Glauben
Zumutung des eigenen Anfangens
Predigttext: Hebräer 11, 8-10 (Übersetzung nach Martin Luther, Rev. 1984)
Durch den Glauben wurde Abraham gehorsam, als er berufen wurde, in ein Land zu ziehen, das er erben sollte, und er zog aus und wusste nicht, wo er hinkäme. Durch den Glauben ist er ein Fremdling gewesen in dem verheißenen Lande wie in einem fremden und wohnte in Zelten mit Isaak und Jakob, den Miterben derselben Verheißung. Denn er wartete auf die Stadt, die einen festen Grund hat, deren Baumeister und Schöpfer Gott ist.
Einführung zum Predigttext
Glauben heißt „gerecht werden“, und das ist kein Zustand sondern eine Bewegung. Gott macht uns gerecht. Wir sind es nicht von selbst. Paulus hat seine berühmte Rechtfertigungslehre also in ganz einfache Worte gebracht:
Glauben heißt Frieden mit Gott finden, Zugang zu Gott finden, Zugang zu Hoffnung und Glauben, zu Gottes Stadt, zu Gott als Zufluchtsort. Diese einfache Botschaft haben wir eben in der Lesung gehört (Röm 5,1-5). Das hilft und bewährt sich auch in Bedrängnis – also in Drang und Enge, der Drang ist vielleicht selbst gemacht in Zeiten von innerem „Sturm und Drang“, die Enge von außen kommend macht uns vielleicht Angst: innerer und äußerer Drang, Drang und Enge = Bedrängnis, ein schönes altmodisches Wort, das beides zugleich sagt.
Paulus aber glaubt auch den Ausgang aus der Bedrängnis: Wir wissen, dass Bedrängnis Geduld bringt, Geduld aber Bewährung, Bewährung aber Hoffnung, Hoffnung aber lässt nicht zuschanden werden, denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den heiligen Geist, der uns gegeben ist! Hier ist alles in Bewegung und nichts ist fertig. Der Christ ist in Werden und nicht im Sein. Christsein ist eine Bewegung und kein Zustand! Im heutigen Predigttext kommt noch ein anderer ein biografischer Aspekt dazu:
Glauben ist eine Zumutung egal für welches Alter! Denn Glauben heißt gehorsam und hoffnungsvoll sein gegenüber der Zumutung nicht zu wissen, wo wir schlussendlich landen, das gilt genauso am Ende und am Anfang und in der Mitte des Lebens. Glauben ist und bleibt eine Zumutung! Unsere Lebens-Aufgabe ist es, gehorsam und hoffnungsvoll zu werden gegenüber der Zumutung nicht zu wissen, wo wir hinkommen, wenn wir als befristete sterbliche Menschen anfangen, trotzdem zu leben:
Junge Menschen ziehen von zu Hause aus, oft erheblich später als in früheren Zeiten, als man manchmal schon direkt nach der Konfirmation das Elternhaus verließ, neugierig oder ängstlich, ziehen junge Erwachsene in ein eigenes Leben, vielleicht in eine neue Lebensgemeinschaft, ohne zu wissen, wo sie beruflich oder privat hinkommen werden. Zahllos sind die Gefahren unterwegs, das Medienzeitalter verspricht Orientierung, aber der Kompass funktioniert oft nicht.
Manche haben klare Pläne, die sich zerschlagen, manche haben keine Pläne, die sich auch zerschlagen. Das ist beim Leben wie beim Singen: Es gibt nur zwei Möglichkeiten, richtig singen und falsch singen, nicht singen gibt’s nicht! Umkehren geht immer, aber nur wenn man schon losgelaufen ist. Das ist im Leben so, das ist beim Glaubensleben so. Glauben bleibt ein Wagnis. Glauben ist nicht theoretisch zu haben. Man muss selbst damit anfangen, auch wenn der Zugang schon gebahnt ist, wir sind noch nicht angekommen. Der Zugang zu Gott ist nicht theoretisch zu haben, er ist uns geschenkt, aber es ist wie ein geschenktes Sportgerät, ein Fahrrad z.B. – es kann uns geschenkt werden, aber wir müssen anfangen selbst damit zu fahren, sonst ist das Geschenk nutzlos.
Oder wie ein Musikinstrument, man kann es uns schenken, aber nur, wer darauf übt und es ausprobiert, wird damit Musik machen können. So ist es auch mit dem Glauben, wir müssen selbst gehen und uns in Bewegung setzen und ausprobieren, üben und weitergeben und uns austauschen, sonst passiert nichts, sonst bewegt sich nichts, sonst klingt nichts. Man muss tatsächlich anfangen zu leben, zu lieben und Gott zu glauben. Dieser Zumutung des eigenen Anfangens kann man nicht entkommen, auch wenn das Ende dann noch nicht in Sicht ist. Diese Zumutung trotzdem gehorsam und hoffnungsvoll zugleich anzufangen, das ist Glauben! Gott sei Dank ist das Anfangen und das Üben in jungen Jahren besonders selbstverständlich, sonst würde kein Kind laufen und sprechen und glauben lernen.
Die Zumutung fängt geheimnisvoll schon beim Anfang, bei der Geburt an: ein Baby wird geboren, in großer Bedrängnis, ohne eigenes Zutun, es ist nicht gefragt worden und weiß vorher nicht, wo es hinkommt mit seiner Geburt, ob die Eltern es zu einem kleinen Tyrannen heranziehen, wer oder was noch alles mitprägen wird in seinem Leben, ob es Geschwister vorfindet oder ungefragt dazubekommt. Ob es in wohlgeordnete oder unordentliche Verhältnisse hineinkommt, und das ist bekanntlich unabhängig vom Reichtum oder Lebensstandard der Erziehungsberechtigten. Ob es ein Schreikind wird oder pflegeleicht, ob es von seinen Eltern oder von anderen Menschen geliebt werden wird und selbst lieben lernt, wird sich zeigen, kann nicht im Vorhinein eingekauft werden. Nur eines ist klar: Ein verhütetes Kind wird es nie wissen. Das ist die Zumutung des Lebens. Man muss einen Anfang machen, ohne das Ende zu wissen, man wird geboren, aber man wird nicht gelebt, leben gibt’s nur im Aktiv, da muss man selbst anfangen, selbst lernen von Anfang an!
Lieder
„Befiehl du deine Wege“ (EG 361)
„Holz auf Jesu Schulter“ (EG 97)
„Korn das in die Erde“ (EG 98)
„Kommt sagt es allen weiter“ (EG 225)
„Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld“ (EG 83)
(Vorbemerkung: Im Gottesdienst wird eine Lehrvikarin eingeführt, die, wie auch Konfirmandinnen und Konfirmanden, die Liturgie mitgestalten.)
Vielleicht denken jetzt einige, Gott sei Dank sind bei mir Sturm und Drang schon vorbei, Gott sei Dank bin ich nicht mehr so jung, aber diese Zumutung des Lebens und des Glaubens hört auch im Alter nicht auf. Das berühmteste Beispiel dafür ist Abraham. (Lesung des Predigttextes) Drei Zumutungen hören wir da:
Glauben heißt im Zelt leben und noch nicht in der Stadt
Das ist ein Gleichnis, es gilt auch für uns Stadtmenschen, die nicht mehr als Nomaden unterwegs sind. Wir sind im Übergang, nichts ist sicher, alles ist in Bewegung, wir kennen das Ende nicht, (selbst der Tod ist nicht starr sondern kann als Tanz dargestellt werden, wie unsere Ausstellung in Epiphanias zeigt). Auch Abraham hat das Ziel nicht vor Augen gesehen, als er auszog. Die Stadt, auf die er wartete, deren Baumeister Gott selbst sein wollte, damit sie einen festen Grund habe, diese Stadt hat Abraham hier auf Erden nie gesehen. Aber wenn er nicht aufgebrochen wäre, mit Glaube, Liebe, Hoffnung im Gepäck, dann hätte er die Stadt Gottes auch nach seinem Leben nicht gesehen! Ohne hoffnungsvollen Anfang, egal in welchem Alter, gibt es kein seliges Ende.
Glauben heißt Miterben haben
Die andere zugemutete Wahrheit für Abraham und für uns alle lautet: Glauben heißt automatisch „Miterben haben“, bei Abraham waren es Nachkommen, die müssen es aber nicht sein, Abraham kannte das heutige Problem der Kinderlosigkeit, und er musste auch wie viele von uns auf Enkel lange warten, und zwischendurch hat er sich mit Lot, seinem adoptierten Neffen gestritten und wieder versöhnt, allerdings nicht ganz. Miterben, das sind nicht meine Erben und Nachkommen, über deren Erbteil ich bestimme, sondern die Miterben haben den gleichen Erbanspruch wie ich, die können auch Zeitgenossen aus der gleichen Generation sein, Miterben sind Geschwister, egal ob sie aus meinem oder aus einem anderen Genpool stammen, und manchmal sind die nichtverwandten Miterben eine noch die größere Zumutung!
Gott mutet uns zu, keine Einzelkinder und alleinigen Erben zu sein, er mutet uns seine ganz gemischte Patchwork-Familie zu. Wir haben als Glaubende immer Miterben neben uns, selbst wenn hier in der Kirche niemand neben mir sitzt, wir haben unseren Glauben nie alleine für uns gepachtet. Die Miterben, egal ob sie jünger oder älter sind, deutsch oder afrikanisch, arm oder reich, sie streiten mit uns, und sind oft sogar erheblich anderer Meinung, aber sie sind nicht aus der Welt zu schaffen. Sie gehören mit zu Gottes Plan für uns.
Glauben heißt hier auf Erden in der Fremde leben
Und so kommt es schließlich zur letzten Zumutung eines Christenmenschen, dass man sich manchmal in seinem eigenen Leben als Fremdling fühlt. Wir ahnen oder wissen schon, wohin wir gehören, und doch sind wir noch nicht zuhause, schon und noch nicht zugleich. Mal in Ängsten und in Bedrängnis und mal ganz sicher hoffnungsvoll und motiviert. Unruhig ist unsere Seele, umgetrieben sind wir, darin lebendig und voller Sehnsucht, aber diese Fremdheit gehört zu diesem Leben dazu, sie ist ein Hinweis dafür, dass wir noch nicht fertig sind. Dass wir noch Mut brauchen für den nächsten Schritt und über die nächste Schwelle, die auch manchmal wie eine unüberwindliche Mauer aussieht. Auch wenn es sich anfühlt wie eine Zumutung – der Christ ist im Werden, nicht im Sein. Der Zugang ist geöffnet, aber gehen müssen wir selbst.
Viele Zumutungen haben wir heute gehört, und das passt gut zur Passionszeit, das ist ja eine Übungszeit auf Ostern hin, da sieht man nichts, das Grab ist leer, aber der Weg zum Grab ist doch ganz anders für Menschen, die eine Heimat bei Gott haben. Wir haben alle die doppelte Staatsbürgerschaft, wir sind nicht nur hier, wir sind auch Vollbürger im Himmel. Wer um diese doppelte Staatsbürgerschaft weiß, für den werden die Zumutungen des Glaubens zu Mut-Machern auf dem Weg nach Hause. Da lohnt es sich auch über die Zumutungen des Glaubens nachzudenken: die Zumutung selbst anzufangen, die Zumutung, dass wir täglich dazulernen und üben müssen, die Zumutung dass wir nicht alleine sind sondern immer Miterben der Verheißung haben. All das ist vielleicht keine besonders tolle Werbung für den Glauben, der Trost in all diesen Zumutungen ist aber: dem Abraham und auch Jesus selbst ist es nicht besser ergangen!