Wende zum Guten

Manchmal scheint die Erde unter uns zu wanken, und dann ist da wieder ein Hoffnungsstrahl

Predigttext: Jesaja 54,7-10
Kirche / Ort: 66989 Nünschweiler
Datum: 30.03.2014
Kirchenjahr: Laetare (4. Sonntag der Passionszeit)
Autor/in: Pfarrerin Anke Andrea Rheinheimer

Predigttext: Jesaja 54,7-10 (Übersetzung nach Martin Luther, Rev. 1984)

7 Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen, aber mit großer Barmherzigkeit will ich dich sammeln.
8 Ich habe mein Angesicht im Augenblick des Zorns ein wenig vor dir verborgen, aber mit ewiger Gnade will ich mich deiner erbarmen, spricht der HERR, dein Erlöser.
9 Ich halte es wie zur Zeit Noahs, als ich schwor, dass die Wasser Noahs nicht mehr über die Erde gehen sollten. So habe ich geschworen, dass ich nicht mehr über dich zürnen und dich nicht mehr schelten will.
10 Denn es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen, und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der HERR, dein Erbarmer.

Exegetische (I.) und homiletische (II.) Anmerkungen

I.     Der Predigttext aus Deuterojesaja spielt vor dem geschichtlichen Hintergrund der Katastrophe des babylonischen Exils für das Volk Israel, 587 v.Chr. Die Oberschicht war deportiert nach Babylonien, die Stadt Jerusalem und der Tempel als wichtigstes Heiligtum waren zerstört. Heimatverlust, Verlorenheit in der Fremde, Hoffnungs- und Perspektivlosigkeit der Exilierten kennzeichnen die Atmosphäre in dieser Situation des erlebten Zornes Gottes und seiner drastischen Konsequenzen infolge der Gottvergessenheit Israels, des Abfalls weiter Volksteile von Gott und ihrem Glauben. Kann und wird Gott sich seinem Volk wieder zuwenden? Wird auf das Gericht jemals wieder Gnade, auf den Zorn Gottes wieder sein Erbarmen folgen? Wann wird sich das Unheil wieder in Heil verkehren?

Der Rekurs auf die Zeit Noahs (Jes 54,9) schafft die innerbiblische Parallele: Gott zürnt, aber erbarmt sich auch wieder. Seine Zusage bleibt bestehen, trotz des Ungehorsams seines ersterwählten Volkes. Wie der Noahbund, so ist auch der in Jesaja verheißene Friedensbund ein ewiger Bund, der von Gott her besteht und nicht aufgehoben wird, der nicht hinfallen soll, wenn gleichwohl auch „Berge weichen und Hügel hinfallen“ (Jes 54,10). Dem „Augenblick des Zorns“ (Jes 54,8) steht die Dauerhaftigkeit von Gottes ewigem Friedensbund entgegen, der sich darin als „der Herr, dein Erbarmer“ (Jes 54,10) erweist, dessen wesentliche Gottesattribute seine Gnade, sein Erlösungswille und sein Erbarmen sind. So ermöglichte das Kyros-Edikt von 539 v.Chr. dem Volk Israel die Rückkehr in die Heimat, die Wiedervereinigung der getrennten Volksteile durch die Repatriierung der Exilierten und den erlaubten Wiederaufbau des zerstörten Jerusalemer Tempels – ein Neuanfang und damit die im Exil ersehnte, aber kaum mehr für möglich gehaltene Hoffnungs- und Heilswende.

II.    Der Sonntag Lätare, der 4. So. i. d. Passionszeit, ist das „kleine Ostern“ mitten in der österlichen Fastenzeit, mitten im kirchenjahreszeitlichen Nachdenken über die Leidenszeit Jesu, und er „ragt aus der Reihe der anderen Sonntage heraus“. (Bieritz, S. 110). Hoffnung leuchtet auf mitten im Leiden, wirft ihren Schein auf das große, österliche Licht voraus. Der Predigttext trägt diese Hoffnungs- und Heilswende am Beispiel des Volkes Israel in sich, die auch uns Christinnen und Christen in unseren persönlichen leidvollen Lebenserfahrungen und Lebenskrisen neues Vertrauen und Hoffnung vermitteln kann, so dass wir uns mit Gottes ersterwähltem Volk freuen können: „Lätare, freue dich!“ Das Hinfallen der Berge und Wanken der Hügel (Jes 54, 10), das das Volk Israel in der Zeit des babylonischen Exils leidvoll erfahren hat, kann mit eigenen leidvollen Lebenssituationen und –erfahrungen, mit persönlichen Lebenskrisen der Predigthörerinnen und Predigthörer in eine innere Korrespondenz gebracht werden. Ebenso die feste Zusage des Erbarmens Gottes, seine Verheißung ewiger Gnade, die bestehen bleibt, was auch immer uns im Leben innerweltlich widerfährt.

Gottes Heilsversprechen, wie er es schon Noah und seinem ersterwählten Volk gegeben hatte, sein ewiger Friedensbund, wird nicht aufgelöst. So kann der Jesajatext in der Predigt als persönlicher Trosttext angeboten werden, als biblisches Zeugnis aus einer anderen Zeit, das die Predigthörer heute für sich annehmen können. Den Augenblicken, Momenten und Situationen des Unheils,  auch den große Lebenskatastrophen und persönlichen Lebenskrisen wird die Hoffnung und Zuversicht auf die Ewigkeit der Gnade Gottes entgegengestellt.

Literatur: Bieritz, Karl-Heinrich, Das Kirchenjahr. Feste, Gedenk- und Feiertag in Geschichte und Gegenwart, München 1994. - Griese, Carsten, Lätare: Jes 54,7-10, Predigtmeditationen im jüdisch-christlichen Kontext. Zur Perikopenreihe VI, Plus, hg. von Studium in Israel e.V.,  Wernsbach 2013, S. 161-167.

Lieder: „Alles ist an Gottes Segen und an seiner Gnad gelegen“ (EG 352) - „Beib mit deiner Gnade bei uns“ (Taizé-Gesang, als Liedruf zw. d. Fürbitten) - „Korn, das in die Erde, in den Tod versinkt“ (EG 98; Wochenlied)

 

 

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I.    Wie lange dauert ein kleiner Augenblick? Ein Augenblick kann wie ein kurzes Blinzeln mit den Augen sein, ein Zuzwinkern, der Hauch eines Lächelns, das einem anderen Menschen Freude vermittelt. Ein  Augenblick kann kostbar sein, ein Moment tiefster Verbundenheit und Hingabe, losgelöst von Raum und Zeit. Ein Glücksmoment, der uns geschenkt wird, das Gefühl tiefer Zufriedenheit und Dankbarkeit, das uns durchströmt – etwa beim Anblick eines neugeborenen Menschenkindes, das in unseren Armen ruht; oder das Glück gefundener Liebe, die „Schmetterlinge im Bauch“ und der Seele. Ein glücklicher Augenblick kann eine Perle sein, ein funkelnder Tropfen in einem Meer von zerfließenden Gedanken und verrinnender Zeit.

Ein Augenblick kann ein kurzer Moment des Glücks, aber auch ein langer Moment des Schmerzes sein. Solche Augenblicke der Dunkelheit und der Angst dehnen sich dann zu Ewigkeiten und sind kaum auszuhalten. Es gibt Augenblicke, in denen die Welt mit einem Mal unterzugehen scheint, die Erde unter uns wankt und der Grund, auf dem wir stehen, unser Leben in seinen Grundfesten erschüttert wird – „Berge, die weichen“, „Hügel, die hinfallen“. Solche Augenblicke des Schmerzes und der Verlassenheit, der Betrübnis und der Not, bleiben uns in Erinnerung: Veränderungen, die das Leben erschüttern, den gewohnten Lebensentwurf umstürzen, ihn komplett umkrempeln und verändern. Es gibt Augenblicke, die lebenswendend  sind – manchmal gewendet ins Positive, Erfreuliche, Hoffnungsvolle, Glückliche; manchmal mitten hinein in eine große persönliche Tragik, in Trauer und Schmerz, in eine momentane Lebensnot oder eine dauerhafte Lebenskrise. Jeder Mensch hat seine eigenen Augenblicke, die er erinnert: schöne, glückliche, traumhafte Augenblicke oder traumatische, schauerliche Augenblicke, eine tragische Schicksalswende. Ein Augenblick – eine kurze Weile und doch manchmal lebensbestimmend, von dauerhafter Konsequenz.

II.     Ein kleiner Augenblick, ein Flügelschlag der Zeit, –  und dem gegenüber die Ewigkeit. Wie lange dauert die Ewigkeit? Ewigkeit – sie liegt jenseits unserer Zeitvorstellung, ist endlose Fülle der Zeit, ohne Anfang und Ende, „never ending story“, die alle gelungenen und misslungenen Augenblicke in sich aufnimmt, einen gnädigen Mantel legt über vergangene Schmerzen und Leid und Dauer verleiht dem Glück und der Seligkeit. Ewigkeit wünschen wir uns für unser ganz persönliches Glück, für die Liebe. Ewigkeit für äußeren Frieden und innere Zufriedenheit. Aber Ewigkeit ist nichts Menschenmögliches. Unser menschliches Zeiterleben und die Reichweite unseres Denkens sind immer begrenzt und endlich. Im Meer der Weltzeit müssen wir unsere eigene Lebenszeit bewältigen, wie sie uns gegeben ist: Augenblicke des Glücks wechseln darin ab mit Zeiten der Verlorenheit; Zeiten der Ohnmacht und Traurigkeit wechseln ab mit Gefühlen der Zufriedenheit, wo wir eins sind mit uns selbst und unserem Leben.

Das Leben ist wechselhaft, Zeiten der Zufriedenheit können von problembeladenen Phasen abgelöst werden. Manchmal scheint die Erde unter uns zu wanken, alles, worauf wir uns verlassen haben, scheint aus den Fugen zu geraten – und dann ist da wieder ein Hoffnungsstrahl, eine glückliche Fügung, eine Wende zum Guten. Beides kann im Leben nahe beieinanderliegen: Augenblicke des Glücks und Augenblicke des Leides. Der Augenblick und die Ewigkeit, zwei Dimensionen der Zeit, die verschiedener nicht sein könnten und doch zusammenspielen. Wenn wir jetzt die Augen für einen Moment schließen würden, in welchem Licht würden Sie Ihr Leben in diesem Augenblick sehen? Was erhoffen, was befürchten Sie? Was soll in Ihrem Leben so bleiben wie es ist;  was soll sich ändern?

III.     Der Prophet Jesaja hat eine Wende beschrieben, eine Wende zum Guten. Er wagt zunächst einen nüchternen Blick auf die Lage seines Volkes. Er beschreibt sein Volk in einer schwierigen Situation, mitten im Gefühl der Verlassenheit und Verlorenheit. Israel hatte sich von seinem Gott abgewendet; und nun scheint es, als habe Gott umgekehrt sein Volk verlassen, sich von ihm abgewendet. Gott schweigt, greift nicht ein, als die Oberschicht des Volkes in die babylonische Gefangenschaft geführt wird, als Krieg und Not über Israel hereinbricht. Für einen Augenblick ist Gott verborgen, rätselhaft. Jesaja beschreibt, wie Gott die Welt ansieht. Sein Urteil fällt für‘s Erste nicht gut aus. Gott ist zornig, enttäuscht über sein Volk, das sich von ihm abgewandt hatte und fremden Göttern nachgelaufen war. Der Prophet drückt den Zorn Gottes und die Konsequenzen mit den Worten aus: „Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen“.

Jesaja vermittelt uns, dass Gott nicht statisch und unveränderlich ist, sondern dass er in Beziehung zu seiner Welt und zu seinem Volk Israel steht. Gott leidet mit und an seiner Welt, seinem Volk. Gerade weil Gott etwas an seiner Welt und seinem Volk liegt, hat er sein Angesicht vor seinem Volk verborgen. Dieser Zorn Gottes ist sein Protest gegen Unfrieden und Gewalt. Zornig und wütend kann der Gott des Friedens werden angesichts der kriegerischen Auseinandersetzungen an so vielen Orten der Welt. Zornig angesichts des Blutvergießens und der Zerstörungen, der Verletzungen und dem Leid, das Menschen einander zufügen; zornig über das Leiden und die Zahl der Todesopfer, die Tag für Tag der Gewalt zum Opfer fallen; zornig über den Missbrauch seines Namens in vielen dieser Konflikte, die unter dem Deckmantel der Religion geführt werden. Gott kann zornig werden über die Hartherzigkeit und Halsstarrigkeit seiner Menschenkinder, der Gottvergessenheit sogar seines ersterwählten Volkes  damals zur Zeit des Jesaja.

Der Prophet sagt: Gerade weil Gott etwas an seiner Welt, besonders an seinem ersterwählten Volk liegt, verbirgt er sein Angesicht für einen kleinen Augenblick. Aber Jesaja sagt auch:  Die Treue Gottes bleibt bestehen, trotz seines Zorns! Es geht hoffnungsvoll weiter: „Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen, aber mit großer Barmherzigkeit will ich dich sammeln“. Gott hält das innere Band zu seiner Welt; seinen Gnaden- und Friedensbund mit seinem Volk kündigt er nicht auf. Wie schon zu Zeiten des Noah, nach der Sintflutkatastrophe, verlässt Gott sein Volk auch nicht nach der Katastrophe des babylonischen Exils. Die Erde hatte gewankt für Israel im Moment des Zornes Gottes. Die Konsequenzen waren die Zerstörung Jerusalems und des Tempels, der Verlust der Heimat und Selbstbestimmtheit, das babylonische Exil. Weggeführt nach Babylonien erleben sie die Erschütterung der Grundfesten ihres Lebens. Eine hoffnungs- und perspektivlose Situation für das Volk.

IV.     Aber Gott wendet das Schicksal für Israel,  „mit ewiger Gnade“ erbarmt er sich seines Volkes. Trotz allem, was war, schickt Gott die Heilswende: Die Weggeführten aus dem Volk dürfen wieder zurückkehren in die Heimat, nach Israel, sie dürfen die Stadt Jerusalem und den Tempel wieder aufbauen. Gott schenkt Israel ihnen wieder Hoffnung. Er hat an seinem Volk, an seinem Bund mit ihm festgehalten. Dem Volk Israel war damals diese Zusage und die damit verbundene Hoffnungs- und Heilswende geschenkt. An dieser Zusage können sich auch heute alle festhalten – in einer persönlichen Krise, in Zukunftsangst, wenn dabei Zweifel an der Güte Gottes aufkommen. Gott bleibt der vergebende Gott, der einen neuen Anfang und Vergebung schenkt. In den wankenden Tiefen unseres Lebens und auf den sonnigen Höhen – in Jesus Christus ist er in Beidem an unserer Seite. Die Glücksmomente und die sorgenvollen Augenblicke teilt er mit uns. Aus seiner Ewigkeit fließt unsere Zeit mit all ihren großen und kleinen Augenblicken, mit ihren leichten und schweren Lebensphasen.  So wie Jesaja diese Zusage Gottes in wunderbarer Sprache formuliert: „Denn es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen, und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der Herr, dein Erbarmer“.

 

 

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