“Einen Strauß für deinen Tag”
Mit der Kraft des Heiligen Geistes beschenkt und begabt
Predigttext: Johannes 15, 26 – 16, 4 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
15, 26 Wenn aber der Tröster kommen wird, den ich euch senden werde vom Vater,
der Geist der Wahrheit, der vom Vater ausgeht, der wird Zeugnis geben von mir.
27 Und auch ihr seid meine Zeugen, denn ihr seid von Anfang an bei mir gewesen.
16, 1 Das habe ich zu euch geredet, damit ihr nicht abfallt.
2 Sie werden euch aus der Synagoge ausstoßen. Es kommt aber die Zeit, daß, wer euch tötet, meinen wird, er tue Gott einen Dienst damit.
3 Und das werden sie darum tun, weil sie weder meinen Vater noch mich erkennen.
4 Aber dies habe ich zu euch geredet, damit, wenn ihre Stunde kommen wird, ihr daran denkt, daß ich's euch gesagt habe. Zu Anfang aber habe ich es euch nicht gesagt, denn ich war bei euch.
Lieder
"Aus tiefer Not" (EG 299, bes. V. 3-5)
"Ihr werdet die Kraft des heiligen Geistes empfangen" (EG 132)
Es ist schon trostlos! Von allen guten Geistern verlassen sind sie. Von allen guten Geistern verlassen fühlen sie sich – in ihrer Gemeinde und in der Welt. Dabei hatte alles so gut angefangen, und einige Zeit war es ja auch gut gegangen. Da hatten sie ihre Gottesdienste feiern können in der Synagoge, in der Gemeinschaft untereinander und mit ihren jüdischen Volksgenossen. Jesus war bei ihnen, half ihnen, sprachen ihnen Mut zu und gab ihnen Orientierung wann immer und wie immer sie das brauchten. Doch dann seine Worte, die Schlimmes ankündigen, doch dann seine Worte, die auch wir eben in unserem Predigttext gehört haben:
Sie werden euch aus der Synagoge ausstoßen. Es kommt aber die Zeit, dass, wer euch töten wird, meinen wird, er tue Gott einen Dienst damit. – Ein erster Anflug von Angst mischt sich in die Zuversicht. Ein leiser Zweifel trübt ihren Glauben. Und dann kommt alles noch schlimmer als bereits angekündigt: Der Abschied von Jesus ist grausamer als erwartet. Er hängt am Kreuz wie ein gewöhnlicher Verbrecher, stirbt einen schrecklichen Tod mitten unter Übeltätern. Wie erstarrt sind die Jünger. Sie verkriechen sich. Die Angst wächst und das Misstrauen wird größer. In der Synagoge kommt es zu unschönen Auseinandersetzungen, schließlich zu heftigem Streit, und man wirft sie hinaus. Schon wenige Tage später die ersten Morde. Angst vor Entdeckung, Angst vor Bespitzelung, Angst vor Bestrafung, Verfolgung und Tod werden zum ständigen Wegbegleiter. Sie werden bekämpft als Sektierer, als Leute, die Unruhe stiften und die bestehende Ordnung in den Familien, in Staat, Gesellschaft und Religion auf’s Äußerste gefährden. Ihr Reden und Tun, ihr Umgang miteinander, alles was sie von Jesus gelernt hatten und ihnen wichtig ist – jetzt ist es unerlaubt.
Von Gott und von allen guten Geistern verlassen fühlen sie sich, ohne Trost und Aufmunterung, ohne Hoffnung auf Hilfe, ohne Aussicht auf eine erfreuliche Zukunft. Und wollte man ihre Stimmung in einem Lied ausdrücken, dann hätten sie vielleicht mit eingestimmt in das Lied (EG 299): „Aus tiefer Not schrei(e) ich zu dir, Herr Gott, erhör mein Rufen. Dein gnädig’ Ohren kehr zu mir und meiner Bitt(e) sie öffne!“ Bis in unsere Tage ist dieses Lied nicht verstummt. Überall auf der Welt wird es gesungen von Menschen, die sich von allen guten Geistern verlassen fühlen, deren Leben geprägt ist vom Gefühl der Verlassenheit und Angst, der Trostlosigkeit und der Trostbedürftigkeit. Das Lied erklingt ganz in meiner Nähe, gesungen von der alten Frau. Niemals bekommt sie Besuch. Der einzige Mensch, mit dem sie reden kann, ist ihr Hausarzt, der alle paar Wochen vorbei kommt: „Haben sie mich denn alle vergessen?“ fragt sie voller Verzweiflung.
“Aus tiefer Not schrei(e) ich zu dir.” Das Lied höre ich von der jungen Mutter, die ihre Wurzeln, ihre Heimat verloren hat. Mit ihrem dreijährigen Zwillingspärchen und dem Neugeborenen ist sie in ihrem Zimmer in der Flüchtlingsunterkunft zwar nun in Sicherheit, aber doch fürchtet sie sich vor der Zukunft, um die Zukunft. Wo werden sie und ihre Familie den Ort finden, an dem sie willkommen und geborgen sind? Wann wird ihre Flucht ans Ziel kommen? An einen ein Ort, an dem sie Fuß fassen können, neue Beheimatung finden, Gemeinschaft mit anderen erleben und leben werden? Das Lied wird gesungen von dem eigentlich sehr rüstigen Mann, der vor fünf Jahren seine Frau verloren hat. Seine Kinder haben das Haus verlassen, um eine Arbeitsstelle in Süddeutschland anzunehmen. Oft war ihm das Spiel der Enkelkinder zu laut gewesen, und auch sonst hätte er in Haus und Garten Vieles anders gemacht als sein Schwiegersohn. Aber all das ist nun zweitrangig. Jetzt sitzt er allein in seinem Haus, in seinem Zuhause, und fühlt sich dennoch von allen guten Geistern verlassen. Selbst unter den vermeintlich so Selbstsicheren und Tatkräftigen gibt es Zeiten, gibt es Situationen, in denen sie sich von allen guten Geistern verlassen fühlen und sich verstanden und aufgehoben fühlen in den Worten des alten Liedes „Aus tiefer Not schrei(e) ich zu dir…“
Da war etwas lebendig und schön, und es ist nun nicht mehr: eine Freundschaft. Erst war es nur, dass die Kontakte spärlicher wurden. Jeder hatte mit seiner Arbeit, mit seinem Alltag genug zu tun. Aus Besuchen wurden Telefonate. Und dann war die Freundschaft eingeschlafen, eingegangen – ohne Streit und ohne triftigen Grund. Enttäuschung breitet sich aus, über den anderen, aber auch über mich selbst und Traurigkeit, weil ich spüre, etwas verloren zu haben, verlassen zu sein. Oder da liegt vor mir eine Aufgabe, der ich mich einfach nicht gewachsen fühle. Da hilft kein Verdrängen, und doch schiebe ich sie vor mir her. Schließlich sitzt mir die Zeit im Nacken. Die Herausforderung gerät zur Überforderung. Und da sitze ich dann mitten im Leben und fühle mich bei aller Professionalität von allen guten Geistern verlassen, trost-los und hilf-los im wahrsten Sinne des Wortes. Was kann da trösten? Was kann da helfen? Den Jüngern damals? Den Menschen heute? Ein Wort Jesu, das heute ebenfalls als Lied erklingt. Eine Verheißung, die Jesus den Jüngern lässt, als er sie verlässt und in den Himmel auffährt: „Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen“. Genauer noch wird er in den Worten, die er im heutigen Predigttext an seine Jünger richtet.
Jesus spricht vom Tröster, den er senden wird, vom Geist der Wahrheit. Wenn wir uns von allen guten Geistern verlassen fühlen, will er uns sagen, wes Geistes Kind wir sind. Wenn wir uns trostlos und trostbedürftig fühlen, will er uns trösten und uns beistehen. Dass es hierbei um wirklichen Trost und wirksamen Trost geht, nicht um billigen Trost oder Vertröstung, das betont Jesus, wenn er zunächst und zuerst vom Tröster als dem Geist der Wahrheit spricht: Der Geist, der tröstet, ist der Geist der Wahrheit. Mit diesem Geist begegnet er uns. Mit diesem Geist beschenkt er uns. Mit diesem Geist begabt er uns. Der Geist der Wahrheit sieht den Menschen und seine Not, seine Angst oder seine Verlassenheit, nicht nur vordergründig, nicht nur aus seinem Blickwinkel, sondern er nimmt den ganzen Menschen wahr. Mehr noch: er sieht die Wahrheit des anderen, die Wahrheit seines Lebens, und nimmt sie ernst: wohlmeinend, verstehend und hilfreich. Der Geist der Wahrheit hilft erkennen, was Not tut und was gut tut.
Und so lässt mich der Geist der Wahrheit im Gegner den Bruder erkennen und sehen, mit dem nicht nur Streit sondern auch Versöhnung möglich ist. Er lässt mich im Unangenehmen den Bedürftigen sehen, der nur darauf wartet, dass man ihn fragt, nach ihm fragt. Er lässt mich im Störenfried denjenigen erkennen, der um meine Aufmerksamkeit und Beachtung ringt und eigentlich nur belebend sein will. Der Geist der Wahrheit lehrt es mich, im Angeber den zu sehen, den man immer wieder kleingemacht hat und der einfach nur um Anerkennung ringt. Im heute noch Zögerlichen entdecke ich den vielleicht schon morgen Mutigen, der den ersten Schritt zur Veränderung wagt. Gott ist es ernst mit uns, mit der Wahrheit unseres Lebens. Deshalb verheißt er seinen Jüngern und uns den Geist der Wahrheit, damit wir einander trösten können, helfen können, und Mut machen können zum nächsten Schritt, wenn wir uns trostlos und von allen guten Geistern verlassen fühlen. Denn Gottes Trost ist vielfältig, bunt, wie ein Strauß voller Blumen, der für jeden den Trost bereit hält, die er braucht, vielleicht so, wie es die zeitgenössische Lyrikerin Annemarie Schnitt in ihrem Gedicht „Einen Strauß für deinen Tag“ vor Augen führt:
ein Vergissmeinnicht
für die Vergessenen
ein Tausendgüldenkraut
für die Belasteten
eine Goldrute
für die Wegsucher
ein Zweig Silberweide
für die Traurigen
eine Sonnenblume
für die Lichtsucher
eine Pusteblume
für die Sicheren
eine Glockenblume
für die Ertaubten
ein Jasmin
für die Erblindeten
ein Feuerdorn
für die Müden
eine Schlüsselblume
für die Mutlosen
ein Glücksklee
für die Kinder der Welt
ein Jelängerjelieber für dich.
Ohne Trost zu sein und sich von allen guten Geistern verlasssen zu fühlen, diese Situation thematisiert Pfarrerin Janssens in der ganzen ersten Hälfte der Predigt. Sie beginnt bei der Lage der von Jesus verlassenen Jünger. Heute gibt es sehr viele Menschen, welche singen können, wie es in einem Lied heißt: “Aus tiefer Not schrei ich zu Dir”. Sehr eindringlich und mitfühlende spricht die Predigerin von Flüchtlingen, einem einsamen Witwer, einem verlassenen Freund. Jesus tröstet die Jünger mit der Verheißung: Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen! Originell wird in der Predigt betont: Der Heilige Geist ist der “Geist der Wahrheit”. Beim Vertrösten wird ja dagegen oft gemogelt. Mit dem Geist der Wahrheit kann jeder erkennen, wie er Hilfsbedürftigen und Schwierigen helfen kann. Sehr poetisch, positiv und tröstlich schließt die Predigt mit einem originellen Blumengedicht.