In deine Hand gelegt

Veränderung braucht Vertrauen

Predigttext: Apostelgeschichte 6,1-7
Kirche / Ort: Luther-Kirche / Karlsruhe
Datum: 14.09.2014
Kirchenjahr: 13. Sonntag nach Trinitatis
Autor/in: Pfarrerin Ulrike Krumm

Predigttext: Apostelgeschichte 6,1-7 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

1 In diesen Tagen aber, als die Zahl der Jünger zunahm, erhob sich ein Murren unter den griechischen Juden in der Gemeinde gegen die hebräischen, weil ihre Witwen übersehen wurden bei der täglichen Versorgung.
2 Da riefen die Zwölf die Menge der Jünger zusammen und sprachen: Es ist nicht recht, dass wir für die Mahlzeiten sorgen und darüber das Wort Gottes vernachlässigen.
3 Darum, ihr lieben Brüder, seht euch um nach sieben Männern in eurer Mitte, die einen guten Ruf haben und voll heiligen Geistes und Weisheit sind, die wir bestellen wollen zu diesem Dienst.
4 Wir aber wollen ganz beim Gebet und beim Dienst des Wortes bleiben.
5 Und die Rede gefiel der ganzen Menge gut; und sie wählten Stephanus, einen Mann voll Glaubens und heiligen Geistes, und Philippus und Prochorus und Nikanor und Timon und Parmenas und Nikolaus, den Judengenossen aus Antiochia.
6 Diese Männer stellten sie vor die Apostel; die beteten und legten die Hände auf sie.
7 Und das Wort Gottes breitete sich aus, und die Zahl der Jünger wurde sehr groß in Jerusalem. Es wurden auch viele Priester dem Glauben gehorsam.

Exegetische und homiletische Einführung

Herrlich böte sich dieser Predigttext an, um über Überlastung im Pfarrberuf und die Kunst der Delegation zu sprechen: Die Jünger haben keine Zeit für die Wortverkündigung, weil sie bei der Versorgung der hellenistischen Witwen mithelfen müssen. Wir klagen über Verwaltung und Organisation. Gleichzeitig ist Delegation nicht immer leicht: nicht nur, weil wir alles in die eigenen Regie stellen wollen. Mitarbeitende sind mit Beruf, Familie und Ehrenamt an ihre Grenze gelangt.

Der heilige Geist hat es schwer sich durch volle Terminkalender zu pflügen. Darunter leidet oft die diakonische Arbeit der Gemeinde und entsprechend das Gewissen der Verantwortlichen, ganz zu schweigen von den Betroffenen selbst. Nur: Was interessiert das die Gemeinde im Gottesdienst? Und wo ist das Evangelium?

Ein anderer Ansatz ergäbe sich aus dem Zusammenhang der anderen für diesen Sonntag angebotenen Texte heraus. Evangelium ist der barmherzige Samariter, Epistel die Aufforderung zur Bruderliebe (1 Joh 4, 7-12). Interessant auch die Auskunft Jesu über die wahren Verwandten (Mk 3, 31-35) und über das Geben von Almosen (Mt 6, 1-4), herausfordernd die Geschichte von Kain und Abel (1 Mose 4).

Für wen sollen wir als Gemeinde da sein? Wie gehen wir dabei mit Fremdheits- auch mit Aggressionsgefühlen um? Wer wären heute die hellenistischen Witwen? In Karlsruhe brennt seit Monaten die Unterversorgung der Flüchtlinge auf den Nägeln – kämen unsere Witwen aus Osteuropa? Und was ist mit Fremdheiten innerhalb der Gemeinschaft der Mitarbeitenden? Wie gut „konnten“ die Zwölf mit den sieben neuen Mitarbeitern, deren griechische Namen auf ihre Herkunft aus der jüdischen Diaspora schließen lassen? Welche Ängste gibt es? Wie schwierig kann bei uns das Miteinander der Mitarbeitenden werden, wie nahe liegen Konkurrenzgefühle, Missgunst und Desinteresse? Auch hier: Alles wahr – aber als Predigtthema? Im Gottesdienst sitzen nicht nur Mitarbeitende.

Appelle zur Nächsten- und Fremdenliebe sind nur dann gute Botschaft, wenn sie eine Möglichkeit anbieten, den Willen zu sinnvoller Hilfe in die Tat umzusetzen. Für die Flüchtlinge will ich lieber beten und in den Abkündigungen auf Spendenmöglichkeiten hinweisen.

Im Gottesdienst in der Lutherkirche taufe ich Kinder. Vielleicht sind die Tauffamilien die „Hellenisten“ der Gemeinde: ein anderes Milieu! Sie bringen mich darauf, den Predigtabschnitt narrativ aufzuarbeiten. Inhaltlich will ich den Schwerpunkt auf das Symbol der Hände und das Wirken des heiligen Geistes legen.

Die Apostelgeschichte zeichnet die Geschichte der jungen Gemeinde im Licht der Wirksamkeit des heiligen Geistes. Den Kindern habe ich bei der Taufe die Hand aufgelegt. Was lässt uns der heilige Geist heute erleben? Warum wird die Gabe des Geistes mit Weisheit und einem guten Ruf (martyreo) kombiniert? Vielleicht können solche Fragen auch Spuren zu den anderen Themen legen.

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Bitte schauen Sie einen Moment Ihre Hände an, denken Sie dabei an einen Menschen, den Sie schon an der Hand gehalten haben. Oder in dessen Hand Sie Ihre Hand hineingelegt haben. Da passiert etwas. Zärtlichkeit und Festigkeit. Hände können halten und streicheln. Eltern streicheln ihr Kind, Liebende streicheln einander. Letzte Woche haben meine Hände eine Sterbende berührt. Hände können eine Brücke sein für das was Worte nicht sagen können.

Wenn Worte fehlen

Vielleicht ist darum das Ritual entstanden, von dem unser Predigtabschnitt erzählt. Da sind zwölf Männer, die legen sieben anderen Männern die Hände auf. Männerzärtlichkeit sozusagen, oder Männerfestigkeit. Dabei geht es um Frauen. Die Ärmsten der Gemeinde brauchen Unterstützung. Sie brauchen Verantwortliche, die das „in die Hand“ nehmen. Menschen, von denen sie sich verstanden fühlen. Sie sind arm in doppelter Hinsicht. Erstens weil kein Mann mehr für sie sorgt – sie sind Witwen. Zweitens weil sie sich im Kreis der anderen Gemeindemitglieder fremd fühlen. Ihre Muttersprache war griechisch – das hieß: Die sind anders. Nicht so wie wir. Wir wissen gar nicht so genau, ob wir die eigentlich wollen. Das war für beide Seiten nicht leicht. Da haben auch manchmal die Worte gefehlt. Man wollte einander ja nicht weh tun. Aber man fühlte den Abstand.

Ein deutliches Zeichen für Unsicherheit und fehlende Worte ist das was jetzt kommt: Murren. In diesen Tagen aber, als die Zahl der Jünger zunahm, erhob sich ein Murren unter den griechischen Juden gegen die hebräischen, weil ihre Witwen übersehen wurden bei der täglichen Versorgung. Man sprach hintenherum. Die anderen sollten nichts hören. Aber sie fühlten es doch. Man fühlt es, wenn über einen schlecht geredet wird. Man sieht die Blicke, spürt das Misstrauen. Die zwölf Jünger spüren es auch. Sie fühlen sich verpflichtet einzuspringen, selber mit anzupacken. Aber sie merken bald: So geht es nicht. Alles bleibt an uns hängen. Zu unserer eigentlichen Arbeit kommen wir nicht mehr. Das ist auch nicht wirklich die Art, wie wir uns Gemeinde vorstellen.

Veränderungen

Ich denke mir, so eine Erfahrung haben die ersten Christen oft gemacht: eine neue Situation. Darauf waren wir nicht gefasst. Dass das auch dazu gehört, wenn man in Jesu Sinn Gemeinde sein will – woher hätten wir das wissen sollen? Jetzt haben wir ein Problem, aber noch keine Lösung. Wir wissen nur, irgendeine Lösung müssen wir finden. Vielleicht so wie Eltern, die ihr Kind auf einmal vor eine neue Situation stellt. Oh, das gehört ja auch dazu, wenn man Eltern sein will. Wir wissen noch nicht, wie wir uns verhalten sollen. Aber irgend einen Weg finden müssen wir. Man wächst mit seinen Aufgaben, sagen wir. Eltern merken erst allmählich, was Elternschaft eigentlich bedeutet. Die Jünger merken erst allmählich, was Gemeindesein eigentlich bedeutet. Sie wissen noch keine Antwort. Aber sie spüren, dass etwas falsch läuft. Genau daran merken sie: Wir können auch glauben, dass wir einen Weg finden. Denn Gemeinde sein ist mehr als wir in der Hand haben. Gemeinde ist nicht unsere eigene Erfindung. Gemeinde ist etwas von Gott. Er will, dass unsere Beziehungen gelingen. Dafür lässt er uns Wege entdecken.

Die zwölf Jünger müssen etwas aus der Hand geben. Ein neuer Abschnitt ihres Gemeindelebens fängt an. Noch einmal ein Vergleich: Vor uns hier in Karlsruhe liegt auch ein Weg, auf dem wir erkennen müssen: Eine Pfarrerin allein, eine Gemeinde allein kann nicht mehr alles für alle machen. Die Menschen für die wir da sind werden verschiedener, die Vielfalt wird immer größer. Wir haben unsere Schwerpunkte, aber andere Aufgaben kann vielleicht eine Nachbargemeinde besser wahrnehmen. Bei dieser Veränderung brauchen wir das Vertrauen: Wir geben etwas aus der Hand. Aber Gottes Geist bleibt bei uns. Genauso wie bei anderen. Noch einmal auch zurück zu dem Beispiel mit den Eltern: Sie bringen ihr Kind in den Kindergarten, dann in die Schule. Sie müssen vertrauen: Auch dort sind Menschen, die Verantwortung tragen. Die anders mit unserem Kind umgehen als wir, aber deswegen nicht besser oder schlechter. Oder ein ganz altes Ritual fällt mir ein, das heute wieder sehr lebendig ist: Eine Braut wird von ihrem Vater in die Kirche geführt, der Bräutigam erwartet sie vorne, und der Vater legt mit seiner Hand die Hand seiner Tochter in die Hand ihres Mannes. Da ist wieder die Hand, die mehr ausdrückt, als Worte sagen können: Ja, ich vertraue dir. Du bist anders, aber auch bei dir ist Liebe und Verantwortung. Biblisch gesprochen: Auch bei dir ist Gottes Geist.

Guter Ruf

Die zwölf Jünger lassen also nach neuen Mitarbeitern suchen. Sie sollen anders sein, näher an diesen griechisch sprechenden Witwen dran. Sie werden Philippus heißen und Stephanus, Prochorus und Nikanor, Timon und Parmenas und Nikolaus. Das sind keine jüdischen Namen. Die Zwölf riskieren es, ihre Verantwortung mit andersartigen Mitarbeitern zu teilen. Sie machen drei Voraussetzungen: Sie sollen einen guten Ruf haben, voll heiligen Geistes und voll Weisheit sein. Voll heiligen Geistes: Sie sollen ganz erfüllt sein von Jesus und von dem was er getan und wie er gelebt hat. Sie sollen mit dem Herzen dabei sein. Aber das reicht noch nicht. Ich kenne Menschen, die sind ganz mit dem Herzen bei ihrer Sache, ganz erfüllt von dem Glauben oder von der Überzeugung, die sie trägt. Aber mit denen ist es schwierig zurecht zu kommen. Die können nicht richtig auf andere hören. Die meinen, eben weil sie selber so überzeugt von ihrer Sache sind, sind sie auch immer im Recht. Vielleicht kennen Sie solche Menschen! Die Jünger sagen darum: Weisheit muss dazu kommen. Die Kunst auf andere zu hören. Geduld, Bescheidenheit und die Fähigkeit innezuhalten und noch einmal nachzudenken, was denn jetzt wirklich das wichtige ist. Ihr Glaube lässt die Jünger wissen: Auch solche Weisheit schenkt der heilige Geist. Beides zusammen, die Energie des Glaubens und die Ruhe der Weisheit, das macht einen guten Ruf. Das stellt einem bei anderen ein gutes Zeugnis aus.

Vertrauen

Die Suchenden haben Glück. Sie finden sieben solcher Männer. Und die zwölf Jünger fragen nicht nach. Sie unterziehen die Sieben keinem Glaubenstest, keiner persönlichen Kontrolle. Sie vereinbaren noch nicht einmal eine Probezeit. Sie beten und legen ihnen die Hände auf. In den Händen liegt ihr Vertrauen auf Gottes Wirken. In den Händen liegt auch ihre eigene Kraft und Erfahrung, die sie den neuen Mitarbeitern mitteilen wollen. Ihre Hände sind die Segensbrücke, die aus Fremden eine neue Gemeinschaft macht. Auch bei uns. In unseren Händen liegt die Kraft des Vertrauens. Ob wir einem Menschen die Hand geben, den wir noch nicht wirklich kennen, mit unseren Händen Zärtlichkeit spenden, einem Kind bei der Taufe die Hand auflegen und dazu ein Segenswort sprechen, beim Abendmahl einander die Hand reichen oder nach einem anstrengenden Tag die Hände falten – wir legen in unsere Hände das Vertrauen auf Gottes Geist, der uns hilft, mit neuen Aufgaben zurecht zu kommen, der Gemeinschaft und Frieden will und in allem den Geist, den Jesus uns versprochen hat: Siehe, ich bin bei euch, alle Tage, bis an der Welt Ende.

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2 Kommentare on “In deine Hand gelegt

  1. Pastor Heinz Rußmann

    Die zwölf Apostel legten den sieben Diakonen um Stephanus die Hände auf und betetenn für sie und ihre neue Aufgabe, ihr neues Amt. “Hände sind die Segensbrücke, die aus Fremden eine neue Gemeinschaft macht.” Segnen durch Handauflegen ist das Zentrum, um welches die Predigt von Pfarrerin Krumm sich dreht. Das Problem der täglichen Versorgung der christlichen Witwen musste gelöst werden. Die Apostel wären mit Verkündigung und Diakonie überfordert gewesen. Da berufen sie sieben Diakone, welche die Apostel bei der Verkündigung entlasten. Als ehemaliger Pastor einer Stephanus -Gemeinde möchte ich aufmerksam machen, dass Stephanus weiter verkündigt hat. Auf jeden Fall ist die Gemeinde durch die Arbeitsteilung weiter gewachsen. Durch Beten und Handauflegen werden die sieben Diakone ordiniert. So wie Kinder und Erwachsene durch die Segnung bei der Taufe Christen werden und Theologeninnen zu Pastoreninnen. So wie wir zum Gebet die Hände falten und unser Schicksal in Gottes Hände legen. – Vorbildlich und sehr interessant finde ich, wie die Predigerin den zentralen Gedanken des Predigttextes gestaltet und nicht abschweift. Eine lebendige schöne Predigt.

  2. Walter Benzinger

    Diese Predigt von Frau Pfarrerin Krumm hat mir als Prädikant die Vorbereitung auf zwei Sonntagsgottesdienste in der württembergischen Nachbarschaft sehr erleichtert. Sie bietet Raum, auch Konkretionen aus einigen Gemeinden einzufügen und Brücken von Fremdheit zu Vertrautheit zu schlagen.

    Ungewohnte Aufgaben müssen nicht zu einer zusätzlichen Belastung führen; sie öffnen bei Gebet und Überlegung Wege, auf denen die Weite des gesamten Gemeindelebens neu aufleuchten kann.

    Schön, dass sich hier viele Hörerinnen und Hörer angesprochen fühlen können!

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