“Mein Herr und mein Gott”

Jesus ist nicht im Tod geblieben

Predigttext: Johannes 20,19-29
Kirche / Ort: 23619 Zarpen (Schleswig - Holstein)
Datum: 12.04.2015
Kirchenjahr: Quasimodogeniti (1. Sonntag nach Ostern)
Autor/in: Pastor i.R. Heinz Rußmann

Predigttext: Johannes 20, 19-29 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

Am Abend aber dieses ersten Tages der Woche, als die Jünger versammelt und die Türen verschlossen waren aus Furcht vor den Juden, kam Jesus und trat mitten unter sie und spricht zu ihnen:Friede sei mit euch! Und als er das gesagt hatte, zeigte er ihnen die Hände und seine Seite. Da wurden die Jünger froh, dass sie den Herrn sahen. Da sprach Jesus abermals zu ihnen:Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch. Und als er das gesagt hatte, blies er sie an und spricht zu ihnen:Nehmt hin den Heiligen Geist! Welchen ihr die Sünden erlasst, denen sind sie erlassen; und welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten.

Thomas aber, der Zwilling genannt wird, einer der Zwölf, war nicht bei ihnen, als Jesus kam. Da sagten die andern Jünger zu ihm:Wir haben den Herrn gesehen. Er aber sprach zu ihnen:Wenn ich nicht in seinen Händen die Nägelmale sehe und meinen Finger in die Nägelmale lege und meine Hand in seine Seite lege, kann ich's nicht glauben. Und nach acht Tagen waren seine Jünger abermals drinnen versammelt und Thomas war bei ihnen. Kommt Jesus, als die Türen verschlossen waren, und tritt mitten unter sie und spricht:Friede sei mit euch! Danach spricht er zu Thomas:Reiche deinen Finger her und sieh meine Hände, und reiche deine Hand her und lege sie in meine Seite, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig! Thomas antwortete und sprach zu ihm: Mein Herr und mein Gott! Spricht Jesus zu ihm:Weil du mich gesehen hast, Thomas, darum glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!

Kurzexegese zum Predigttext

Die Szene mit dem ungläubigen Thomas kommt nur im Johannes – Evangelium vor. Der Text hat zwei Teile : V 19-23 Jesu Erscheinung vor den Jüngern durch die verschlossene Tür. V24-27 Der verschlossene Zweifler Thomas. Verbunden sind beide Teile durch die Wundmale Jesu (V 20,25,27) und: Der Friede , der mit Jesus kommt (V19, 21, 26 ). Jesus kann durch verschlossene Türen gehen. Jesus lebt mit verwandelter Geist-Leiblichkeit. Trotz der Auferstehung bleibt die Erinnerung an das Kreuz durch die Wundmale und die Sündenvergebung erhalten im Text. Drei Mal begrüßt Jesus seine Jünger mit Schalom. Nach seiner Bekehrung formuliert Thomas eins der schönsten und wichtigsten Bekenntnisse in der Bibel !

Überlegungen zur Predigt

Predigen kann man sicher über eine der Erscheinungen im Text oder über beide . Eine gute Möglichkeit ist sicher auch , eine Erzählpredigt über beide Teile zu halten. Wegen der Verbreitung des Zweifels im Wissenschaft - Zeitalter ist der zweite Teil mit dem zweifelnden Thomas aktueller. Um etwas Neues zu predigen und zu verbreiten und die Auferstehung plausibler zu machen für Zweifler, möchte ich hinweisen auf das Buch von Julius Kuhl (s.u. ) und auf den erweiterten „kosmischen Christus“ in der Evolution und damit verbunden auf das das Liebesprinzip zwischen Atomen.

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Jemand hat gesagt: So wie Franz von Assisi der herausragende Heilige im Mittelalter war, so ist der Heilige in unserer Zeit der ungläubige Thomas oder anders gesagt: Thomas der Zweifler. Er steht im Mittelpunkt des Predigttextes für den heutigen Sonntag nach Ostern, Quasimodogeniti genannt. Die Jünger sind ganz außer sich mit Begeisterung und ihren Fragen. Sie haben den auferstandenen Jesus gesehen. Welch eine Freude! Jesus ist nicht im Tod geblieben. Durch Gott ist er stärker als der Tod. Jetzt kann er als Auferstandener wieder geheimnisvoll und doch real bei ihnen sein. Er kann bei allen Menschen auf der Welt sein und sie mit Gott verbinden. Thomas war nicht dabei gewesen, als Jesus den Jüngern erschien, und er bezweifelt die Behauptungen der anderen Jünger total. Der Zweifel ist uns allen selbst nicht fern. Wir möchten gern als Christen glauben an alles Großartige und Ermutigende, welches im Neuen Testament steht. Aber immer wieder überfallen uns Anfälle von Zweifel. Bei Schicksalsschlägen fragen wir nach Gottes Gerechtigkeit und zweifeln an Gottes Güte. Wie kann Gott das zulassen?, fragen wir beim Unheil in der weiten Welt und gerade bei den vielen Kriegen in unserer Zeit.

Eine interessante Erklärung für unsere Zweifel und unsere Glaubensgewissheit liefert in dieser Zeit der Psychologe Professor Julius Kuhl in seinem Buch “Gegen den kalten Krieg im Kopf”. Hirnforscher haben herausgefunden, dass unsere beiden Gehirnhälften ganz unterschiedliche Aufgaben haben. Die linke Hälfte ist zuständig für alles Logische, für die Naturwissenschaft, Berechnung und Konsequenz. Die rechte Hälfte dagegen ist intuitiv und denkt ganzheitlich und komplex. Sie kann auch das große Ganze visionär im Blick haben und kann uns so auch zu Gott führen. Jeder der mit seiner linken , logisch orientierten Gehirnhälfte denkt, wird die Auferstehung Jesu vom Tode ablehnen – so etwas kommt in der Natur nicht vor und ist undenkbar. Die rechte Gehirnhälfte dagegen denkt visionär und kann die Auferstehung im Zusammenhang mit Gott sehen. Sie hat einen Blick für den Schöpfer, das Woher und das Wohin der ganzen Welt. Gott hat schon ein Mal die Welt wunderbar aus dem Nichts erschaffen. Er führt sicher die ganze Weltgeschichte und Evolution zu einem Ziel. Er kennt von jedem Menschen die persönliche Erbsubstanz und kann jeden Menschen – wie schon Jesus – in unvergänglicher Gestalt neu schaffen.

Das visionär gläubige Denken der rechten Gehirnhälfte wird bei den zehn Jüngern befestigt durch ihren Glauben an die Auferstehung Jesu. Das nur am linken Hirnteil orientierte logische Denken des Thomas muss die Auferstehung zuerst ablehnen. Beide Lebensweisen sind durch Gehirnhälften und Geisteswelten getrennt. Beim Logiker liegt die Welt Gottes im grauen Schatten. Beim visionären Menschen erleuchtet Gott immer wieder das Leben und Denken. So ist es auch heute bei uns. Rein naturwissenschaftliche Denken lässt uns an dem Weiterleben nach dem Tod zu schwer zweifeln. Ganzheitliches, meditatives, visionäres Denken macht es plausibel. Eine große Hilfe ist heute das ganzheitliche Denken des katholischen Theologen und Naturwissenschaftlers Pierre Teilhard de Chardin. Er hat die naturwissenschaftliche Evolution und die christliche Heilsgeschichte kombiniert und harmonisiert. Wenn alle Naturwissenschaftler und Geisteswissenschaftler das Ganze unserer Welt überblicken, ist die umfassende, nicht nur rein biologische Evolution die Theorie, welche alle vereinigt.

Unsere Welt ist vom Urknall bis heute und in Zukunft ein riesiger Prozess, in dem Leben entstand und sich immer höher und komplexer entwickelte. Ziel der Atome sind Lebewesen. Ziel der Höherentwicklung der Tiere und Pflanzen ist der Mensch . Ziel des Menschen ist der wahre, vorbildliche Mensch Jesus. Es erscheint als ganz logisch, dass das Ziel von Jesus seit seiner Auferstehung zu Gott das höhere, ewige Leben bei Gott ist in seinem ewigen Reich. Die Auferstehung Jesu nimmt die Vollendung der Evolution bei erst einmal einen Menschen, bei Jesus vorweg. Seine Auferstehung gibt der ganzen Höherentwicklung einen Sinn. Sie ist ein weltgeschichtliches Ereignis. Sonst ist unsere Erde womöglich nur eine Todesmühle, in der Leben immer wieder entsteht und vergeht, bis alles Leben verglüht. Die Auferstehung von Jesus schenkt uns bei dieser Sicht unserer Welt eine begründete Hoffnung auf ewiges Leben bei Gott. Jesus zeigt uns den Weg zu diesem Glauben. Immer wieder sollten wir deshalb nach ihm schauen mit dem Herzen und dem Sinn, an ihn denken, zu ihm beten, seine Kreuzigung, aber besonders auch seine Auferstehung vor Augen haben. Er ist jetzt bei Gott und begegnet uns wie Gott. Sehr tröstlich finde ich, dass er auferstanden ist zur Rechten Gottes. Als der gesteinigte Märtyrer Stephanus stirbt, sieht er, wie Jesus ihm vom Thron Gottes aus entgegenkommt. Auch der ungläubige Thomas sagt ja nicht bei der Erscheinung Jesu: Da bist Du ja wieder Jesus! Nein , er sagt : Jesus, mein Herr und mein Gott! Jesus begegnet ihm wie Gott selbst.

Dieser Glaube, dass Jesus nicht nur bei Gott ist, sondern wie Gott für uns ist, kann uns sehr trösten. Der früher sehr bekannte Hamburger Theologie-Professor Helmut Thielicke hat uns Studenten seine Überzeugung dazu (nach meiner Erinnerung) gesagt: Eines Tages werde ich – wie wir alle – vor Gott stehen. Und dann wird Gott mich fragen, was ich mit dem Leben angefangen habe, das er mir geschenkt hat und die Waagschale steht vor mir. Dann werde ich meine mehrbändige Dogmatik und Ethik aufzählen und dass ich sehr erfolgreich gepredigt habe – und ich sehe, wie die Waagschale der guten Taten sich senkt. Aber dann fallen mir alle meine Sünden ein, und die Waagschale senkt sich, dass ich nicht würdig bin für Gottes Reich. Aber dann bin ich sicher: Jesus wird hervortreten, und er wird sagen: Ganz gleich wie das Urteil ist. Dieser Mensch hat sich bemüht, ein Christ zu sein und mir nachzufolgen. Er gehört zu mir, lieber Vater! Und Jesus wird mich an die Hand nehmen und mich ins Himmelreich führen. Das Wichtigste in Kürze zum Schluss. Die Auferstehung Jesu schenkt uns eine begründete Hoffnung auf ewiges Leben bei Gott. Beim ewigen und liebevollen Schöpfer ist in verwandelter Gestalt genügend Platz für uns alle. Wir werden unsere lieben Menschen wiedersehen. Und die anderen? Mit denen werden wir uns durch Jesus endlich gut verstehen! Wenn das kein Grund zum Feiern ist, schon heute und zum oft Lieben und Lachen !

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Ein Kommentar zu ““Mein Herr und mein Gott”

  1. Hans-Dieter Krüger

    Interessant sind die Überlegungen, die der Prediger über die Pole Verstehen und Glauben anstellt. Seine Vision: Diese unterschiedlichen Sichtweisen nähern sich im Laufe der Evolution aneinander an, und am Ende vereinigen sie sich. Für diese Argumentation steht Teilhard de Chardin Pate. Eine schöne, tröstliche Perspektive des Lebens angesichts von viel Schrecken und Dunkelheit in der Welt. Die Frage ist, ob dabei nicht biblische Linien verloren gehen: Der Kampf zwischen Gut und Böse, zwischen Gott und Satan, zwischen Leben und Tod,
    die Ankündigung, dass diese Welt einmal zu Ende geht, ehe die neue Schöpfung entsteht. Dafür ist die Erinnerung an Helmut Thielicke eine Freude für jeden, der dessen Predigten einmal gehört oder gelesen hat. Da erfährt die Gemeinde viel Trost und Zuspruch. Ein schöner Predigtschluss, der zu einem verstehenden und vertrauenden Glauben einlädt.

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