Karfreitag – Aufschrei und Hoffnung

Bis heute viele Kreuze, aber das eine Kreuz dazwischen

Predigttext: Johannes 19,16-30
Kirche / Ort: Aachen
Datum: 03.04.2015
Kirchenjahr: Karfreitag
Autor/in: Pfarrer Manfred Wussow

Predigttext: Johannes 19,16-30 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

Da überantwortete er ihnen Jesus, dass er gekreuzigt würde. Sie nahmen ihn aber
und er trug sein Kreuz und ging hinaus zur Stätte, die da heißt Schädelstätte, auf Hebräisch Golgatha. Dort kreuzigten sie ihn und mit ihm zwei andere zu beiden Seiten, Jesus aber in der Mitte. Pilatus aber schrieb eine Aufschrift und setzte sie auf das Kreuz; und es war geschrieben: Jesus von Nazareth, der König der Juden. Diese Aufschrift lasen viele Juden, denn die Stätte, wo Jesus gekreuzigt wurde, war nahe bei der Stadt. Und es war geschrieben in hebräischer, lateinischer und griechischer Sprache. Da sprachen die Hohenpriester der Juden zu Pilatus: Schreib nicht: Der König der Juden, sondern dass er gesagt hat: Ich bin der König der Juden. Pilatus antwortete: Was ich geschrieben habe, das habe ich geschrieben. Als aber die Soldaten Jesus gekreuzigt hatten, nahmen sie seine Kleider und machten vier Teile, für jeden Soldaten einen Teil, dazu auch das Gewand. Das war aber ungenäht, von oben an gewebt in einem Stück. Da sprachen sie untereinander: Lasst uns das nicht zerteilen, sondern darum losen, wem es gehören soll. So sollte die Schrift erfüllt werden, die sagt (Psalm 22,19): »Sie haben meine Kleider unter sich geteilt und haben über mein Gewand das Los geworfen.« Das taten die Soldaten.

Es standen aber bei dem Kreuz Jesu seine Mutter und seiner Mutter Schwester, Maria, die Frau des Klopas, und Maria von Magdala. Als nun Jesus seine Mutter sah und bei ihr den Jünger, den er lieb hatte, spricht er zu seiner Mutter: Frau, siehe, das ist dein Sohn! Danach spricht er zu dem Jünger: Siehe, das ist deine Mutter! Und von der Stunde an nahm sie der Jünger zu sich. Danach, als Jesus wusste, dass schon alles vollbracht war, spricht er, damit die Schrift erfüllt würde: Mich dürstet. Da stand ein Gefäß voll Essig. Sie aber füllten einen Schwamm mit Essig und steckten ihn auf ein Ysoprohr und hielten es ihm an den Mund. Als nun Jesus den Essig genommen hatte, sprach er: Es ist vollbracht!, und neigte das Haupt und verschied.

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Nur eine kurze Notiz! Jesus trug sein Kreuz und ging hinaus zur Stätte, die da heißt Schädelstätte, auf Hebräisch Golgatha. Dort kreuzigten sie ihn und mit ihm zwei andere zu beiden Seiten, Jesus aber in der Mitte. Die Vorgeschichte glauben wir zu kennen. Vielfältig sind die Überlieferungen, die Bilder – gemalt und im Kopf – und die Schmerzen, dir sich in diesen Tag gegraben haben. Auf eine Woche schauen wir zurück, wir nennen sie die – Karwoche. Wenige Tage nur. Jesus zieht in Jerusalem ein. Auf einem Esel. Ein König ohne Land, ohne Macht, ohne Gewalt. Jesus feiert mit seinen Jüngern das Mahl. Sogar mit dem Verräter, seinem Verräter, teilt er das Brot. Judas gehört dazu. Dann sehen wir Jesus im Garten. Jesus ringt mit sich, er ringt mit Gott, er ringt mit seinen Jüngern. Und ist doch ganz allein. Alleingelassen. Dann wird er gefangengenommen – wie ein Schwerverbrecher. Alle Gerichte verurteilen ihn. Mit und ohne falsche Zeugen. Am Ende hören wir den Schrei: Kreuzige ihn! Kreuzige ihn! Hinweg mit ihm!

Aber was – was kennen wir? Den Justizmord – oder, weniger bombastisch, den Justizirrtum? Juristen haben sich dieses Falles auch schon angenommen. Nach welchem Gesetz wurde das Urteil gesprochen? Wie lautet der Tatvorwurf? Wer vertritt die Anklage? Gab es denn keinen Verteidiger? Keinen Fürsprecher?
Aber nicht alles, was von hinten nach vorne neu gelesen wird, ergibt ein Bild. Jesus wird nicht rehabilitiert. Von wem denn auch? Wieviel Unheil schon angerichtet wurde – im Namen eines Volkes, eines Führers, eines Gottes! Recht ist verletzlich, Gerechtigkeit noch mehr. Jesus vertritt in seinem Leben, in seinen letzten Stunden alle Menschen, die – wie er – unter Unrecht leiden, keine Gerechtigkeit erfahren , ohne Fürsprecher alleine gelassen werden. Jedes Kreuz ist ein Aufschrei – und setzt ein Maß. Ob es richtig war, sie aus allen öffentlichen Räumen zu entfernen? Das Kreuz ist eine Provokation. Eine pro-vocatio. Auf gut deutsch: Eine Fürsprache, eine Zusage. Für alle, die mundtot gemacht, zum Schweigen verurteilt, aus dem Leben gerissen werden. Das ist Rebellion! Gegen Willkür, Machtmissbrauch und Angst. Das Kreuz wird zum Zeichen eines neuen Anfangs. Zum Zeichen von Vergebung. Zum Zeichen der Versöhnung. Wo Rache geschworen wird, wächst sich das Unheil immer weiter aus. Wo das Böse mit Bösem bekämpft wird, siegt das Böse. Das Kreuz aber ist keine Spirale. Es wird zum Zeichen der Liebe. In einem neueren Kirchenlied heißt es Holz auf Jesu Schulter, von der Welt verflucht, ward zum Baum des Lebens und bringt gute Frucht. Kyrie eleison, sieh, wohin wir gehn .Ruf uns aus den Toten, lass uns auferstehn.

Nur eine kurze Notiz ! Jesus trug sein Kreuz und ging hinaus zur Stätte, die da heißt Schädelstätte, auf Hebräisch Golgatha. Dort kreuzigten sie ihn und mit ihm zwei andere zu beiden Seiten, Jesus aber in der Mitte. Die Vorgeschichte glauben wir zu kennen. Aber heute, am Karfreitag, sehen wir nicht nur ein verlorenes Verfahren, in dem ein Unschuldiger schuldig gesprochen wird – wir sehen auch, dass Gottes Liebe einer harten Prüfung unterzogen wird. Der härtesten, die es gibt: Jesus stellt sich dem Tod! Vor unseren Augen, in unseren Herzen wachsen Bilder der Liebe, Bilder von Nähe und Zuwendung, von Vertrauen und Geborgenheit, von Schönheit und Offenheit. Es gibt nichts Größeres, als geliebt zu sein – und Liebe zu schenken. Liebe macht mich in Schwäche stark, Liebe trägt mich, wenn ich schuldig werde, Liebe überwindet meine Angst. Liebe lässt mich über Mauern springen, Ketten sprengen, Türme erobern. Dabei ist Liebe selbst so zerbrechlich, so schutzlos, so verloren. Geschichten können wir davon erzählen – Geschichten dürfen wir davon erzählen. Heute! Denn Gott, der von Anfang an Liebe ist, hat seine Liebe dem Tod ausgesetzt – und dabei dem Tod seine letzte Macht genommen. Die Macht über die – Liebe. Immer noch kämpft der Tod dagegen an. Er kann seine Niederlage nicht verwinden. Menschen, die ihm dabei helfen, Angst und Schrecken zu verbreiten, findet er – mal käuflich und gekauft, mal mit blindem Hass und geifernden Mündern. Es gehört viel Mut dazu, dem Tod das ins Gesicht zu sagen. Aber es ist eine ungeheure Befreiung! Und eine Liebeserklärung.

Ob ich das so sagen darf? Ich habe doch auch Angst vor dem Sterben. In meinem Leben habe ich an vielen Stellen gemerkt, wie hilflos und klein ich bin. Aber ist mir geholfen, ist irgendeinem Menschen geholfen, wenn wir – nur hilflos und klein sind? Am Karfreitag, fein verwoben in einem Prozess, der Hilflosigkeit geradezu inszeniert, werden die Machtverhältnisse neu geordnet. Jesus wird hingerichtet – aber die Liebe wird aufgerichtet. Jesus stirbt – aber der Tod verliert seine Macht. Jesus hängt am Kreuz – aber er ist die Mitte. In dem Lied heißt es: Wollen wir Gott bitten, dass auf unsrer Fahrt, Friede unsre Herzen und die Welt bewahrt. Kyrie eleison, sieh, wohin wir gehn. Ruf uns aus den Toten, lass uns auferstehn

Nur eine kurze Notiz ! Jesus trug sein Kreuz und ging hinaus zur Stätte, die da heißt Schädelstätte, auf Hebräisch Golgatha. Dort kreuzigten sie ihn und mit ihm zwei andere zu beiden Seiten, Jesus aber in der Mitte. Die Vorgeschichte glauben wir zu kennen. Aber überrascht nehmen wir schöne Züge in dieser schrecklichen Leidens-, in dieser schrecklichen Liebesgeschichte wahr: Endlich hat Pilatus, höchster Vertreter Roms in Jerusalem, die Traute, Jesus als König zu bezeichnen – wenn auch nur in der Inschrift, die über dem Kreuz hängt. Aber sie wird von allen gesehen – ihr wird widersprochen – aber sie bleibt stehen, schwarz auf weiß, wie ein letztes, trotziges Wort in einem Prozess, in dem viele ihre Gesichter und ihre Unschuld verloren haben: Jesus von Nazareth – König der Juden! Dass sein Reich nicht von dieser Welt ist, hat Jesus vor Gericht bezeugt. Und mit seinem Leben von Anfang an. Es ist Gottes Reich. „Kehrt um, das Reich Gottes ist nahe“ – so haben Menschen Jesus gehört – und verstanden. Es sind Urworte, erste Worte, letzte Worte. König – König Gottes! So ist Jesus in Jerusalem eingezogen. Ohne Land, ohne Macht, ohne Gewalt. Aber mit der Liebe, die zu Gottes Reich gehört, aus seinem Reich kommt, in sein Reich führt. Pilatus, umstritten wie viele seiner Sorte, hat es nicht nur in unser Glaubensbekenntnis geschafft – er hat geschrieben, was wahr ist: Jesus von Nazareth – König der Juden. Pilatus schenkt dem Kreuz ein Bekenntnis.

Ein Blick auf die Soldaten: Sie machen sich über die Kleider Jesu und seinen Rock her. Es ist – Kriegsbeute – oder so was Ähnliches. Letzte Hinterlassenschaften eines Delinquenten, eines Hingerichteten. Aber: der Rock bleibt ganz. Ungeteilt. Nicht verletzt. Nicht auseinandergenommen. Nicht bis zur Unkenntlichkeit zerstückelt. Die Soldaten, sonst nicht zimperlich, lassen etwas ganz! Es ist, als ob die Würde, die Jesus genommen wird, seinem Rock bleibt. Der Rock wird zu einem Symbol, das mitten im Grauen das Leben siegt. Der Rock wird zu einem Symbol der – Liebe. Die Liebe bleibt ganz. Hier, heute unter dem Kreuz. Immer schon haben Christinnen und Christen in diesem Rock auch ein Zeichen gesehen für die Einheit der Kirche, die sich mutig auf die Seite der Schwachen stellt, ihnen eine Stimme gibt, für ihr Recht und ihre Würde kämpft. Im 22. Psalm – dem Klagepsalm Jesu – heißt es: »Sie haben meine Kleider unter sich geteilt und haben über mein Gewand das Los geworfen.« Dass der Rock ganz bleibt, ganz bleiben wird, ist eine Verheißung, die in Erfüllung geht.

Am Ende schauen wir auf zwei Menschen. Stellvertretend für die vielen Menschen, denen eine neue Zukunft geschenkt wird. Maria, Jesu Mutter, bekommt einen Sohn – und Johannes, ein Jünger Jesu, bekommt eine Mutter. In dieser – letzten – Stunde bleiben die beiden nicht allein, sie werden nicht alleingelassen. Sie werden einander anvertraut. Übrigens: vor Zeugen! Liebe verwandelt sogar Beziehungen, stiftet neue Verwandtschaft, schenkt neues Leben. Maria soll einen Sohn haben, Johannes eine Mutter. Eine zärtliche Begegnung unter dem Kreuz. Jesus gibt seiner Mutter einen Sohn, Johannes eine Mutter – dann stirbt Jesus. „Und von der Stunde an nahm sie der Jünger zu sich.“ Ein wenig befremdlich ist das für mich schon. Es geht auch so furchtbar schnell. Die beiden, Maria und Johannes, werden nicht einmal gefragt. Aber sie haben jetzt eine gemeinsame Zukunft. Jesus tritt seine Rolle als Sohn ab! Am Kreuz. Noch einmal das Lied: Hart auf deiner Schulter lag das Kreuz, o Herr, ward zum Baum des Lebens, ist von Früchten schwer. Kyrie eleison, sieh, wohin wir gehn. Ruf uns aus den Toten, lass uns auferstehn

Nur eine kurze Notiz ! Jesus trug sein Kreuz und ging hinaus zur Stätte, die da heißt Schädelstätte, auf Hebräisch Golgatha. Dort kreuzigten sie ihn und mit ihm zwei andere zu beiden Seiten, Jesus aber in der Mitte. Zur Vorgeschichte gehört auch:
Ein Co-Pilot verschließt (wenn denn alles stimmt, was ermittelt wird) die Tür hinter sich und fliegt einen Airbus in den Tod. Menschen bleiben hilflos, verängstigt zurück. Aus einem Kühltransporter werden Flüchtlinge geborgen, die von Schleppern in ein falsches Fahrzeug gesetzt werden – sie haben sich mit Klopfzeichen bemerkbar gemacht. Jetzt klopfen sie bei uns an. Im Nahen Osten werden Menschen bedroht und umgebracht. Viele werden um ihres Glaubens willen verfolgt und vertrieben. Sie erwarten Hilfe – aber wir wissen kaum noch, was wir machen können. Wir sehen heute viele Kreuze! Wir sehen Ungerechtigkeit, Rechtlosigkeit und Angst. Aber das eine Kreuz dazwischen, in der Mitte, lässt uns die Liebe sehen. Gottes Reich. Und einen Rock, der nicht zerteilt wird. Karfreitag ist ein Tag der Hoffnung. Still wird er nicht bleiben. Der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn.

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Ein Kommentar zu “Karfreitag – Aufschrei und Hoffnung

  1. Christoph Kühne

    Es sind nur kurze „Notizen“ aus der Kreuzigungsgeschichte, die der Prediger entfaltet und mit den Strophen des Liedes „Holz auf Jesu Schulter“ wunderbar verknüpft, sodass Bilder entstehen, die nachdenklich stimmen:

    Der erste Teil dieser Karfreitag-Predigt mündet in dem Gedanken: „Jedes Kreuz ist ein Aufschrei – und setzt ein Maß. Ob es richtig war, sie (Anm.: die Kreuze) aus allen öffentlichen Räumen zu entfernen? Das Kreuz ist eine Provokation.“ Und wird somit zu einer Anfrage an unser Denken und Verhalten, das so oft von unseliger political correctness geprägt ist.

    Der zweite Teil führt unausweichlich zu der Aussage: „Jesus wird hingerichtet – aber die Liebe wird aufgerichtet“. Karfreitag als eine Werbung für eine Liebe, die unwirklich zu sein scheint. Und dennoch haben wir diese Liebe in unseren Träumen, Sehnsüchten und Begegnungen erlebt. Diese Liebe befreit zum Leben.

    Der dritte Teil formuliert mehrere Bilder: „Pilatus schenkt dem Kreuz ein Bekenntnis.“ „Es ist als ob die Würde, die Jesus genommen wird, seinem Rock bleibt.“ „Jesus tritt seine Rolle als Sohn ab.“ Und über allen Bildern ist Jesus am Kreuz in der Mitte dieser „schrecklichen Leidens-, … Liebesgeschichte“. Unter ihm – oder besser: in ihm – geschehen Veränderungen an „Pilatus“, an den „Soldaten“, an „Maria“ und „Johannes“.

    Der letzte Teil der Predigt fokussiert noch einmal auf die vielen Kreuze in unserer Welt, „Klopfzeichen“ an unsere (christlichen) Türen. „Aber das eine Kreuz dazwischen, in der Mitte, lässt uns die Liebe sehen. Gottes Reich …“

    Danke für diese klaren und ermutigenden Worte!

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