“Seht die Vögel unter dem Himmel … “

Zwischen Sorgen und Sorgen gibt es Unterschiede

Predigttext: Matthäus 6,25-34 (dazu zwei Predigtentwürfe)
Kirche / Ort: Ev. Kirche / 78234 Engen / Hegau
Datum: 13.09.2015
Kirchenjahr: 15. Sonntag nach Trinitatis
Autor/in: Pfarrer em. Dr. Hans-Rudolf Bek

Predigttext: Matthäus 6,25-34 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

Darum sage ich euch: Sorgt nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet; auch nicht um euren Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr als die Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung? Seht die Vögel unter dem Himmel an:sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater ernährt sie doch. Seid ihr denn nicht viel mehr als sie? Wer ist unter euch, der seines Lebens Länge eine Spanne zusetzen könnte, wie sehr er sich auch darum sorgt? Und warum sorgt ihr euch um die Kleidung? Schaut die Lilien auf dem Feld an, wie sie wachsen:sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht. Ich sage euch, dass auch Salomo in aller seiner Herrlichkeit nicht gekleidet gewesen ist wie eine von ihnen. Wenn nun Gott das Gras auf dem Feld so kleidet, das doch heute steht und morgen in den Ofen geworfen wird:sollte er das nicht viel mehr für euch tun, ihr Kleingläubigen? Darum sollt ihr nicht sorgen und sagen:Was werden wir essen? Was werden wir trinken? Womit werden wir uns kleiden? Nach dem allen trachten die Heiden. Denn euer himmlischer Vater weiß, dass ihr all dessen bedürft. Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles zufallen. Darum sorgt nicht für morgen, denn der morgige Tag wird für das Seine sorgen. Es ist genug, dass jeder Tag seine eigene Plage hat.

Gebet (vor der Predigt)

Herr, Jesus, Christus, deine Worte, deine lebendige Stimme lass tief in unsre Herzen dringen, und so weise uns den Weg Gottes, lass uns erkennen, was wir zu tun haben, hier und heute und im ganzen Leben.

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Erste Fassung der Predigt

Vor 14 Tagen, bei der Geschichte vom barmherzigen Samariter, da war es leicht und einfach, eine kurze und aktuelle Predigt zu halten, es kam nur darauf an, das Beispiel dieser barmherzig helfenden Tat auf die derzeitigen dramatischen Flüchtlingsnöte anzuwenden, dann war klar, was wir zu tun haben und was Gott heute von uns erwartet. Bei dem heutigen Predigttext ist das anders. Er erfordert eine längere Auslegung. Zwar sind sie wunderschön und sehr bekannt, Jesu Worte vom Nicht-Sorgen um unser Leben, von den Vögeln unter dem Himmel und den Lilien auf dem Felde – aber darin stecken einige mögliche fatale Missverständnisse, die müssen zuerst beiseite geräumt werden, und so brauchen wir jetzt für die Predigt einen längeren Anlauf.

Was mich beunruhigt und im Blick auf die Auslegung ratlos macht: Keinen einzigen Satz finde ich hier, den ich direkt und tröstlich anwenden könnte auf das, was uns so auf den Nägeln brennt, eben die unendlichen Nöte der unzählig bei uns ankommenden Flüchtlinge. Das „Sorget euch nicht um euer Leben“ passt einfach nicht als Zuspruch für die, die gerade der Hölle entronnen sind und so lange um ihr Leben gelaufen sind. Gott wird schon für euch sorgen, und dabei die Hände in den Schoß legen, nein, das geht wirklich nicht. Denn nun haben wir zu sorgen, für Hilfe, für Menschlichkeit, wir haben diese Menschen, die nicht an ihrem Schicksal schuld sind, bei uns aufzunehmen – und wir schaffen das, sagt unsre Kanzlerin, denn wir sind ein starkes Land mit vielen helfenden Händen.

Aber auch sonst, in normalen Zeiten, ist das nicht leicht zu leben, dieses „Sorget nicht, sondern vertraut auf Gott“. Denn das kann ja nicht heißen, dass wir uns von unserer Verantwortung verabschieden. Eltern müssen doch für ihre Kinder sorgen, Tag für Tag, bis sie erwachsen sind und für sich selber sorgen können. Die Sorge ist doch berechtigt um einen guten Schulabschluss bei einem jungen Menschen, damit er seinen Platz in unserer Gesellschaft findet und sein Leben bestehen kann. Und wir kennen doch den Frust und die Szenen in unseren Familien, wenn ein pubertierendes Kind mit seiner Null-Bock-Mentalität keine Lust hat, sich in der Schule anzustrengen – wir werden es nicht durchgehen lassen, wenn unsere Tochter / unser Sohn sagen würde: Na und, Jesus hat doch gesagt: Sorgt euch nicht für morgen … – da werden wir doch sagen: Liebes Kind, da hast du etwas nicht ganz richtig verstanden!

Wir Menschen tragen, anders als die Vögel unter dem Himmel und die Lilien auf dem Felde, eben doch Verantwortung für unser Leben und die zukünftigen Folgen, die unser Tun oder Unterlassen für uns haben werden. So ist das mit uns Menschen, der Theologe Ulrich Wilckens (Das Neue Testament, 5.Aufl., 1977, z.St.) erklärt dazu: „Das aus der Sorge geborene Besorgen gehört zum Menschsein auf dieser Erde, weil der Mangel zu seiner Natur gehört und weder Nahrung noch Kleidung, Wohnung und Schutz ihm zufallen; sorgt er nicht für sich selbst, so muß er umkommen“. Und doch behält Jesu Wort „Sorget euch nicht um euer Leben“ seine Wahrheit, freilich ganz anders und auf einer tieferen Ebene, nämlich da, wo es um unsere Existenz geht, da wo ich weiß: Nicht ich selbst habe mich erschaffen, sondern Gott. Aus seiner Hand lebe ich mit jedem Atemzug, und der Ruf „Alle eure Sorge werfet auf ihn, denn er sorgt für euch“ kann nur dies bedeuten: Ich selbst werfe mich in Gottes Hand, Tag für Tag immer neu, ich selbst mit meiner Verantwortung für mein Leben und das meiner Kinder und aller, die mir anvertraut sind.

Hier stoßen wir auf den Kern, auf den Satz, der uns unbedingt angeht, jeden Menschen in jedem Alter, es ist die Frage Jesu (V.27): Wer von euch vermag durch sein Sorgen seine Lebenszeit auch nur um eine einzige Elle zu verlängern? – So ist es. Mein Leben ist endlich und begrenzt. Meine Zeit steht in Gottes Händen. Wie lange oder wie kurz ein Leben dauert, ist Seine Sache und bleibt Sein Geheimnis. Ein Rätsel, über das wir uns wundern, immer wieder und nicht damit fertig werden. Wenn ich über den Friedhof zum Grab meiner Frau gehe, komme ich an vielen Gräbern vorbei und wundere mich, so viele Menschen sind viel jünger gestorben, haben kürzer gelebt als ich – und ich mit meinen 85 Jahren bin immer noch da. Dag Hammarskjöld schreibt in seinem Tagebuch: “Das Unerhörte, in Gottes Hand zu sein, und wieder diese Enttäuschung, wie lange du brauchst, um das zu begreifen“. Fragen, die mein Menschsein in seiner Tiefe betreffen, diese Verwunderung über mein Dasein. Am besten hat das Hans Thoma in einem wunderbaren Gedicht ausgedrückt:

Ich kam, weiß nit woher;
ich bin und weiß nit wer;
ich leb, weiß nit wie lang;
ich sterb und weiß nit wann.
Ich fahr, weiß nit wohin,
mich wundert, daß ich fröhlich bin.
Da mir mein Sein so unbekannt,
so steht es wohl in Gottes Hand,
die führe mich so aus wie ein,
dann kann ich wohl getröstet sein.

Gott sei Dank, wir werden getröstet, in unserem kurzen oder langen Leben. Getröstet, weil Jesus bei uns ist und so tröstlich zu uns spricht. Er spricht zu uns von Gott. Er spricht so zu uns von Gott wie keiner sonst. Gott ist euer Vater und ihr seid seine Kinder, das ist eure unverlierbare Würde im Leben und im Sterben. „Euer himmlischer Vater weiß wohl, daß ihr dies alles nötig habt“, sagt Jesus, und er lässt uns zum Himmel aufschauen: “Seht die Vögel unter dem Himmel an: sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater ernährt sie doch”. Wir sind und leben „in dem Herrn“, wie Paulus es oft beschreibt, im Philipperbrief ruft er der Gemeinde zu: “Freut euch im Herrn allezeit. Und immer wieder will ich es sagen: Freut euch! Laßt alle Menschen eure Güte erfahren. Der Herr ist nahe. Sorgt euch um nichts, sondern worum ihr zu bitten habt, das laßt in Gebet und Fürbitte mit Dank vor Gott kommen. Und Gottes Friede, der weiter reicht als alle Vernunft, halte die Wacht über eure Herzen und Gedanken in Christus Jesus”.

Zweite Fassung der Predigt zu Matthäus 6,25-34

Wunderbare Worte! So ist die Lehre Jesu: Voller Menschenliebe, Weisheit und Menschenkenntnis. Worte, die an die Wurzel unserer Existenz greifen und die Grundbedingungen des Menschseins ausleuchten, auch mit poetischen Zügen – Jesus zeigt uns die Vögel unter dem Himmel und die Lilien auf dem Felde. Damit lädt Jesus uns ein. Öffne dich nach draußen, schau dich um in Gottes Schöpfung. Alles ist von seiner umfassenden Güte getragen, Mensch und Tier und alles, was lebt. Zur “Ehrfurcht vor dem Leben” rief Albert Schweitzer auf, der Theologe, Musiker und Arzt. In allem was lebt, wirkt Gottes Hand. Alles hat in ihr Halt und Heimat. Nichts geht ihr verloren. Weil der Eine, Heilige, Allumfassende Euer Vater ist, er liebt euch und gab euch Menschen eine besondere Stellung und Verantwortung im Ganzen der Schöpfung. Verantwortung gerade auch für die Tiere, die Pflanzen, für alles Leben auf Erden. Man kann diesen Text heute nicht meditieren, auslegen und predigen, ohne an die ökologische Krise, an den Klimawandel zu denken. Wir sind wie in einem Boot auf diesem blauen Planeten Erde, den die Astronauten von ihrer Weltraumstation aus so schön leuchten sehen, aber wir leben hier auf dieser Erde, Gott hat sie uns anvertraut, wir tragen Verantwortung für alle Mitgeschöpfe wie auch für unsre Kinder und Kindeskinder, die nach uns hier auf Erden auch noch eine Heimat haben sollen. Das alles kommt zum Klingen, wenn ich Jesus reden höre von den Vögeln unter dem Himmel und den Lilien auf dem Felde.

Aber ein Satz unter den vielen Worten vom Nichtsorgen und vom Gottvertrauen – ein Satz läßt mich besonders aufhorchen, der trifft mich persönlich und jeden Menschen einzeln, nämlich Jesu Frage (V.27). Wer von euch vermag durch sein Sorgen seine Lebenszeit auch nur um eine einzige Elle zu verlängern? Also lieber Mensch, mein Bruder, meine Schwester, lass dich fallen in des Vaters Hand und lerne vertrauen.
Aber nichts wird schön geredet von diesem Jesus aus Nazareth, in der Schule seiner Nachfolge geht es nüchtern und ehrlich zu. Mach dir keine Sorgen, es wird schon wieder werden – nein, so oberflächlich ist es gerade nicht gemeint. Jesus weiß und setzt voraus: Die Sorgen sind real, sie sind da, täglich, jeder Tag hat genug an seiner eigenen Plage Jesus weiß das alles, er geht neben uns als unser Menschenbruder den Menschenweg. Dazu gehören naturnotwendig auch unsere Sorgen. Dazu erklärt der Theologe Ulrich Wilckens (Das Neue Testament, z.St.): „Zum Menschsein auf dieser Erde gehört das aus der Sorge geborene Besorgen, weil der Mangel zu seiner Natur gehört und weder Nahrung, noch Kleidung, Wohnung und Schutz uns zufallen; sorgt der Mensch nicht für sich selbst, so muß er umkommen“. Das sehen wir an den Flüchtlingen. Wir müssen für sie sorgen, sonst kommen sie um. Sie sind Menschen, sie sind Gottes Ebenbild wie wir, sie wollen und sollen leben wie wir, leben aus der Güte Gottes, aber durch unsere helfenden Hände, denn Gottes väterliche Güte macht aus uns allen eine Familie, Angehörige, Geschwister mit allen Hautfarben, wir gehören zusammen auf dieser Erde.

Wir hier in Europa, in Deutschland, leben auf einer Wohlstandsinsel. Gemessen am Überlebenskampf der Flüchtlinge sind unsere Alltagssorgen klein, sie sind Luxusprobleme. Z.B. die Frage, wie wir uns kleiden, was wir anziehen sollen. Hier bei Jesus mit seinen Jüngern unterwegs auf der Wanderschaft, da geht es um eine Decke für die Nacht, um praktische Wanderkleider, und wären sie noch so ärmlich. Wenn aber bei uns eine Frau oder ein junges Mädchen sagt: Hilfe, ich habe nichts anzuziehen – dann geht es um Modefragen, um das Insein, um nicht verspottet zu werden von den Kolleginnen – ja, wie sieht die denn aus! Oder schlimmer: Die Show auf dem Laufsteg diktiert die Körpermaße, junge Mädchen hungern sich kaputt um ihrer vorschriftsmäßigen Figur willen. Das hat Jesus damals sicher nicht im Blick haben können. Und doch sagt er dazu gerade für heute: Das Leben ist mehr als die Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung. Das heißt: Gott hat dich schön geschaffen, du bist schön, gerade so wie du bist und aussiehst, so blühend schön wie die Lilien in Feld und Garten.mGib dich natürlich, gib dich so wie du bist, Gott ist es, der dir deine Schönheit gibt, deinen Charme, deine Lebenslust!

Worum geht es denn im Leben? Was ist wirklich wichtig? Worauf kommt es an? Dass wir unser Leben vereinfachen, auf die einfachen elementaren Dinge achten, in Einklang mit unserer Seele kommen, mit unserer Bestimmung, mit Gott. Im Vergleich mit den Vögeln und aller Kreatur ruft uns Jesus zu: Seid ihr denn nicht viel mehr als sie. Besinnt euch auf das, was ihr seid, nicht so sehr auf all das, was ihr habt und zu brauchen meint. Wer wir sind und wo wir hingehören, darauf kommt es an. Einander beistehen und zum Leben helfen. “Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit”, ruft Jeus. Wir auf unsrer Wohlstandsinsel und die Flüchtlinge in ihrer Not, das trifft heute aufeinander, in hartem Gegensatz, und es fordert den großen Ausgleich. Dietrich Bonhoeffer fragt in seinen Gefängnisbriefen: “Worin wird das Christsein ab jetzt und in Zukunft nur noch bestehen”, und er antwortet: “Im Beten und im Tun des Gerechten unter den Menschen”. Dies bedeutet: Befreiung von so vielem, was unnötig ist und was wir nicht brauchen. Wirklich nötig ist nur Weniges. Wie der Apostel Paulus das „Sorget nicht“ versteht, lesen wir in seinem Brief an die Philipper (Kap. 4): “Freut euch im Herrn allezeit. Und immer wieder will ich es sagen: Freut euch! Laßt alle Menschen eure Güte erfahren. Der Herr ist nahe. Sorgt euch um nichts, sondern worum ihr zu bitten habt, das laßt in Gebet und Fürbitte mit Dank vor Gott kommen. Und Gottes Friede, der weiter reicht als alle Vernunft, halte die Wacht über eure Herzen und Gedanken in Christus Jesus”.

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