Frucht
Bereit zu geben, zu verzichten, zu teilen
Predigttext: Johannes 12,20-26 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
20 Es waren aber einige Griechen unter denen, die heraufgekommen waren, um anzubeten auf dem Fest.
21 Die traten zu Philippus, der von Bethsaida aus Galiläa war, und baten ihn und sprachen. Herr, wir wollten Jesus gerne sehen.
22 Philippus kommt und sagt es Andreas, und Philippus und Andreas sagten’s Jesus weiter. 23 Jesus aber antwortete ihnen und sprach: Die Zeit ist gekommen, dass der Menschensohn verherrlicht werde.
24 Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht.
25 Wer sein Leben lieb hat, der wird’s verlieren, und wer sein Leben auf dieser Welt hasst, der wird’s erhalten zum ewigen Leben.
26 Wer mir dienen will, der folge mir nach; und wo ich bin, da soll mein Diener auch sein. Und wer mir dienen wird, den wird mein Vater ehren.“
Zur Exegese des Predigttextes
„Das Verherrlichtwerden Jesu, das besteht in dem Hinausgeworfenwerden des Fürsten dieser Welt und in der Befestigung der Herrschaft Jesu Christi über alle Mächte und Gewalten, ist … ein heilsgeschichtliches Geschehen.“ (S.228) „Das Bildwort vom ersterbenden Weizenkorn… will in diesem Zusammenhang überhaupt keine allgemeine Wahrheit aussagen. Das Bildwort ist hier allein und ausschließlich auf Jesus Christus, auf sein Sterben und die Frucht seines Sterbens bezogen und will dies sagen: Der Tod Jesu, sein ‚Gehen‘, ist die Vollendung seines in seinem ‚Kommen‘ begonnenen, ihm von Gott aufgegebenen ‚Werkes‘.“ (S. 229), Predigt-Meditation von Hermann Diem in: „Herr tue meine Lippen auf“, hg. v. Georg Eichholz, Bd. 3, 2.Aufl., Wuppertal Barmen 1964, S. 225-232.
Lieder
"Die Sach ist dein, Herr Jesus Christ"(EG 512)
"Nun gehören unsre Herzen" (EG 93)
Bei diesen sieben Versen mitten in Joh 12 geht es erstens um ein In-sich-hinein, zweitens um ein Von-sich-weg und drittens um ein Für-andere-da-sein.
In-sich-hinein
Der weiteste Weg, den ein Mensch gehen kann, ist der Weg in sich hinein, hat jemand gesagt. Wir lernen unser Leben lang nicht an dem aus, was sich in uns abgelagert hat und was in uns aufkeimt. Wie kommt es hier in Joh 12 dazu, dass Menschen in sich hinein gehen und dann ihre Sehnsüchte offenbaren? Diesen Versen im Johannesevangelium gehen Ereignisse voraus, die aufhorchen lassen. Jesus weckt den Lazarus auf. Am Schluss heißt es: „Viele nun von den Juden … glaubten an ihn.“ (Joh 11,45) Jesus zieht in Jerusalem ein; die Menschen strömen zusammen und jubeln ihm zu. Da sagen die Pharisäer untereinander: „Siehe, alle Welt läuft ihm nach!“ (V.19)
Jetzt tauchen auch noch Menschen aus der Weite der griechischen Welt in Jerusalem auf, wahrscheinlich sogenannte Gottesfürchtige, Griechen, die irgendwo in den griechischen Städten rund um das Mittelmeer zu Freunden der jüdischen Synagogengemeinden geworden waren. Sie kamen nach Jerusalem, um hier das Passahfest mitzufeiern. Nun sind sie neugierig und suchen Jesus. Das ist der Mann, der nach seinen Predigten und Wundern zur Sensation des Festes zu werden verspricht.
Es ist ein Zeichen von Lebendigkeit, zu fragen, zu suchen und zu forschen. Man muss in sich hinein gehen und schauen: Was habe ich verstanden, und was verstehe ich bisher noch nicht? Welche Überzeugungen drängen andere mir auf, und wo möchte ich selbst Klarheit haben? Was habe ich in meinem Leben bisher erfahren, und worauf brauche ich, ich persönlich, Antworten? Wir haben unsere Gemeindehäuser, damit wir uns dort um einen Tisch setzen können. Und dann dürfen die Fragen ausgesprochen werden, die wir aus unserem Alltag mitbringen. Und wir wollen die Bibel aufschlagen und dann über die Fragen sprechen, die uns beim Lesen der Bibel kommen. Hier, zwei Dörfer weiter, in der Kirche von Hartum gibt es die runden Kirchenfenster mit den Köpfen der zwölf Apostel. Wenn ich dort am Altar stehe, weiß ich: Hier oben rechts ist das Bild des Thomas, der mehrmals seine Zweifel äußert. Er sagt, was er denkt. Er wagt es, auszusprechen, was in ihm gärt, auch wenn er sich dabei blamieren sollte. Die griechischen Festpilger hier in Joh 12 tun es auch. Beherzt wenden sie sich an Philippus, einen der Jünger Jesu, und sagen: „Wir wollen Jesus gerne sehen.“ Auch wir wollen verstehen, was in diesem Mann steckt. Philippus braucht Verstärkung und wendet sich an einen der anderen Jünger, an Andreas. Und Andreas sagt es Jesus weiter. Es ist wie bei einer Kettenreaktion. Jetzt sind sie bei der richtigen Adresse. Wie wird Jesus jetzt reagieren?
Von-sich-weg
Jesus reagiert eigenartig. Wenn man genau hinsieht, lässt er die Griechen stehen. Er scheint gar nicht auf sie einzugehen. Er hätte seine Zuhörerschaft deutlich vergrößern können. Er hätte einen großen Erfolg verbuchen können. Aber die Griechen werden noch nicht einbezogen. Später am Pfingsttag, sieben bis acht Wochen später, als der Heilige Geist über die Jünger ausgegossen wird, da sind Griechen mitten in dem Geschehen dabei, Menschen aus Kappadozien und Phrygien, aus Pamphylien und Libyen, aus Rom und Kreta. Jetzt scheinen sie links liegen gelassen zu werden. Jesus leitet seine Jünger und alle, die ihm zuhören, an, von sich weg zu sehen. Es ist wichtig, in sich hinein zu gehen, und es tut gut, von sich weg zu sehen.
Jesus sagt: „Die Zeit ist gekommen, dass der Menschensohn verherrlicht werde.“ Mit diesem wunderschönen Wort „verherrlicht“ fasst die Sprache des Johannesevangeliums zusammen, in welcher Weise Jesus gekreuzigt und so erhöht werden wird und stirbt, und in welcher Weise er von Gott auferweckt wird und gen Himmel fährt. So stellt Gott selbst die Einzigartigkeit Jesu Christi heraus.Und dann prägt Jesus eins der schönsten Bildworte der Bibel: „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht.“ Jesus spricht über sein Geschick, über den Weg, den Gott ihn führt. Jesus will jetzt nichts anderes, als seinem Vater im Himmel treu sein. Er greift zurück auf einen Vorgang, den jedes Kind jedes Jahr damals auf den Feldern rund um die Städte und um Dörfer vor Augen hatte. Es ist ein Bild, das jeder heute kennt, der mit seinem Garten rund um sein Haus lebt. Ebenso jeder, der selbst Landwirt ist oder doch zumindest wie wir hier auf den Dörfern Landwirte beim Aussäen und Ernten beobachtet. Landwirte leben für den Samen, mit dem Samen und von dem Samen. Jeder weiß um dies Geheimnis des Samens und der Frucht, der selbst in eins der vielen Gartencenter geht, die es hier in dieser Gegend gibt. Blumensamen, Getreidekörner und Saatkartoffeln zerfallen in der Erde, verfaulen und vergehen. Aber dann gehen sie auf. Ich besuchte einmal einen älteren Mann. Seine Frau war gestorben und sollte jetzt beerdigt werden. Er erzählte von ihrem Leben, von ihrer Krankheit und von ihrem Sterben. Dann las ich ihm diesen Satz aus dem Johannesevangelium vor, und er horchte auf. Da wird etwas ausgesagt, das ihm half, den Tod seiner Frau zu verstehen und zu deuten.
Aber es ist wichtig, dass Jesus zunächst und vor allem sich selbst meint. In ihm ist die Liebe und Barmherzigkeit Gottes Mensch geworden, Mensch aus Fleisch und Blut, hier in den Niederungen unserer Welt. Gott hat die Vergänglichkeit, den Zwiespalt des Lebens, die Schuldverstrickung des Menschen auf sich genommen. Er hat sich von den Menschen kreuzigen lassen und ist gestorben. Vor etwa vierzehn Tagen hörte ich hier in einem Gemeindehaus einen Vortrag von einem muslimischen Professor über die Barmherzigkeit Allahs; er sprach von der Kanzel eines für den Gottesdienst eingerichteten Raumes; etwa achtzig Menschen hörten ihm zu und klatschten ihm am Ende fast frenetisch Beifall. Aber unter uns Christen ist die Barmherzigkeit nicht nur eine Eigenschaft Gottes und ein Begriff in der Bibel. Barmherzigkeit Gottes heißt: Gott hat sich auf ein Leben mit uns Menschen eingelassen, als Jesus im Stall von Bethlehem geboren wurde und auf Golgatha starb. Im Stall von Bethlehem, in der Krippe lag nicht ein Begriff, sondern ein Mensch, ein Kind. So tief ist Gott zu uns Menschen herunter gekommen. Zu seiner Größe und Herrlichkeit gelangt Jesus nicht dadurch, dass er Erfolg um Erfolg verbucht. Er wird dadurch verherrlicht, dass er am Kreuz stirbt. Unsere Welt hat sich grundlegend dadurch verändert, dass Gott seinen geliebten Sohn am Kreuz sterben ließ und dann von den Toten auferweckte. Das bedenken wir Christen jetzt in der Passionszeit und dann am Osterfest.
Für-andere-da-sein
Aus einem Weizenkorn wird nur dann ein neuer Keim tief in der Erde, ein neuer Halm und eine Ähre, wenn es in die Ackerfurche geworfen und wenn es von der Erde überdeckt wird. Da im Verborgenen der Erde muss es zerfallen; erst dann keimt es in dem Samenkorn, und dann wächst neues, ewiges Leben. Gottes Heilswerk für uns Menschen wurde vollendet, als Jesus am Kreuz sagte: „Es ist vollbracht!“ oWohl dem, der aus dem Schlamassel seines Lebens von sich weg auf diesen Jesus schaut. In meiner Vikariats-Gemeinde sprach man vom Tatsachenevangelium. Lange bevor wir es fassen und glauben können, hat Gott alles zu unserem Heil getan. Das Wort vom Weizenkorn markiert den Tiefpunkt und den Höhepunkt in der Heilsgeschichte Gottes. Mit dem Bild vom sterbenden und fruchtbringenden Weizenkorn lockt Jesus uns Menschen, auf ihn zu sehen und sich an ihn zu halten. Jetzt, wenn wir dies zu Herzen genommen und begriffen haben, gibt es das dritte: Nun gilt es, für andere da zu sein. Jesus sagt, und damit weist er uns in seiner Nachfolge den Weg: „Wer sein Leben lieb hat, der wird’s verlieren; und wer sein Leben auf dieser Welt hasst, der wird’s erhalten zum ewigen Leben.“ (V.25)
Wer in seinem eigenen Leben mitbekommen hat, wie lieb und barmherzig Gott mit ihm umgeht, der kann auch mit anderen Menschen barmherzig umgehen. Er macht sich nicht nur seine eigene Not bewusst; er kann sich auch die Not des anderen zu Herzen gehen lassen. Dann wird er bereit, abzugeben, zu verzichten und zu teilen. Wer in Bezug auf seine Schuld Vergebung erfahren hat, der kann auch anderen verzeihen. Er weiß, was es Jesus gekostet hat, für seine Schuld zu bezahlen. So ist er bereit, dem anderen zu vergeben, ganz gleich was es ihn kostet. Er ist in Bezug auf das Wirken des Heiligen Geistes in ihm und um ihn herum hellwach und lässt sich von ihm bewegen. Wenn sich ein Arztbesuch an den anderen reiht, wenn wir gebrechlich werden, wenn sich Pflegebedürftigkeit einstellt, Gott geht mit uns. Mir ist einmal das Wort des Paulus aufgefallen: „Wenn auch unser äußerer Mensch verfällt, so wird doch der innere von Tag zu Tag erneuert.“ (2. Kor 4,16) Ein katholischer Priester besucht in einem Krankenhaus einen sterbenskranken Mann. Das ganze äußere Elend und die innere Not dieses Mannes brechen im Gespräch zwischen diesen beiden Männern hervor. Da weist dieser Mann hin auf das Kruzifix an der Wand über ihm und sagt: „Aber der versteht mich!“ Ja, Jesus am Kreuz versteht uns, gerade in den tiefsten Nöten.
Wer sich vor Augen führt, in welcher einzigartigen Weise sich Jesus zu uns herunter gebeugt hat, der bekennt sich mitten in unserer Welt zu Jesus in seiner Einzigartigkeit. Auch wenn er wegen seines Glaubens durch ihm nahe und ihm fernstehende Menschen belächelt, belauert und verfolgt wird. Wir bekommen mit, wie bei uns die Zahl der Christen schrumpft; aber wir sehen, wie in anderen Erdteilen, in Lateinamerika, in Afrika und in Asien die Zahl und die Größe der Christengemeinden wächst. Dort ausgestreuter Same geht auf. Wir wollen uns freuen über die Nachrichten aus der Dritten Welt, und wir wollen hoffen, dass unsere Gemeinden wieder wachsen und gedeihen.
Sehr überzeugend schließt Pfarrer Frische den Text auf durch die Gliederung in drei Abshnitte. Im ersten Teil des Predigttextes geht es darum, in sich hinein zu sehen. Dazu spricht der Pfarrer über die Sehnsucht der Griechen, Jesus zu erkennen. Lazarus war auferweckt worden und viele Juden glaubten an Jesus. Jetzt spürten auch Griechen eine Sehnsucht in ihrem Herzen, Jesus zu sehen und zu sprechen. Sie sind ja sogenannte Gottesfürchtige, die sich aus der genialen, gebildeten philosophischen und religiösen Welt der Griechen schon dem einen Gott der Juden zugewanndt haben. Jetzt wollen sie dzrch Jesus das Entscheidende über Gott erfahren: sein Kommen zu uns durch Jesus. Jesus aber wendet sich nach dem zweiten Predigtabschnitt erstmal von ihnen ab. Mit Hilfe des Symbols Weizenkorn spricht er von seiner Verherrlichung, d.h. seiner Kreuzigung und Auferstehung. Pfingsten werden dann auch Griechen zu seiner Gemeinde gehören. Moslems sprechen zwar auch von der Barmherzigkeit Gottes. Aber durch Kreuzigung und Auferstehung Jesu zeigt Gott seine Barmherzigkeit so konkret wie nirgends. Im dritten Predigtabschnitt geht es um die Konsequenz daraus, für andere da zu sein: das Weizenkorn, das sich aufopfert, bringt reiche Frucht.( Heute zwar weniger in Deutschland als in der weiten Welt.) – Eine sehr gut aufgebaute und verständliche Predigt mit schönen Beispielen und Erläuterungen, welche beim Hörer vermutlich reiche Früchte des Glaubens tragen wird.
Gut, dass die Hörer / Hörerinnen aufgefordert werden, sich zu Jesus zu bekennen. Aber was würde “Leben verlieren” und “nachfolgen” für sie bedeuten können?