“Stadt unsers lieben Herrgottes eigenes Haus”

Zum Israelsonntag - Gedächtnis der Zerstörung Jerusalems

Predigttext: Lukas 19,41-48
Kirche / Ort:
Datum: 09.08.2015
Kirchenjahr: 10. Sonntag nach Trinitatis
Autor/in: MARTIN LUTHER

Predigttext: Lukas 19,41-48 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

Und als er nahe hinzukam, sah er die Stadt an und weinte über sie und sprach: Wenn doch auch du erkenntest zu dieser Zeit, was zu deinem Frieden dient? Aber nun ists vor deinen Augen verborgen. Denn es werden über dich die Tage kommen, dass deine Feinde werden um dich und deine Kinder einen Wall aufwerfen, dich belagern und an allen Orten ängstigen; und werden dich schleifen und keinen Stein auf dem andern lassen, darum dass du nicht erkannt hast die Zeit, darin du heimgesucht bist. Und er ging in den Tempel und fing an auszutreiben, die da verkauften, und sprach zu ihnen: Es steht geschrieben: »Mein Haus soll ein Bethaus sein«; ihr aber habt es gemacht zur Räuberhöhle. Und er lehrte täglich im Tempel. Aber die Hohenpriester und Schriftgelehrten und die Vornehmsten im Volk trachteten danach, dass sie ihn umbrächten, und fanden nicht, wie sie es machen sollten; denn alles Volk hing ihm an und hörte ihn.

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Predigt von Martin Luther, aus: K. Aland, Luther Deutsch. Die Predigten, Bd. 8, 2. Aufl., Stuttgart 1965, S. 322-329.- Überschrift, Zwischenüberschriften und Nachwort von Heinz Janssen.

Jesu Klage über Jerusalem, Warnung und Drohung

Christus hat das mit sehr betrübtem Herzen geredet und bitterlich darüber geweint, dass die schöne Stadt so jämmerlich umkommen und zerrissen werden soll, dass nicht ein Stein auf dem anderen bleibe. Ab Jerusalem, sagt er, wenn du es wüßtest und solchen künftigen Jammer glaubtest, der über dich kommen wird, so würdest du gewiß nicht so sicher sein, sondern bedenken, was zu deinem Frieden dienet, heulen und bitten, dass dir Gott gnädig sein wollte.

Wenn der Herr nun auch von der Stadt Jerusalem redet, so will er doch damit gewarnt und allen denen gedroht haben, die Gottes Wort haben und es doch vergeblich hören und verachten, dass sie nicht sicher sein noch sich darauf verlassen sollten, als sollte Gott ihnen das schenken. Nein, die Strafe wird sich finden und so sicher kommen, so wahr Gott lebt. Darum soll man sich vor allen Sünden, besonders aber vor der Sünde hüten, die da heißt, Gottes Wort oder die Zeit der Heimsuchung verachten, das heißt: die Predigt hören und sich doch nicht bessern, sondern immerdar in Sünden fortfahren, man predige und sage, was man wolle. Die Strafe für solche Sünde bleibt gewiß nicht aus, ob sie gleich eine Zeitlang aufgehalten wird. Wer Gottes Wort verachtet, der entläuft der Strafe nicht.

Exempel Jerusalem

Und um solche Warnung und Drohung zu verstärken, setzt er seine liebste und heiligste Stadt Jerusalem zum Exempel und sein eigenes Volk, welche Stadt unsers lieben Herrgottes eigenes Haus, Wohnung und Herdstätte und das Volk sein eigenes Hausgesinde gewesen ist. Denn unser Herrgott ist zu Jerusalem wie ein Bürger gewesen, und die Stadt ist wie ein halber Himmel gewesen, da Gott selbst mit seinen Engeln gewohnt hat, da aller Gottesdienst hingeordnet war, da fast alle Patriarchen gelebt und ihr Begräbnis gehabt haben, da endlich Christus, der Sohn Gottes, selbst gewandelt, gepredigt, gestorben, begraben, auferstanden ist und den Heiligen Geist gegeben hat, so dass diese Stadt also mit Heiligkeit dermaßen überhäuft war, dass ihresgleichen auf der ganzen Welt nicht gewesen ist noch bis an den Jüngsten Tag sein wird. Da sie Gottes Wort nicht annehmen und dem nicht folgen wollte, hat unser Herrgott das alles nicht angesehen und so fest über seinem Wort gewacht, dass seine liebste Stadt auf das greulichste hat verwüstet werden müssen. Wieviel weniger wird ers andern Städten schenken, die Jerusalem das Wasser nicht reichen können, wo Gott auch nicht selbst gewohnt hat. Er wird es auch anderen Völkern nicht schenken, die ihm nicht so nahe zugehören wie die Juden, die seine Blutsfreunde waren.

Gottes Zorn – Warnung vor trügerischer Sicherheit

Darum soll man Gottes Zorn an diesem Exempel merken und sich vor Verachtung des Worts hüten, dass man nicht sage, wie wir gemeinhin pflegen: Ei, Gott wird nicht so zornig sein, er wird nicht so hart strafen. Denn wenn er die heilige Stadt Jerusalem, sein höchstes Kleinod auf Erden, so hat zerreißen lassen, dass kein Stein auf dem andern blieb, um der Menschen willen, die sein Wort hörten und sich nicht besserten: so darfst du nicht denken, dass er es uns schenken werde, wenn wir auch in der gleichen Sünde liegen.

Dies ist nun die klägliche und jämmerliche Strafe, welche Gott über sein Volk verhängt und damit mit ihm ganz ein Ende gemacht hat, welches er doch geliebt und mit so großer Herrlichkeit und Wunderzeichen aus Ägypten geführt, in das Land Kanaan gesetzt hat, ihr Vater gewesen und so freundlich mit ihnen geredet und umgegangen ist. Da sie aber sein Wort verachten und ihm nicht folgen wollten, hat er solchen Zorn und greuliche Strafe über sie ergehen lassen.

„Aber nun ists vor deinen Augen verborgen“ oder: Die Geduld Gottes

Solchen Jammer sieht der Herr, dass er nicht weit sei, weint deshalb und sagt: Wenn du es wüßtest, so »würdest du auch erkennen zu dieser Zeit, was zu deinem Frieden dient. Aber nun ists vor deinen Augen verborgen.« Deshalb gehst du sicher dahin, als hätte es nicht Not mit dir. Aber es wird nicht lange so bleiben, es wird brechen müssen, und es ist schon vorhanden, nur dass es noch verborgen ist und du es nicht siehst.

Hier möchte einem einfallen: Warum verbirgt doch unser Herrgott die Strafe? Warum offenbart er sie nicht? Warum läßt er sie nicht gleich ergehen? Wenn Gott die Strafe offenbarte, so würden sich die Menschen bekehren. Antwort: Es kann nicht sein, dass unser Herrgott die Strafe gleich ergehen lasse. Denn sollte er sogleich dreinschlagen, wenn man es verdient hat, so würde unser keiner das siebente Jahr erreichen. Dazu könnte unser Herrgott seine Geduld auch nicht beweisen, wenn er mit der Strafe eilen und gleich dreinschlagen sollte.

Gott muß geduldig sein, dass er sehe, ob man sich bessern und Gnade suchen wolle. Wenn er sogleich mit dem Donner und Blitzen dreinschlagen sollte, das stünde Gott nicht wohl an. Darum hält er mit der Strafe an sich, gibt Zeit und Raum, sich zu bessern, damit preist er seine Barmherzigkeit gegen uns. Der Teufel ist ein zorniger Geist, der tut das nicht; wenn er einen mit einem Haar totschlagen könnte, so täte er es und würde nicht lange säumen.

Aber Gott ist gnädig, deshalb will er die Strafe aufschieben, aber nicht ganz erlassen. Das macht dann die Menschen sicher, dass sie sich nicht allein nicht bessern, sondern je länger desto ärger werden. Wie man sieht, läßt sich ein Ehebrecher, ein Wucherer, Dieb dünken, weil die Strafe nicht sogleich kommt, es habe noch lange nicht Not, er könne wohl noch seine Lust befriedigen. Aber hüte dich, laß dich nicht verführen noch betrügen. Denn hier hörst du, dass Gott die Strafe wohl aufhalte und verberge, aber deshalb bleibt sie nicht ganz aus.

Ruf zur Umkehr

Darum kehre beizeiten um, tue Buße und bessere dich. Das meint hier Christus, da er zu der Stadt Jerusalem sagt: »Aber nun ist es vor deinen Augen verborgen«, als wollte er sagen: laß dich nicht dadurch betrügen, dass die Strafe verborgen ist. Die Strafe wird wohl eine Zeitlang aufgehalten, aber damit wird sie nicht aufgehoben und weggenommen. Du wirst mich töten und mein Blut vergießen, wie du mit anderen Propheten vor mir getan hast. Ich schweige still dazu, lasse es geschehen und leide es. Das macht, dass du denkst, es werde immer so hingehen und wohl ungestraft bleiben. Deshalb tut niemand etwas mit Ernst dafür, dass er frömmer würde und sich bekehrte und besserte. Aber sieh dich vor, du bist vor der Strafe nicht sicher. Wenn du zu überreden wärest, dass du es glauben könntest, so würdest du darauf denken, wie du der Strafe entliefest. Aber du glaubst es nicht, deshalb gehst du so sicher hin, läßt die Zeit deiner Heimsuchung, darin du gewarnt wirst und du wieder zu Gnaden kommen könntest, vorüberrauschen, bist sicher und besserst dich nicht. Das ist eben die Sünde, weshalb Gottes Zorn dich überfallen und überraschen wird.

Hier lerne ja mit Fleiß und merke, was Gott für die größte Sünde erachtet, die er am wenigsten dulden und leiden kann, dass sein Volk nämlich die Zeit seiner Heimsuchung nicht erkannt hat. Denn der Herr faßt hier alle Sünden in einer Sünde zusammen, schweigt von allen anderen Sünden und nennt allein die, dass sie sicher dahingingen, sich nicht allein nichts an der Propheten Vermahnung und Drohung gekehrt, sondern sie auch verfolgt haben, viel unschuldiges Blut vergossen, bis dass, wie die Schrift sagt, Jerusalem hier und da voll Bluts ward (gleichwie Deutschland sich immer wieder auch greulich um der mannigfaltigen Verfolgung des Wortes und seiner Diener willen versündigt). Neben dieser Sünde gingen (gleichwie auch zu unserer Zeit) mit Macht Ehebruch, Hurerei, Wucher, Geiz, Stehlen, Schwelgen, Saufen, Prassen her, und was dergleichen mehr ist.

Solche Untugend, sagt hier Christus, habe ich mit dem Wort strafen und euch lehren wollen, dass ihr fromm sein und euch bessern sollt. Um solcher Ursache willen habe ich zuvor meine Propheten gesandt, Johannes den Täufer und meine Apostel geschickt, ja ich selbst bin aufgetreten, habe gepredigt, Wunderzeichen getan und alles vorgenommen, was euch zur Besserung dienen möchte. Nun sollten alle anderen Sünden euch nicht schaden, so große und viele ihrer auch sind, sondern vergeben sein und ihrer in Ewigkeit nicht mehr gedacht werden. Jerusalem sollte fest stehen und von den Feinden unangefochten bleiben, wenn ihr nur die Zeit eurer Heimsuchung erkenntet. Denn ich komme zu euch nicht mit dem Schwert, nicht mit der Keule, sondern sanftmütig und als ein Heiland. Ich komme als ein Heimsucher, ich suche euch, predige und schreie: Tut Buße, bessert euch und seid fromm, höret doch und folgt, ehe der Zorn mit Macht kommt. So suche ich euch heim.

Darauf ist besonders zu merken, dass der Herr sagt: »Aber nun ist es vor deinen Augen verborgen.« Denn so geht es im allgemeinen zu, dass man nicht denkt, dass Gott strafen werde. Sondern weil Gott aus Güte die Strafe aufschiebt und auf Besserung wartet, denkt die Welt, er werde immer stillschweigen. Zu Jerusalem ging es auch so zu. Die Juden versündigten sich an ihrem Gott, wie sie wollten, dennoch taten sie die Strafe aus den Augen und meinten, Gott sollte ewig dazu stillschweigen.

Das ist nun die Ursache dafür, dass unser lieber Herr Christus so treulich warnt, weint und sagt: Siehe dich vor, Jerusalem; weil die Strafe verborgen ist, meinst du, sie werde ganz ausbleiben. Aber du fehlest weit. Denn die Strafe ist nicht deshalb verborgen, damit du frei von ihr sein sollst, sondern damit du nur desto sicherer getroffen werden sollst, wenn du die Zeit deiner Heimsuchung nicht erkennen willst. Willst du nun solchen Vorzug nicht mißbrauchen, sondern recht gebrauchen, so höre beizeiten auf zu sündigen, halte dich hierher zum Wort und bessere dich, so wird dir Rat geschaffen, wo nicht, so mußt du hinunter.

Innerbiblische Exegese: »Die Geduld unseres Herrn achtet für eure Rettung« (2.Petrus 3,15)

Auf solche Weise predigt uns 2. Petr. 3, 15: »Die Geduld unseres Herrn achtet für eure Rettung.« Das bedeutet: laßt euch dünken, es sei euer Heil, es geschehe euch zum Besten, dass ihr nicht verdammt werdet. Denn wenn Gott immer so strafte, wie und nach dem wir es verdienen, so würde (wie oben gesagt) unser keiner über sieben Jahre hinauskommen. Nun, er tuts nicht, sondern ist langmütig, hält an sich und wartet mit der Strafe. Das, sagt Petrus, achtet dafür, es geschehe um eurer Rettung willen, dass ihr sagen sollt: Ach Herr, ich habe leider viel und oft gesündigt, jetzt in dem, jetzt in einem anderen, nun kommt die Strafe nicht, sondern verzögert sich. Was bedeutet das aber? Gewiß nichts anderes, als dass, wenn die Strafe gleich verborgen ist, sie doch gewiß kommen wird. Darum, lieber Vater, vergib, ich will ablassen und mich bessern.

Darum sollen wir das Wort des Petrus: »Die Geduld unseres Herrn achtet für eure Rettung« gut merken. Denn Gott, sagt er kurz zuvor (3,9), »will nicht, dass jemand verloren werde, sondern dass sich jedermann zur Buße kehre.« Und schiebt Gott die Strafe auf, so geschieht es uns zum Besten. Wo man nicht ablassen, sondern in Sünden fortfahren und solche Geduld Gottes mißbrauchen will, da muß der Krug zuletzt brechen. Wie man sieht: weil der Dieb vom Stehlen nicht beizeiten abgehen will, wird er zuletzt dem Henker zuteil; ein unzüchtig Weib, die von ihrer Büberei nicht ablassen will, wird endlich vor jedermann zu Schaden. Besonders aber hat es Gott mit der Stadt Jerusalem bewiesen, dass er doch endlich kommen und den Ungehorsam uns nicht schenken will, wenn er auch die Strafe verbirgt und aufhält.

Aufruf zur Gottesfurcht

Deshalb lerne jedermann Gott fürchten. Jedermann, Groß und Klein, Jung und Alt, lerne, wenn er Unrecht tut und davon nicht ablassen will, dass die Strafe nicht ausbleiben werde. Denn da steht Jerusalem zum ewigen Beispiel, die heilige, schöne Stadt, welcher auch die heidnischen Geschichtsschreiber das Lob geben, dass sie die herrlichste, berühmteste Stadt im Morgenland gewesen sei. Die ist dahin und völlig vertilgt deshalb, weil sie von den Sünden nicht hat ablassen und sich an das Wort nicht hat kehren wollen.

Dieses Beispiel hält uns der Herr im heutigen Evangelium vor, dass wir es zu Herzen nehmen und uns bessern oder wissen sollen: wenn wir von Sünden nicht ablassen, dem Wort nicht folgen und es im Glauben annehmen wollen, dass es Gott nicht ungestraft lassen will, ob er gleich die Strafe eine Zeitlang verbirgt, welches doch uns, wie gesagt, zum Besten geschieht, dass wir die Zeit gut gebrauchen und von Sünden ablassen sollen. So du dich aber nicht bessern, sondern deshalb nur umso frecher werden und deinem Mutwillen desto mehr nachkommen willst, so wisse, dass das böse Stündlein kommen wird, ehe du dichs versiehst, da dich unser Herrgott auch wird schreien lassen, aber nicht hören.

So laßt uns nun dieses Beispiel mit Fleiß merken. Weil doch Gott mit der Strafe schließlich nicht ausbleibt, wollen wir ihn fürchten und, weil er nicht sogleich zuschlägt, sondern Frist gibt, bis wir uns bekehren, ihn auch als einen gnädigen Vater liebhaben und sagen: 0 lieber Vater, du läßt die Sünde gewiß nicht ungestraft, so verleihe mir deine Gnade und Heiligen Geist, dass ich mich bessern und der wohlverdienten Strafe entlaufen möge. Wer sich so zur Buße begibt, der soll Gnade finden.

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Nachgedacht – Zu Martin Luthers Predigt über Lukas 19,41-48 zum „Israelsonntag“/ 10. Sonntag nach Trinitatis von Heinz Janssen

Eine ganz persönliche Bemerkung zuvor: Auf die Lektüre dieser Predigt von Martin Luther war ich besonders gespannt. Wie wird der Reformator anhand der Perikope zum 10. Sonntag nach Trinitatis, dem in der Kirche jahrhundertelang so herablassend begangenen „Israelsonntag“, mit den Juden, unseren älteren Schwestern und Brüdern, umgehen? Denn erschreckt, irritiert und beschämt haben mich seine an anderen Stellen dokumentierten judenfeindlichen Äußerungen mit ihrer fatalen Wirkungsgeschichte. Werden sie auch in dieser Predigt Eingang finden? Hören wir uns ein.

Jesu Klage über Jerusalem

Martin Luthers Predigt beschränkt sich auf die Vv. 41-44, die Klage Jesu über Jerusalem. Auf Jesu Eifer um den Tempel als Ort der Anbetung (Vv. 45f.) sowie auf seine Bedrohung durch die Hohenpriester und Schriftgelehrten einerseits und die Verehrung durch das Volk andererseits (Vv. 47f.) geht der Prediger nicht ein. Diese Beschränkung empfinde ich als Stärke der Predigt.

Die Predigt nimmt sofort die Klage Jesu über Jerusalem, „die schöne Stadt“, angesichts der bevorstehenden Zerstörung auf. Martin Luther unterstreicht: „Christus hat das mit sehr betrübten Herzen geredet und bitterlich darüber geweint“. Jesu Rede über die Stadt Jerusalem versteht Luther im exemplarischen Sinn; sie ist eine Warnung und Drohung gegenüber allen, „die Gottes Wort haben und es doch vergeblich hören und verachten…die Predigt hören und sich doch nicht bessern, sondern immerdar in Sünden fortfahren“. „Sünde“ umschreibt Martin Luther hier als Verachtung des Wortes Gottes und der Zeit der Heimsuchung.

Bewegende Beschreibung von Gottes
„liebste(r) und heiligste(r) Stadt Jerusalem“:

„ … welche Stadt unsers lieben Herrgottes eigenes Haus, Wohnung und Herdstätte und das Volk sein eigenes Hausgesinde gewesen ist. Denn unser Herrgott ist zu Jerusalem wie ein Bürger gewesen, und die Stadt ist wie ein halber Himmel gewesen, da Gott selbst mit seinen Engeln gewohnt hat, da aller Gottesdienst hingeordnet war, da fast alle Patriarchen gelebt und ihr Begräbnis gehabt haben, da endlich Christus, der Sohn Gottes, selbst gewandelt, gepredigt, gestorben, begraben, auferstanden ist und den Heiligen Geist gegeben hat, so dass diese Stadt also mit Heiligkeit dermaßen überhäuft war, dass ihresgleichen auf der ganzen Welt nicht gewesen ist noch bis an den Jüngsten Tag sein wird.“

Gottes Zorn – Ruf zur Umkehr

All dies habe Gott nicht angesehen, nachdem Gottes Wort in dieser Stadt nicht angenommen wurde. Gott habe „so fest über sein Wort gewacht, daß seine liebste Stadt auf das greulichste hat verwüstet werden müssen“. Andere Städte und Völker – so betont Martin Luther – haben aber keinen Anlass, auf Jerusalem und die Juden herabzusehen. In keiner anderen Stadt habe Gott gewohnt, und kein anderes Volk gehöre so nahe Gott zu „wie die Juden, die seine Blutsfreunde waren“. Jerusalem ist Exempel, an ihm soll Gottes Zorn erkannt werden. Anderen Städten und Völkern wird Gott die Strafe nicht „schenken“, wenn sie „in der gleichen Sünde liegen“. „Zorn und greuliche Strafe“ sind Gottes Reaktion auf die Verachtung seines Wortes. Das Wissen um solches Strafhandeln Gottes würde zur Erkenntnis dessen führen, was zum Frieden dient (Anmerkung HeJa: In einigen Handschriften ist zu lesen „was zu deinem Frieden dient“).

„Aber nun ists vor deinen Augen verborgen“ – Martin Luther geht hier auf mögliche Einreden ein, warum Gott die Strafe verberge und sie nicht offenbare. Antwort: Es ist Gottes Geduld, Gnade und Barmherzigkeit, die ihn mit der Strafe an sich halten lässt. Gott „gibt Zeit und Raum, sich zu bessern“ – „Denn sollte er sogleich dreinschlagen, wenn man es verdient hat, so würde unser keiner das siebente Jahr erreichen“. Das Aufschieben der Strafe Gottes bewirkt bei den Menschen eine gefährliche Sicherheit, „daß sie sich nicht allein nicht bessern, sondern je länger desto ärger werden“.

Die Zeit der „Heimsuchung“ ist die Zeit der Warnung und der Möglichkeit, „wieder zu Gnaden (zu) kommen“. Dies war auch der Sinn der Predigt der Propheten, Johannes des Täufers und der Apostel. Und Jesus ist als der „Heimsucher“ gekommen – „ich suche euch, predige und schreie: Tut Buße, bessert euch und seid fromm, höret doch und folgt, ehe der Zorn mit Macht kommt“.

Seine Ausführungen von der „Geduld“ Gottes sieht Martin Luther in 2. Petrus 3,15 bekräftigt – „Die Geduld unseres Herrn achtet für eure Rettung“. Martin Luther hebt hervor, dass das Aufschieben der Strafe Gottes zu unserem Besten geschieht, das Aufschieben der Strafe aber nicht ihre Aufhebung bedeuten muss.

Aufruf zur Gottesfurcht

Die Predigt mündet in den Aufruf zur Gottesfurcht und zur Buße/Umkehr: „Jedermann, Groß und Klein, Jung und Alt, lerne, wenn er Unrecht tut und davon nicht ablassen will, dass die Strafe nicht ausbleiben werde“. Die Frist, die Gott uns gewährt, soll uns anhalten, ihn zu bitten: „O lieber Vater, du läßt die Sünde gewiß nicht ungestraft, so verleihe mir deine Gnade und Heiligen Geist, dass ich mich bessern und der wohlverdienten Strafe entlaufen möge“.

Nachbemerkung

Wichtig an dieser Predigt ist mir Martin Luthers empfindsamer Umgang mit der Judenheit. Seinen sonst bekannten bedauerlichen judenfeindlichen Äußerungen sollten heute die Ausführungen in dieser Predigt zum Israelsonntag entgegengehalten werden. Die Rede von Gott, der seine Geschöpfe in Geduld, Gnade und Barmherzigkeit sucht und sie zur Umkehr ruft, verbindet Christen und Juden im Glauben an den einen Gott, der unser aller Bestes will.

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