Oase

Entscheidungslandschaft Wüste - Ort der Begegnung mit Gott

Predigttext: 2. Mose 16, 2-3.11-18
Kirche / Ort: Worms
Datum: 03.08.2014
Kirchenjahr: 7. Sonntag nach Trinitatis
Autor/in: Pfarrerin Dorothea Zager

Predigttext: 2. Mose 16, 2-3.11-18 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

Und es murrte die ganze Gemeinde der Israeliten wider Mose und Aaron in der Wüste.
Und sie sprachen: Wollte Gott, wir wären in Ägypten gestorben durch des HERRN Hand, als wir bei den Fleischtöpfen saßen und hatten Brot die Fülle zu essen. Denn ihr habt uns dazu herausgeführt in diese Wüste, dass ihr diese ganze Gemeinde an Hunger sterben lasst. ...
Und der HERR sprach zu Mose:
Ich habe das Murren der Israeliten gehört. Sage ihnen: Gegen Abend sollt ihr Fleisch zu essen haben und am Morgen von Brot satt werden und sollt innewerden, dass ich, der HERR, euer Gott bin.
Und am Abend kamen Wachteln herauf und bedeckten das Lager. Und am Morgen lag Tau rings um das Lager.
Und als der Tau weg war, siehe, da lag's in der Wüste rund und klein wie Reif auf der Erde.
Und als es die Israeliten sahen, sprachen sie untereinander: Man hu? Denn sie wussten nicht, was es war. Mose aber sprach zu ihnen: Es ist das Brot, das euch der HERR zu essen gegeben hat.
Das ist's aber, was der HERR geboten hat: Ein jeder sammle, soviel er zum Essen braucht, einen Krug voll für jeden nach der Zahl der Leute in seinem Zelte.
Und die Israeliten taten's und sammelten, einer viel, der andere wenig.
Aber als man's nachmaß, hatte der nicht darüber, der viel gesammelt hatte, und der nicht darunter, der wenig gesammelt hatte. Jeder hatte gesammelt, soviel er zum Essen brauchte.

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“Von Zeit zu Zeit braucht jeder Mensch ein Stück Wüste”, meinte Sven Hedin. Ist das wirklich wahr? Brauchen wir wirklich ab und zu ein Stück Wüste? Die WÜste – für uns Menschen ist sie ein lebensfeindlicher Ort. Mit der Vorstellung von Wüste verbinden wir Sand so weit das Auge reicht, Hitze und unbarmherzig stechende Sonne, kein Schatten und kein Wasser. In der Wüste haben wir nichts verloren – das ist nur was für Überlebenskünstler wie den Schwarzkäfer zum Beispiel, der des abends einen Kopfstand macht und seine Flügel ausbreitet. Durch die Kälte der Nacht bildet sich Tau, der dann direkt in den Mund des Käfers abrinnt. Wir sind aber keine Schwarzkäfer. Für uns ist die Wüste wahrlich kein Ort zum Wohlfühlen.

Die Wüste ist ein Ort der Einöde, der Fruchtlosigkeit, der Einsamkeit und der Heimatlosigkeit. Wer geht so wo schon freiwillig hin? Wie kaum eine andere Landschaftsform ist die Wüste eine Landschaft der Extreme. Hier gibt es keine „Grautöne“, kein erträgliches Mittelmass, kein harmonisches Sowohl-als-auch. Entweder ist es gleißend heller Tag oder rabenschwarze Nacht. Dämmerung gibt es am Äquator praktisch nicht. Entweder ist es unerträglich heiß oder frostig kalt. Die Übergangszeiten zwischen nächtlichem Frost und brütender Tageshitze sind lächerlich kurz. Alles ist geprägt von tödlich-abweisender Dürre oder der lebendig-einladenden Fülle der Oasen. In der Wüste gibt es nur das eine oder das andere. Die Devise der Wüste lautet „Entweder – oder“, „Alles oder Nichts“, Sterben oder Überleben. Genau aus diesem Grund ist die Wüste schon von je her zu einem Ort der Entscheidung geworden. Der Lebensentscheidung, der Glaubensentscheidung: Ja oder Nein!

Wüstengeschichten in der Bibel stehen immer am Anfang einer Begegnung mit Gott. Wenn Gott jemandem nahe sein wollte, sandte er ihn in die Wüste, oder durch die Wüste auf einen hohen Berg. Um dort, fern ab von allen Alltäglichen, Lärmenden, Oberflächlichen, dem Menschen nahe zu sein. Es sind ja genau deshalb Menschen in der Bibel absichtlich in die Wüste gegangen. Dort waren sie, befreit vom Ballast des Überflüssigen, nur mit sich selbst konfrontiert, mit dem Schweigen, und mit dem Kampf um’s Überleben. Fragen wie: Wer bin ich? Wer soll ich sein?, Wohin geht die Reise der Welt und mit mir?, stellen sich angesichts der Unerbittlichkeit der Wüste ganz neu. So ist die Wüste schon immer eine „Entscheidungslandschaft“ gewesen.

Viele biblische Geschichten erzählen von Menschen, die draußen im flirrenden Niemandsland erfahren haben, dass es Gott gibt. Dass es Gott für sie gibt! Ob das nun Hagar in der Wüste ist, die für sich und ihren Sohn nur den Tod vor Augen sieht, bis sie erkennt, dass mitten in der Wüste Gott selbst noch immer und gerade jetzt an ihrer Seite ist. Bis ins Neue Testament hinein hören wir Geschichten von Menschen, die in die Wüste gegangen sind, um dort freier zu werden von allem Überflüssen und Überdrüssigen, freier zu werden für eine Begegnung mit Gott: Johannes der Täufer war ein Wüsteneremit, Jesus von Nazareth hat sich in die Wüste zurückgezogen. Sie wussten: Wenn der Mensch nicht steckenbleiben will im Allerlei des Alltags und im Gewühl des Alltäglichen, wenn er weiterkommen möchte im Leben und im Glauben, dann ist des tatsächlich so: „Von Zeit zu Zeit braucht jeder Mensch ein Stück Wüste”. Oder Mose, dem Gott weitab von der Zivilisation im Dornbusch erscheint und von sich sagt: „Ich werde sein, der ich sein werde“.

In der Wüste spielt der Gründungsmythos des alten Israels, in unzähligen Liedern besungen und in Bekenntnissen im Judentum und Christentum bis heute wiederholt. Der Gründungsmythos, die Geschichte, dass Gott sein Volk aus Ägyptenland führt, durch die Wasserwüste und durch die Sandwüste, 40 Jahre lang. Dort, im Niemandsland, und eben nicht im Land, in dem Milch und Honig fließen, schenkt Gott seinem Volk die Gebote und schließt den Bund. Nur mit dem Unterschied: So wirklich freiwillig ist das Volk Israel ja nicht in die Wüste gezogen. Das war kein freiwilliges, selbstloses Verzichten. Sondern nur ein notwendiges Übel. Im Vertrauen auf Gott – und ihm Vertrauen auf Mose hatte sich das Volk auf den Weg gemacht ins Heilige Land. Und der Weg dahin ging nun einmal zwangsläufig durch die Wüste. Und diese Wüste war nicht nur körperlich spürbar – sondern eben auch seelisch: als eine Hunger- und Durststrecke des Lebens und des Glaubens.

(Lesung des Predigttextes)

Mag sein, dass Menschen wie Johannes und Jesus, wie Elia und Mose die Wüste gesucht haben, um zu sich selbst zu finden, um Gott zu finden. Manchmal verwenden wir das Wort „Wüste“ für einen inneren Zustand. Und für uns sind solche Wüstenerfahrungen meistens alles andere als freiwillig. Eine Zeit des Ausgezehrtseins und der Dürre. Eine Zeit der Verzweiflung und der Sehnsucht. Eine Zeit der Hoffnungslosigkeit und des Suchens. „Durststrecken“ nennen wir so was. Und die kommen einfach so – in jedem Leben – meistens ganz und gar nicht gewollt. Meistens ganz und gar nicht freiwillig. Das Leben birgt einfach solche Durststrecken: vom Liebeskummer angefangen über eine falschen Entscheidung im Studium im Beruf, bis hin zu Zeiten der Krankheit oder Zeiten der Trauer oder Zeiten des Glaubenszweifels. Kein Mensch bleibt von solchen Durststrecken verschont. Da steckst du fest im Ödland und kommst nicht weiter. Da hast Du das Gefühl: Da ist kein Ausweg, da ist keine Hoffnung, da ist keine Zukunft. Du fragst Dich: Was hab ich da bloß angestellt? Oder: Was hab ich da bloß falsch gemacht? Wie komme ich da jetzt wieder raus? Was soll ich bloß machen, um meinem Leben eine neue Richtung zu geben?

Wenn Sie solche Gedanken kennen, und wenn Sie solche Situationen schon einmal erlebt haben, dann wissen Sie auch, wie schnell uns dann auch der Zweifel und das Hadern über die Lippen kommt: Hat mich Gott jetzt extra diesen Weg geschickt, dass ich jetzt hier scheitere? Dass ich allen Mut verliere, alle Kraft. Hätte er mich doch lieber in Ruhe gelassen. Ach, am liebsten lasse ich das ganz sein mit dem Glauben und dem Beten. Und der HERR sprach zu Mose: Ich habe das Murren der Israeliten gehört. Sage ihnen: Gegen Abend sollt ihr Fleisch zu essen haben und am Morgen von Brot satt werden und sollt innewerden, dass ich, der HERR, euer Gott bin. Genauso, liebe Gemeinde, spricht Gott auch zu uns. Er hört unser Zweifeln, unser Hadern. Er weiß um unsere Sehnsucht und um unseren Hunger. Und er sättigt uns! Dazu gehört zweierlei: Niemals aufhören zu beten. Niemals aufhören, zu Gott zu rufen. Und wenn es nur dieses Gebet ist: Gib mir Kraft für diesen Tag! Herr, ich bitte Dich nur für diesen, dass mir werde zugewiesen, was ich heute brauchen mag. – Du spürst auf einmal: Es gibt nur einen einzigen, der mich hier herausholen kann. Der, der mir das Leben geschenkt hat. Der, der mit Sicherheit nicht will, dass ich zugrunde gehe. Der, der Schuld vergeben kann und mir hilft, falsche Entscheidungen rückgängig zu machen. Der ist es, der einen Ausweg für mich weiß. Vielleicht empfinden wir deshalb dieses Wort von Sven Hedin als schmerzlich aber zugleich auch als gut und einleuchtend: „Von Zeit zu Zeit braucht jeder Mensch ein Stück Wüste”.

Auch wenn es uns schwer fällt: Vielleicht brauchen wir tatsächlich ab und zu diese Erfahrung von Dürre und Sehnsucht. Damit wir nicht ganz und gar vergessen, dass nicht wir es sind, die aus eigener Kraft alleine das Leben leben und führen, sondern dass wir es nur deshalb führen und leben können, weil Gott uns stärkt und leitet.In Wüstenzeiten lernen wir Gottes Wesen erst richtig kennen. Das ist die positive Seite dieser Notzeiten, die sich niemand wünscht. Was aber ist, wenn wir Angst haben, dass die Durststrecken nicht enden? Was aber ist, wenn wir wissen, dass wir aus der Wüste nicht mehr herausfinden, wenn wir den Tod vor Augen haben? Nicht aus jeder Wüste gibt es ein Entrinnen. Nicht jede Durststrecke endet. Es gibt Menschen, die wissen, dass sie krank sind, und dass sie an dieser Krankheit sterben werden. Es gibt Menschen, die bewusst in den Tod gehen, weil sie sich einem menschenverachtenden Regime nicht beugen wollen. Menschen wie Dietrich Bonhoeffer oder die Geschwister Scholl. Wie können solche Menschen in den Tod gehen mit der Gewissheit: „Das ist nicht das Ende, sondern der Anfang”? Da hilft ein Blick ins Neue Testament.

Als Jesus nach Jerusalem einzog und die Menschen ihn begeistert empfingen, war er nicht auf dem Weg in eine Oase der Menschenfreundlichkeit. Als sie Palmzweige von den Bäumen hieben und ihre Kleider vor ihm ausbreiteten, war er nicht auf dem Weg, König zu werden, sondern auf dem Weg in die Wüste, und er wusste: Diese Wüste werde ich nicht überleben. Alles, was Jesus den Menschen gegeben hat, wird ihm sinnlos erscheinen. Er wird das Gefühl haben, dass es nicht nur mit ihm jetzt zu Ende geht, sondern auch für die Menschen, die vertrauensvoll an ihn und seine Botschaft geglaubt haben. Er wird das absolute Ausgeliefertsein spüren, so tiefe Todesangst und so abgrundtiefe Verlassenheit, dass er schreien wird: „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlasen!“ Ist es da nicht zynisch, zu sagen: „Von Zeit zu Zeit braucht jeder Mensch ein Stück Wüste“? Nein, solche Wüsten brauchen wir nicht. Wüsten, die sich Menschen gegenseitig bereiten durch Folter und Qual, durch Gefangenschaft und Schläge, durch Verspottung und Erniedrigung. Solche von Menschen gemachten Wüsten wollen wir nicht, nicht von Zeit zu Zeit, nicht damals und auch nicht heute. Warum lässt Gott dieses Kreuz zu? Diese Wüste, die nicht endet? Gott zeigt es uns, um uns zu sagen: Selbst ein solcher Tod hat für Gott nicht das letzte Wort. Selbst durch solche Durststrecken trägt Gott hindurch.

Menschen mögen einander noch so viel Leid antun und einander Wüsten bereiten, die schlimmer selbst die Natur nicht hervorbringen kann: Gottes Kraft ist stärker als jede Menschenmacht. Wir sehen Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten, und wissen: Selbst in dieser todbringenden Wüste hat Gott ihn nicht allein gelassen sondern hindurchgetragen. In dem Gekreuzigten sehen wir den Auferstandenen. Für unsere eigenen Durststrecken ist das eine wunderbare Hoffnung: Wenn Gottes Liebe sogar stärker ist als der Tod, dann trägt er auch uns durch den Tod ins Leben. Manche nennen es: Paradies. Heute möchte ich es nennen: Oase.

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Ein Kommentar zu “Oase

  1. Pastor Heinz Rußmann

    Dass wir oft genug ein Stück Wüste brauchen, ist das Predigtthema. Pfarrerin Zager predigt darüber sehr seelsorglich, einfühlsam und psychologisch. Wüstengeschichten in der Bibel wie auch im Predigttext führen gewöhnlich zu einer Begegnung mit Gott. Die existenziellen Fragen verstärken sich in der Einsamkeit der Wüste: Wer bin ich ? Wohin führt mein Weg ? In der Wüste haben viele Menschen der Bibel Gott erfahren, so wie die Israeliten auf dem Weg ins gelobte Land. Wie Hagar, wie Mose am Dornbusch, Elia, Johannes der Täufer und auch Jesus. Wüste ist aber nicht nur ein Symbol von Gottesbegegnung sondern auch für Durststrecken unseres Glaubens. Pfarrerin Zager spricht einfühlsam von unfreiwilligen Zeiten des seelischen Ausgezehrtseins und der Dürre, der Verzweiflung und der Sehnsucht. Die Frage ergibt sich: wie komme ich da wieder raus ? Zweifel und Hadern und Murren sind dann nicht fremd. Gott aber will uns dann sättigen in unserer Sehnsucht und uns weiterhelfen. Sehr eindringlich empfiehlt die Pfarrerin Gebete. Zum Schluss hin erinnert die Predigerin an gläubige Todkranke in einer Wüste des Lebens und an Dietrich Bonhoeffer und an Jesus selbst am Kreuz. Gott ist stärker als Wüste, Kreuz und Tod. Er führt uns durch Wüsten ins Paradies, in eine blühende Oase in der Wüste. – Diese seelsorgerliche Predigt wird sicher viele Menschen trösten, aufbauen und mit Hoffnung erfüllen, auch die, die nach außen hin sich getrost geben, aber innen mutlos und melancholisch sind.

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