“Gitarren statt Gewehre”

Advent - Zeichen der Hoffnung

Predigttext: Matthäus 11, 1-6
Kirche / Ort: Trinitatiskirche / Berlin-Charlottenburg
Datum: 14.12.2014
Kirchenjahr: 3. Sonntag im Advent
Autor/in: Pfarrer Mag. theol. Ulrich Hutter-Wolandt

Predigttext: Matthäus 11,1-6 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

Und es begab sich, als Jesus diese Gebote an seine zwölf Jünger beendet hatte, dass er von dort weiterging, um in ihren Städten zu lehren und zu predigen. Als aber Johannes im Gefängnis von den Werken Christi hörte, sandte er seine Jünger und ließ ihn fragen: Bist du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen andern warten? Jesus antwortete und sprach zu ihnen:Geht hin und sagt Johannes wieder, was ihr hört und seht: Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf und Armen wird das Evangelium gepredigt; und selig ist, wer sich nicht an mir ärgert.

Exegetische-homiletische Impulse

Das 11. Kap. des Mt stellt mit Ulrich Luz so etwas wie einen „Übergang“ dar: nach der matthäischen Vorgeschichte 1,1-4,22 versucht Jesus im ersten Hauptteil des Evangeliums (Mt 4,23-11,30) die Einsicht der religiösen Führer zu gewinnen. Dagegen wird ab Kap 12 der Ton zwischen Jesus und seinen Gegnern schärfer, was schließlich zum Todesbeschluss führt. Es gilt mittlerweile in der Forschung als sicher, dass Mt das Material in Kap. 11, 2-11 aus der Spruchquelle Q entnommen hat, das dort bereits in ähnlicher Weise angeordnet war (vgl. dazu auch die Parallele in Lk 7, 18-35). Ob die Frage Johannes des Täufers an Jesus und die darauf gegebene Antwort tatsächlich historisch ist, bleibt weiterhin umstritten. Ist die ganze Szene nicht eher ein Produkt der urchristlichen Gemeinde, die sich mit der Gruppe der Johannesjünger auseinandersetzt? Oder steckt hinter dieser möglichen Überarbeitung doch ein historischer Kern, der auch auf Verbindungen zwischen der Jesus- und Johannesbewegung schließen lässt?

Die Predigtperikope Mt 11, 1-6 ist im Gesamtzusammenhang von Mt 11,2-11 zu sehen, dem die sogenannte Aussendungsrede an die Jünger (Mt 9,36-11,1) vorausgeht. Weil diese Rede ebenso wie die vier anderen großen Reden im Mt mit einer formelhaften Wendung „und (es geschah) als beendet hatte Jesus …“ abgeschlossen wird, dürfte auch Mt 11,2 als Beginn eines neuen Abschnitts anzusehen sein. Dem entspricht zudem, dass in Kap. 11,2 inhaltlich Neues mitgeteilt wird. Johannes der Täufer sendet seine Jünger mit der Frage aus, ob Jesus der Kommende sei. Jesus gibt in den Versen 3-6 seine Antwort. In Mt 11,7 beginnt ein weiterer Abschnitt, in dem ein Personen- und Themenwechsel die Zuhörer nicht weiter mit Jesu Überlegungen zu sich selbst befasst, sondern er vollzieht mit dem Volk einen Blick- und Richtungswechsel: es geht nicht mehr um seine Person, sondern um die des Johannes. Dieses Thema wird dann bis V. 14 fortgeführt und findet seinen Abschluss mit dem Logion in Vers 15: „Wer Ohren hat zu hören, der höre“. Somit haben diese beiden Szenen in Kap. 11 folgende Gliederung:
Mt 11, 1: Abschluss der zweiten Rede Jesu im Mt
Mt 11,2-6: Über Jesus: Ist er der Kommende?
Mt 11,7-15: Über Johannes: Wer ist eigentlich Johannes der Täufer?

In V. 2 finden sich einige Verweise auf Ereignisse, die in den früheren Kap. erzählt wurden. Demnach ist Johannes im Gefängnis (vgl. Mt 4,12), gleichzeitig soll aber auch an die Predigttätigkeit Johannes des Täufers erinnert werden (vgl. Mt 3, 1-6). Kernthema seiner Bußpredigt war die Ankündigung eines Stärkeren, der nach ihm kommt (vgl. Mt 3,7-10.11-12). Ebenso ist als Rückverweis die Bemerkung anzusehen, dass Johannes von den Taten Jesu gehört hat. Die Frage ist hier, ob er selbst Augen- und Ohrenzeuge bei den Predigten und Begegnungen Jesu mit den Menschen war, oder ob er von den Taten Jesu durch die Jünger Jesu gehört hat. Beides ließe auf eine irgendwie gelagerte Beziehung zwischen beiden Gruppen schließen.

In V. 3 folgt die Frage Johannes des Täufers, die er durch seine Anhänger an Jesus richtet. Es stellt sich die Frage: Warum fragt der Täufer überhaupt? Es fällt auf, das hier – einmalig im Mt – nur vom „Kommenden“ gesprochen wird. Frankemölle sieht in dieser Frage Johannes als eine Art „Pädagogen“, der die Leser auf Jesus hinlenken möchte und auch - im Blick auf Jesus - zu einer Entscheidung drängen möchte. Die Jünger des Johannes bekommen in V. 4 eine überraschende Antwort. Jesus sagt nicht „ich bin es“, sondern er spricht eine Einladung zum „hören und sehen“ aus. Mit dieser Antwort bietet die Stelle den Lesern Raum, sich in ihrer Zeit durch eigenes Sehen und Hören davon zu überzeugen, dass Jesus der erhoffte Messias und Christus ist.

V. 5 benennt die Wunder, die Jesus getan hat. Dieser Vers ist aus verschiedenen Zitaten aus Jes zusammengestellt, ohne dass ein bestimmter Vers ausgemacht werden kann (vgl. Jes 35,5f; Jes 42,18; Jes 29,18f; Jes 42,6f; Jes 35,8; Jes 61,1). Der Bezug zum Propheten Jes wird wohl auch deshalb gewählt, weil er als der „messianische Prophet“ (Gnilka) gilt. Die Entscheidungssituation wird in V. 6 durch Jesus selbst mit einer Seligpreisung ausgesprochen. Das in V. 6 stehende „an mir“ schließt den ersten Teil des Abschnitts ab und macht noch einmal deutlich: die Frage des Johannes, die Jesus in V. 5 mit Hinweis auf seine Taten (vgl. Mt 8 und 9) vollbracht hat, muss unmissverständlich in die Antwort münden: der kommende Messias bzw. Christus ist Jesus!

Die Frage des Johannes, ob Jesus tatsächlich „der Kommende“ ist, ist bei Mt weder rhetorisch noch apologetisch gebraucht. Vielmehr geht es darum, ob Johannes- und Jesusjünger künftig gemeinsam unter Jesu Wort und Wirken gehen können. Entfaltet sich also gerade in Jesu Niedrigkeit göttliche Macht; ist er der Herr oder auch nur ein Prophet? Was ist zu hören und zu sehen? Jesu packt das Elend an, er nennt es beim Namen, er heilt. Blinde, Lahme, Aussätzige, Taube, Tote, Arme, alle, die vom Leben in der damaligen Gesellschaft ausgegrenzt wurden, werden von Jesus ins Leben und in die Gemeinschaft mit ihm zurückgeholt. Aber „was jetzt zu hören und zu sehen ist, Rettungswunder und Evangeliumsverkündigung, soll den Boten des Täufers die Antwort vermitteln, dass das endzeitliche Heil im Anbruch ist“ (Gnilka 408). Das Heil kommt vor dem Gericht, das ist der fundamentale Unterschied zwischen Jesus und Johannes.

Weihnachten steht vor der Tür – noch zehn Tage des Wartens stehen bevor. Das Fest der Erwartungen, manchmal der ausgesprochenen, aber ganz oft auch unausgesprochenen Erwartungen; für manche ist es auch das Fest der Befürchtungen. „Bereitet dem Herrn den Weg!“ So lautet der Wochenspruch aus Jesaja 40. Wer ist es, der da kommen soll? Ist er Retter oder Richter? Die, die ihm den Weg bereiteten, denen, sich seiner heilbringenden Botschaft öffneten, wurde Jesus zum Retter, zum Grund der Freude, die allem Volk widerfahren ist. Und die, die sich seiner Botschaft nicht öffnen konnten, die mit seiner Verkündigung von der Liebe Gottes nicht einverstanden waren, wurde Jesus zum Anstoß und zum Ärgernis. Wir haben mit dem heutigen Sonntag noch zehn Tage Zeit, uns einzustimmen bzw. einstimmen zu lassen auf den, der da kommt, und auf die Botschaft, die er uns verheißt.

Lieder

"Wie soll ich dich empfangen" (EG 11,1-4)
"O Heiland, reiß die Himmel auf" (EG 7)
"Wir sagen euch an den lieben Advent" (EG 17,1-3)
"Seht die gute Zeit ist nah" (EG 18,1-2)
"Die Nacht ist vorgedrungen" (EG 16)

Gebet im Advent

Dass du den Himmel zerrissest, Barmherziger, und in unser Leben kämest, das am Ersticken ist, weil wir es nicht frei bekommen aus der Enge seiner Verhältnisse.
Dass du den Himmel zerrissest und dich unserer Lust entgegenstelltest, anderen unsere Worte und Gedanken, unseren Glauben und unsere Handlungsweisen aufzudrängen, anstatt sie nur sein und wirken zu lassen.
Dass du den Himmel zerrissest und zu uns kämest, in diese Stadt, in diese Kirche, in jedes Haus, in jede Wohnung und ums die Augen und Ohren, Herzen und Köpfe auftätest und wir anfingen, endlich vom Leben Größeres zu glauben als das, was die Spatzen längst von den Dächern pfeifen.
Dass du den Himmel zerrissest, Lebendiger, und wir dich nicht länger warten liessen, uns einzustellen am Haus deines Friedens und mitzubauen. (Aus: Arno Schmitt. Bind deinen Karren an die Sterne. Ein liturgisches Werkbuch, Gütersloh 2010, 28)

Advent vielleicht

Das wäre schön auf etwas hoffen zu können
Was das Leben lichter macht und leichter das Herz
Das gebrochene ängstliche
Und dann den Mut haben die Türen weit aufzumachen
Und die Ohren und die Augen und auch den Mund
Nicht länger verschliessen
Das wäre schön
Wenn am Horizont Schiffe auftauchten
Eins nach dem anderen
Beladen mit Hoffnungsbrot bis an den Rand
Das mehr wird immer mehr
Durch Teilen
Das wäre schön
Wenn Gott nicht aufhörte zu träumen in uns
Vom vollen Leben einer Zukunft für alle
Und wenn dann der Himmel aufreissen würde ganz plötzlich
Neue Wege sich auftun hinter dem Horizont
Das wäre schön (Aus: Carola Moosbach, Lobet die Eine, Schweige- und Schreigebete, Mainz, 2000)

Fürbitten

Guter Gott, bereite uns auf dein Kommen vor,
damit wir dich so empfangen, wie du uns willst.Erneuere uns und unsere Welt.
Wir rufen: Kyrie (EG 178,9, Ukraine-Kyrie).
Du Herr deiner Kirche, du kommst zu uns.
Du schenkst uns Leben. Schenke uns Glauben, wo wir versagen. Schenke uns Geduld, wo wir manchmal zu kurz denken.
Schenke uns Frieden, wo wir miteinander nicht gut umgehen. Schenke uns Versöhnung, wo wir miteinander streiten oder zanken.
Komm mit deiner Liebe zu uns.
Wir rufen: Kyrie.

Du Gott der Armen und Schwachen,
du kommst zu den Menschen, die wenig oder gar nichts haben. Erfreue mit deinem Kommen all die Menschen, die ihren Kindern trotz finanzieller Not etwas von Herzen schenken wollen. Erfreue mit deinem Kommen all die, die die Ungerechtigkeit in dieser Stadt Berlin und in unserem Land kaum noch ertragen können. Erfreue mit deinem Kommen auch die Obdachlosen, die im Augenblick mit der Kälte kämpfen und dringend einen Raum in der Herberge benötigen. Komm mit deiner Güte, Wärme, Gerechtigkeit und Freude zu allen Menschen.
Wir rufen: Kyrie.

Du Gott des Lebens, du kommst zu denen, die im Dunkel leben. Die Kranken brauchen Heilung, all die Menschen, die in Pflegediensten tätig sind, brauchen deine Hilfe und deinen Zuspruch, dass sie an ihrer Arbeit und Aufgabe nicht verzweifeln.
Die Trauernden brauchen deinen Trost
und die Verzweifelten brauchen ein Zeichen der Hoffnung. Wir vertrauen auf dich, dass du am Ende unseres Weges da bist, und uns in die Arme nimmst. Komm mit deinem Licht und deinem Leben.
Wir rufen: Kyrie.

Du kennst unsere Gedanken und gibst uns nicht auf. Voller Freude erwarten wir dich.
Wir sind zuversichtlich, dass du unsere Welt erneuerst durch Jesus Christus, der mit dir und dem heiligen Geist lebt und regiert in Zeit und Ewigkeit.

Texte der Gegenwart

Das ist das eigentliche Wunder: Den Armen wird das Evangelium gepredigt! Den Armen, das heißt denen, die an dieser sichtbaren Welt leiden, die da warten auf die kommende Welt…Diejenigen, die an ihn glauben, sind herausgehoben aus dem Fluss der Zeit in die Ewigkeit; sie haben die Wahrheit, die Reinheit, das Leben; wie Not und Tod sie nicht mehr in Verzweiflung bringen kann, so kann sie auch das Böse um uns und in uns nicht mehr schrecken. Es ist verschlungen in die Gnade Gottes. In: Rudolf Bultmann, Predigt über Mt 11, 2-6 am 11.12. 1938, in: Marburger Predigten, Tübingen 1956, 95f.

Ein Tag wird kommen, an dem die Menschen rotgoldene Augen und siderische
Stimmen haben, an dem ihre Hände begabt sein werden für die Liebe, und die Poesie ihres Geschlechts wird wiedererschaffen sein (...)

(...) und ihre Hände werden begabt sein für die Güte, sie werden nach den höchsten
aller Güter mit ihren schuldlosen Händen greifen, denn sie sollen nicht ewig, denn es sollen die Menschen nicht ewig, sie werden nicht ewig warten müssen (...)
Ingeborg Bachmann

Bist du es, der da kommen soll?
Als Johannes der Täufer im Gefängnis sass, sandte er zwei Jünger und liess Jesus fragen: „Bist du der, der da kommen soll oder sollen wir auf einen anderen warten?“
„Wie lange könnt ihr denn noch warten?“ fragte Jesus. Die Jünger des Johannes sahen ihn verdutzt an. „Wartet noch vier Tage,“ sagte Jesus schnell und wandte sich ab.
„In drei Tagen werden sie ihn töten,“ sagte Jesus zu Petrus, der ihn fragte, was ihm fehle. - „Aber dann ...“ – sagte Petrus.
„Ich bin nicht, der da kommen soll,“ sagte Jesus. „Ich bin der, der da ist. Johannes hat mich angefasst, er hat mich untergetaucht, er hat mich aufgehoben, aber gesehen hat er mich nicht. Er will es nicht erleben. Er will es nur erwarten“, sagte Jesus und weinte bitterlich.
In: Adolf Muschg, in: Wolfgang Erk (Hrg.), Warten auf ihn, Stuttgart 1981.

Literatur

Günther Bornkamm, Studien zum Matthäus-Evangelium. Hg. von Werner Zager, Neukirchen-Vluyn, 2009; Josef Ernst, Johannes der Täufer. Interpretation – Geschichte – Wirkungsgeschichte, Berlin – New York 1989, bes. 55-80; Peter Fiedler, Das Matthäusevangelium (ThKNT 1), Stuttgart 2006; Hubert Frankemölle, Matthäus. Kommentar 2, Düsseldorf 1997; Marlies Gielen, Das Matthäusevangelium. Blick zurück nach vorn. Die Verflechtung des Geschicks Jesu und Jerusalem in ihrer Bedeutung für die matthäische Gemeinde, in: BiKi (2007), 152-159; Joachim Gnilka, Das Matthäusevangelium I: Mt 1,1-13,58 (HThK I/1), Freiburg 1993; U. Luz, Das Evangelium nach Matthäus, Bd. 1: Mt 1-7 (EKK I/1), Zürich/Neukirchen-Vluyn 2002 (5. Aufl.); ders.; Das Evangelium nach Matthäus Bd. 2: Mt 8-17 (EKK I/2), Düsseldorf/Neukirchen-Vluyn 2007 (4. Aufl.); William Manson, Bist du, der da kommen soll? Das Zeugnios der drei ersten Evangelien von der Offenbarung Gottes in Christo unter Berücksichtigung der Formgeschichte, Zürich 1952; Ulrich B. Müller, Johannes der Täufer. Jüdischer Prophet und Wegbereiter Jesu, Leipzig 2002 (gut lesbare Darstellung der historischen Gestalt Johannes des Täufers sowie seine Überlieferung und Wirkung in der synoptischen Tradition, im johanneischen Kreis, in der außerkanonischen Literatur, bei den Kirchenvätern und in der Bildenden Kunst); Wolfgang Wiefel, Das Evangelium nach Matthäus (ThHKNT 1), Leipzig 1998.

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Professor Dr. Gustav A. Benrath (*7.12. 1931 +5.11.2014)
in memoriam

Fragen Sie auch in der Adventszeit, wenn Sie an Ihrem Adventskalender das Türchen für den jeweiligen Tag öffnen: Was ist denn heute wohl für ein Bild im Adventskalender zu sehen oder welches kleine Symbol steckt dahinter? Das, was da hinter einem Adventstürchen zu finden ist, kann einen den ganzen Tag über begleiten. Auch Predigttexte können solche Begleiter im Advent sein. Ein Gedanke, der mitgeht, ein Bild, das haften bleibt, ein Wort, das anstößt. Am dritten Adventssonntag findet sich in meinem Adventskalender hinter dem 14. Türchen ein Detail des berühmten Isenheimer Altares von Matthias Grünewald, das Johannes den Täufer, jenen Prediger in der Wüste, der die Verbindung von Altem und Neuem Testament darstellt, zeigt. Und mir kommen noch ganz viele andere Bilder dieses Rufers in der Wüste in den Sinn: ein unkonventionell gekleideter Mann, ein Mann, der sich anders als die damalige Gesellschaft ernährte. Ein Typ, der seinen Zeigefinger auf die Wunden der damaligen Gesellschaft legt, für viele unbequem war und deshalb jetzt im Knast sitzt.

Dieser Johannes der Täufer weckt im Volk hohe Erwartungen. Ist er etwa der Messias, auf den viele damals hofften? Doch er enttäuscht die Sehnsüchte der Menschen nach einer friedlicheren Welt und wird wegen seiner Kritik am herrschenden System von Herodes ins Gefängnis geworfen. Und im Gefängnis hat Johannes Zeit zum Nachdenken auch über Jesus von Nazareth. Kann Jesus der ungeliebten römischen Besatzungsmacht den Kampf ansagen? Doch Jesus predigt Liebe und Gnade, statt Kampf und Gericht. Bringt Jesus von Nazareth den Menschen das Heil? Viele Gedanken gehen ihm im Gefängnis durch den Kopf. Und weil ihn das alles nicht ruhig lässt, beauftragt Johannes aus dem Gefängnis seine Anhänger Jesus eine entscheidende Frage zu stellen: Bist du der Messias, der die Heilszeit Gottes bringen soll? Jesus antwortet nicht mit einem einfachen: Ja ich bin es bzw. ich bin es nicht. Vielmehr gibt er mit seiner Antwort Denk-Anstöße: „ Die Blinden beginnen zu sehen. Die Lahmen gehen umher. Rein sind die Aussätzigen. Die Tauben hören. Aufgeweckt werden die Toten. Die Armen vernehmen die Botschaft: Gekommen ist der Anstößige: Wohl dem, der nicht stürzt über mich“ (Übertragung von Walter Jens). „Bist du es?“ Jesus wollte, dass sich die Menschen mit ihm und mit dem, was er lehrte und predigte, auseinandersetzten. Es war eine seelsorgerliche Antwort, die auch die hinter der Frage des Johannes steckende existentielle Situation ernst nahm: Was hält mich letztendlich? Wo bin ich getragen und gehalten?

Wir haben nicht miterlebt, wie Jesus Wunder getan hat, wir waren keine Augen- und Ohrenzeugen. Johannes wurden sehr wahrscheinlich die Taten Jesu erzählt. Wir kennen die Geschichten von Jesus aus den Evangelien. Paulus hat einen für mich wichtigen Satz geprägt: „So kommt der Glaube aus dem Hören“. Für mich steht dahinter, dass wir uns unsere Glaubensgeschichten erzählen sollen. Manche Menschen haben Angst oder Scheu, andere Menschen in ihre Glaubensgeschichte mit hineinzunehmen. Vielleicht weil das zu privat, zu persönlich ist. Die frühchristliche Gemeinde war da aufgeschlossener, vielleicht auch noch unbefangener. Da wurden Glaubensgeschichten erzählt, die andere mit auf den Weg des Glaubens genommen haben, die andere für Jesus Christus begeisterten. Ich denke, gerade im Erzählen unserer eigenen Glaubensgeschichten werden wir als Christinnen und Christen in unserer Gesellschaft nicht nur glaubwürdiger, sondern auch sprachfähiger, andere mit auf den Weg zu nehmen, um ihnen vom Glauben an den, der unser Heil ist, in elementarer Weise zu erzählen.

Es geht um unsere eigenen Worte, wie wir die Jesusgeschichte persönlich erleben. Es gibt Fragen, deren Beantwortung kann einem keiner abnehmen. Und schon gar nicht die, was ich in einem anderen sehe und ob ich ihm mein Leben anvertraue. Denn nur, was ich da selber entscheide, kann auf Dauer Halt geben. In die Jesusgeschichte mit hineingenommen zu werden heißt, einen Weg zu beginnen. Ein Weg ist nie schon vorher vorgegeben und vorhersehbar. Der Weg kann gerade oder krumm sein. Und so wie das Leben lebendig ist, so ist auch der Glauben lebendig und immer im Werden. Einen fertigen abgepackten Glauben gibt es nicht. Und ein Glauben, der sich nie verändert, ist kein echter Glaube. Glauben hat etwas Dynamisches, das haben die Jünger Jesu, das haben die frühen Christen erfahren und das erfahren wir auch heute noch. Es gibt immer nur den Weg, den Jesus uns führt. Darum gilt allein das Vertrauen darauf, dass es ein guter Weg ist, der vor mir liegt und das Jesus mir auf diesem Wege Menschen anvertraut, die meinen Weg kreuzen und die durch mich eingeladen werden, ihre eigene Jesusgeschichte zu beginnen und dann auch zu erzählen.

Jesus ist weder im Blickfeld der Johannesjünger noch im Blickfeld der frühchristlichen Gemeinde einer, der mit Feuer und Schwert das Recht und die Gerechtigkeit um jeden Preis durchsetzen möchte. Sein Auftreten ist vielmehr bestimmt von Güte und Barmherzigkeit gegenüber allen Menschen, die mühselig und beladen sind und gegenüber allen, die am Rande der Gesellschaft stehen. Jesu will kein Gericht für die Menschen, sondern ihr Heil. An Weihnachten dürfen wir dies erleben: Gott entscheidet sich für ein kleines und hilfsbedürftiges Kind, das auf die Welt zu uns kommt. Gott solidarisiert sich mit den Menschen und setzt sich ihnen gleichzeitig aus. „Bist du es, der kommen wird?“ – diese Frage verlangt nach einer Antwort, die nur jeder Einzelne sich selber geben kann. Sie kann nur überzeugend ausfallen, wo wir nicht nur reden, sondern im wahrsten Sinne tatkräftig uns zu Jesus bekennen. Das muss nichts Spektakuläres sein, auch kleine Schritte sind gefragt und angesagt: Dort, wo Menschen sich für Arme und Notleidende z.B. auch in unserer Gemeinde bei „Laib und Seele“ einsetzen und jede Woche ermöglichen, dass Notleidende Lebensmittel, also Mittel zum Leben, erhalten. So wird etwas von der Heilszeit, die Jesus verkündigte, auch mit dieser Aktion sichtbar. Oder ich denke an das Projekt „Gitarren statt Gewehre“ der Aktion „Brot für die Welt“, für das wir am letzten Wochenende beim Tag im Advent in unserer Gemeinde gesammelt haben.

In dem Projekt „Gitarren statt Gewehre“ wird ehemaligen Kindersoldaten in der Demokratischen Republik Kongo eine neue Perspektive gegeben. In einer Gitarrenwerkstatt wird ihnen die Herstellung von Gitarren beigebracht. Dadurch entstehen mit anderen Ex-Kindersoldaten soziale Verbindungen und Freundschaften fürs Leben. Dieses Projekt hilft vielen ehemaligen Kindersoldaten ihr Trauma vom Krieg zu vergessen und in ihrem Leben neu durchzustarten. Sie wurden als Kindersoldaten gezwungen, zu töten, zu vergewaltigen und zu foltern. Das soll durch diese Maßnahme gestoppt bzw. verhindert werden. Außerdem haben die ehemaligen Kindersoldaten die Möglichkeit, mit Psychologen zu sprechen und sie erhalten Bildung und Ausbildung. Da ist Justin Murhula Bashimbe, der mit 13 Jahren von Rebellen verschleppt und im Ostkongo zum Kämpfen gezwungen wurde. Bevor er in die Werkstatt kam, war er aggressiv, inzwischen ist er umgänglich und hilfsbereit. Mittlerweile ist er 27 Jahre alt, ist verheiratet und hat drei Kinder und baut fleißig Gitarren. Das sind kleine Beispiele, die Hoffnung geben, die zeigen, dass das Reich Gottes angebrochen ist. Sie setzen ein Zeichen gegen die resignative Perspektive und stehen für die Hoffnung. Alles das sind Zeichen des Advents, der Ankunft Jesu. Und das heißt: Wir können alles Menschenmögliche tun, auch wenn es noch so klein ist, und dürfen von der Hoffnung leben, dass Gott uns dabei nicht verlässt. Denn Gott setzt sein Heil an uns fort, bis er am Ende der Zeiten wiederkommt.

Meine Augen und Ohren sagen mir über den Zustand dieser Gesellschaft und dieser Welt wenig Zuversichtliches. Da sehe ich fast tagtäglich ganz viel Trauer und Zerstörung in Nigeria, im Kongo, in der Ukraine, in Syrien, in Israel/Palästina oder vor ein paar Tagen auch wieder in Griechenland, da erlebe ich verzweifelte Menschen in unserem Land, die wegen der wirtschaftlichen Krise ihren Arbeitsplatz z. B. bei Opel in Bochum verloren haben oder bei der Fastfoodkette Burgerking um ihre Zukunft bangen. Ich sehe Menschen, die in Callcentern oder als Paketboten für einen Hungerlohn arbeiten müssen. Doch trotz all dieser Widersprüche und menschlichen Unzulänglichkeiten nehme ich die hoffnungsvolle Botschaft des dritten Advent mit in die kommende Woche: ich bin aufgerufen selber zu schauen und zu hören, dass Jesus Christus die entscheidende Antwort auf meine Fragen ist. Das ermutigt mich, das erwartungsvolle Fragen nicht aufzugeben.

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Ein Kommentar zu ““Gitarren statt Gewehre”

  1. Pastor Hans-Dieter Krüger

    Der Prediger hat mit seinen exegetischen und homiletischen Überlegungen gute Arbeit geleistet. Besonders hat mir die Sammlung der Gebete und der Texte der Gegenwart gefallen. Am Anfang der Predigt führt der Verfasser seine Hörerschaft zügig zur Gestalt des Johannes und skizziert seine Person in knappen Worten: „…ein unkonventionell gekleideter Mann, ein Mann, der sich anders als die damalige Gesellschaft ernährte. Ein Typ, der seinen Zeigefinger auf die Wunden der damaligen Gesellschaft legt, für viele unbequem war und deshalb jetzt im Knast sitzt.“ Als Hörer hätte ich, neugierig wie ich bin, gern ein paar Einzelheiten erfahren: Was war das Unkonventionelle an seiner Kleidung? Wovon ernährte er sich? Welcher konkrete Vorwurf brachte ihn in den „Knast“? Wo befand sich das Gefängnis? Welches Schicksal erlitt Johannes? Allerdings sehe ich auch, dass solche Ausführungen den zeitlichen Rahmen einer Predigt sprengen können. Im Folgenden geht es um Überlegungen, die den Glauben betreffen. Da macht der Prediger die Fragen und Zweifel, die Johannes bewegten, zu unseren Fragen: „Was hält mich letztendlich? Wo bin ich getragen und gehalten?“ Und in der Beantwortung dieser Fragen heißt es u.a.: „Es gibt immer nur den Weg, den Jesus uns führt. Darum gilt allein das Vertrauen darauf, dass es ein guter Weg ist, der vor mir liegt …“ Das ist ein starker Satz, der mir sehr gefällt. Gut finde ich auch, wie das Wirken Jesu gekennzeichnet wird: „Sein Auftreten ist vielmehr bestimmt von Güte und Barmherzigkeit gegenüber allen Menschen, die mühselig und beladen sind und gegenüber allen, die am Rande der Gesellschaft stehen. Jesus will kein Gericht für die Menschen, sondern ihr Heil.“ Und dann geht es zum Höhepunkt der Predigt, zu dem, was dem Verfasser besonders am Herzen liegt: Das gegenwärtige Wirken Jesu durch Menschen, die heute die gute Botschaft für andere umsetzten, „wo wir nicht nur reden, sondern im wahrsten Sinne tatkräftig uns zu Jesus bekennen.“ Es folgen sehr schöne Konkretionen: „Dort, wo Menschen sich für Arme und Notleidende z.B. auch in unserer Gemeinde bei „Laib und Seele“ einsetzen und jede Woche ermöglichen, dass Notleidende Lebensmittel, also Mittel zum Leben, erhalten.“ An dieser Stelle wird die Hinwendung zum Nächsten noch einmal mit dem Predigttext verbunden und entsprechend gedeutet: „So wird etwas von der Heilszeit, die Jesus verkündigte, auch mit dieser Aktion sichtbar.“ Nach der Beschreibung und Würdigung der Aktion „Gitarren statt Gewehre“ fügt der Prediger noch einmal seine Deutung an: „Wir können alles Menschenmögliche tun, auch wenn es noch so klein ist, und dürfen von der Hoffnung leben, dass Gott uns dabei nicht verlässt. Denn Gott setzt sein Heil an uns fort, bis er am Ende der Zeiten wiederkommt.“ An dieser Stelle würde ich „Amen“ sagen.

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