Gründonnerstag – Umfassende Liebe
Menschlicher Überlebenswille und göttliche Planung
Predigttext: Johannes 13,1-15 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
1 Vor dem Passafest aber erkannte Jesus, dass seine Stunde gekommen war, dass er adsus dieser Welt ginge zum Vater; und wie er die Seinen geliebt hatte, die in der Welt waren, so liebte er sie bis ans Ende
2 Und beim Abendessen, als schon der Teufel dem Judas, Simons Sohn, dem Iskariot, ins Herz gegeben hatte, ihn zu verraten,
3 Jesus aber wusste, dass ihm der Vater alles in seine Hände gegeben hatte und dass er von Gott gekommen war und zu Gott ging,
4 da stand er vom Mahl auf, legte sein Obergewand ab und nahm einen Schurz und umgürtete sich.
5 Danach goss er Wasser in ein Becken, fing an, den Jüngern die Füße zu waschen, und trocknete sie mit dem Schurz, mit dem er umgürtet war.
6 Da kam er zu Simon Petrus; der sprach zu ihm: Herr, solltest du mir die Füße waschen?
7 Jesus antwortete und sprach zu ihm: Was ich tue, das verstehst du jetzt nicht; du wirst es aber hernach erfahren.
8 Da sprach Petrus zu ihm: Nimmermehr sollst du mir die Füße waschen! Jesus antwortete ihm: Wenn ich dich nicht wasche, so hast du kein Teil an mir.
9 Spricht zu ihm Simon Petrus: Herr, nicht die Füße allein, sondern auch die Hände und das Haupt!
10 Spricht Jesus zu ihm: Wer gewaschen ist, bedarf nichts, als dass ihm die Füße gewaschen werden; denn er ist ganz rein. Und ihr seid rein, aber nicht alle.
11 Denn er kannte seinen Verräter; darum sprach er: Ihr seid nicht alle rein.
12 Als er nun ihre Füße gewaschen hatte, nahm er seine Kleider und setzte sich wieder nieder und sprach zu ihnen: Wisst ihr, was ich euch getan habe?
13 Ihr nennt mich Meister und Herr und sagt es mit Recht, denn ich bin's auch.
14 Wenn nun ich, euer Herr und Meister, euch die Füße gewaschen habe, so sollt auch ihr euch untereinander die Füße waschen.
15 Ein Beispiel habe ich euch gegeben, damit ihr tut, wie ich euch getan habe.
Vorbemerkungen zum Predigttext
Es ist mir wichtig, gleich zu Beginn der Predigt den Konflikt zwischen dem menschlichen Überlebenswillen und göttlicher Planung aufzunehmen und an der souveränen Sicht, wie sie Jesus eigen ist, für uns fruchtbar machen. Auf das Ritual der Fußwaschung gehe ich nur kurz ein. Diese im Orient wichtige Sitte hat bei uns keinen Sitz im Leben. Der Gemeinde möchte ich aber ihre Bedeutung für die damalige Zeit nahe bringen und herausstellen, wie einzigartig das Handeln Jesu ist, wie Anstoß erregend für die Jünger und wie es gleichzeitig auf sein Erlösungswerk hinweist. Zum dritten nehme ich den anschließenden Kontext, die Mahlfeier, in die Predigt auf. Die Geste, mit der Jesus seinen Verräter outet, ist außerordentlich und nur bei Johannes bezeugt. Jesus reicht dem Judas einen Bissen und sendet damit ein erstaunliches Signal der Sympathie aus. Die Deutung, die ich damit verbinde: Die Liebe des Herrn umfasst auch den, der sie nicht verdient hat. Hoffnung für den Verräter und für uns alle.
Immer wieder hat Jesus in den letzten Wochen seines irdischen Lebens die Jünger darauf vorbereitet, dass ein schwerer Weg vor ihm liegen würde, mit Leiden verbunden und mit seinem Tod am Kreuz endend. Aber immer hat er damit auch die Gewissheit verknüpft, dass er in ein neues Leben eintreten werde. So auch an diesem letzten Abend, den er mit seinen Jüngern verbringt. Da heißt es: „Jesus erkannte, dass seine Stunde gekommen war, dass er aus dieser Welt ginge zum Vater.“ Und weiter: „Jesus aber wusste, dass ihm der Vater alles in seine Hände gegeben hatte und dass er von Gott gekommen war und zu Gott ging.“ Diese positive Sichtweise ist für Jesus typisch. An anderer Stelle sagt er: „Der Menschensohn muss leiden und sterben, aber am dritten Tage wird er auferstehen.“
Die Jünger konnten lange Zeit mit dieser Lebensdeutung ihres Herrn wenig anfangen. Besonders die Ansage, dass das Leiden und Sterben unausweichlich ist, hat sie verstört. Einmal brauste Petrus auf und rief: „Herr, das widerfahre Dir nur nicht!“ Das war gut gemeint, zeigte es doch seine Sorge um Jesus, war Ausdruck seiner Liebe und Verehrung. Wir können das gut verstehen, weil wir doch auch froh und dankbar sind, wenn dunkle Tage, die das Schicksal in Gestalt von Krankheit, Gebrechen und dem Sterben bereit hält, möglichst an uns vorübergehen.
Wir möchten doch auch lieber über die Höhen des Lebens schreiten als dunkle Täler durchwandern zu müssen, selbst wenn wir um den Trost wissen, der uns dann begleitet und die Hoffnung auf ein Leben in der Ewigkeit uns im Glauben stärkt. „Herr, das widerfahre Dir nur nicht.“ Wie hat diese Art von Liebesbeweis und rührender Fürsorge auf Jesus gewirkt? Ich vermute, das war für ihn eine ernste Anfechtung. Die Aussicht, ein schönes, erfülltes, gesegnetes Leben weiterführen zu können, die Möglichkeit, dem Leiden und dem Tode noch einmal zu entkommen, das war auch für Jesus, der das Leben liebte und Freude daran hatte, eine ernstzunehmende Versuchung. Ihr nachzugeben kam nicht in Frage. Damit würde der Heilsplan Gottes, den er zu erfüllen hatte, ins Wanken geraten. Das war gefährliches Gelände. Darum fiel seine Antwort auch so schroff, so unfreundlich, so kompromisslos, so wenig verständnisvoll aus. „Weiche von mir Satan, du meinst nicht was göttlich ist, sondern was menschlich ist.“ So weist er Petrus zurecht.
Nicht nur Judas ist unter den negativen Einfluss Satans geraten. Auch Petrus, der Jesus sehr nahe stand, ist ihm auf den Leim gegangen. Darum musste er harsche Kritik hinnehmen und sich gefallen lassen, als „Satan“ bezeichnet zu werden. Das macht uns nachdenklich: Kann es sein, dass unsere Fürsorge, unsere Freundlichkeit, unser Wohlwollen, ja sogar unsere Liebe – das alles sind ja Prinzipien christlichen Glaubens und Handelns, zuweilen mit Gottes Plänen nicht übereinstimmen? Müssen wir nicht auch in diesem Punkte mehr darauf achten, so wie Jesus es vorgemacht hat, unsere wohlmeinenden Vorstellungen, guten Ratschläge, fürsorgliches Handeln, mit den Vorstellungen Gottes abzugleichen? „Nicht mein, sondern Dein Wille geschehe“, so hat Jesus später den Konflikt zwischen seinem verständlichen Wunsch nach einem gelingenden irdischen Leben und dem Willen Gottes, einen bitteren Tod zu erleiden, im Glauben aufgelöst. Es ist gut, und wir sind reich gesegnet, wenn wir Jesus auch in dieser Hinsicht nachfolgen und unser Leben mit all seinen Höhen und Tiefen, mit den glücklichen Tagen und den dunklen Stunden in Gottes Hände legen.
Auch in dem heutigen Predigtext wird deutlich, wie intensiv Jesus seine Augen in die jenseitige Welt gerichtet hat. Er hat den geistlichen Durchblick. Er behält die Übersicht. Er redet und handelt aus göttlicher Perspektive. Er weiß um seine Berufung. Er kennt seinen göttlichen Status. Er bildet mit dem himmlischen Vater eine unauflösliche Einheit. Er hat mit ihm den Grund der Welt gelegt. Und dieser Urgrund ist unendliche Liebe. Das gilt trotz Unglück und Katastrophen, trotz der Macht des Bösen, trotz Krankheit, Leid und Tod. Diese Liebe ist bereits in der Schöpfung eingeplant. Sie leuchtet während der Heilsgeschichte immer wieder auf, bricht sich auch heute überraschende Bahnen inmitten mörderischer Auseinandersetzungen zwischen Menschen und Völkern, Sie wurde in der Geschichte Israels immer wieder erahnt, geglaubt, erhofft und proklamiert.
Die klarste und schönste Offenbarung vollzieht sich durch Jesus, wenn er sich den Kranken, den Elenden, den Sündern, den Todgeweihten zuwendet und findet seinen Höhepunkt angesichts des Todes am Kreuz in dem erlösenden, deutenden und klärenden Wort „Es ist vollbracht!“ Ja, das Heilswerk ist vollbracht. Es gilt der Welt, es gilt der Kreatur, der Schöpfung und allen Menschen. Diese göttliche Liebe dürfen die Jünger an diesem Abend, an dem aus menschlicher Sicht Abschied genommen wird, in besonderer Weise erfahren. Noch einmal werden sie von ihrem Herrn bewirtet. Die Stimmung ist ernst. Sie wird besonders durch die Anwesenheit des Judas, der den Verrat an Jesus bereits verabredet hat, getrübt. Jesus hat klare Worte für ihn: Satan hat von ihm Besitz ergriffen. Und dann gibt es Worte, die klingen verständnisvoll: Judas ist auch ein Werkzeug, das benutzt wird, damit das Heilsgeschehen vollendet werden kann.
Beim gemeinsamen letzten Mahl spricht Jesus vom Verräter, aber seinen Namen nennt er nicht. Die Jünger sind verunsichert. Wem traut man eine solche Schandtat zu? Der Jünger Johannes bekommt Antwort, und die ist erstaunlich: „Es ist der, dem ich den Bissen eintauche und gebe.“ Das erzählt in dieser Form nur das Johannesevangelium. Dazu muss man wissen, dass der Raum, in dem dieses Mahl stattfand, mit einem Lager aus bequemen Polstern eingerichtet war. Mittelpunkt war ein niedriger Tisch, auf dem das Essen angerichtet wurde. Meist gab es, so wohl auch an diesem Abend, einen Fleischeintopf, dazu Früchte, z.B. Datteln, Oliven und Weintrauben. Man trank einfachen Wein, den man mit Wasser verdünnte. Nach Landessitte legte man sich auf die flachen Polster und stützte sich auf dem linken Arm ab und hatte die rechte Hand frei, um an das Essen zu kommen. Stücke vom Fladenbrot tauchte man in die Schüssel und löffelte damit auch das Fleisch heraus. Wenn man jemandem einen freundlichen Gruß zukommen lassen wollte, machte man einen solchen Bissen fertig und reichte ihn dem Betreffenden herüber.
So hält es Jesus mit Judas. In dieser Weise macht er ihn als seinen Verräter kenntlich. Er zeigt nicht mit dem Finger auf ihn und ruft: „Das ist der Schuft, der den Menschensohn verrät.“ Er verweist ihn auch nicht des Raumes. Das wäre menschlich gesehen doch nahe liegend gewesen. Er lässt Judas nicht nur an diesem Abendessen teilnehmen, sondern begegnet ihm mit einer unglaublich liebenswürdigen, freundschaftlichen Geste. Sie ist für mich der Höhepunkt dieses letzten Mahles. Erinnert das nicht an die Worte, die uns beim Abendmahl zugesprochen werden: „Christi Leib für dich gegeben.“? So unendlich groß ist die Liebe des Gottessohnes, dass sie sogar noch den, der ihn verrät und seinen Tod herbeiführt, umfängt. Hat Judas davon etwas gespürt? Ich glaube, er hat diese liebevolle Zuwendung empfunden. Das hat an ihm gearbeitet, hat in ihm jene Reue ausgelöst, die ihn dazu bewegte, das Geld, das der Verrat ihm eingebracht hatte, zurückzugeben. Schade, dass er die Vergebung, die Jesus auch für ihn bereithielt, nicht annehmen wollte. Und dennoch dürfen wir damit rechnen, dass die Liebe Jesu auch in der Umnachtung seines Gemütes ihren Weg zu ihm gefunden hat.
Während dieses Abendessens wäscht Jesus seinen Jüngern die Füße, auch dem Judas. Da stutzen wir: Sollten die Füße nicht vor dem Essen die Füße gewaschen werden? Nun, es waren dafür keine entsprechenden Dienstboten anwesend. Wasser stand aber bereit. Da haben die Jünger wohl etwas nahe Liegendes verschlafen. Oder lag es daran, dass sie zu stolz waren, einen so verachtenswerten Dienst zu tun, den man üblicherweise Sklaven oder anderem niedrigen Dienstpersonal auftrug? Eine merkwürdige Einstellung: Lieber mit stinkenden und dreckigen Füßen, an denen noch der Unrat der Straßen klebte an einem wichtigen Abendessen teilnehmen, als sich oder untereinander die Füße reinigen und erfrischt und sauber an der Tafel zu erscheinen. Da ergreift Jesus die Initiative. Er übernimmt diesen Dienst, für den sonst nur gesellschaftlich unten Stehenden zuständig waren und den die Jünger wohl empört von sich gewiesen hätten, wären sie darum gebeten worden. Jesus ist sich nicht zu schade dafür. Im Gegenteil. Es ist erneuter Ausdruck seiner Berufung, Menschen zu helfen, sie zu retten und zu reinigen. Und dann folgt eine klare Ansage:
„Wenn nun ich, euer Herr und Meister, euch die Füße gewaschen habe, so sollt auch ihr euch untereinander die Füße waschen. Ein Beispiel habe ich euch gegeben, damit ihr tut, wie ich Euch getan habe.“ Da erklingt eine neue Melodie. Gewiss, das Judentum kannte auch das Gebot der Nächstenliebe, aber in Fällen wie diesem galten die alten Ordnungen und Gewohnheiten. Jesus durchbricht dieses Schema und stellt neue Regeln auf. Sie sind radikaler und atmen den Geist seiner hingebungsvollen, dienenden und rettenden Liebe, zu der auch alle seine Nachfolger berufen sind. Darum ist das Kreuz, an dem Jesus ein paar Stunden später starb, ein positives Symbol des Glaubens. Von hier geht ein frischer Lebensatem aus. Der dienende und leidende Menschensohn erfährt hier seine Rechtfertigung und Verherrlichung. Später schreibt Johannes, vielleicht in Erinnerung an diesen besonderen Abend: „Das Blut Jesu Christi, seines Sohnes, macht uns rein von aller Sünde.“ (1. Joh. 1,7) Er hat Recht. In Jesus offenbart sich die erlösende Kraft, mit der Gott unsere verlorene, verdorbene und sündige Welt, durchdringt. Hier werden auch wir in den Strom der unendlichen Liebe unseres Erlösers hinein genommen und selber zur Liebe untereinander befähigt. Dazu bietet die Welt und unser persönliches Umfeld mehr als reichlich Gelegenheit, und wir werden ermutigt, uns daran mit unseren Möglichkeiten zu beteiligen in dem Sinne, wie Zinzendorf es in Worte gefasst hat:
Liebe, hast Du es geboten,
dass man Liebe üben soll.
O so mache doch die toten,
trägen Geister lebensvoll:
Zünde an die Liebesflammen,
dass ein jeder sehen kann:
Wir als die von einem Stamme
stehen auch für einen Mann.
Mit bemerkenswert warmherziger und verständlicher Sprache und mit prägnanten, meist kurzen Sätzen predigt Pastor Krüger über die Fußwaschung Jesu. Jesus wusste, das ein schwerer Weg vor ihm liegen würde. Aber er behielt seine positive Sichtweise durch den Glauben an Gott. Die Jünger konnten das unausweichliche Leiden Jesu nicht verstehen. Jesus liebte das Leben. Dem Weg in den Tod auszuweichen, war auch für ihn eine Versuchung des Satans. Judas und Petrus gerieten unter dessen teuflischen Einfluss und wurden von Jesus barsch zurückgewiesen. Jesus und wir sind reich gesegnet, wenn wir in glücklichen Tagen und in den dunklen Stunden unser Leben in Gottes Hände legen. Sehr tiefsinnig und heute zu wenig gepredigt ist Pastor Krügers Erinnerung daran, dass Jesus schon – mit Gott eins – bei der Schöpfung die Liebe bis zum Kreuz mit Vergebung der Sünden und zur Auferstehung und zum ewigem Leben eingeplanzt hatte. Beim Abendmahl am Gründonnerstag lässt Jesus den Sünder und Verräter Judas mitessen. Er wäscht allen Jüngern die Füße – ein Zeichen seiner Liebe wie das Kreuz. Das Blut Jesu macht uns rein von aller Sünde. Wir werden damit in den Strom der unendlichen Liebe hineingenommen und selber zur Liebe untereinander befähigt. – Den Kommentar konnte ich einfach verfassen, indem ich zur verständlichen und seelsorgerlich geschriebenen Predigt die wichtigsten Gedanken hervorgehoben und sozusagen unterstrichen habe.