„Never say never again!“
Gott bricht bei uns Menschen gewohnte Handlungsmuster auf
Predigttext: Apostelgeschichte 10,21-35 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
21 Da stieg Petrus hinab zu den Männern und sprach: Siehe, ich bin's, den ihr sucht; warum seid ihr hier? 22 Sie aber sprachen: Der Hauptmann Kornelius, ein frommer und gottesfürchtiger Mann mit gutem Ruf bei dem ganzen Volk der Juden, hat Befehl empfangen von einem heiligen Engel, dass er dich sollte holen lassen in sein Haus und hören, was du zu sagen hast. 23 Da rief er sie herein und beherbergte sie. Am nächsten Tag machte er sich auf und zog mit ihnen, und einige Brüder aus Joppe gingen mit ihm. 24 Und am folgenden Tag kam er nach Cäsarea. Kornelius aber wartete auf sie und hatte seine Verwandten und nächsten Freunde zusammengerufen. 25 Und als Petrus hereinkam, ging ihm Kornelius entgegen und fiel ihm zu Füßen und betete ihn an. 26 Petrus aber richtete ihn auf und sprach: Steh auf, ich bin auch nur ein Mensch. 27 Und während er mit ihm redete, ging er hinein und fand viele, die zusammengekommen waren. 28 Und er sprach zu ihnen: Ihr wisst, dass es einem jüdischen Mann nicht erlaubt ist, mit einem Fremden umzugehen oder zu ihm zu kommen; aber Gott hat mir gezeigt, dass ich keinen Menschen meiden oder unrein nennen soll. 29 Darum habe ich mich nicht geweigert zu kommen, als ich geholt wurde. So frage ich euch nun, warum ihr mich habt holen lassen. 30 Kornelius sprach: Vor vier Tagen um diese Zeit betete ich um die neunte Stunde in meinem Hause. Und siehe, da stand ein Mann vor mir in einem leuchtenden Gewand 31 und sprach: Kornelius, dein Gebet ist erhört und deiner Almosen ist gedacht worden vor Gott. 32 So sende nun nach Joppe und lass herrufen Simon mit dem Beinamen Petrus, der zu Gast ist im Hause des Gerbers Simon am Meer. 33 Da sandte ich sofort zu dir; und du hast recht getan, dass du gekommen bist. Nun sind wir alle hier vor Gott zugegen, um alles zu hören, was dir vom Herrn befohlen ist. 34 Petrus aber tat seinen Mund auf und sprach: Nun erfahre ich in Wahrheit, dass Gott die Person nicht ansieht; 35 sondern in jedem Volk, wer ihn fürchtet und recht tut, der ist ihm angenehm.
Vorbemerkungen zum Predigttext
Die Geschichte vom Hauptmann Kornelius umfasst Apostelgeschichte 10,1-35. Ich nehme bei dieser Predigt alle Verse in den Blick. In der Schriftlesung bringe ich Apg 10,1-20 und vor der Predigt Apg 10,21-35 zu Gehör.
Lukas erzählt meisterhaft die Öffnung für das grenzüberschreitende Evangelium Gottes. Das Evangelium bleibt nicht nur den Juden bzw. Judenchristen vorbehalten. Gott selbst bringt es auf den Weg zu den Heiden und verschafft Petrus die Erkenntnis, dass Gott nicht in Schubladen denkt. Himmlisches Geschehen und menschliches Handeln werden in der Erzählung des Lukas ineinander verwoben und zeigen wie manche Fäden im Verborgenen gesponnen werden. So ist Gott längst schon da, wo wir uns das noch lange nicht vorstellen können. Sein Geist aber ermutigt uns, Handelnde zu werden, die neue, ungewohnte Schritte wagen.
Im Vertrauen auf diesen Gott können wir über unseren eigenen Schatten springen, selbst gezogene Grenzen überschreiten und verschlossen geglaubte Türen öffnen. Wo wir gestern noch „Niemals!“ gedacht, gesagt, gelebt haben, werden wir morgen bekennen: „Never say never again!“
Wir bleiben lieber …
Von Natur aus neigen wir Menschen dazu, so bleiben zu wollen, wie wir sind. Diese Haltung ist dem Gesetz der Trägheit geschuldet. Wir wissen nur zu gut: Alle Aufbrüche und jegliche Veränderungen bedürfen der nichtkalkulierbaren Anstrengung. Sie benötigen die Kraft, die wir nicht so ohne Weiteres aufbringen wollen. So bleiben wir auch gerne unter unseres Gleichen: In der Familie, im Freundeskreis, im Verein, in der Firma, im Dorf. Im Extremen auch in der Ideologie, in der Konfession, in der Nationalität. Da, wo wir spüren, dass wir so sein dürfen, wie wir sind – und andere so sind wie wir -, fühlen wir uns wohl, haben wir das Gefühl, hier sind wir zuhause. Alles ist vertraut. Das Gewohnte vereinfacht das Leben. Konfliktpotenzial ist gering.
„Wir bleiben lieber unter unseres Gleichen“, sagen wir – und sind zufrieden bei diesem Gedanken. Stellen wir uns folgendes Gedankenspiel vor: Wir, die wir hier in dieser Kirche sitzen, hätten alle ein grünes Hemd bzw. eine grüne Bluse an. Plötzlich kommt jemand mit einem roten Hemd / einer roten Bluse dazu. Das Andersartige ist augenscheinlich, das Fremde ist so offensichtlich. Um die Andersartigkeit, die Fremdheit zu überwinden, ist eine Art von Anpassung notwendig. Was können wir uns leichter vorstellen: Dass die Gruppe ihre grünen Hemden bzw. Blusen gegen rote eintauscht oder dass ein Rotgekleideter nach grün wechselt? Zumindest theoretisch wäre auch denkbar, dass man sich auf ein einheitliches Blau einigt. Nicht immer ist das Andersartige, das Fremde so eindeutig wie in unserem Gedankenspiel.
„Ich bleibe lieber unter meines Gleichen!“ Das ist die Meinung keines Geringeren als die des Simon Petrus, seines Zeichens zu Jesu Lebzeiten forscher Jünger und später Missionar im Auftrag des Auferstandenen. Seine Wurzeln liegen im jüdischen Glauben. Er ist beschnitten und er kennt die jüdischen Sitten und Speisegesetze. Er besucht den Tempelgottesdienst nach wie vor und hält das Christentum allenfalls für das bessere Judentum. Er meint, dass nur aus dem Jüdischen heraus die christliche Gemeinschaft erwachsen kann. Simon Petrus ist für klare Grenzen und Abgrenzungen zwischen jüdischen Christen und Heiden. Darin will er sich nicht beirren lassen. Er verneint das Gespräch mit den Heiden. Er vermeidet den Kontakt. Undenkbar für ihn, sich in ein heidnisches Haus zu begeben und gemeinsam mit einem Heiden an einen Tisch setzen, geschweige denn jenseits aller jüdischen Speisevorschriften mit einem solchen „Ungläubigen“ speisen. Ausgeschlossen. Nie! „Ich bleibe lieber unter meines Gleichen!’ Dies denkt, sagt und lebt Simon Petrus.
Never say never again
Wenn wir uns verweigern wollen, sagen wir “Nein!” und grenzen uns ab. Manchmal gar kommt uns die Steigerung über die Lippen: „Niemals!“ und drückt unsere unverrückbare Haltung aus. „Die kommt mir niemals ins Haus! Dem gebe ich niemals wieder eine Hand! Mit der werde ich niemals mehr ein Wort wechseln! Dem werde ich niemals einen Gefallen tun! Das kann von mir niemals jemand verlangen!“ So starr und steif können wir bisweilen Menschen gegenübertreten und uns abgrenzen. Schauen wir uns die Geschichte, die Lukas in fünf Schritten erzählt, noch einmal an!
1. Schritt, ein Engel
Kornelius ist ein römischer Hauptmann, in Cäsarea stationiert. Lukas weiß von ihm, dass er „fromm und gottesfürchtig mit seinem ganzen Haus“ ist. Er gibt „viele Almosen“ für Arme und betet „immer zu Gott“. Gott schickt diesem Kornelius einen Engel. Der in sein Haus eintretende Engel teilt dem erschrockenen Kornelius mit: „Deine Gebete und deine Almosen sind vor Gott gekommen, und er hat ihrer gedacht.“ Der Engel ermutigt Kornelius Männer nach Joppe ins Haus der Gerbers Simon zu schicken, um den dort weilenden Simon Petrus zu holen.
2. Schritt, ein Traum
Am Tag darauf als die Männer des Kornelius bereits unterwegs zu dem Gerber-Haus sind, geschieht auf dessen Dach, dass Petrus betet und hungrig wird. Während man ihm Essen zubereitet, gerät er in Verzückung und träumt: Der Himmel öffnet sich, ein leinenes Tuch wird an seinen vier Zipfeln auf die Erde niedergelassen. Darin befinden sich viele vierfüßige und kriechende Tiere und Vögel. Eine Stimme befiehlt: „Steh auf, Petrus, schlachte und iss!“ Petrus verweigert sich und antwortet, er habe „noch nie etwas Verbotenes und Unreines gegessen.“ Darauf erwidert die Stimme: „Was Gott rein gemacht hat, das nenne du nicht verboten.“ Das geschieht dreimal, das Tuch verschwindet – und Petrus bleibt ratlos zurück.
3. Schritt, eine Einladung
Während die von Kornelius geschickten Männer vor der Tür des Gerbers Simon stehen und nach Simon Petrus fragen, ist er noch ganz unschlüssig über die Bedeutung seines Traumes.
Ein Geist ermuntert Petrus, vom Dach des Hauses hinabzusteigen und mit den Männern ins Haus Kornelius zu gehen und nicht zu zweifeln, weil er die Männer zu Petrus gesandt hat.
4. Schritt, die Reise
Die Männer teilen Petrus den Befehl des Engels an Kornelius mit, in sein Haus zu kommen und zu hören, was Petrus zu sagen hat. Petrus beherbergt die Männer über Nacht und folgt am nächsten Tag der Einladung. Sie kommen in Cäsarea an, wo Kornelius bereits Verwandte und Freunde in seinem Haus zusammengerufen hat.
5. Schritt, die Begegnung
Petrus betritt das Haus. Kornelius fällt vor ihm nieder und betet ihn an. Worauf Petrus ihn aufhebt und sagt, dass er auch nur ein Mensch sei. Darauf nennt Petrus seine Vorbehalte: „Ihr wisst, dass es einem jüdischen Mann nicht erlaubt ist, mit einem Fremden umzugehen oder zu ihm zu kommen.“ Petrus erzählt, dass Gott ihm gezeigt hat, „dass ich keinen Menschen meiden oder unrein nennen soll.“ Und Kornelius erzählt seinerseits, wie er zur Einladung des Petrus ermutigt wurde.
Gott öffnet Türen
Drei Tage zuvor hat Petrus noch „Niemals!“ gedacht, gesagt, gelebt. Die Grenzen waren klar zu definieren. Seine Haltung unmissverständlich. Seine Handlungsmuster eindeutig. Doch bei Petrus wurde etwas angestoßen, was ihm zunächst völlig rätselhaft erscheint. Das Rätselhafte zieht ihn dann in eine Dynamik hinein, die ihren Lauf nimmt. Das Unglaubliche sehend, setzt bei Petrus ein Gedankenprozess ein, der ihn zu einer überraschenden Wandlung führt. Eine ihm bisher verschlossene Tür öffnet sich zu der Erkenntnis: „Nun erfahre ich in Wahrheit, dass Gott die Person nicht ansieht; sondern in jedem Volk, wer ihn fürchtet und recht tut, der ist ihm angenehm.“
Es bleibt uns in der Erzählung des Lukas nicht verborgen, dass hier Fäden im Geheimen gesponnen werden. Ob hier von Engel, Geist, Stimme, Erscheinung oder Traum gesprochen wird, lässt unseren Deutungen ihren Raum. Auch uns fallen erlebte Begebenheiten ein, die Erklärungslücken aufweisen. Vielleicht können wir erzählen, wie etwas sich verändert hat und wozu es geworden ist. Warum es aber dazu kam und in eine ungeahnte Richtung führte, erschließt sich uns nicht. Die Erzählung des Lukas zeigt uns ein Verwobensein von menschlichem Handeln und himmlischem Geschehen. Prozesse im Verborgenen bereiten ungeahntes Handeln vor und ermöglichen überraschende Schritte. Starre Haltungen lockern sich. Im Kopf aufgerichtete Barrieren verlieren ihre Argumentationskraft. Scheinbare Grenzen werden überschreitbar. Türen öffnen sich und ermöglichen Begegnung zwischen Menschen, die sich bisher fremd gewesen sind.
Der erfolgreiche Skispringer Jens Weißflog soll einmal gesagt haben: „Man springt nur so weit, wie man im Kopf schon ist.“ Das meint, nur den Schritt, den man sich selbst vorstellen kann, wird man auch gehen. Aber was braucht es, dass wir uns den nächsten Schritt denken können? Den Schritt, der uns über unseren Schatten springen lässt. Den Schritt, der uns einander näher bringt. Den Schritt, der feste Prinzipien hinter sich lässt. Den Schritt, der auf Gott vertrauend die Liebe zum Ausdruck bringt. Ja, ich wünsche mir, dass mich Gott meine eingeübten Handlungsmuster immer wieder infrage stellen lässt. Seine himmlische Sicht der Dinge möge meine Füße auf weiten Raum stellen. Sein Geist möge mir wunderbare Denkanstöße geben, die mich ungewohnte Schritte wagen lassen. Ja doch, Gott ist schon längst da, wo wir in unserem Kopf noch nicht sind. Aber ich vertraue darauf, dass er uns sehen lässt, wo wir neue Wege beschreiten und bisher verschlossen geglaubte Türen öffnen können.
“Ich bleibe lieber unter meines Gleichen.” Mit dieser Erfahrung wirbt Pfarrer Klein für ein Verständnis für die Haltung des Petrus als Jude vor der Berufung des römischen Hauptmanns Kornelius. Der Verfasser der Apostelgeschichte Lukas erzählt davon spannend, und der Prediger folgt ihm in fünf spannenden Schritten: Ein Engel erscheint dem Hauptmann. Petrus hat eine Vision und hört dabei: Gott hat Unreines rein gemacht. Petrus hört die Einladung, den unreinen Heiden Kornelius zu besuchen. Er geht nach Cäsarea am nächsten Tag in dessen Haus. Petrus erzählt, dass Gott ihm gezeigt hat, keinen Heiden zu meiden. Gott ist für jeden in jedem Volk, der Gottesfurcht hat und recht tut. Pfarrer Klein zeigt, wie verwoben in dieser Geschichte himmlisches Geschehen und menschliches Handeln sind. Es geht darum, mit Gott über unseren Schatten zu springen. Schritte zu wagen mit dem Vertrauen auf Gott, die starre Prinzipien hinter sich lassen und dis Liebe zum Ausdruck bringt, welche verschlossene Türen zum Andersgläubigen öffnet.
Die Predigt ist besonders gut verständlich und gut aufgebaut. Sie erklärt überzeugend, wie Petrus als Jude und Christusjünger für die Heidenmission von Gott überzeugt wurde und Heiden nicht mehr als Unreine angeshen wurden. – Wenn Petrus der Heidenmission nicht zugestimmt hätte, wäre die Heidenmission von Paulus womöglich auf Dauer im Sande verlaufen und wir wären heute wahrscheinlich keine Christen. Ein weltgeschichtlich entscheidender Text!