“Und das Leben begann neu…”
Das Wort Gottes durchbricht die Mauern und führt uns heraus
Predigttext: Jesaja 54,7-10 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen, aber mit großer Barmherzigkeit will ich dich sammeln.
Ich habe mein Angesicht im Augenblick des Zorns ein wenig vor dir verborgen, aber mit ewiger Gnade will ich mich deiner erbarmen, spricht der HERR, dein Erlöser.
Ich halte es wie zur Zeit Noahs, als ich schwor, dass die Wasser Noahs nicht mehr über die Erde gehen sollten. So habe ich geschworen, dass ich nicht mehr über dich zürnen und dich nicht mehr schelten will.
Denn es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen, und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der HERR, dein Erbarmer.
Einführung und Vorbemerkungen zum Predigttext Jesaja 54,7-10
(1) Der Sonntag Lätare ist das „Kleine Osterfest“ in der Passionszeit. Wegen seines Aufrufs zur Freude trägt dieser Sonntag den Namen „Klein-Ostern“ und trägt in manchen Gemeinden sogar die außergewöhnliche liturgische Farbe „rosa“. (Friedrich Kalb, Grundriss der Liturgik, München 1982, S. 66)
Es ist ein Sonntag, der uns – genau wie die anderen sechs Passionssonntage – auf den Leidensweg Jesu mitnimmt, und die verzweifelten und dunklen Seiten der Sackgasse zeigt, in die Jesus geraten ist. Aber dieser Sonntag mit dem Namen „Freut Euch“ deutet auch an, dass die Sackgassen des menschlichen Lebens nicht das Ende sind. Und dass Menschen, die den roten Faden in ihrem Leben verloren haben, nicht zwangsläufig scheitern. Einen Schimmer Licht in die Sackgasse des Leidens sendet dieser Sonntag mit dem Namen „Freut Euch“: Das einzige, was Sackgassen durchbrechen kann und uns helfen kann, den roten Faden des Lebens wieder aufzunehmen, ist allein das Wort und die Zuwendung Gottes. Und dass er es gesprochen hat und auch heute noch spricht, damit wir leben – das ist die Botschaft des „Kleinen Osterfests“.
(2) Die hier beigefügten judenfeindlichen Zitate sind auf keinen Fall für die auf der Kanzel gesprochene Predigtfassung gedacht. Sie sind für den/die Prediger/in gedacht, um den Ernst dessen zu belegen, was ich in der Predigt geschrieben habe:
Martin Luther (1483–1546) fordert von der Obrigkeit: Vernichtung aller Synagogen („mit Feuer, Schwefel und Pech"), Zerstörung aller Privathäuser der Juden Entwendung aller liturgischen Bücher und der Bibel, Untersagung des Besuchs öffentlicher Gottesdienste und jeder Lehrveranstaltung der Rabbiner (ansonsten Todesstrafe), Verbot, Gottes Namen auszusprechen, Erlass, Juden nicht mehr als Händler wirken lassen, Verbot, sich frei auf der Straße zu bewegen, Verbot des Wuchers, Zwangsarbeit für alle jungen Juden beiderlei Geschlechts, Deportation nach Palästina (Predigt am 15.2.1546).
Immanuel Kant (1724–1804) nannte Juden „Vampyre der Gesellschaft“, die „durch ihren Wuchergeist seit ihrem Exil in den nicht unbegründeten Ruf des Betruges… gekommen“ seien. Obwohl er biblische Grundgedanken der Tora in seinem Sittengesetz vernunftgemäß entfaltete und die rabbinischen Traditionen kaum kannte, hielt er das Christentum für sittlich überlegen, grenzte es scharf gegen das Judentum ab, verlangte von Juden die Abkehr von biblischen Ritualgesetzen und ein öffentliches Bekenntnis zur ethischen Vernunftreligion. Erst dann könnten sie Anteil an allen Bürgerrechten erhalten.
Johann Gottfried Herder (1744–1803) hielt die Juden für „verdorben“, „ehrlos“ und „amoralisch“, aber durch Erziehung zu bessern. Er deutete ihre Diaspora-Situation als Unfähigkeit zu einem eigenen Staatsleben und prägte den oft zitierten Satz, Juden seien seit Jahrtausenden eine parasitische Pflanze auf den Stämmen anderer Nationen. Er forderte die Abkehr von ihrer Religion als Voraussetzung für ihre nationale und kulturelle Integration.
(3) Wenn ich Deutero-Jesaja zu predigen habe, komme ich in der Vorbereitung immer wieder an denselben Punkt, an dem ich mich entscheiden muss, ob ich die Zuhörer/innen mit Einleitungsfragen und Einleitungserkenntnissen beglücke, oder nicht: Eigentlich müsste ich den Zuhörern/innen (wiederum) die Situation der Babylonischen Gefangenschaft schildern, damit sie begreifen, auf welchem Hintergrund der Verzweiflung, der gefühlten Gottesferne und der Heimatlosigkeit diese Worte gesprochen bzw. geschrieben worden sind. Und jedes Mal denke ich: Das weiß die Gemeinde doch alles schon. Das habe ich ihnen schon so oft erklärt – ich will sie ja nicht langweilen. Nun werde ich es in dieser Predigt einmal wieder einfließen lassen – allerdings ohne ausführlich noch einmal die Situation zu beschreiben, die zum Exil geführt haben. Hoffend, dass meine Zuhörer/innen die richtigen Assoziationen dazu im Kopf haben. Diese Gedanken stelle ich hier im Predigtforum einfach mal zur Debatte:
Liebe Kolleginnen und Kollegen auf der Kanzel, wie halten Sie es mit notwendigen Informationen aus der Einleitungswissenschaft? Bringen Sie das immer wieder? Oder können Sie voraussetzen, dass die (Kern-)Gemeinde mittlerweile über ein Grundwissen darüber verfügt? Für die, die wissen möchten, um was es dabei geht, hier kurz die Unterscheidung zwischen Proto- und Deuterojesaja, und in welchem geschichtlichen Zusammenhängen sie anzusiedeln sind (Zusammenfassung eines Einleitungstextes von Dr. Jörg Sieger):
In den Kapiteln 40-55 des Jesaja-Buches ist ein anderer Verfasser als Jesaja anzunehmen. Während Jes 1-39 die Zeit des Untergangs Samariens vor Augen hat, also im 8. Jahrhundert v. Chr. anzusiedeln ist, erwartet der Verfasser von Jes 40-55 bereits das Ende des babylonischen Reiches (Jes 43,14; 46f.) und den Aufstieg des Persers Kyrus (Jes 44,26f. u. a.). Wir befinden uns also bereits in der Endphase des babylonischen Exiles; gut zweihundert Jahre nach Jesaja also.
Jes 40-55 enthält die Predigt(en) eines dem Namen nach unbekannten Propheten. Er führt die Theologie des Jesaja offensichtlich weiter und ist wie dieser ein großer Prophet. Da er ansonsten unbekannt bleibt, hat ihm die Forschung den Verlegenheitsnamen Deutero-Jesaja, also „zweiter Jesaja“, gegeben. Nicht nur zur Person des Propheten machen Jes 40-55 keine Angaben, auch Orts- oder Zeitangaben fehlen völlig. So kann der Raum und die Zeit des Wirkens des Deutero-Jesaja nur erschlossen werden. Als Ergebnis der Untersuchungen am Jesaja-Buch kann man mit Abstrichen folgendes festhalten:
Während Ezechiel in der Frühzeit des Exils auftrat, fällt die Tätigkeit Deutero-Jesajas in die Endphase der Exilszeit. So kann man also sagen, dass Deutero-Jesaja in Babylon wohl in der Zeit zwischen 550 v. Chr und 540 v. Chr. predigte. Das war die Zeit zwischen den ersten Siegen des Kyrus, die den Zusammenbruch des babylonischen Reiches bereits erahnen ließen, und dem Befreiungs-Edikt von 538 v. Chr., das dann die ersten Rückwanderungen der Israeliten nach Palästina erlaubte.
Deutero-Jesaja redet zu den Israeliten im Exil, dem „Rest des Hauses“ Israel (Jes 46,3). Er tritt auf in einer Zeit der Hoffnungslosigkeit. Mit dem Begriff "Trostbuch" ist dann auch schon bereits das Hauptthema des Deutero-Jesaja umschrieben. Die Prophetenworte von Jes 1-39 waren im allgemeinen Drohworte, voller Anspielungen auf die Ereignisse während der Regierung des Ahas und König Hiskijas.
Die Worte von Jes 40-55 gehören in einen anderen geschichtlichen Zusammenhang: Es sind Worte des tröstenden Zuspruchs. Das Gericht hat sich durch die Zerstörung Jerusalems vollzogen, nun aber ist die Zeit der Wiederherstellung nahe. Eine völlige Erneuerung wird geschehen. Jahwe ist es, der dem Volk nun neues Heil schafft. Er nämlich bildet Licht und Finsternis, Heil und Unheil (Jes 45,7). Hier wird das Thema von Gott als Schöpfer, der Licht und Finsternis bildet, mit dem Thema von Gott als dem Retter verbunden. Diese Verbindung hebt bereits die Bedeutung dieses Gedankens hervor.
Neben dem Vergleich der Rettung mit einer neuen Schöpfung verbindet Deutero-Jesaja auch den Exodus-Gedanken mit dem zukünftigen Heil, das von Jahwe ausgeht. Gott wird sein Volk in einem neuen Exodus, wunderbarer als der erste, zu einem neuen Jerusalem führen, schöner als das erste. Die Heimkehr nach Jerusalem und der Wiederaufbau der Stadt ist das Ziel des Auszuges (Jes 49,16f.;51,3.11; 54,11ff. u. a.) und damit auch ein weiteres wichtiges Thema der Heilsbotschaft des Deutero-Jesaja. Am Ort der Herrschaft Gottes, nämlich Jerusalem, wird wieder die Wohnung seiner Gemeinde sein (vgl. Jes 52,1). Auffallend ist in diesem Zusammenhang die immer wiederkehrende Unterscheidung von zwei Zeiten. Deutero-Jesaja redet von der "vergangenen", der Unheilszeit, und der "künftigen", der Heilszeit. Von dieser künftigen Zeit spricht er in einer leidenschaftlichen Sprache von prägnanter Kürze; sie steht nämlich unmittelbar bevor. Deutero-Jesaja ist überzeugt von der drängenden Nähe des Heils.
Diese immer wieder durchbrechende Unterscheidung von vergangener Zeit und künftiger Heilszeit bei Deutero-Jesaja kennzeichnet im Übrigen bereits den Beginn der Eschatologie, jener intensiven Beschäftigung mit dem Kommenden, dem endgültigen Durchbruch des Heils, wie er dann in der Reich-Gottes-Botschaft Jesu einen Höhepunkt erfährt. Im Vergleich zum ersten Jesaja (Proto-Jesaja) liegt hier bei Deutero-Jesaja also ein theologisch viel stärker ausgearbeitetes Denken vor.
Literatur: Karl Elliger, Deuterojesaja. 1. Teilband Jesaja 40,1-45,7, BK XI/1), Neukirchener Verlag, Neukirchen-Vluyn 3. Auflage 2011. - Hans-Jürgen Hermisson, Deuterojesaja. 2. Teilband Jesaja 45,8-49,13. BK XI/2, Neukirchener Verlag, Neukirchen-Vluyn 2003. - Ders., Deuterojesaja. 3. Teilband Jesaja 49,14ff. BK XI/3, Neukirchener Verlag, Neukirchen-Vluyn 2007ff. (bisher Fasc. 12-16 erschienen = 49,14-53,12).
http://www.joerg-sieger.de/einleit/spez/04proph/spez57.htm
Das Alte Testament zeichnet ein starkes Bild von der Kraft des Wortes Gottes: Einzig das Wort war Gottes Gefährte, als er die Welt erschuf. Durch das Wort ließ er das Licht werden und das Wasser vom Land sich scheiden. Das Wort rief ins Leben und setzte Adam die Grenzen für Erlaubtes und Verbotenes. Der Wille Gottes – in Worte gefasst und auf Steintafeln geschrieben – war das Kostbarste, was Israel besaß, als es sich Kanaan zur neuen Heimat machte und in Jerusalem den Tempel baute. Die Worte des Gesetzes wurden ihm zum Heiligtum im Heiligsten, zum Wohnort Gottes. Da, wo Gottes Wort zu hören oder zu lesen war, da war auch Gott selbst zu finden: im Tempel zu Jerusalem, im Wortlaut des Gesetzes, in den Worten von Priestern und Propheten. Darauf konnte man sich felsenfest verlassen. Was aber, wenn kein Tempel mehr da ist? Wenn das Allerheiligste zerstört war? Und mit ihm auch die Bundeslade? Wenn keine Priester mehr beteten, keine Propheten mehr verkündigten? Dann – das war die logische Schlussfolgerung – dann schwieg auch Gott. Dann war er gar nicht mehr da.
I. So und nicht anders fühlten sich die Israeliten während der Babylonischen Gefangenschaft. Es hatte den Krieg gegen die Babylonier verloren, war aus seiner Heimat verschleppt – weit weg in ein fremdes Land, unter fremde Menschen, in eine fremde Kultur. Kein Zuhause mehr, kein König mehr, keinen Tempel mehr, und – wie viele glaubten – auch keinen Gott mehr. Viele klagten: „Unseren Gott Jahwe? Den gibt’s nicht mehr. Der ist mit unserem Tempel untergegangen und mit Jerusalem und mit unserem Heimatland.“ Und dann kam das Wort. Wie zu Beginn der Schöpfung. Aus dem Nichts.
(Lesung des Predigttextes)
Was muss das für eine Erleichterung und für eine Freude im Volk gewesen sein! Gott spricht durch den Propheten. Und wenn Gott spricht, dann ist er auch da. Sie erinnerten sich, wie oft es schon so gewesen ist, dass ein einziges Wort aus Gottes Mund Zukunft eröffnet hat. Über den schwarzen Wassern schwebend rief er der Dunkelheit entgegen: „Es werde Licht.“ Und das Leben begann. Im allerletzten Moment hat der dem verzweifelten Abraham zugerufen: „Bring Dein Kind nicht um! Jetzt weiß ich, dass Dein Gehorsam selbst dieses Opfer gebracht hätte.“ Und das Leben begann neu. Den lebensmüden Elias hat er geweckt: „Steht auf und iss. Du hast noch einen weiten Weg vor Dir“. Und das Leben fing noch einmal an. Wir erinnern uns, dass sich diese Wortgeschichten bis hinüber ins Neue Testament ziehen: Jesus spricht das Wort der Zukunft, und das Leben beginnt neu –
– zu dem Blinden: „Schau hin, mach die Augen auf!“
– zu der Ehebrecherin: „Dann will auch ich dich nicht verurteilen! Geh nach Hause und bring das in Ordnung mit Deinem Ehemann und Deinem Geliebten …“
-zu Zachäus: „Kommt herunter von Deinem Baum. Ich möchte heute bei Dir zu Gast sein.“
Welche Perspektiven sich allein durch ein solches Wort öffnen! Perspektiven für einen Neuanfang. Sackgassen des Lebens werden aufgebrochen. Und wer den roten Faden seines Lebens verloren hat, der findet ihn wieder.
II. Nun könnten wir aber sagen: Na schön und gut. Gott hat sich also seinem Volk damals in Babylonien wieder zugewandt. Nach den furchtbaren Auswirkungen des verlorenen Krieges, der Gefangennahme und der Wegführung ins Exil erbarmt er sich und macht ihnen durch das Wort des Propheten wieder Mut, schenkt ihnen Aussicht auf neue, herrliche Zukunft. Das hört sich gut an. Und tröstlich. ber wer sagt uns, dass Gott sich nicht längst wieder abgewandt hat? Von den Juden? Von uns? Spricht er denn heute noch? Wie oft hat seit Babylonien das jüdische Volk weitere Verfolgungen erlitten? Wie unfassbar grausam waren über Jahrhunderte hinweg Gefangennahme, Deportationen, Vernichtungen an diesem Volk? Nicht nur in jüngster Vergangenheit durch unser eigenes Volk, sondern auch schon vorher im Römischen Reich, im Mittelalter, sogar in der hoch gepriesenen Zeit der Aufklärung. Man darf gar nicht aussprechen, welch ungeheuerliche Urteile Martin Luther und selbst Immanuel Kant über Juden von sich gegeben haben. Wer sagt uns, dass Gott sich nicht längst auch von uns abgewandt hat? Spricht er denn heute noch? Wer sagt uns, dass er nicht wieder einmal für einen kleinen Augenblick zornig ist? Einen „kleinen“ Augenblick, der ein Menschenleben lang dauern kann, oder sogar noch länger? Wer sagt uns, dass er nicht gerade heute zornig ist? Dass ihm unser Schicksal gleichgütig ist? Und er gar nicht sprechen will? Unsere Erde taumelt am Abgrund. Die Schöpfung haben wir so lange gequält und ruiniert, dass wir Jahr für Jahr von einer Natur-Katastrophe in die nächst schlimmere wanken, und es nun sogar fertig gebracht haben, eine ganze Jahreszeit ausfallen zu lassen (dass der Ausfall des Winters 2013/2014 auf menschliche Einflussnahme zurückgeht, ist mittlerweile wissenschaftlich erwiesen). Der Frieden unter den Völkern ist so zerbrechlich, dass es nur eines kleinen Funkens bedarf, um uns alle zurückfallen zu lassen in die Angstszenarien des kalten Krieges.
Wenn Menschen mit Blicken und Fingern auf ihren Smartphones verharren, die Ohren mit InEars verschlossen und den Mund kaum noch fähig, mehr zu sagen als „Hallo!“ oder „Ey!“, dann ist das kein Miteinander mehr sondern ein Nebeneinander. Und da soll noch einmal so etwas geschehen wie damals in Babylon? Dass ein einziges Wort Gottes Sackgassen aufbricht und uns hilft, den roten Faden des Lebens, des Friedens und der Menschlichkeit wieder zu finden? „Ich habe mein Angesicht im Augenblick des Zorns ein wenig vor dir verborgen, aber mit ewiger Gnade will ich mich deiner erbarmen, spricht der HERR, dein Erlöser.“ Wo soll da einer zu finden sein, der uns solche Worte sagt? Als Jesus am Kreuz schrie „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen“, hat auch keiner geglaubt, dass Gott in der Nähe sei. Schon gar nicht, dass er spricht, und dass er hilft. Selbst Jesus nicht. Sonst hätte er nicht diesen verzweifelten und dunklen Psalm gebetet: Du bist nicht da, Gott. Warum? Hat damals jemand auf ein gutes Ende gehofft? Hat da auch nur einer geglaubt, dass Jesus gerettet werden könnte? Und doch war Gott da. In der dunkelsten Ecke der Sackgasse. Und er sprach.
III. Der Sonntag Lätare ist das „Kleine Osterfest“ in der Passionszeit. Es ist ein Sonntag, der uns – genau wie die anderen sechs Passionssonntage – auf den Leidensweg Jesu mitnimmt, und die verzweifelten und dunklen Seiten der Sackgasse zeigt, in die Jesus geraten ist. Aber dieser Sonntag mit dem Namen „Freut Euch“ deutet auch an, dass die Sackgassen des menschlichen Lebens nicht das Ende sind. Und dass Menschen, die den roten Faden in ihrem Leben verloren haben, nicht zwangsläufig scheitern. Einen Schimmer Licht in die Sackgasse des Leidens sendet dieser Sonntag mit dem Namen „Freut Euch.“ Das einzige, was Sackgassen durchbrechen kann und uns helfen kann, den roten Faden des Lebens wieder aufzunehmen, ist allein das Wort und die Zuwendung Gottes. Wir werden es wieder hören. Am Ostermorgen. „Er ist auferstanden. Er ist wahrhaftig auferstanden.“ Und wieder werden viele ungläubig den Kopf schütteln und meinen, das gibt es nicht. Viele aber werden so glücklich und befreit sein wie die Israeliten in Babylonien. Weil sie spüren: Unser Gott lebt. Und er spricht. Und er lässt uns nicht in den Sackgassen des Lebens im Stich.
Mal gehören wir zu den Zweiflern, mal gehören wir zu den Jubelnden. Das kann jedes Jahr ein bisschen anders sein. Aber immer haben wir dabei eine Aufgabe: Unsere Aufgabe ist, die Sackgassen zu sehen und auszuhalten. Wo bin ich daran beteiligt, dass andere in Sackgassen geraten sind, dass zerbrechlicher Friede zerbricht, dass unsere Schöpfung den roten Faden verloren hat? Wo bin ich mitschuldig sind, dass Kreaturen, Tiere und Pflanzen sinnlos leiden und vergehen, dass Menschen hungern? Fliehen? In Kerkern verzweifelt schreien? Nur wenn wir die Sackgassen erkannt haben, in die wir gerannt sind oder in die wir getrieben wurden, werden wir auch offen sein für das Wort, das die Mauern durchbricht und uns heraus führt. Wir sind noch immer in der Passionszeit. Genau mittendrin. Aber nicht ohne Hoffnung.