Passionszeit – den Weg Jesu mitgehen

„Jeder Mensch muss wissen, woran er glaubt“ (Martin Luther)

Predigttext: Jakobus 1,12-18
Kirche / Ort: Christuskirche / Aachen
Datum: 09.03.2014
Kirchenjahr: Invokavit (1. Sonntag der Passionszeit)
Autor/in: Pfarrer Manfred Wussow

Predigttext: Jakobus 1,12-18 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 194)

Selig ist der Mann, der die Anfechtung erduldet; denn nachdem er bewährt ist, wird er die Krone des Lebens empfangen, die Gott verheißen hat denen, die ihn lieb haben. Niemand sage, wenn er versucht wird, dass er von Gott versucht werde. Denn Gott kann nicht versucht werden zum Bösen, und er selbst versucht niemand. Sondern ein jeder, der versucht wird, wird von seinen eigenen Begierden gereizt und gelockt. Danach, wenn die Begierde empfangen hat, gebiert sie die Sünde; die Sünde aber, wenn sie vollendet ist, gebiert den Tod. Irrt euch nicht, meine lieben Brüder. Alle gute Gabe und alle vollkommene Gabe kommt von oben herab, von dem Vater des Lichts, bei dem keine Veränderung ist noch Wechsel des Lichts und der Finsternis. Er hat uns geboren nach seinem Willen durch das Wort der Wahrheit, damit wir Erstlinge seiner Geschöpfe seien.

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Irrt euch nicht

Nein, meine lieben Brüder, wir wollen uns nicht irren! Ihr, liebe Schwestern, ihr auch nicht! Schade, dass Jakobus euch nicht einmal erwähnt. Nehmt es ihm nicht übel. Er wusste es nicht besser. Nur: was meint er denn mit: irren? Irren ist menschlich, sagen wir. Wir irren uns auch oft. In den meisten – alltäglichen – Fällen lässt sich leicht klären, was richtig ist. Wir reden einfach darüber. Herzhaftes Lachen eingeschlossen. Es macht sich auch nicht gut, rechthaberisch zu sein. Irren ist menschlich – und Lachen befreit. as kann Jakobus wohl kaum gemeint haben, als er schrieb: Irrt euch nicht, meine lieben Brüder. Aber in seiner Umgebung gibt es fromme Leute, die – nicht einmal dumm – meinen, auch Versuchungen und Anfechtungen kämen von Gott. In seiner Hand läge doch alles. Eine Gegenmacht, die seinem Willen in die Quere kommen könne, gäbe es nicht. Schließlich ist er der Herr, oder? Er hat doch das letzte Wort. Das könne er sich nicht nehmen lassen… In meinem Kopf stellt sich jetzt das Bild vom Teufel ein. Er hat doch – im Evangelium haben wir das gehört – sogar Jesus versucht und auf die Probe gestellt. Erst in der Wüste, dann sogar auf der Brüstung des Tempels, schließlich auf dem Weltenberg. Der Teufel  scheint überall  zu sein. Die Welt liegt ihm zu Füßen. Dann scheint er auch noch alles zu können. Hat er nicht Jesus einfach mitgenommen – schwerelos durch die Luft sozusagen? Die mittelalterlichen Künstler hatten ihre Schwierigkeiten, dem Teufel eine  Gestalt, ein Gesicht zu geben. Sie malen Untiere mit reißenden Zähnen, feurige Schlunde und Mischwesen mit Pferdefüßen. Anblicke, die erschaudern lassen. Schwefel liegt in der Luft. Aber die Künstler hätten besser daran getan, einfach Menschen zu malen. Ohne jede Übermalung, ohne jede Verfremdung. In menschlichen Köpfen wächst das Teufelszeug, werden Hassparolen geboren, wird die Ungerechtigkeit begründet. Für  Schrecken, Hass und Kriege, für Angst, Vorurteile und Verbitterung brauchen wir  keinen Teufel. Nur manchmal wird uns unheimlich – bei schrecklichen Verbrechen: Ist das noch ein Mensch? Sind das noch Menschen? Wir sind verunsichert. Was alles menschenmöglich ist – uns fehlen die Worte. Dann könnte uns ein Teufel helfen, unsere Ehre nicht zu verlieren. Wir könnten das Unerklärliche erklären. Wir hätten  einen Schuldigen. Aber nicht einmal für diese Rolle lässt sich noch ein Teufel finden. So wenig wir an die Hölle glauben  – wir machen sie, wir erleiden sie, wir schauen ihr zu.

Invokavit

Der Sonntag heute trägt den Namen: Invokavit. Psalm 91 steht Pate. Nach ihm ist der Tag heute benannt: “Er ruft mich an, darum will ich ihn erhören spricht der Herr; ich bin bei ihm in der Not, ich will ihn herausreißen und zu Ehren bringen”. Er ruft mich an. Von Not ist die Rede. Aber auch vom Herausreißen, von neuer Ehre. Gott will erhören. Vertrauen und Gelassenheit liegen in diesen Worten – und die Einladung, IHN anzurufen. Wer ihn anruft, stellt sich ihm anheim. Vertraut ihm sein Leben an. Der Sonntag Invokavit steht am Anfang der Passionszeit, die auch als Fastenzeit bekannt ist. Wir gehen den Weg Jesu mit. Dabei ist heute ein besonderer Tag. Eine erste große Predigt, von acht, hielt Martin Luther am 9. März 1522 in Wittenberg. Diese Predigtreihe trägt den  Namen „Invokavitpredigten“. Heute ist auch der 9. März, 492 Jahre liegen dazwischen. Martin Luther hat die Wartburg verlassen, um mit Predigten den Unruhen Einhalt zu gebieten, die während seiner Abwesenheit in Wittenberg ausgebrochen waren. Was Luther begonnen hatte, drohte in Gewalt unterzugehen. Jetzt steht Luther auf der Kanzel. Er hat jetzt nur die Kraft des Wortes. Dem Wort traut er auch alles zu. Das Wort Gottes trägt ihn – und uns. In seiner ersten Invokavitpredigt am 9.März 1522 hören wir Martin Luther sagen: „Wir sind alle zu dem Tod gefordert und keiner wird für den anderen sterben. Jeder Mensch wird für sich mit dem Tod kämpfen, jeder Mensch muss für sich geschickt sein in der Zeit des Todes. Darum müsse jeder Mensch selber wissen, woran er glaubt …“ Ein eindringliche Predigt, persönlich, menschlich, existentiell. Kein Mensch kann sich sein Leben abnehmen lassen. Den Glauben nicht, nicht einmal den Tod. Im Psalm heißt es: Er ruft mich an. Invokavit. Gottesrede mitten in einem Gebet. Wir zitieren ihn. Wir nehmen Zuflucht in seinem Wort.

Was uns reizt und lockt

Jakobus schreibt in seinem Brief von den „eigenen Begierden“, die reizen und locken, die die Sünde gebären – und am Ende den Tod. Ein sehr naturhaftes Bild: die Begierde geht mit uns schwanger. Was dann geboren wird, ist das Unheil. Das Unheil ist keine fremde Macht, es fällt nicht über uns her – wir empfangen es, es nistet sich in uns ein, dann tragen wir es aus. Wie ein Kind. Das Unheil erblickt das Licht der Welt. Vor hundert Jahren wussten die Menschen noch nicht, dass im August ein Krieg ausbrechen würde. Aber die Parolen, die Hitze, die Hetze lagen schon in der Luft. Noch wäre ein Einhalten möglich – aber (fast) alle warteten auf ein reinigendes Gewitter. Im März 2014  streiten die Historiker weiter darüber, wer denn die Schuld trägt. Die Frage ist brisant. Immer noch. Sind „Schlafwandler“ – so ein Buch – in die Katastrophe geschlittert? Wurde – so ein anderer Titel – die Büchse der Pandora geöffnet? Aber von wem? Manchmal müssen Menschen auf Mythen zurückgehen, um das Unheimliche erzählen zu können. Dokumente lassen sich interpretieren, einordnen, inszenieren. Sie zeigen die Begierde, die den Tod bringen wird – die Begierde, groß zu sein (oder zu werden), andere niederzuringen und endlich den rechten Platz in der Geschichte zu erobern. In Kriegspredigten wurde nicht über Schuld gesprochen – es wurde das Recht beschworen. Das Recht, diesen Krieg zu führen – für Deutschlands Größe. „Jeder, der versucht wird, wird von seinen eigenen Begierden gereizt und gelockt“, schreibt Jakobus.

In diesen Tagen schauen wir gebannt in die Ukraine. Auf einmal ist wieder eine Krise da. Aus dem lokalen Konflikt könnte ein neuer (kalter) Krieg entstehen. Mit den Säbeln wird schon gerasselt. Die Worte rüsten auf. Die Minen sind erstarrt. Selbst die Aktien scheinen sensibler zu sein als die Menschen. Ich höre Geschichten von früher, nur verstehen kann ich nicht – ich bin ein Fremder. Ich bin weit weg. Die Vernunft wird beschworen, die Vernunft wird immer beschworen: nur Begierden kennen keine Vernunft. Es geht um Macht, um Einfluss, um Geld. Jetzt wird kommentiert, abgewogen, gewarnt. Die deutschen wirtschaftlichen Interessen werden ins Feld geführt. Wissen Sie, dass uns das russische Gas die Zähne ziehen kann? Am Ende werden wieder Menschen die Zeche zahlen. Gefragt werden sie nicht. Was Jakobus schreibt, ist auf deutsch, russisch und ukrainisch menschlich zu verstehen: „Jeder, der versucht wird, wird von seinen eigenen Begierden gereizt und gelockt“ Im alltäglichen Leben, fernab großer Entwicklungen und Verwicklungen, spielen Menschen oft genug dieselben Karten, über die wir sonst – aus der Distanz – entsetzt sind. Leistungsschrauben werden angezogen – irgendwann zeigt sich schon, wer mitkommt und wer auf der Strecke bleibt. Für viele Menschen ist ihr Leben zu einem Spießrutenlaufen verkommen. Sie werden in Kämpfe und Auseinandersetzungen verwickelt, für die das Wort Mobbing erfunden wurde. Sie müssen nicht nur mithalten, sie müssen sich auch noch dem internen Verdrängungswettbewerb stellen. Es gibt ein Hauen und Stechen – und ganz viele subjektive Rechte. Menschen glauben an Ansprüche! Dafür verkaufen sie ihren Seelen auf dem Markt. Die Provisionen streichen andere ein. Wir wissen das, wir spielen mit. Können wir aussteigen? Möchte ich aussteigen? Jakobus über die Schulter geschaut: „Jeder, der versucht wird, wird von seinen eigenen Begierden gereizt und gelockt“. Drei Beispiele sind’s, Beispiele, die Sie beliebig erweitern können. Sie ranken alle um das Wort „Begierde“.  Es ist ein uraltes Wort mit eigener Geschichte. Ohne den vielen Verästelungen nachzugehen, hören wir unschwer das Wort Gier heraus. Die Gier schlachtet alles aus – auch Menschen, sie holt auch aus allem alles heraus. Sie braucht immer mehr. Sie kennt keine Grenze. Sie kennt auch keine Barmherzigkeit. Bei Jakobus wird die Gier zum Vater der Sünde. Ein sehr plastisches Bild. Schon der Gedanke, dass die Sünde geboren wird, ist aufregend – und gleichzeitig verstörend. Irrt euch nicht, meine lieben Brüder. Nein, meine lieben Brüder, wir wollen uns nicht irren! Ihr, liebe Schwestern, ihr auch nicht!

Erstlinge seiner Schöpfung

Es könnte der Eindruck entstehen, wir hätten heute – am ersten Sonntag der Passionszeit, Invokavit – nur von Anfechtungen zu reden. Von Irrtümern. Von Irrwegen. Höhepunkt aber ist für Jakobus, unser Leben nicht nur als gefährdet und angefochten zu beschreiben, sondern in Gott geborgen und gehalten. „Alle gute Gabe und alle vollkommene Gabe kommt von oben herab, von dem Vater des Lichts, bei dem keine Veränderung ist noch Wechsel des Lichts und der Finsternis. Er hat uns geboren nach seinem Willen durch das Wort der Wahrheit, damit wir Erstlinge seiner Geschöpfe seien.“ Gott wird als Vater des Lichts vorgestellt. Er verändert sich nicht. Er ist nicht mal hell, mal dunkel – nicht mal gut, nicht mal schlecht – nicht mal da, nicht mal weg. Er bleibt sich, er bleibt uns treu. Sein erstes Wort ist: Es werde Licht – und siehe: es ward Licht. Der erste Tag der Schöpfung. Er hat vollkommene Gaben für uns. Vollkommene Gaben! Vollkommene Gaben sind das Licht, die Liebe, das Wort. Taufe und Abendmahl. Vergebung der Sünden. Ein neuer Anfang. Nicht zuletzt: das Glück, uns in Anfechtungen zu bewähren und die Krone des Lebens zu empfangen. Wir werden „selig gepriesen“: Selig ist der Mensch, der in der Anfechtung nicht untergeht, der ihr Paroli bietet, der ihr etwas entgegenzusetzen hat. Die wohl größte vollkommene Gabe vom „Vater des Lichts“ ist das – Licht. Wir haben jetzt nicht mehr nur von der Finsternis, von Begierden, von der Anfechtung zu reden – in seinem Licht sehen wir uns als seine Kinder geboren. Ein großes Wort: Erstlinge seiner Schöpfung. Lichtkinder, sozusagen. Gott irrt sich nicht. Seinem Blick auf mein Leben will ich standhalten. Invokavit: Ich rufe ihn an. „Darum will ich ihn erhören spricht Gott; ich bin bei ihm in der Not, ich will ihn herausreißen und zu Ehren bringen.” (Psalm 91,15)

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Ein Kommentar zu “Passionszeit – den Weg Jesu mitgehen

  1. Christoph Kühne

    Ein Klangteppich mit nachdenklichen Bildern ist für mich diese Predigt. Ich bleibe an einigen Bildern hängen, sinne manchen Klängen der Predigt nach: Die Bilder vom Teufel, der überall zu sein scheint. Dem die Welt zu Füßen liegt. Der Teufel, das schreckliche Verbrechen, das Unerklärliche. Und dann die Klänge der lutherischen Invocavit-Predigten: „Jeder wird für sich mit dem Tod kämpfen.“ Jeder kann doch wissen, woran er glaubt. Und dann die Bilder der Gier. Die Bilder vom kalten und doch auch drohenden heißen Krieg. Die Gier nach dem rechten Platz in der Geschichte. Und schließlich der großartige Klang von der guten Gabe, die von oben herabkommt. Von Gott, dem Vater des Lichts. Der uns herausreissen will. „Gott irrt sich nicht.“ Darum brauchen wir auch nicht irre zu werden, sondern können standhalten. Mit diesen Bildern und Klängen der Hoffnung!

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