Liebe und Toleranz

Der Spirale der Gewalt Einhalt gebieten

Predigttext: Markus 8,31-38
Kirche / Ort: 27793 Wildeshausen
Datum: 15.02.2015
Kirchenjahr: Estomihi
Autor/in: Pfarrer Lars Löwensen

Predigttext: Markus 8,31-38 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

Jesus fing an, seine Jünger zu lehren: „Der Menschensohn muss viel leiden und verworfen werden von den Ältesten und Hohenpriestern und Schriftgelehrten und getötet werden und nach drei Tagen auferstehen.“
Und er redete das Wort frei und offen. Und Petrus nahm ihn beiseite und fing an, ihm zu wehren. Er aber wandte sich um, sah seine Jünger an und bedrohte Petrus und sprach: „Geh weg von mir, Satan! Denn du meinst nicht, was göttlich, sondern was menschlich ist.“
Und er rief zu sich das Volk samt seinen Jüngern und sprach zu ihnen: „Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach. Denn wer sein Leben verliert um meinetwillen und um des Evangeliums willen, der wird’s erhalten. Denn was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme an seiner Seele Schaden? Denn was kann der Mensch geben, womit er seine Seele auslöse? Wer sich aber meiner und meiner Worte schämt unter diesem abtrünnigen und sündigen Geschlecht, dessen wird sich auch der Menschensohn schämen, wenn er kommen wird, in der Herrlichkeit seines Vater mit den heiligen Engeln."

Exegetische und homiletische Gedanken

Markus 8,31-38 ist das Evangelium des Sonntags Estomihi. Dazu gestellt sind das Hohelied der Liebe von Paulus aus 1. Korinther 13 und die Opferkultkritik des Amos (Amos 5,21-24). So lässt sich im Gesamtductus des Sonntags das Evangelium nicht als Fortsetzung eines blinden Opferkultes (Amos) lesen, sondern eher als Zeichen der Liebe Gottes, die sich in menschlichem Handeln zeigen sollte (Paulus). Der Text steht auch bei Markus an der Scharnierstelle seines Evangeliums. Unmittelbar davor steht das Messiasbekenntnis des Petrus (Mk 8,27-30). Jesus tut Wunder und Petrus erkennt in ihm Christus. Doch der Christus ist anders, als die Jünger es sich vorstellen. Auf das Bekenntnis folgt die erste Leidensankündigung. Doch auch bei der zweiten (Mk 9,30-32) und der dritten Leidensankündigung (Mk 10,32-34) können die Jünger nicht wirklich etwas anfangen. Stattdessen streiten sie darüber, wer der größte unter ihnen ist (Mk 9,33-37), bzw. die Zebedaiden möchten gerne einen Ehrenplatz an Jesu Herrscherthron haben (Mk 10,35-45). Doch Jesus ist anders. Das macht der Evangelist immer wieder deutlich. Er spricht von Kreuzesnachfolge (Predigttext), er spricht vom Dienen (Mk 9,35 und 10,45). Er reitet auf einem Esel in Jerusalem ein (Mk 11,1-11) und sagt Verfolgung und Schreckenszeiten voraus (Mk 13).Das alles scheint nicht zu den Messiasvorstellungen seiner Jünger zu passen, die eher von Macht, Herrschaft und Herrlichkeit träumen. Petrus will die Verklärung Jesu festhalten („Zelte aufbauen“ Mk 9,5). Doch Jesus lässt sich nicht auf dieses Bild festlegen. Er geht den Weg an Kreuz trotz Anfechtung (Mk 14,32-41). Und als es zum Schwur kommt, leugnet Petrus, Jesus zu kennen (Mk 12,66-72).

Als christliche Gemeinde gehen wir heute sehr schnell über diesen Aspekt hinweg. Wir schauen oft von Ostern her auf die Passion und nehmen das Leiden als notwendiges Übel in Kauf. Das Leiden Jesu spielt keine so große Rolle mehr für unsere Frömmigkeit. Ich möchte jetzt keiner Opfertheologie das Wort reden oder mich als Fan von Mel Gibsons „Die Passion Christi“ outen. Im Gegenteil. Aber ich erlebe immer wieder diese „Überraschung“ des Todes. Er wird – auch bei älteren Leuten – als plötzlich, überraschend oder unerwartet von den Angehörigen geschildert, obwohl die entsprechende Biographie des oder der Verstorbenen eine andere Sprache spricht. Da mag man unterschiedliche Begründungen für haben. Eine ist für mich, dass der Tod in keiner Weise mehr alltäglich ist für uns. Gott sei Dank. Aber trotzdem sollten wir uns immer mal wieder mit ihm beschäftigen. Denn nur so begreife ich die Kraft, die sich aus der Hoffnung auf Auferstehung speist. So möchte ich die Gemeinde ein wenig in die Situation der Jünger hineinführen, um diese ansatzweise erfahrbar zu machen. Um dann dem nachzugehen, was dies in unserer heutigen Welt auch mit ihrem Terror und ganz normalen Wahnsinn bedeutet.

Lieder

"Liebe ist nicht nur ein Wort" (EG / OL 613)
"Suchen und fragen"
(Kommt, atmet auf – Liederheft 069)
"Gott gab und Atem" (EG 432)

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Ein guter Freund nimmt sie beiseite und fängt an, mit ihnen über sein nahes Leiden und Sterben zu sprechen. Wie würden sie reagieren? Betroffen, wenn die betreffende Person schwer krank ist. Um Worte ringend. Wir würden versuchen, etwas zu sagen, aber im Gefühl der Ohnmacht nichts oder nur wenig hervorbringen. Vor allem, wenn die betreffende Person noch verhältnismäßig jung ist. Leichter würde es uns da schon bei einem sehr alten Menschen fallen. Doch wie schnell sind wir dort bei der Hand mit Worten wie “aber Du doch nicht. Du lebst bestimmt noch lange. Darüber musst Du Dir jetzt noch keine Gedanken machen…” Ist die betreffende Person noch jung oder in der vollen Blüte ihres Lebens, würden wir wahrscheinlich mit gänzlichem Unverständnis reagieren. Wir würden schnell nach Anzeichen einer schweren Krankheit Ausschau halten. Gibt es die nicht, lägen uns Worte auf der Zunge wie: Das kann doch nicht sein. Das darf doch nicht sein.

(Lesung des Predigtextes)

Für uns ist es so kurz vor der Passionszeit völlig klar, was mit Jesus in Jerusalem passieren wird. Sein Weg ans Kreuz ist uns bekannt. Aber mit Ostern im Hinterkopf können wir diese Worte relativ entspannt hören. Aber versetzen wir uns doch nur einmal für einen kurzen Moment in die Jünger. „Der Menschensohn muss viel leiden und verworfen werden von den Ältesten und Hohenpriestern und Schriftgelehrten und getötet werden und nach drei Tagen auferstehen.“ Das kann doch nicht wirklich sein.
Ihr Weg mit ihm hatte doch gerade erst angefangen. Vieles wollten sie noch von ihm lernen. Lange wollten sie mit ihm zusammen sein. So viel Gutes könnte er doch den Menschen noch bringen. Gerade erstrahlte schon einmal seine Herrlichkeit im Bekenntnis: Du bist der Christus. Der Messias. Der nützt einem Tod doch gar nichts. Dann doch lieber der Auseinandersetzung mit den Machthabern im Land ausweichen. Für die gute Sache. Auch Petrus möchte seinen geliebten Freund nicht gerne leiden und sterben sehen. Vor allem nicht für etwas, was er nicht versteht.

Sein Leben hergeben für eine Sache, die größer ist als ich. Mir läuft bei dem Gedanken ein Schauer über den Rücken. Schnell kommen Bilder von religiösen Fanatikern in den Sinn. Selbstmordattentäter, die sich ohne Rücksicht auf das eigene Leben in die Luft sprengen.Lange schien das weit weg zu sein. In anderen Ländern. Israel oder dem Irak. Doch seit dem Attentat von Paris auf die Redaktion von Charlie Hebdo ist uns der Terror plötzlich viel näher gekommen. Menschen sind für ihre Überzeugung ermordet worden. Und ihre Kollegen ließen sich davon erst einmal nicht beeindrucken und machten weiter. Auch auf die Gefahr hin, selbst zum Opfer von Fanatikern zu werden.
Menschen, denen anscheinend nichts „heilig“ ist, stehen doch für diese Überzeugung und die Freiheit der Meinungsäußerung mit ihrem Leben ein. Wäre das auch meine Maßnahme gegen die Gewalt von anderen mein Leben zu riskieren?

„Als Herr Keuner, der Denkende, sich in einem Saale vor vielen gegen die Gewalt aussprach, merkte er, wie die Leute vor ihm zurückwichen und weggingen. Er blickte sich um und sah hinter sich stehen – die Gewalt. “Was sagtest du?” fragte ihn die Gewalt. “Ich sprach mich für die Gewalt aus”, antwortete Herr Keuner. Als Herr Keuner weggegangen war, fragten ihn seine Schüler nach seinem Rückgrat. Herr Keuner antwortete: “Ich habe kein Rückgrat zum Zerschlagen. Gerade ich muss länger leben als die Gewalt.” Und Herr Keuner erzählte folgende Geschichte:

In die Wohnung des Herrn Egge, der gelernt hatte, nein zu sagen, kam eines Tages in der Zeit der Illegalität ein Agent, der zeigte einen Schein vor, welcher ausgestellt war im Namen derer, die die Stadt beherrschten, und auf dem Stand, dass ihm gehören soll jede Wohnung, in die er seinen Fuß setzte, ebenso sollte ihm auch jedes Essen gehören, das er verlange; ebenso sollte ihm auch jeder Mann dienen, den er sähe. Der Agent setzte sich in einen Stuhl, verlangte Essen, wusch sich, legte sich nieder und fragte mit dem Gesicht zur Wand vor dem Einschlafen: “Wirst du mir dienen?” Herr Egge deckte ihn mit einer Decke zu, vertrieb die Fliegen, bewachte seinen Schlaf, und wie an diesem Tage gehorchte er ihm sieben Jahre lang. Aber was immer er für ihn tat, eines zu tun, hütete er sich wohl: das war, ein Wort zu sagen. Als nun die sieben Jahre herum waren und der Agent dick geworden war vom vielen Essen, Schlafen und Befehlen, starb der Agent. Da wickelte ihn Herr Egge in die verdorbene Decke, schleifte ihn aus dem Haus, wusch das Lager, tünchte die Wände, atmete auf und antwortete:”Nein.” (Bertolt Brecht, Maßnahmen gegen die Gewalt, in Bertolt Brecht, Geschichten vom Herrn Keuner, 2013, S. 9f)

So schreibt es Bertolt Brecht in seiner Geschichte „Maßnahmen gegen die Gewalt”. Versuchen, geschickt zu sein. Länger als die Gewalt und ihre Täter zu leben, um sie dann zu beerdigen. Eine Empfehlung für Menschen ohne Rückgrat, wie Herr Keuner sagt. Auch kein leichter Weg. Aber immerhin kommt man mit dem Leben davon, auch wenn man vielleicht mehrere Jahre davon verschenkt. Doch was hätte Jesus gesagt, wenn ein Herr Keuner ihn beraten hätte? Vielleicht auch „Geh weg von mir, Satan! Denn du meinst nicht, was göttlich, sondern was menschlich ist”. Jesus hatte einen anderen Auftrag. Wegducken stand nicht auf dem Plan. Rückgrat zeigen. Ins Leiden und Sterben zu gehen, sehenden Auges aber nicht gegen die Menschen, sondern für die Menschen. Um der Liebe Gottes zu den Menschen willen. Der Spirale der Gewalt Einhalt gebieten. Nicht weiter eskalieren. Gott ist konsequent. Auch das Kreuz bringt ihn nicht von seinem Weg der Liebe zu uns Menschen ab. In Jesus Christus ist er ihn gegangen. Damit demaskiert er die Menschen um Jesus herum. Sie sind es, die lieblos sind und Leid verursachen. Gott beendet nicht mit einem Schlag alles Leiden. Auch nicht für seinen Sohn. Er geht mit ihm ins Leiden. Aber es bleibt nicht dabei. Jesus spricht nicht nur vom Sterben, sondern auch vom Auferstehen. Der Tod hat nicht das letzte Wort. Deswegen braucht er uns auch keine Angst mehr zu machen Diesen Glauben darf und soll ich festhalten, auch wenn andere dagegen sprechen. Jesus sagt: „Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach.“

Ich hoffe, dass wir in naher oder ferner Zukunft als Christinnen und Christen in Westeuropa unseren Glauben weiter offen und frei leben können. Aber es muss ja nicht immer um das ganz Große gehen. Und “was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganz Welt gewönne und nähme an seiner Seele Schaden?” Jesus hat Feindesliebe und damit Toleranz gepredigt. Die kann ich nicht einfach aufgeben, ohne an der Seele Schaden zu nehmen. Um das zu leben, muss ich auch manchmal mein Kreuz auf mich nehmen. Über meinen eigenen Schatten der Angst und der Unsicherheit springen. Der Gewalt und dem Terror widerstehen, ohne dabei selber gewalttätig zu werden. Auf Gott und sein Wort hören und die Einflüsterungen der Fremdenfeindlichkeit überhören. Den Tod als Teil des Lebens sehen. Ihn im Licht der Auferstehung begreifen als Übergang. Das Leben geht weiter. Das nimmt mir die Angst. So kann man mir mit dem Tod oder mit Todesdrohungen keine Angst mehr machen. Das ist in aller Schwachheit die Stärke unseres Glaubens. Das rechtfertigt nicht die Gewalt und das Böse anderer Menschen, aber es lässt uns von Gott her bestimmte Menschen bleiben. So können wir Worte finden, wo andere nur noch erschrocken schweigen. Wo andere Hass säen, können wir Menschen bleiben. Wir können mutig und friedfertig unseren Glauben weitersagen, um andere einzuladen, diesen Weg mitzugehen. Zum Wohle aller.

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Ein Kommentar zu “Liebe und Toleranz

  1. Pastor Heinz Rußmann

    Der Predigttext vom Kreuztragen widerspricht den Messiasvorstellungen der Jünger. Und heute hat bei den Christen das Leiden Jesu viel weniger Bedeutung als früher. – Nach besonders gründlichen, ausführlichen und erhellenden Gedanken aktualisiert der Prediger den Text. Ein Freund spricht mit Dir über seinen nahen Tod. Wie reagierst Du ? Bei Jesus ist uns diese Ankündigung bekannt und auch , dass er auferstehen wird. Petrus möchte Jesus nicht sterben sehen. Aber der gibt sein Leben hin für die Menschen. Heute wird die größte positive Aktion der Geschichte: Gottes Sohn stirbt für die Schuld der Menschheit, verunglimpft durch Selbstmord-Attentäter. – Mit der sehr tiefsinnigen Geschichte von Bertold Brecht von Herrn Keuner, der sich gegen Gewalt ausspricht und die Konsequnzen trägt, bekräftigt der Pastor das Leiden Jesu. Es geht darum, der Spirale der Gewalt Einhalt zu gebieten. Nachfolge Jesu und Auferstehen mit ihm, ist der wahre Weg. Im Schlußabsatz malt der Prediger mit verschiedenen Aspekten den Lebensweg eines Christen vor Augen. Auch andere dann einladen zum Wohle aller! – Im Lübecker Predigtvorbereitungs-Kreis mit zehn Pastoren zeigte sich, dass das Kreuztragen und Jesus Tod heute sehr anspruchsvoll ist und schwer hoffnungsfroh zu vermitteln ist. Pfarrer Löwensen ist es so gut gelungen, dass ich selbst in seinen Gottesdienst gehen und andere einladen würde.

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