“Das könnte ein Stück vom Himmel sein, mitten unter uns …”
Leben in der Verantwortung vor GOTT - Es ist unsere Entscheidung, wie wir diese Verantwortung wahrnehmen
Predigttext: Lukas 17,20 - 30 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
Als Jesus aber von den Pharisäern gefragt wurde:Wann kommt das Reich Gottes?, antwortete er ihnen und sprach: Das Reich Gottes kommt nicht so, dass man's beobachten kann; man wird auch nicht sagen:Siehe, hier ist es!, oder:Da ist es! Denn siehe, das Reich Gottes ist mitten unter euch. Er sprach aber zu den Jüngern:Es wird die Zeit kommen, in der ihr begehren werdet, zu sehen einen der Tage des Menschensohns, und werdet ihn nicht sehen. Und sie werden zu euch sagen:Siehe, da!, oder:Siehe, hier! Geht nicht hin und lauft ihnen nicht nach! Denn wie der Blitz aufblitzt und leuchtet von einem Ende des Himmels bis zum andern, so wird der Menschensohn an seinem Tage sein. Zuvor aber muss er viel leiden und verworfen werden von diesem Geschlecht. Und wie es geschah zu den Zeiten Noahs, so wird's auch geschehen in den Tagen des Menschensohns: Sie aßen, sie tranken, sie heirateten, sie ließen sich heiraten bis zu dem Tag, an dem Noah in die Arche ging und die Sintflut kam und brachte sie alle um. Ebenso, wie es geschah zu den Zeiten Lots:Sie aßen, sie tranken, sie kauften, sie verkauften, sie pflanzten, sie bauten; an dem Tage aber, als Lot aus Sodom ging, da regnete es Feuer und Schwefel vom Himmel und brachte sie alle um. Auf diese Weise wird's auch gehen an dem Tage, wenn der Menschensohn wird offenbar werden.
Übersetzung Gute Nachricht Bibel (1997)
Einige Pharisäer fragten Jesus, wann die Herrschaft Gottes anbrechen werde. Jesus antwortete: »Ihr dürft nicht nach Vorzeichen ausschauen und an allen möglichen Orten nach ihr suchen! Denn schon jetzt, mitten unter euch, richtet Gott seine Herrschaft auf!« Dann sagte Jesus zu den Jüngern, den Männern und Frauen: »Es wird die Zeit kommen, wo ihr euch danach sehnt, auch nur einen Tag unter der Herrschaft des Menschensohnes zu erleben. Aber es wird euch nicht vergönnt sein. Sie werden zu euch sagen: 'Schaut doch hierher!', oder: 'Schaut dorthin!' Aber geht nicht hin und gebt nichts darauf. Wenn sein Tag da ist, wird der Menschensohn kommen wie ein Blitz, der mit einem Schlag den ganzen Horizont ringsum erhellt. Aber zuvor muss er noch vieles erleiden und von den Menschen dieser Generation verworfen werden. Wenn der Menschensohn kommt, wird es genauso sein wie zur Zeit Noahs: Die Menschen aßen und tranken und heirateten, wie sie es gewohnt waren – bis zu dem Tag, an dem Noah in die Arche ging. Dann kam die Flut und vernichtete sie alle. Und es wird auch genauso sein wie in den Tagen Lots: Sie aßen und tranken, sie kauften und verkauften, bestellten das Land und bauten Häuser, wie sie es gewohnt waren. An dem Tag aber, an dem Lot die Stadt Sodom verließ, fiel Feuer und Schwefel vom Himmel und vernichtete sie alle. Ganz genauso wird es an dem Tag sein, an dem der Menschensohn erscheint.
Vorüberlegungen zur Predigt
In den Predigthilfen (Gottesdienstpraxis, Predigtstudien) lese ich, dass die Rede vom Reich Gottes den Hörern nicht mehr vertraut ist. Dem kann ich mich nur anschließen.
Meine Hörer suchen das Glück im Alltag und/oder im Urlaub. Gesundheit, Leistung, Authentizität und Selbstoptimierung sind einige Schlagworte. Allerdings habe ich die Erfahrung gemacht, dass viele Gemeindeglieder und gerade die sehr engagierten im Leben schon einmal vor einem „Scherbenhaufen“ gestanden haben. Ich bin versucht, die Weltuntergangsgeschichten von der großen Flut und der Stadt Sodom auszuklammern. Das Argument, dass andere dann ihre Weltuntergangsszenarien in den Köpfen der Menschen implementieren, leuchtet mir allerdings ein. Also lese ich den ganzen Predigttext. Allerdings nicht nach Luther, sondern in der Fassung der Guten Nachricht Bibel (1997). Die Konfirmanden sind auch anwesend.
Weltuntergang in der Fassung des Alten Testamentes ist nicht mehr präsent, aber in der Fassung durch Hollywood ist er vielgestaltig. Da möchte ich meine Hörer abholen.
Traditionell ist der drittletzte Sonntag im Kirchenjahr der Auftakt für die Friedensdekade. Aber bei allen Gesprächen in den letzten zehn Tagen gibt es nur ein Thema: Die Flüchtlinge. Nun wird das in den Predigten der letzten Wochen immer wieder schon zur Sprache gekommen sein. Bei mir in der Gemeinde heißt es aber auch immer noch: Wir müssen dazu Stellung beziehen. So werde ich es wieder versuchen.
Vom Text her aufgegeben sind die Themen präsentische und futurische Eschatologie sowie die Unterscheidung zwischen Gottesreich und Menschenreich.
Ich werde meine Gedanken unverbunden in einzelnen Sentenzen präsentieren.
I
Hollywood liebt den Weltuntergang. Filme über das Ende der Erde gibt es viele. In Szene gesetzt wurden Eiseskälte und Schneemassen auf der ganzen nördlichen Halbkugel. Die Verschiebung der Erdkruste und der Kontinente wurde am Rechner simuliert, genauso wie ein Meteoriteneinschlag. Das Ende der Welt in der Filmindustrie hat eine Konstante: Die Helden überleben. Der amerikanische Präsident verkündet den Wiederaufbau und die Familie den Neubeginn.
II
Der Weltuntergang ist aber keine Idee von fantasiereichen Menschen, die mit dem Grusel Kasse machen wollen. Was die Menschen in Hiroshima und Nagasaki im August 1945 erlebten, als Atombomben auf ihre Städte fielen, muss sich angefühlt haben wie der Weltuntergang. Und wer gegenwärtig in Aleppo und Idlib in Syrien lebt, muss denken oder fühlen: Die Welt steht Kopf, kein Stein mehr auf dem anderen, kaum Wasser, kaum Brot, Weltuntergang. Ich versuche mir die Katastrophe in diesen Orten vorzustellen, aber als Wirtschaftswunderkind in der gutgeheizten Stube fällt mir das schwer. Ich fürchte, die Realität in den Kriegsgebieten ist heftiger als der Weltuntergang im Film.
III
Jesus ist mit Weltuntergangsgeschichten aufgewachsen. Heute hören wir wie er auf zwei Geschichten anspielt. Auf die Geschichte von der großen Flut und Rettung der Familie Noah in der Arche. Und auf den Untergang der Stadt Sodom. Diese Katastrophe hat eine Vorgeschichte. Abraham wusste von Gottes Plan, die Stadt zu vernichten. Er hat zäh mit Gott verhandelt. Gott solle doch nicht die Gerechten mit den Gottlosen zusammen vernichten. Gott sichert zu: Wenn ich nur zehn gerechte Menschen in die Stadt finde, wird sie verschont. Aber Gott fand nur einen: Abrahams Neffen Lot. Dem gelingt die Flucht, während hinter ihm die Stadt mit Feuer vom Himmel vernichtet wird. So das Alte Testament. Ich finde besser kann Hollywood sich das auch nicht ausdenken. Jesus verwendet hier die Geschichte als Beispiel. Er distanziert sich nicht von Gott, seinem Vater, der als strafender, gewalttätiger Zerstörer auftritt. Der Tag des Herrn ist der Tag des Gerichts (Jüngstes oder letztes Gericht). Die Rede davon ist aus der Mode gekommen. Und nicht nur das. Wir finden die Rede vom Reich Gottes oder vom Tag des Menschensohnes befremdlich.
IV
Aber selbstverständlich haben Menschen heute Hoffnung. Und Menschen haben Angst. Hoffnung und Angst werden heute in ganz andere Worte gekleidet. „Bleib schön gesund!“ wünschen sich Menschen, die sich mögen. Ich frage Taufeltern nach Wünschen für ihr Kind. Die Antworten sind: Gesundheit für die Kinder, das die Kinder ihren Weg machen, Freunde finden. Glücklich werden. So wird heute Hoffnung beschrieben. Menschen möchten anerkannt von anderen, wollen gern etwas leisten; eigenständig, selbständig bleiben bis ins Alter. Und wenn die Menschen es wagen, weiter zu gehen, in den Gedanken hinauszugehen über das, was sie selbst schaffen können: dann beginnt die Sehnsucht nach Heilung an Leib und Seele. Die Sehnsucht, dass sich die Scherben des Lebens wieder zusammenfügen, oder sogar etwas Neues entsteht: Eine Welt voll Frieden und Liebe und Glück, für mich und andere. Ich bin mir nicht sicher, ob diese Sehnsucht, eine Sehnsucht nach dem Reich Gottes ist, nach der Königsherrschaft der Himmel. Aber dass jeder Mensch diese Sehnsucht kennt, das vermute ich.
Was ist unsere Angst? Niemand hat Angst davor, dass Gott wieder einmal die Erde überflutet. Keiner glaubt daran, dass Gottes zur Strafe Feuer vom Himmel regnen lässt. Das Jüngste Gericht, ich sagte es schon, ist aus der Mode. Die Menschen fürchten nicht Gottes Strafe, sondern das eigene Versagen. Die Welt überhitzt und der Meeresspiegel steigt. Die Griechenlandkrise lässt die Wirtschaft in ganz Europa abstürzen. So sahen unsere Weltuntergangsgeschichten bis vor kurzem aus. Davon ist jetzt keine Rede mehr. Im Augenblick bereit der massive Zustrom von Schutz- und Heimatsuchenden den Menschen Sorgen. Wo werden die Menschen wohnen? Wo werden sie Arbeit finden? „Die Schlägereien in den Flüchtlingsunterkünften finden womöglich bald vor meiner Haustür statt.“ „Wenn mir ein Flüchtling über den Weg läuft, kann ich nicht verstehen, er oder sie spricht nicht meine Sprache.“ „Die Moslems haben doch alle so viele Kinder, bald sind wir ein islamisches Land.“ Das sind die Sorgen, die sich die Menschen machen. Daraus klingt manchmal ein unterschwelliges Sich-bedroht-fühlen. Aber viele Menschen haben sehr viel Verständnis und Mitleid: „Ich war auch ein Flüchtling. Wir konnten auch nichts mitnehmen. Die Kinder tun mir so leid”. Solche Sätze habe ich in den letzten Wochen gehört.
Ich denke, wir brauchen keine Angst haben vor den Flüchtlingen. Sie möchten, was jeder Mensch möchte: Leben, lieben, arbeiten, etwas wert sein, Frieden. Wir müssen uns aber wirklich Sorgen machen, ob wir allen Erwartungen entsprechen können. Vor unserem Land und vor seinen Menschen liegt eine große Aufgabe. Und sie wird uns in einem Dilemma lassen: Es ist unmöglich, die ganze Welt zu versorgen, und es ist unchristlich, die Leidenden unversorgt in Regen und Kälte stehen lassen. Wir müssen einen Kompromiss finden. Dazu brauchen alle Bewohner dieses Landes viel Geduld.
V
Einige Pharisäer fragten Jesus, wann die Herrschaft Gottes anbrechen werde. Jesus antwortete: »Ihr dürft nicht nach Vorzeichen ausschauen und an allen möglichen Orten nach ihr suchen! Denn schon jetzt, mitten unter euch, richtet Gott seine Herrschaft auf!« – Wann kommt Gott? fragen die Pharisäer. Jesus antwortet „Mitten unter euch”. Statt auf die Frage wann, erklärt Jesus wo! Trotz dieser Ortsbeschreibung wird Gott und seine Herrschaft nicht aufzufinden sein. Gottes Reich ist nicht vorzeigbar. Gott ist unverfügbar. Wir können ihn nicht einsperren, nicht herbei zwingen, nicht anderen aufzwingen. Gottes Reich ist interaktiv. Mitten unter euch. Gott ereignet sich, wenn Menschen ihm begegnen, wenn Menschen einander begegnen. Meine Vermutung ist: Gottes Reich geschieht, wenn Mitgefühl zur Tat wird. Dass so viele Menschen Kleider sortieren, Deutschkurse geben, Angekommenen unsere Kultur zeigen: Das könnte ein Stück vom Himmel sein, mitten unter uns.
VI
Dann sagte Jesus zu den Jüngern, den Männern und Frauen: »Es wird die Zeit kommen, wo ihr euch danach sehnt, auch nur einen Tag unter der Herrschaft des Menschensohnes zu erleben. Aber es wird euch nicht vergönnt sein. Sie werden zu euch sagen: ‘Schaut doch hierher!’, oder: ‘Schaut dorthin!’ Aber geht nicht hin und gebt nichts darauf. Wenn sein Tag da ist, wird der Menschensohn kommen wie ein Blitz, der mit einem Schlag den ganzen Horizont ringsum erhellt.“
Der Tag des Menschensohnes. Wir könnten auf der Straße eine Umfrage machen, wer je davon gehört hat, dass Jesus Christus wiederkommt, wie ein Blitz, der den ganzen Horizont erhellt. Ich denke, davon hat kaum jemand gehört. So reden Menschen nicht von der Zukunft. Und so reden auch Pastoren nicht mehr von der Kanzel. Und doch weiß jeder Mensch: Es gibt Dinge, die sind unverfügbar. Wir haben unser Leben nicht von der Wiege bis zur Bahre im Griff. Ein Kind hat sein Leben nicht im Griff, und ein hinfälliger, alter Mensch kann auch nicht allein leben. Allenfalls in der Mitte des Lebens tun viele so, als hätten sie das Leben in der Hand. Doch wenn ein Blitz aus heiterem Himmel trifft und das Leben umkrempelt, wird klar: Vieles im Leben des Menschen ist unverfügbar. Das gilt nicht nur für jeden Menschen einzeln. Auch wie die Welt läuft, haben wir nicht in der Hand. Niemand hätte 1945 gedacht, dass Deutschland 70 Jahre später der Sehnsuchtsort für Millionen ist! Wir haben vieles nicht im Griff. Aber Bestandteil des christlichen Glaubens ist die Hoffnung, dass der Eine alles in der Hand hat.
VII
Dass Jesus womöglich mit Blitz und Donner kommt und seine Macht wahrnimmt, ist ein befremdlicher Gedanke. Ob sich das buchstabengetreu ereignet, ist nicht entscheidend. Für mich ist wichtig festzuhalten: Den Tag des Menschensohnes, der Tag, an dem Christus König ist, kommt. Und ich werde ihn nicht verpassen. Gottes Sohn ist unverfügbar. Wenn er kommt, werde ich mich fügen. Die Zukunft gehört Jesus Christus. Auf der anderen Seite hat die Herrschaft Gottes unter uns schon angefangen. Gottesreich und Menschenreich sind miteinander verwoben. Das Neue kommt nicht nur aus der Zukunft, es wird auch gefunden in der Gegenwart. Gott lässt sich schon heute finden. Es gibt Erlösung nicht erst nach dem Tod, sondern mitten im Leben bricht Gottes Reich an: als eine neue Liebe nach einer schmerzhaften Trennung. Wie ein Fest nach langer Trauer. Als ein Lachen, ein lustiger Abend mitten in schweren Tagen. Unverfügbar und doch mitten unter uns ist Gottes Gegenwart.
Wir können nicht Gottes Geschichte schreiben. Wir schreiben unsere eigene. Wir leben in der Verantwortung vor Gott. Wie wollen wir diese Verantwortung wahrnehmen? Das ist unsere Entscheidung. Wir können entscheiden, welche Rolle wir in Gottes Film spielen wollen. Die Rolle des Helden, die Rolle des alten Nazis, die Rolle der aufopfernden Helferin oder der gewitzten Randfigur. Es wird immer jemand gebraucht, der alle zum Lachen bringt. Wie immer wir uns entscheiden: das wahre Leben ist entspannend, ob es ein Weltuntergangsepos wird und ob es ein Happyend gibt, ist offen. Klar ist für mich: Ich gehöre auf die Seite der Guten. Und Gott führt die Regie.
Mit Hollywood führt Pastorin Handelsmann sehr aktuell ein in die Gedanken des Textes über den Weltuntergang. Sie erinnert an die Weltuntergangsstimmung heute in Syrien. Jesus verwendet auch in seinen Worten Weltuntergangsgedanken durch Geschichten aus dem Alten Testament und durch die Apokalyptik. Jesus distanziert sich nicht von Gott, der am Weltende als Richter auftritt. Die Rede vom Weltende mit dem Tag des Menschensohns Jesus finden wir befremdlich. Aber wir leben im Großen und im Kleinen von der Hoffnung und der Sehnsucht nach endgültigem Frieden. Im Augenblick sind wir alle angespannt von den EU- Weltuntergangs -Geschichten um Griechenlands Wirtschaft. Jetzt haben wir dazu Ängste um den Flüchtlings-Strom. Aber wir brauchen darum keine Angst zu haben, ermutigt die Pastorin. Wenn Nächstenliebe zur Tat wird, geschieht ein Stück vom Gottesreich. Jesus spricht vom Tag des Menschensohns am Ende der Zeit. Gottes Herrschaft hat unter uns schon angefangen. Die Zukunft gehört Jesus. Sein Reich wird endgültig und ganz kommen. Die Schlussfrage an jeden ist: Welche Rolle spielst Du in Gottes Reich? – Sehr ausführlich und vielseitig predigt Pastorin Handelsmann über den Text vom gegenwärtigen und kommmenden Gottesreich. Aktuelle Probleme webt sie interessant mit ein. Von Hollywood über Hiroshima bis zur Flüchtlingsfrage. Ein fesselndes Kaleidoskop interessanter und lebendiger Gedanken zum interessierten Zuhören.