Pfingst(be)geist(erung)
Unsere Kirche braucht Menschen, die wie Petrus aus ihrer Begeisterung für Jesus Christus heraus leben und Handeln
Predigttext: Matthäus 16,13-19 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
Da kam Jesus in die Gegend von Cäsarea Philippi und fragte seine Jünger und sprach:Wer sagen die Leute, dass der Menschensohn sei? Sie sprachen:Einige sagen, du seist Johannes der Täufer, andere, du seist Elia, wieder andere, du seist Jeremia oder einer der Propheten. Er fragte sie:Wer sagt denn ihr, dass ich sei? Da antwortete Simon Petrus und sprach: Du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn! Und Jesus antwortete und sprach zu ihm:Selig bist du, Simon, Jonas Sohn; denn Fleisch und Blut haben dir das nicht offenbart, sondern mein Vater im Himmel. Und ich sage dir auch:Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Gemeinde bauen, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen. Ich will dir die Schlüssel des Himmelreichs geben: Alles, was du auf Erden binden wirst, soll auch im Himmel gebunden sein, und alles, was du auf Erden lösen wirst, soll auch im Himmel gelöst sein.
(Eigene Übersetzung Michael Glöckner:)
(13) Als aber Jesus in die Gebiete von Cäsarea Philippi gekommen war, fragte er seine Jünger
Einführung zum Predigttext
Der zweite Pfingsttag thematisiert insbesondere die Wirkungen des Heiligen Geistes. Das zu predigende Evangelium (Mt 16,13–19) ist das „Gottessohnbekenntnis des Petrus und die Verheißung an ihn“ (Konradt, 257). Die Epistellesung (1Kor 12,4–11) stellt die vielfältigen Gaben des einen Christusgeistes vor und kulminiert in der Aussage: „Dieses alles aber bewirkt ein- und derselbe Geist, indem er einem jeden separat zuteilt, wie er will.“ (1Kor 12,11). Vorliegende Predigt orientiert sich in Form einer Homilie eng an dem Duktus des Texts. Mir geht es weniger darum, - wiewohl das reizvoll wäre - die Lebensgeschichte des Petrus nachzuerzählen, auch nicht seine Relevanz im Kontext römisch-katholischer Ekklesiologie zu erörtern. Intention meiner Predigt ist die Ermutigung, über Jesus zu reden und an Petrus zu erfahren, wie die Gemeinde Gottes auf Menschen wie Petrus aufgebaut ist.
Literatur: J. Becker, Simon Petrus im Urchristentum (BThS 105), Neukirchen-Vluyn 2009. - C. Böttrich, Petrus. Fischer, Fels und Funktionär (Biblische Gestalten, Bd. 2), Leipzig 2001. - M. Glöckner, Identitäten, Deutsches Pfarrerblatt 4 (2015), 219f. - M. Hengel, Der unterschätzte Petrus. Zwei Studien, Tübingen 2006. - M. Konradt, Das Evangelium nach Matthäus (NTD 1), Göttingen 2015. - W. Wiefel, Das Evangelium nach Matthäus (ThHK 1), Leipzig 1998.
Dass Menschen über Jesus reden,
ist erfreulich und ausschließlich zu begrüßen. Mehr davon, möchte ich ausdrücklich ermuntern. Nicht nur zu Pfingsten, dem Fest, an dem wir die Entstehung unserer Kirche feiern. Es wäre gut, wenn Christen mehr über Jesus reden würden. Es wäre gut, wenn sie in größerem Maße ernst nähmen, womit er selbst seine Jünger und durch sie uns alle beauftragt hat: „Geht also hin und macht zu Jüngern alle Völker […].“ (Mt 28,19). Dazu gehört zuerst und besonders, von Jesus zu erzählen. Religion – nicht nur die christliche Religion – ist von Anfang an eine Erzählgemeinschaft gewesen, eine Erzählgemeinschaft, in der die Glaubensgrundlagen von Generation zu Generation weitergegeben worden sind. In diese Erzählgemeinschaft sind auch wir aufgenommen und dadurch das geworden, was wir sind. Von Anfang an bis heute hat das so funktioniert.
In unserer Zeit erfahre ich es allerdings oft anders. Nicht in der Gemeinde, auch nicht im Gottesdienst und beim Bibelabend, nicht in der Konfirmandenstunde oder im Religionsunterricht. Das alles sind Orte, an denen es nicht anders zu erwarten ist; besondere Orte, an denen selbstverständlich und immer wieder von Jesus geredet wird. Anders erfahre ich es in der Öffentlichkeit. Dort stellt sich meistens eine peinlich anmutende Schweigsamkeit ein, sobald die Rede auf Themen wie Jesus, Gott und den Glauben fällt. Darüber zu reden, vermeiden viele Menschen gerne. Sie halten es für unangemessen, besonders wenn sie den Gesprächspartner kaum bis gar nicht kennen. Sie scheuen sich, wie sie ungern oder gar nicht über ihre politischen Anschauungen oder über das Geld reden. Andere Themen eignen sich besser, nicht nur für den Smalltalk. Lieber über den letzten Ausflug, die Gartenarbeit, das Wetter reden. Solche Themen sind von vornherein unverfänglich. Keinem tritt man damit zu nahe. Außerdem verfällt man hier nicht der Gefahr, zu viel und zu Persönliches von sich selbst preis zu geben.
Es könnte auch ein Desinteresse sein, das dazu führt, dass Menschen nicht mehr von Jesus reden. Oder ein Nichtwissen, ein religiöser Analphabetismus, der zunehmend um sich greift und in manchen Gegenden Deutschlands droht, ganze Generationen zu erfassen. Daneben oder vielmehr damit einhergehend gibt es eine gesellschaftliche Entwicklung, in der religiöse Angelegenheiten und Themen mehr und mehr dem Privatbereich zugeordnet werden. Viele Menschen würden ohne weiter darüber nachzudenken den Satz unterschreiben, dass Religion Privatsache ist. Das ist sie natürlich auch in einer bestimmten Weise, indem in unserer demokratisch verfassten Rechtsordnung Religionsfreiheit garantiert wird, d.h. jede und jeder selber entscheiden kann, ob und wenn ja welcher Religion sie oder er angehört. Religion an sich und als solches ist aber zuerst eine Angelegenheit, die die gesamte Gesellschaft betrifft, insbesondere dann, wenn Menschen aus ihrem Glauben heraus dieses Land und diese Welt gestalten wollen.
In der genannten öffentlichen Entwicklung jedoch wird die Religion zunehmend in den Freizeitbereich verbannt, in die arbeitsfreie Zeit am Abend und an den Wochenenden. Das findet seinen Niederschlag darin, dass öffentliche Trauergottesdienste zunehmend am Samstag gefeiert werden, damit möglichst keiner von seiner Arbeit abgehalten wird. Warum eigentlich, frage ich ganz ehrlich, nicht einmal den Arbeitgeber um eine Freistellung bitten, wenn ein Mensch, der mir am Herzen gelegen hat, verstorben ist und damit allen demonstrieren: bei dem Trauergottesdienst möchte ich gerne dabei sein?! Oder aber in der Forderung, den konfessionellen Religionsunterricht in der Schule abzuschaffen. Es findet seinen Niederschlag darin, dass Kreuze aus öffentlichen Gebäuden entfernt werden oder Politiker auf die Eidesformel „So wahr mir Gott helfe!“ verzichten. Gut ist es, sich an Pfingsten, dem Ursprungsfest der Kirche, darauf zu besinnen und über Ursachen und Folgen solcher Entwicklungen nachzudenken. Besser ist es, wenn sich wieder mehr Menschen trauen, auch in der Öffentlichkeit von Jesus und über den Glauben zu reden.
Das Evangelium zum zweiten Pfingsttag berichtet davon,
dass Menschen über Jesus reden. Mit seinen Jüngern befindet sich Jesus in Cäsarea Philippi ganz im Norden des Landes Israel, – für die, die sich auskennen – nicht weit vom Hermongebirge entfernt. Von nun an führt ihn seine Reise immer weiter nach Süden. Doch bis Jerusalem erreicht ist, wird noch viel geschehen. Es muss ihm zu Ohren gekommen sein, dass man über ihn redet. Darum fragt Jesus seine Jünger unvermittelt: „Wer sagen die Leute, dass der Menschensohn sei?“ (V 13). Jesus will wissen, für wen sie ihn halten, und selbstverständlich verbindet sich damit auch die Überlegung, was sie über ihn denken. Die Frage kommt vielen von uns bekannt vor. Natürlich interessiert es mich, was die Leute über mich denken, für wen sich mich halten, wer ich für sie bin. Was Jesus betrifft, haben die Menschen ihre eigenen Anschauungen. Was antworten Sie, liebe Gemeinde, gefragt nach dem, wer Jesus für Sie ist? Superstar oder tragischer Held, Vorkämpfer für soziale Gerechtigkeit oder Revolutionär in der eigenen Religion, ethisches Vorbild […]?
Die Jünger liefern konkrete Namen, sie sind allesamt bekannt: Johannes der Täufer, Elia, Jeremia oder einer der Propheten. Das ist es, was man so sagt, für wen man ihn hält. Jesus kommentiert es nicht weiter. Er sagt nicht, ob die Menschen Recht haben oder falsch liegen. Mit der Antwort der Jünger gibt er sich jedoch nicht zufrieden. Er will wissen, was die nächsten Vertrauten, was seine Jünger über ihn denken. Darum fragt er weiter: „Ihr aber, wer sagt ihr, dass ich sei?“ (V 15) Wichtiger als das, was die Menschen über einen so denken, ist, was Menschen, die einem nahestehen, über einen denken. Sie haben eine besonders enge Bindung. Fällt das Urteil der Jünger darum anders aus? Hinter der Frage steckt die nach der Beziehung, welche sie mit Jesus verbindet, die Frage, wie seine Jünger zu ihm stehen. Doch nur einer antwortet, und das ist Petrus. Aus tiefer Überzeugung heraus sagt er: „Du bist der Messias, des lebendigen Gottes Sohn.“ (V 16). Du bist der, auf den wir alle warten. Du bist der, der sein Volk erlösen wird. Du bist unser Heiland. Ist Ihnen aufgefallen, dass hier die Perspektive gewechselt hat? Ist Ihnen aufgefallen, dass hier einer nicht mehr über Jesus, sondern zu Jesus spricht? Aus Distanz ist eine Nähe geworden. An diesem Petrus können wir sehen, dass es wichtiger als über Jesus zu reden, zu Jesus zu reden ist. Wir Menschen leben von der Begegnung. Wir Christen leben von der Begegnung mit dem auferstandenen Herrn. Dafür brauchen wir unsere Gottesdienste, das Abendmahl, die Gemeinde, damit wir uns gegenseitig vergewissern können: Christus ist mitten unter uns.
Die Begegnung ist keine Einbahnstraße,
heute nicht, wie sie es auch damals nicht gewesen ist. Jesus sagt zu Petrus das bekannte Wort, das Wort vom Felsen: „Du bist Petrus, und auf diesem Felsen werde ich meine Gemeinde bauen […].“ (V 18b) Wer die Peterskirche in Rom besucht, kommt an diesem Wort nicht vorbei. „Tu es Petrus, et super hanc petram aedificabo ecclesiam meam […].“ So liest man es unter der Kuppel auf goldenen Lettern. Wer mit der römisch-katholischen Kirche zu tun hat, kommt an diesem Petrus nicht vorbei, an Petrus nicht und an seinen Nachfolgern auch nicht. Beachten wir jedoch, dass von einer besonderen Rolle über die Dauer seines eigenen Lebens hinweg in dem Jesus-Wort keine Rede ist. Zur katholischen Identität gehört diese zweifelsohne dazu. Aus dem Wort vom Felsen ist immer wieder seine andauernde kirchentragende Rolle hergeleitet worden. Wie aber kann er protestantisch verstanden werden?
Was sollen wir mit Petrus anzufangen? Vielleicht ist es gut, ihn wieder einmal neu kennen zu lernen: nicht aus der heroischen, sondern aus einer zutiefst menschlichen Perspektive, nicht aus der Perspektive des römischen Bischofs mit Verantwortung für eine Weltkirche, sondern aus der Perspektive des Fischers am See Genezareth, des Jüngers von Jesus. Damals hat er sich begeistern lassen. Apostel in der ersten Generation der Christenheit ist er erst später geworden. Er war „Bekenner und Draufgänger“, „Leugner am Karfreitag und Zeuge am Ostermorgen“, später „Organisator und Missionar“ (C. Böttrich), alles aus einer engen Bindung Jesus, seinem Herrn, gegenüber. Vielleicht ist diese vielschichtige Biographie auch die beste Qualifikation, den Glauben weiter zu tragen: sich von Jesus begeistern lassen, von Jesus erzählen, von Jesus und dem, wie in ihm uns Gott ganz nahe kommt. Und das hat seinen protestantischen Ort, nämlich in der Gemeinde, die durch nichts besiegt werden kann, oder wie es Jesus zu Petrus sagt: „…die Tore des Hades werden nicht den Sieg über sie davontragen.“ (V 18). Unsere Kirche braucht solche Menschen, Menschen wie Petrus, die aus ihrer Begeisterung für Jesus Christus heraus von dem erzählen, was von Anfang an Menschen mit Gott erfahren haben. Das Gespräch darüber darf nicht verstummen, und das können wir an der Lebensgeschichte des Petrus lernen.