bringt und sie fröhlich macht. Denn genau das ist es, was die Menschen brauchen“.

Ist es genau das, was wir brauchen: Dass uns jemand zum Lachen bringt. Dass die fröhliche Seite in uns geweckt wird. Dass unsere Aufmerksamkeit auf etwas gelenkt wird, was unsere Alltagssorgen vergessen oder zumindest ganz klein macht? Wir kennen Momente, in denen wir nur das Ungenügen vor Augen haben. Es will nichts gelingen. Irgendwie geht alles schief. Egal was wir anfassen, es ist zum Scheitern verurteilt. Wir kennen Stunden, die von sorgenvollen Gedanken erfüllt sind. Der Himmel ist dunkel. Mit tiefschwarzen Wolken verhangen. Die Aussichten sind rundum nur trübe und düster. Wir kennen Tage, an denen wir müde sind. Es fällt schwer, in die Gänge zu kommen. Die Lust fehlt einfach. Die Arbeit scheint schier unendlich. Wie will man das alles schaffen. Wir kennen Zeiten, in denen uns Krankheit quält. Sie macht das Leben schwer. Sie behindert die Lebensmöglichkeiten. Man steht sich selbst im Weg. Wird es mal wieder anders werden? Was brauchen wir in solchen Situationen: Vielleicht einen Menschen, der Verständnis für uns hat. Einen Menschen, der soviel Aufmerksamkeit mit sich bringt, dass er uns wahrnimmt und sich in uns einfühlen kann. Einen Menschen, der uns Mut zuspricht, uns aufmuntert?

Zuspruch wirkt in der Tat wie eine gute Medizin. Sie regt auf wunderbare Weise positives  Denken an. Sie fokussiert unsere Gedanken auf das Gelingende. Sie wandelt das von uns Gewünschte in das Mögliche und Erreichbare. Darum wirkt Zuspruch wie ein wirksames  Medikament. Es führt zu Veränderungen in unseren Gehirnströmen, wie uns Gehirnforscher heute sagen können. Es verändert unseren biochemischen Haushalt, der unsere Organe positiv beeinflusst. Das Bauchweh verschwindet. Zuspruch macht uns gelassener und ruhiger, weil er das, was wir vielleicht für verloren hielten, wieder zurückholt. Weil scheinbar Unmögliches in möglich und erreichbar verwandelt wird. Das lässt uns mit einem Male unsere Welt wieder heller sehen. Wir entdecken zwischen den dunklen Wolken blaue Himmelsflecken. Auf wunderbare Weise lichtet sich der Himmel und die blauen Flächen werden größer. Braucht nicht jeder von uns von Zeit zu Zeit die Medizin des Zuspruchs: Damit das Level unserer Zuversicht wieder steigt. Damit wir den Herausforderungen unseres Alltags wieder gewachsen sind. Damit wir uns von Kleinigkeiten nicht aus der Bahn werfen lassen?

Wenden wir uns den Worten unseres Predigttextes zu. Als Jesus die vielen Menschen sieht, bekommt er Mitleid mit ihnen! Einem oberflächlichen, coolen Betrachter würde das nicht passieren. Aber jemand mit Sensibilität und Tiefblick sieht mehr, als was man mit den Augen sehen kann. Jesus wirft einen Blick mit dem Herzen auf die Menschen. Instinktiv erspürt er ihre Hilflosigkeit und Ängstlichkeit. Er spürt wie viel Unfreiheit und Zwanghaftigkeit ihnen anhaftet. Er spürt, dass viele sich einsam und orientierungslos fühlen. Das berührt ihn sehr. Für einen, der umherzieht, lehrt und die frohe Botschaft predigt, der Krankheiten und Leiden heilt, der dem Reich Gottes eine Gestalt gibt, ist das ein Signal. Es bleibt noch viel zu tun in unseren Tagen. Darum nimmt er seine Jünger in die Pflicht. Er gibt ihnen Vollmacht und sendet sie in die Welt. Das können wir gut gebrauchen: Einen Hirten, der sich um uns ehrlich müht. Der unsere vielfältigen Blockaden spürt und sie einer sanften Lösung zuführt. Der sich unser annimmt und einen zuversichtlichen Blick auf das Morgen schenkt?

Einem Schüler, dem es jeden Morgen schwer fällt, in die Schule zu gehen, weil er von Schulängsten geplagt wird, täte ein Hirte gut, der mit ihm über diese Blockaden spricht. Einem Ehepaar, das sich in seiner Beziehung festgefahren hat, das nicht mehr versteht, sich über den Umgang miteinander zu verständigen, täte ein Hirte gut, der mit ihm über neue Möglichkeiten des sich Annehmens spricht. Einem älteren Menschen, der nicht mehr mit seiner Umwelt klar kommt, weil er mit abnehmenden Kräften allein und auf sich gestellt ist, täte ein Hirte gut, der mit ihm darüber spricht, wie er Hilfe dankbar annehmen kann. Jeder mag für sich formulieren, wo und wie ihm ein guter Hirte nahe kommen kann. Wo wir die Hoffnung aus den Augen verloren haben, wo wir die Zuversicht sinken lassen, da möge uns ein guter Hirte mit seinem Zuspruch begegnen. Treffen wir nicht immer wieder auf Menschen, die sich über unseren Zuspruch freuen: In unserer Familie, in unserem Freundeskreis, unter Kolleg(inn)en, in zufälligen Begegnungen. Menschen, die sich freuen, wenn wir sie aufmuntern, stärken, beflügeln?

Aus unserem Glauben können wir eine Freude schöpfen, die daraus quillt, dass wir einen guten Hirten haben, der „Krankheiten und Leiden heilt“. Diese Freude lässt uns mit schwierigen Dingen gelassener umgehen. Aus diesem Glauben schöpfen wir Zuversicht. Selbst wenn wir ratlos werden, haben wir einen guten Hirten, der uns einen Weg weisen wird. Die Studie einer amerikanischen Universität hat ergeben, dass der Glaube für mehr frohe Tage bürgt. Die Befragung von 3851 älteren Menschen im US-Bundesstaat North Carolina ergab: Diejenigen Menschen, die zu Hause beteten und meditierten, hatten ein längeres Leben. Aus unserem Glauben erfahren wir immer wieder den Zuspruch, der uns stärkt und aufrichtet. Darum lassen wir uns gerne von Jesus in die Pflicht nehmen. Lassen wir Blinde die Zuversicht sehen. Stellen wir die Lahmen auf die Beine. Geben wir den Aussätzigen ein Zuhause. Haben wir ein gutes Wort für die Tauben. Setzen wir Totgeglaubte  in Bewegung. Schenken wir den Armen himmlische Freude. Bitten wir Gott darum! Erinnern wir uns an den eingangs erwähnten Filmemacher, der zur Erkenntnis fand, dass es gut sei, die Menschen zum Lachen zu bringen und sie fröhlich zu machen. Weil das genau das ist, was die Menschen bräuchten. Darum gebe uns Gott die Aufmerksamkeit und Sensibilität,  mit unserem Zuspruch allezeit die Niedergeschlagen zu ermutigen und die Ratlosen aufzumuntern.

 

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Ein Kommentar zu “Zuspruchsfähigkeit gefragt

  1. Pastor i.R. Heinz Rußmann

    Dass uns jemand zum Lachen bringt, brauchen wir. Damit beginnt die Predigt von Pfarrer Klein. Der Alltag ist zu oft trübe und düster. Menschen , die uns Mut zusprechen sind wie eine gute Medizin für Freude und positives Denken. Jesus hat sich so engagiert und beauftragt seine Jünger, sich auch so für Gottes Reich einzusetzen. Als guter Hirte kann er auch mit dem Schulverweigerer sprechen, mit dem zerstrittenen Ehepaar und älteren Menschen mit schwindenden Kräften. Wir selbst können andere durch Jesu Geist bestärken. Wir können Glaubensfreude und Kraft schöpfen aus dem Glauben, dass wir einen guten Hirten haben. Wir haben dadurch nach der Statistik übrigens auch eine längere Lebenserwartung. Das wird in die Predigt interessant eingeflochten. Der Schluß bekräftigt, dsss wir alle – so wie Jesus – Menschen helfen und froh machen sollten! Diese warmherzige, liebevolle Predigt macht froh und erfreut.

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