Suchen, was gut ist

Urevangelische Gewissheit - Nicht ich befreie mich zum Guten, sondern Gott befreit mich dazu

Predigttext: Hebräer 13,20-21
Kirche / Ort: 78234 Engen / Ev. Landeskirche in Baden
Datum: 04.05.2014
Kirchenjahr: Miserikordias Domini (2. Sonntag nach Ostern)
Autor/in: Pfarrer Michael Wurster

Predigttext: Hebräer 13, 20-21 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

20 Der Gott des Friedens aber, der den großen Hirten der Schafe, unsern Herrn Jesus, von den Toten heraufgeführt hat durch das Blut des ewigen Bundes,
21 der mache euch tüchtig in allem Guten, zu tun seinen Willen, und schaffe in uns, was ihm gefällt, durch Jesus Christus, welchem sei Ehre von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.

(Eigene Übersetzung Michael Wurster)

20 Aber der Gott des Friedens, der den großen Hirten der Schafe heraufgeholt hat von den Toten durch das Blut eines ewigen Bundes: unseren Herrn Jesus;
21 der bereite euch in allem Guten zum Tun seines Willens, und schaffe in uns das Wohlgefallen vor ihm durch Jesus Christus, dem die Herrlichkeit sei in alle Ewigkeit. Amen.

Exegetische Einordnung

Der Predigttext aus Hebr. 13, 20f steht weit hinten im Brief und leitet den unmittelbaren Schlussteil ein. Damit gehört er zum einzigen Briefpart, dessen literarische Integrität umstritten ist: Der Briefschluss könnte fiktiv sein, zumal ein Briefanfang fehlt, die gesamte Konzeption als Brief von manchen in Frage gestellt wird (eine theol. Mahnschrift in Form eines Briefes) und mit diesem Schlussteil eine Nähe zu den Paulusbriefen konstruiert worden sein könnte. Nach Schnelle (Einleitung NT, S. 426) setzt sich zurzeit aber zunehmend die Einsicht durch, dass der Briefschluss wohl doch authentisch ist. Zumal es in der Antike oft Briefe gab, denen ein Briefkopf fehlte und es konkrete Hinweise auf die Gemeindesituation gibt (S. 418). Ich halte den Hebr. für einen echten Brief, dessen Verfasser man nicht kennt.

Hebr. 13, 20f besteht aus einem einzigen Satz in einer verschachtelten Konstruktion, der in Form eines Gebetes formuliert wurde. Der Verfasser bündelt darin im Schlussteil seines Briefes nochmals seine theol. Aussagen. In hymnischer Form wird das Heilswirken Gottes in Jesus Christus vergegenwärtigt und seine Annahme durch den Menschen thematisiert.

V.20: - „Gott des Friedens“: Frieden ist nach Hegermann im Sinn von „Schalom“ gemeint, „nicht Abwesenheit von Streit, auch nicht nur Überwindung von Entfremdung und Störung, sondern Heil im umfassenden Sinne“ (S.282)
- „der große Hirt der Schafe“: Anspielung auf altorientalische Königsideologie. Hier ist kein Oberhirte der Kirche gemeint, sondern der Völkerherrscher der Endzeit, wie er der messianischen Erwartung entspricht.
- „durch das Blut eines ewigen Bundes“: unklar. Ist nur das Blut von Jesus gemeint im Sinne des einen Hohenpriesters, oder der ewige Bund Gottes mit seinem Volk, der auch die Tieropfer mit einbezieht?

V. 21: Hier geht es, in traditioneller Diktion gesprochen, um das Verhältnis von Rechtfertigung und Heiligung. Der Autor des Hebr. bündelt hier die parakletische Stoßrichtung seiner Theol. mit dem an Paulus erinnernden Wissen, dass Glaube und Glaubenshandeln nur durch Gottes Gnade zustande kommen. Das geht nicht ohne paradox klingende Zuspitzung. „Gerade da, wo der Mensch wirken soll und wirkt, wird Gottes Wirken erbeten und geglaubt. Diese Paradoxie ist unvermeidlich und sachgemäß.“ (Hegermann, S. 284) Der Hebr. zeigt aber an dieser Stelle, dass er keinen unreflektierten ethischen Rigorismus vertritt, wie ihm oft unterstellt wird.

Fazit: Der hymnische Ton und die komplexe theol. Begrifflichkeit wirken heute fremd. Wie gehe ich mit den Bildern um, die dieser Text bietet: Dem Bild des Hirten, dem Bild des Blutes, der Paradoxie beim Tun des Guten? Geht das überhaupt? Welches Bild will ich in den Vordergrund stellen? Nach meinem Ermessen sind zentral das Bild des Hirten, das auch dem Sonntagsthema entspricht, und die Paraklese, die in die Rechtfertigungsbotschaft eingebettet ist. Beide Bilder gilt es, miteinander zu verbinden und im heutigen Kontext erstehen zu lassen.

Literatur

Udo Schnelle, Einleitung in das NT, Göttingen 2005. - Harald Hegermann, Der Brief an die die Hebräer, ThHK 16, Berlin 1988.

Lieder

„Lasset uns mit Jesus ziehen“ (EG 384)
„Jesu, geh voran“ (EG 391)
„Nun aufwärts froh den Blick gewandt“ (EG 394)
„Vertraut den neuen Wegen“ (EG 395)
„Jesus, meine Zuversicht“ (EG 526)

 

 

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Was geht Ihnen als erstes durch den Kopf, wenn Sie an einen Hirten denken? Ein Mann mit Rauschebart im grünen Loden, der inmitten einer großen Schafherde steht und seinen Hunden Befehle zuruft? An einen veralteten Beruf, den keiner mehr ausübt? Oder denken Sie vielleicht an eine schöne Kindheitserinnerung? Ich entsinne mich noch dunkel: Als Kind war ich mal mit Eltern und Geschwistern in den Alpen unterwegs auf einer gewundenen Passstraße. Wir fuhren fröhlich nach oben und bewunderten die schöne Gegend. Aber plötzlich, nach einer Kurve, standen wir mitten in einer großen Schafherde und konnten weder vor noch zurück. Meine Eltern waren genervt, aber wir Kinder fanden´s natürlich lustig. Wobei es schon etwas seltsam ist, wenn das Auto auf einmal eingekeilt wird von einer riesigen Menge an beigefarbenen Schafkörpern, die dahinströmen wie eine unaufhaltsame Wasserflut.

Was der Hirte da gemacht hat, weiß ich nicht mehr so genau. Aber wir haben sowieso keine rechte Vorstellung mehr von diesem Beruf. Früher war er sehr präsent, deshalb wurde er auch in der Bibel so oft benutzt. Die Bilder von Schaf-, Ziegen- und Kuhherden prägten das Landschaftsbild, und fast jeder kannte einen Hirten. Viele berühmte Männer der Bibel waren Hirten, Abraham, Mose und David z. B. Aber auch Jesus wird als Hirte bezeichnet, als guter Hirte, obwohl er einen anderen Beruf hatte (Verweis auf Lesung Joh. 10). Wenn Sie etwas älter sind, dann kennen Sie noch diese alten Bilder von Jesus als dem guten Hirten. Ich habe hier im Pfarrhaus auch eins gefunden, als ich einzog. (Bild wird hochgehalten.) Ein blondgelockter Jesus mit wallendem Haar und gütigem Blick, der ein Lamm auf dem Arm hält und auch sonst sehr fürsorglich aussieht. Nun ja, wirklich nicht mehr zeitgemäß! Aber auch wenn wir den Beruf des Hirten nicht mehr so genau kennen, so ahnen wir dennoch, was das Bild von Jesus als gutem Hirten ausdrücken soll: Eben einer, der fürsorglich ist zu seinen Schutzbefohlenen, und das sind wir in diesem Bild. So redet auch der Hebräerbrief davon, allerdings in etwas gewundener Sprache.

(Lesung des Predigttextes)

Ein schöner Schachtelsatz, nicht wahr? Und wahrlich nicht leicht zu verstehen! Es wimmelt von Bildern, die auf den ersten Blick wenig miteinander zu tun haben: der Gott des Friedens – der große Hirte der Schafe – von den Toten heraufgeführt – Blut des ewigen Bundes – mache euch tüchtig zu allem Guten… Es ist nun wirklich die Frage, was das alles miteinander zu tun hat, und was darin das Bild des Hirten aussagen soll. Nun, eins verstehen wir: Der große Hirte der Schafe, das soll Jesus sein, das sagt ja auch der Autor des Hebräerbriefs selbst. Jesus als unser großer Hirte – was heißt das denn, einmal ganz grundsätzlich gefragt? Ein Hirte ist ja gleichsam der Anführer seiner Schafe. Er zeigt den Weg, er weiß, wo es etwas Gutes zu fressen gibt und wo man trinken kann. Er vermeidet die holprigsten Wege und umgeht die hohen Zäune. Er geht eben voran. Dieses Bild ist uns fremd geworden.

„Jesus, geh voran, auf der Lebensbahn“ – so hat man früher, so habe ich selbst als Kind noch gesungen. Doch das passt nicht mehr so recht in unsere Zeit. Wir sind Individualisten und finden unseren Weg selbst. Wir brauchen keine Anführer, und wir wollen auch keine haben. Schon gar nicht können wir uns in dem Bild einer Schafherde wiederfinden, einer wuselnden, orientierungslosen Masse, die einer Führung bedarf. Das sind doch nicht wir, die wir selbstbewusst durch das Leben gehen und das Steuer selbst in der Hand halten. Das ganze Bild scheint komplett überholt. Vorsichtig wage ich den Einspruch. Zunächst erinnere ich daran, dass auch wir zuweilen dem Mainstream angehören und auch wir gelegentlich dem Geschmack der Masse folgen. Wäre es nicht so, wäre die Werbung nicht so erfolgreich, würden nicht viele von uns einen ähnlichen Kleidungsstil besitzen (schauen Sie mal nach rechts und links), und sonst hätte auch die ein oder andere Fernsehsendung nicht so hohe Einschaltquoten. Auch wir verhalten uns oft massenkompatibel, auch wir schwimmen manchmal im Fluss der Herde mit (wie die Schafe auf dem Alpenpass). Auch wenn uns das nicht immer bewusst ist. Doch ist das so schlimm, wenn wir damit glücklich sind? Brauchen wir deshalb noch einen „Hirten“, einen „Anführer“ für unser Leben, ob er nun Jesus oder anders heißt? Ja, sagt die Bibel an dieser Stelle, brauchen wir!

Wir brauchen den Hirten Jesus, und wir brauchen das Wort Gottes als Geländer. Warum? Auf diese Frage gibt uns der Autor des Hebräerbriefes im zweiten Teil des Gebets – denn darum handelt es sich – eine Antwort. Er wünscht seiner Gemeinde, er wünscht auch uns: „Der (Gott des Friedens) mache euch tüchtig in allem Guten, zu tun seinen Willen, und schaffe in uns, was ihm gefällt.“ Wenn er uns das wünscht, dann haben wir es noch nicht! Wir sind anscheinend nicht tüchtig zum Guten, und wir erkennen wohl nicht immer den Willen Gottes. Aber warum sollten wir nicht „tüchtig zum Guten“ sein? So grundsätzlich gesehen halten wir uns doch für anständige Menschen. Sicher, man macht mal einen Fehler, aber deshalb ist man doch kein schlechter Mensch! Sollte das wieder die alte Masche der Kirche sein: Erst den Leuten ein schlechtes Gewissen einreden, um ihnen dann hinterher mit der Gnade zu kommen? Diese alte Kiste brauchen wir doch längst nicht mehr, die könnte man wirklich mal in der Versenkung verschwinden lassen!

Aber was der unbekannte Schreiber des Hebräerbriefes uns sagen will, ist etwas ganz Anderes. Es ist keine Anklage, es ist kein Vorwurf. Es ist eine Aufmunterung, ein Ansporn: Sucht das, was gut ist. Versucht, gut zu leben! Lebt nicht nur so dahin, sondern überlegt einmal, was „gut“ ist für Euch selbst, für Eure Umgebung. Lasst Euer Leben nicht einfach so dahinplätschern, sondern denkt darüber nach: Was sind meine Ziele? Wofür will ich mich einsetzen? Was tut mir gut, und denen, mit denen ich zusammen bin? Was aber steht dem Guten im Weg, was wäre besser wegzulassen in meinem Leben? Und dazu richtet Euer Leben nach dem Willen Gottes aus, der es auch „gut“ mit Euch meint. Er hat euch seinen Sohn als Lehrer geschenkt, der euch darin unterweist, was wirklich gut ist. Er hat diesen seinen Sohn den Mächten des Bösen ausgesetzt, wie wir am Karfreitag gehört haben, er hat sie erlitten. Das bedeutet der Hinweis auf das Blut im Hebräerbrief: Gott setzt sich der Macht des Bösen aus. Er erleidet sie, er steht sie durch. Aber er geht auch hindurch. Er hat das Böse, den Tod überwunden, er ist auferstanden! Das ist die Botschaft von Ostern, von dem wir herkommen. Gott besiegt das Böse und richtet das Gute auf in dieser Welt.

Die Botschaft des Hebräerbriefes ist eine Botschaft der Befreiung: Gott weiß, dass es nicht uneingeschränkt gut steht mit dieser Welt und mit uns. Aber das will er zum Guten verändern. Gott weiß, dass wir am Bösen in der Welt leiden, an dem, was wir tun, genauso wie an dem, was uns angetan wird. Wie ein Hirte sich in seine Schafe einfühlt, um ihnen ein guter Hirte zu sein, so fühlt sich Gott in uns ein und erspürt, was wir brauchen. Er weiß, dass wir in Beziehungen scheitern, er weiß dass wir verletzen und verletzt werden. Er weiß auch, dass wir hier in Deutschland, wo es uns gut geht, auf dem Rücken derer leben, die es nicht so gut haben, und auch auf dem Rücken unserer Kinder. Darum will er uns aufrütteln: Denkt nach über euer Leben! Schaut, wo es etwas zu ändern gibt. Und holt euch die Kraft der Veränderung bei dem, der diese Kraft an Ostern bewiesen hat. Denn das ist ja die Botschaft des Hebräerbriefes: „Der Gott des Friedens mache euch tüchtig zu allem Guten“, das heißt: Ich allein werde es nicht schaffen. Ich brauche die Kraft dessen, der das Gute ist und das Gute will. Gott aber spricht mir zu, dass er mir darin beisteht. Er will mir die Kraft zum Verzeihen geben, wo es etwas zu verzeihen gibt. Und er will mir die Einsicht geben: Da ist was zu verändern. Zu dieser Einsicht gibt er dann auch das Vermögen. Denn das ist die urevangelische Gewissheit, die auch der Hebräerbrief (!) vertritt: Nicht ich befreie mich zum Guten, sondern Gott befreit mich dazu! Die Botschaft des heutigen Sonntags ist: Jesus, der gute Hirte, will auch dich in die Freiheit führen. Er lädt dich ein, ihm zu folgen auf dem Weg, der dem Guten nachstrebt.

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Ein Kommentar zu “Suchen, was gut ist

  1. Pastor Heinz Rußmann

    Nach der sehr gründlichen Exegese malt Pfarrer Wurster zu Beginn der Predigt Erlebnisse aus der Kindheit mit großen Schafherden den Lesern vor Augen. Der Beruf des Hirten war überaus bekannt und anerkannt und von Romantik umgeben. Pfarrer Wurster macht auf das Problem aufmerksam, dass dieser Beruf heute fremd geworden ist. Konfirmanden haben keine rechte Anschauung von Jesus, “dem guten Hirten”. Vielen Christen geht es ähnlich. Jesus ist aber in unseren Kirchenliedern und Vorstellungen weiter der gute Hirte, der sich für jedes seiner Schafe verantwortlich fühlt und zu dem viele Christen mit den Psalmworten beten: “Der Herr ist mein Hirte”. Es ist nach dem Vaterunser das zweitwichtigste Gebet. Der Hirte ist nach dem berühmten Psychologen C.G.Jung ein positiver Archetyp, ein Urbild in unserer Seele. Pfarrer Wurster aktualisiert den Text aus dem Hebräerbrief, indem er Jesus als guten Hirten nicht übergeht, aber eher die Ermahnungen und Verheißungen Gottes thematisiert: “Der Gott des Friedens mache euch tüchtig in allem Guten, und schaffe in uns, was ihm gefällt”. – Das ist sicher ein Weg für die Predigt. Zu fragen ist, ob man nicht heute in Zeiten einer gewissen Christus-Vergessenheit Jesus und Menschen, die wie Jesus und wie Hirten sich für andere einsetzen, den Lesern und Leserinnen vor Augen führen sollte?!

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