Trau dich ans Große

Fröhlich, hoffungsvoll, der Zukunft zu gewandt, ein bisschen aus der Zeit fallen und sich dreist gegen den Zeitgeist stemmen

Predigttext: Lukas 17,5-6
Kirche / Ort: Katharinenkirche / 21640 Bliedersdorf / Ev. Kirchenkreis Buxtehude
Datum: 08.09.2013
Kirchenjahr: 15. Sonntag nach Trinitatis
Autor/in: Pastorin Manuela Handelsmann

Predigttext: Lukas 17,5-6  (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

5 Und die Apostel sprachen zu dem Herrn: Stärke uns den Glauben!
6 Der Herr aber sprach: Wenn ihr Glauben hättet so groß wie ein Senfkorn, dann könntet ihr zu diesem Maulbeerbaum sagen: Reiß dich aus und versetze dich ins Meer!, und er würde euch gehorchen.

(Übersetzung von Klaus Berger und Christiane Nord, 1999:)

5 Die Apostel baten den Herrn: „Mach unseren Glauben stärker!“
6 Der Herr erwiderte: „Wäre euer Glaube nur so groß wie ein Senfkorn, dann könntet ihr zum nächsten Maulmeerbaum sagen: Zieh deine Wurzeln aus der Erde und verpflanze dich ins Meer. Und er würde es tun und euch gehorchen.“

Vorbemerkung

Zuerst bleibe ich an den äußeren Dingen hängen, am Senfsamen und am Maulbeerbaum.  Ich denke bei Senfsamen zuerst an die hellen Körner in Mettwurst und Gläsern mit eingemachten Gurken.  Das ist der bei uns gebräuchliche weiße Senf. Jesus soll sich auf die viel kleineren Körner des Schwarzen Senf beziehen. Ich stelle fest: Ein Senfkorn ist einerseits ein Samen. Ein Samen ist Potenzial. Potenzial zu etwas Neuem. Senf ist auch Gewürz, Schärfe. Wird der Senf mit dem Glauben verglichen, darf ich sagen: der Glaube ist Potenzial, er bringt Würze und Geschmack ins Leben?! Der Maulbeerbaum  bildet den Kontrast zum winzigen Senfkorn.  Starke Wurzeln, starker Stamm und  uralt, so beschrieben steht er für Kraft und der Beständigkeit. Einen „gestandenen“ Maulbeerbaum auszuziehen und ins Wasser zu versetzen ist entweder eine  große Übertreibung oder Blödsinn. Kein Baum wächst im Meer. Möglicherweise werden meine Hörer/Hörerinnen das Verrückte an der Antwort Jesu kaum wahrnehmen, weil ihnen die Parallelstelle, dass Glaube Berge versetzen kann als Redewendung geläufig ist (Mt 17,20).

Die Jünger bitten: „Stärke uns den Glauben.“ Ist die Rede vom Senfkorn und dem Maulmeerbaum, eine  ernstgemeinte  Antwort auf die Bitte der Jünger? Oder redet Jesus mit einem Augenzwinkern und nimmt seine Jünger ein bisschen auf den Arm? In der Predigtliteratur ist schnell von Glaubenskrisen und Zweifeln die Rede. Vom Glauben, der dem Menschen zerrinnt, wie Wasser in den Händen; vom Glauben, der immer fragmentarisch ist und bedroht von außen und innen. Es ist die Rede vom Glaubenden, der weiß was er alles Glauben müsste und der doch am Glauben verzweifelt Die Antwort Jesu wird gedeutet als: Du kannst dem kleinen Glauben trauen. Das ist alles richtig, aber dem möchte in an diesem Sonntag nicht folgen. Wenn ich mir einen schmunzelnden Jesus vorstelle, der verrückte Sachen sagt, dann würde ich das lieber umkehren: Denk groß, packt das Unmögliche an.

Zum Gottesdienst am Sonntag erwarte ich keine von Selbst-  und Glaubenszweifeln zerfressenen Menschen.  In der Kirche werden die Konfirmanden sitzen. Sie hören ganz neu vom Glauben. Zweifel müsste ich ihnen wohl erst einreden. Außerdem sitzen an diesem Sonntag die Mitglieder des örtlichen Schützenvereins im Gottesdienst. Die Anfangszeit des Gottesdienstes ist extra vorgezogen, denn hinter her beginnen ihre Wettbewerbe auf den Schießstand. Ich rechne mit Frauen und Männern, die mitten im Leben stehen, die Erfolg suchen (auch beim Sportschießen) und Anerkennung bei den anderen Vereinsmitgliedern und Gemeinschaft mit ihnen. Diesen Menschen möchte ich nicht von Krisen erzählen, sondern von Möglichkeiten: „was der Glaube bringt“, von seinem Potenzial und von seiner Energie. „Yes, we can!“, liegt mir auf der Zunge, aber dieses Wort aus dem vorletzten US Wahlkampf hat seinen Glanz schon verloren. So muss auch Thema sein, dass Glaube heute auch negativ besetzt ist.

 

 

 

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„Scotty, wir müssen hier weg! Wann hast du den Kern repariert?“ Auf dem Fernsehbildschirm schimmert eine durchsichtige Säule. Durch eine hellblaue Masse zucken ständig Lichtspuren. Chefingenieur Scotty steht an einer Konsole und antwortet dem Kapitän des Raumschiffs: „Wir sind gerade dabei die neuen Kristalle zu installieren. Dann fahren wir mit dem Computer noch einen Probelauf,  in 10 Minuten sind wir soweit.“ Der Kapitän macht noch ein bisschen Druck, Scotty gibt sein Bestes und gerade noch rechtzeitig fliegt Raumschiff Enterprise mit Warpgeschwindigkeit, um ein Vielfaches schneller als das Licht, durch den Weltraum. Wenn nicht gerade Bewohner fremder Welten das Raumschiff angegriffen haben oder es durch kosmische Phänomene Störungen gibt, dann liefern ein paar kleine Kristalle im Warpkern die Energie für weite, schnelle Reisen im Weltraum und die Energie zum Überleben für viele Besatzungsmitglieder. Nahezu unerschöpflich ist die Energieausbeute aus den kleinen Kristallen. Irgendwie scheint sie sich immer wieder zu regenerieren, selbstverständlich nebenwirkungsfrei für die Crew. So sausen das Raumschiff Enterprise und ihre Nachfolger schon seit Jahrzehnten über den Bildschirm. Ein paar kleine Kristalle und alle Energieprobleme sind gelöst. Faszinierend! Von etwas Ähnlichem, nämlich, dass nur etwas Kleines nötig ist, um Großes zu bewirken, hören wir im Predigttext.

(Lesung des Predigttextes)

Wenn von Senfkörnern die Rede ist, denke ich an die Senfkörner in der Wurst oder in Gurkengläsern. Das ist Weißer Senf, habe ich mir sagen lassen. Seine Samen sind relativ groß im Vergleich zum Schwarzen Senf, den Jesus hier wohl meint. Der Schwarze Senf hat so kleine Samen, dass man sie gerade noch sieht. Ein Maulbeerbaum dagegen ist mehrere Meter hoch und hat starke Wurzeln. Man sagt: Er lebt über Jahrhunderte. Glaube so groß wie ein Senfkorn hebt einen Baum ins Meer. Ist das eine Antwort auf die Bitte der Jünger: „Stärke uns den Glauben!“? Können die Freunde Jesu mit seiner Antwort etwas anfangen oder sagt Jesus das mit  einem verschmitztem Lächeln und will seine Freunde mal ein bisschen auf den Arm nehmen? „Stärke uns den Glauben“ ist eine fromme Bitte. Einen Baum ins Meer zu verpflanzen ist allerdings  Blödsinn. Jedenfalls für einen starken Glauben gibt es von Jesus weder Tabletten noch Fitnessübungen verordnet. Meint Jesus: Die Warpkristalle des Glaubens sind bei mir installiert und es ist kein Problem, die Energie abzurufen? Nun, ich will mich doch lieber an den Wortlaut der Bibel halten: Senf ist ein Gewürz. Glaube wie ein Senfkorn. Vielleicht heißt das: Glauben bringt Würze ins Leben und eine gewisse Schärfe, die das Leben abrundet. Das gefällt mir.

Ein Senfkorn ist auch ein Samen. Jeder Samen ist Potenzial. Eine Möglichkeit etwas anderes zu werden, sich zu verwandeln, Wurzel zu bilden, zu wachsen, zu blühen. Glaube wäre dann Potenzial zu blühendem Leben. Auch das gefällt mir. Glaube als Potenzial zu Veränderung. Glaube bewegt Menschen und Menschenmassen. Wenn wir die Nachrichten aus Ägypten und Syrien verfolgen, dann wird uns Glaube manchmal suspekt. Die Muslimbrüder bringen im Namen des Glaubens Menschenmassen auf die Straße und erheben politische Forderungen im Namen des Glaubens. Von den „Islamisten“ ist in den Meldungen die Rede. Diese Redeweise mag ich eigentlich nicht, aber sie deutet daraufhin, dass vieles verquickt wird. Die Politik und die Religion, wirtschaftliche Interessen und Machtkalkül.  Aus der Ferne können wir die  das nicht auseinander halten. Und den Menschen vor Ort wird es auch schwer fallen. Vieles, was unter dem Namen Glauben daher kommt, hat sich nur getarnt. Religion wird benutzt. Glaube wird suspekt. Vielleicht ein Grund, warum der Glaube auch in Deutschland immer weniger Anhänger hat. Das ist schade, denn so bleibt die Würze des Glaubens ungenutzt, das Potenzial verdorrt.

(Wiederholung des Predigttextes)

Wenn ich versuche, die Antwort Jesu in den Alltag zu übersetzen, dann würde ich als erstes sagen: Bleib doch mal ruhig, mach dir keinen Stress, bleib locker. Bei jungen Leuten heißt das auch: keep cool oder chill out. Glaube, klein wie ein Senfkorn, reicht. Mach dir um deinen Glauben keine Sorgen.  Ganz im Gegenteil: Du hast Potenzial. Sogar das Potenzial Unmögliches zu schaffen. Einen Baum ins Meer zu pflanzen.  „Yes, we can!“, bin ich versucht die Sache mit dem Maulbeerbaum zu aktualisieren. Aber der Wahlkampfslogan von Barak Obamas erster Wahl ist schon längst ins bürokratische Räderwerk geraten. Viele seiner Versprechen hat Obama nicht gehalten. Ihm haben viele zugetraut den Maulbeerbaum ins Meer zu verpflanzen, aber er gräbt mühsam an den Wurzeln herum. Wahrscheinlich geht Politik in der Demokratie nicht anders, sie besteht aus vielen kleinen Schritten.  Aber eines fasziniert mich bei Amerikanern immer wieder: Ihr Vertrauen in Gott oder in sich selbst führt dazu, dass sie groß denken. Think big! Elon Musk ist ein Großdenker. Er hat die Idee ein Transportmittel zu bauen, das nach dem Prinzip einer Rohrpost funktionieren soll. Ein luftgelagerter Zylinder mit Passagieren fährt dabei durch eine enge Röhre. Dieses System soll gleichzeitig Flugzeug und Zug ersetzen, 1200 km/h schnell sein und die Verbindung zwischen San Franzisco und Los Angeles in einer halben Stunde herstellen. Auf den ersten Blick ein absurdes Projekt. Aber der Mann hat schon viele seiner Projekte verwirklicht. Meint die Rede vom Maulbeerbaum genau das? Denk groß, setz um, was du träumst? Wenn du Vertrauen hast, so groß wie ein Senfkorn, dann reicht das. (Beispiele…)

Vertraut auf Gott, und packt das Unmögliche an. Rechne mit dem Überraschenden. Mach was Verrücktes, trau dich ans Große. Trau ich mich an einen schmunzelnden Jesus zu glauben, der genau das meint? Trauen Sie sich? Seien Sie gewarnt: Der Glaube  hat Risiken und Nebenwirkungen. Wer sich traut, dem geht auch was daneben. Der Maulbeerbaum wird im Meer nicht anwachsen. Und die Nebenwirkung des Glaubens ist: Der Mensch wird sich verändern. Christen sind ein bisschen gelassener als andere Menschen. Und ich wünsch mir immer, dass weitere Nebenwirkungen des Glaubens sichtbar werden: Sozusagen die Würze des Glaubens sichtbar wird und Christen fröhliche Menschen sind, hoffungsvoll, der Zukunft zu gewandt, ein bisschen aus der Zeit fallen und sich dreist gegen den Zeitgeist stemmen. Vielleicht kann man das zusammenfassen mit den Worten: Bleib ruhig, denk groß, vertrau nur! Wie komme ich an solchen Glauben? War das die Frage der Jünger? Jesus gibt keine Übungsanweisung, stellt kein Rezept aus. Erfahrene Christen haben ihre eigenen Rezepte gefunden: Sie lassen es mit dem Konfirmandenunterricht nicht genug sein, sondern lesen immer mal wieder in der Bibel – was auch ich nicht ohne ein Begleitbuch tue, um die interessanten Stellen herauszugreifen. Christen beten, gehen – wie Sie / Ihr heute morgen – in den Gottesdienst. Im Moment sind Kurse zum Glauben ein Hit. Mal als Erwachsene schauen: Was bringt es mir eigentlich? Was könnte es mir bringen? „Wäre euer Glaube nur so groß wie ein Senfkorn…“ Glauben bringt Würze ins Leben, hat Potential – nur machen kann niemand den Glauben. Ich denke, wir haben ihn längst:  Wir tragen die Senfkörner, die Warpkristalle in uns. Wir müssen es nur wagen sie zu aktivieren, die Saat aufgehen  lassen, das Potenzial abrufen. Bleib ruhig, träum groß, vertrau nur!

 

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2 Kommentare on “Trau dich ans Große

  1. Pastor i.R. Heinz Rußmann

    Sagt Jesus etwas mit verschmitztem Lächeln und will er seine Freunde ein wenig auf den Arm nehmen?, fragt die Pastorin. Das Bild vom Maulbeerbaum im Meer ist ja so absurd, dass es hier übergangen wird. Das Bild vom winzigen Senfkorn ist sehr gewagt. Aber Senf als Gewürz bringt wie der Glaube Würze ins Leben. Und das Senfkorn hat in sich das Potenzial für blühendes, großartiges Leben. Im Alltag will Jssus uns sagen: Mach dir um deinen Glaben keine Sorgen! Du hast das Potential in dir, Unmögliches zu schafffen. Denke groß! Daraus folgt: Vertraut auf Gott und packt das Unmögliche an! Rechnet mit positiven Überraschungen! Christen sind deswegen fröhliche und hoffnugsvolle Menschen. Aktiviere die Senfkörner des Glaubens und lass sie wachsen. Bleib ruhig, träume groß, vertraue nur. – Offensichtlich für die Konfirmanden verwendet die Predigerin am Anfang und Schluss das Bild der Warpkristalle aus der TV-Serie Raumschiff Enterprise als heutiges Symbol für energiehaltige Körner. Eine ungewöhnlich schwungvolle, belebende Predigt!

  2. Peter Michael Schmudde

    Eine wunderbare Predigt! Glaubensstärkung durch den Glauben an den Glauben – das hebt die Aussage des Predigtwortes aus ihrer eigentlich auch als deprimierend empfind- und erfahrbaren Dimension. Ich wünsche Frau Pastorin Handelsmann viele aktive Zuhörer und bedanke mich für diese Stärkung meines Glaubens und Predigens.

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