Rückwärts in die Zukunft?

Mein Gestern in mein Heute hinein nehmen

Predigttext: Lukas 9,57-62
Kirche / Ort: Heidelberg
Datum: 08.03.2015
Kirchenjahr: Okuli (3. Sonntag der Passionszeit)
Autor/in: Kirchenrat Pfarrer Heinz Janssen

Predigttext: Lukas 9,57-62 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 2009)

57 Es geschah aber, als sie unterwegs waren, sagte einer zu ihm: »Herr, ich will dir folgen, wohin du auch gehst.«
58 Und Jesus sagte zu ihm: »Die Füchse haben Höhlen, und die Vögel des Himmels haben Nester; aber der Menschensohn hat keinen Ort, wo er seinen Kopf hinlegen kann.«
59 Zu einem andern sagte er: »Folge mir!« Der sagte aber: »Herr, erlaube mir, dass ich zuvor hingehe und meinen Vater begrabe.«
60 Aber Jesus sagte zu ihm: »Lass die Toten ihre Toten begraben; geh du aber hin und verkündige das Reich Gottes!«
61 Ein anderer sagte: »Herr, ich will dir nachfolgen; aber erlaube mir zuvor, dass ich Abschied von denen nehme, die in meinem Haus sind.«
62 Jesus aber sagte zu ihm: »Wer seine Hand an den Pflug legt und zurücksieht, der ist nicht tauglich für das Reich Gottes.«

Kyriegebet

Wie oft bin ich hilflos und suche Hilfe.
Wie oft bin ich schwach und suche Stärkung.
Wie oft bleibe ich mit meinem Suchen allein.
Wie oft fühle ich mich ohnmächtig.
Wie oft bin ich ratlos und sehe keinen Weg.
„Du bist ein Gott, der mich sieht“,
so hat dich einst die ägyptische Hagar erlebt.
Zu dir hin will ich Ausschau halten.
Verliere mich nicht aus den Augen.
Im Namen Jesu rufe ich zu dir: Kyrie, eleison.

Tagesgebet

Gott, mit Augen der Liebe schaust du auf deine Schöpfung.
Wir bitten dich: Öffne uns die Augen,
dass wir wahrnehmen, was du geschaffen hast.
Hilf uns, angesichts deiner Gaben
unsere Aufgaben zu sehen
und uns dabei an dem Weg Jesu zu orientieren.
Lenke unseren Blick auf seine Schritte
zu deinem Reich,
in dem Gerechtigkeit und Friede alle Menschen verbindet.
Wir schauen auf zu dir,
der du mit deinem Sohn, vereint im Heiligen Geist,
lebst und regierst in Ewigkeit.

Psalm 25 (EG 712)
Epistel: 1.Könige 19,1-8 (9-13)
Evangelium: Lukas 9,57-62 (= Predigttext)

Lieder

„Du hast uns, Herr, gerufen“ (EG 168,1-3)
„Lass mich dein sein und bleiben“ (EG 157)
„Jesu, meine Freude“ (EG 391)
„Wenn wir jetzt weiter gehen“ (EG 168,4-6)

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„Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück…“ – Worte Jesu, dem Arbeitsalltag entnommen. Schnurgerade Furchen sind für den sinnvollen Anbau von Feldfrüchten erforderlich, Konzentration bei der Arbeit ist nötig. Es ist wahr, die Hand an den Pflug legen und dabei zurücksehen ergibt keine gerade Furche, es ermöglicht kein zufriedenstellendes Arbeitsergebnis und kein gutes Weiterarbeiten. Übertragen auf die menschliche Lebenswirklichkeit bedeutet dies, ein Ziel im Leben zu haben und darauf hinzuarbeiten, das Leben im Einklang mit dem Willen Gottes und seinem Anspruch sinnvoll zu gestalten. Der Pflug kann im übertragenen Sinn Herz, Verstand, Hände und Füße, Augen und Ohren sein, alle Sinne.

„Wer seine Hand an den Pflug und sieht zurück…“ Mit dem Blick nach vorne die Lebensfurchen auf der Erde ziehen! Sind Jesu Worte so prinzipiell und lehrsatzmäßig gemeint? Ist es nicht geradezu nötig, gelegentlich auf mein Leben zurück zu schauen, in die Geschichte meiner Familie, meines Volkes und anderer Völker, um in meinem Hier und Heute bestehen zu können? Ich denke an die Besatzung eines Ruderbootes, mit dem Blick zurück steuern die Rudernden nach vorne. Rückwärts in die Zukunft? „Gedenken“ heißt ein wichtiges biblisches Wort. Es bedeutet mehr als „erinnern“, es rät mir, mein Gestern in mein Heute hinein zu nehmen. Solches Zurückschauen kann in bestimmten Lebenssituationen sehr schmerzlich sein. Mir stehen die Menschen auf der Flucht vor Krieg und Terror vor Augen, die Alles zurück lassen müssen und auf dem Weg in eine ungewisse Zukunft sind, ohne ein Zuhause. (Entzünden wir für sie, unsere Schwestern und Brüder, eine Kerze)

Orgelchoral: „Verleih uns Frieden“ (EG 421)

Unter anderen Lebensumständen kann mir der Blick zurück zur Kraftquelle werden, wenn ich innehalte und mich darauf besinne, was mir in meinem Leben weiterhalf. Menschen, die mich begleiteten. Knoten in meiner Lebensgeschichte, die sich lösten. Zuspruch aus Gottes Wort. Trost. Vielleicht kann ich daran anknüpfen oder jene Erfahrungen inspirieren, beflügeln mich zu neuen Sichtweisen und beherzten Schritten. Aber so lebenswichtig diese Gedanken sind, was vergangen ist, für mein Weitergehen zu bedenken, Jesus scheint es mit seinem Blick auf den Pflug und seine Handhabung nicht darum zu gehen, nicht um eine grundsätzliche Lebensweisheit. Ist es der unbedachte Blick zurück, den Jesus im Auge hat? Achtung beim Pflügen. Schaust du unachtsam zurück, ändert sich unbemerkt die Richtung, du ziehst krumme Furchen und verfehlst das Ziel. Du übersiehst die Steine, sie beschädigen den Pflug, es geht nicht gut weiter. Durch den gedankenlosen Blick zurück kommst du leicht vom Weg ab, ebenso wie mit blindem Eifer nach vorne. Du bringst dich in Gefahr, auch andere Menschen, die mit dir unterwegs sind.

„Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes.“ Ein Blick auf den Zusammenhang, in dem diese Worte Jesu stehen: Wir schauen auf drei unterschiedliche Begegnungen mit Jesus. „Ich will dir folgen, wohin du gehst.“ Da will jemand fest entschlossen mit Jesus gehen. Was ihn zu dem Wanderprediger Jesus hinzog, wird nicht gesagt. Jesu Antwort überrascht. Kein ‚Schön, sei willkommen!’, sondern ein ‚Vorsicht’ bekommt er zu hören: „Die Füchse haben Gruben, und die Vögel unter dem Himmel haben Nester; aber der Menschensohn hat nichts, wo er sein Haupt hinlege“. Eine ernüchternde Antwort. Im Normalfall, so könnten wir Jesu Worte verstehen, gebe es naturgemäß für die auf dieser Erde Lebenden ein Zuhause, eine Höhle, ein Nest, ein Zelt, ein Haus. Jesus selbst habe das nicht, und er könne es auch anderen nicht bieten. Wer mit ihm gehe, dürfe nicht mit Bequemlichkeit und Ruhe rechnen. Es gelte, für die Menschen unterwegs zu sein, Tag und Nacht, bei Sonne und Regen, in Hitze und Kälte. Aber weist Jesus, der ein familiäres zu Hause in Nazareth kannte und später in Kapharnaum bei Simon Petrus wohnte, vielleicht eher auf sein Zuhause bei Gott hin? Wusste sich Jesus doch bei Gott allein geborgen und wollte zu ihm die Menschen führen und begleiten. Um mit den Menschen auf dieses Ziel hin unterwegs zu sein, braucht Jesus so etwas wie eine vorübergehende Bleibe im Herzen der Menschen, um mit ihnen für andere, die Hilfe brauchen, da zu sein. Himmelreich auf Erden.

„Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes.“ Noch für eine zweite Person kommt es zu einer Begegnung mit Jesus. Zu ihr spricht Jesus selbst: „Folge mir nach“. Aber seitens des Gerufenen kommt kein ‚Gut, ich komme gern mit, danke für die Einladung’, sondern ein ‚Ja, aber’: „Herr, erlaube mir, dass ich zuvor hingehe und meinen Vater begrabe“. Aber Jesus spricht zu ihm: „Lass die Toten ihre Toten begraben, du aber geh hin und verkündige das Reich Gottes!“ Kann das Jesus wirklich gemeint haben? Da stirbt der Vater, und Jesus verwehrt es dem Sohn oder der Tochter, an der Beerdigung des Vaters teilzunehmen? Würde dies nicht der ganzen Verkündigung Jesu widersprechen? Jesus heilte Kranke, tröstete Trauernde. Unmöglich, dass Jesus Angehörige daran hindern wollte, dem Vater oder der Mutter die letzte Ehre zu erweisen. Seine Antwort bestätigt dies: „Lass die Toten ihre Toten begraben, du aber geh hin und verkündige das Reich Gottes”. Die Toten können nicht Tote begraben. Jesus antwortet bildhaft. Nicht die leibliche, sondern die geistliche Verwandtschaft spricht er an. Es ist die Frage, wessen Geistes Kind der Mensch ist. Gott, so betont Jesus mit seiner Bildrede, ist das Leben, die Lebendigkeit, die Quelle allen Lebens, der gute Geist.

Die anderen „Geister“ dagegen, die Besitz vom Menschen ergreifen, ihn sogar gegen sich und andere aufhetzen können, sind „Totengeister“. Sie breiten sich aus, verbunden mit Machtgier, Lüge, menschenverachtender Gewalt, Terror, Krieg. Sie lassen die Lebendigkeit Gottes in den Menschen sterben, machen sie gleichsam zu todbringenden oder lebendigen Toten. Mensch, verlass ihr Totenhaus, weine und trauere nicht um sie, sondern gehe hin und verkündige das Reich Gottes. Denn in diesem Reich sind jene Kräfte zu Hause, die helfen, Todbringendes zu überwinden und sich dem Leben zuzuwenden. „Lass die Toten ihre Toten begraben; du aber geh hin und verkündige das Reich Gottes!“

Ähnlich antwortet Jesus der dritten Person, die ihm nachfolgen will, sich aber zuvor von ihrer Familie verabschieden möchte: „Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes“. Jesus sucht bei den Menschen, die ihm nachfolgen, mit ihm gehen wollen, nicht halbherzige, sondern ungeteilte Hingabe für das Reich Gottes, „von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft“ (5.Mose 6,4). Ihre Begeisterung soll kein Strohfeuer und ihre Zurückhaltung kein Sich-Verschließen sein. Jesus kann ihnen kein Leben ohne Leid versprechen, keinen Lohn auf Erden. Es kann sein, dass sie sich nach den Gruben der Füchse oder den Nestern der Vögel sehnen, weil sie sich auf einmal heimatlos fühlen oder ihnen buchstäblich der Boden unter den Füßen weg gezogen wird. Jesus selbst, dem sie sich aus Überzeugung anschließen, kann der Grund sein. Mit ihm gehen, ihm nachfolgen, hat Konsequenzen für ihr Leben. Seiner Lehre zu vertrauen, sich an seinem Leben zu orientieren, ist heute leicht, morgen schwer. „Aber der Menschensohn hat nichts, wo er sein Haupt hinlege“, sprach Jesus zu dem Menschen, der sich mit ihm auf den Weg durch Galiläa begeben wollte. Wir heute schauen auf den Jesus, den Menschensohn und seit Ostern den Gottessohn. Wir sehen ihn jetzt im Licht des Reiches Gottes, das „nicht von dieser Welt“ ist. Auch für unser Leben ergibt sich eine neue Sichtweise. Wir sehen einen Unterschied zwischen Leben und Leben. Leben ist mehr, mehr als was wir vor Augen haben.

Orgelchoral: „Bei dir, Jesu, will ich bleiben“ (EG 406)

Der Sonntag Oculi, dem das Bibelwort dem Kirchenjahr entsprechend zugeordnet ist, lädt ein, die Augen auf Gott und sein Reich zu richten: „Meine Augen sehen stets auf Gott…” (Psalm 25,15). Mit Jesus Hand an den „Pflug des Lebens” zu legen und das Reich Gottes in Wort und Tat zu verkündigen, stellt vor kein unerfüllbares Ideal. Jesus ermutigt, mit ihm das Ziel im Blick zu behalten, gegen alle Widrigkeiten „die Flucht nach vorne anzutreten“, an sich selbst und für diese Welt zu arbeiten, damit sie so wird, wie Gott sie gewollt hat, eine Welt in Gerechtigkeit, Liebe und Frieden.

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