Judasbilder
Ein Blick in die Vielschichtigkeit von Gut und Böse
Predigttext (nach dem neuen Perikopenentwurf): Johannes 13, 21 - 30 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
21 Als Jesus das gesagt hatte, wurde er betrübt im Geist und bezeugte und sprach:
Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Einer unter euch wird mich verraten.
22 Da sahen sich die Jünger untereinander an, und ihnen wurde bange, von wem er wohl redete.
23 Es war aber einer unter seinen Jüngern, den Jesus liebhatte, der lag bei Tisch an der Brust Jesu.
24 Dem winkte Simon Petrus, dass er fragen sollte, wer es wäre, von dem er redete.
25 Da lehnte der sich an die Brust Jesu und fragte ihn: Herr, wer ist's?
26 Jesus antwortete: Der ist's, dem ich den Bissen eintauche und gebe. Und er nahm den Bissen, tauchte ihn ein und gab ihn Judas, dem Sohn des Simon Iskariot.
27 Und als der den Bissen nahm, fuhr der Satan in ihn. Da sprach Jesus zu ihm:
Was du tust, das tue bald!
28 Aber niemand am Tisch wusste, wozu er ihm das sagte.
29 Einige meinten, weil Judas den Beutel hatte, spräche Jesus zu ihm:
Kaufe, was wir zum Fest nötig haben!, oder dass er den Armen etwas geben sollte.
30 Als er nun den Bissen genommen hatte, ging er alsbald hinaus. Und es war Nacht.
Zum Kirchenjahr
„Die Werke des Teufels“(1. Joh 3, 8b) sind Thema des 1. Sonntags der Passionszeit. Der Entwurf zur neuen Gestaltung der Perikopenordnung sieht für den Sonntag Invokavit mit zwei neuen Predigttexten in den Reihen III (Joh 13, 21-30) und V (Hiob 2, 1-13) eine thematische Zuspitzung und zugleich Erweiterung des Themas vor. Die Werke des Teufels stellen sich dar als Versuchungen, denen sowohl der Gottessohn als auch die Menschenkinder ausgesetzt sind. Als Geschöpfe Gottes sind die Menschen dennoch keine Marionetten in Gottes Hand, die seinem Willen - in allem vorher bestimmt - ausgeliefert wären. Herausgefordert sind sie, auf ihrem Lebensweg im Horizont ihres Glaubens und ihres Gottvertrauens Entscheidungen zu treffen und Haltungen zu entwickeln, die die Möglichkeit von Scheitern und Schuld in sich bergen.
Umso deutlicher und drängender wird die Notwendigkeit von Erlösung und Vergebung, die mit dem Kreuzestod Jesu zur Vergebung aller Sünden ermöglicht wird.
Exegetisch - homiletische Vorüberlegungen
Mit Aufnahme der Erzählung vom letzten Abendmahl rückt die Person des Judas in den Mittelpunkt. Als vom Satan versucht, ja heimgesucht, erscheint er als der Verräter Jesu und der Gemeinschaft der Jünger, im Kontext der johanneischen Theologie gar als Rechtfertigung für den tiefen Graben, ja die Feindschaft von Juden und Christen, die sich auf das Grausamste durch die Jahrhunderte hindurchzieht. Doch ist es eben diese Mittelpunktstellung, mit der Judas auf sich aufmerksam macht. Wer war er als Jünger wirklich? Verräter oder Vertrauter? Werkzeug im Heilsplan Gottes oder Christusmörder? Viele Autoren in Theologie und Literatur sind dieser Frage nachgegangen. Damit haben sie den Weg bereitet und eröffnet, ein starres Judasbild um anthropologische und theologische Facetten zu erweitern, die - selbst wenn man Walter Jens mit seinem Anliegen einer Seligsprechung des Judas nicht folgen mag – umso tiefer deutlich machen, was uns Menschen mit dem Kreuzestod Jesu an Vergebung von Schuld und an Erlösung geschenkt ist.
Literatur
Eugen Drewermann, Das Johannes-Evangelium. Bilder einer neuen Welt. Zweiter Teil: Joh 11 – 21, Düsseldorf 2013. - Walter Jens, Ich, ein Jud: die Verteidigungsrede des Judas Ischariot, 2004 zitiert nach: Karl-Josef Kuschel, Jesus im Spiegel der Weltliteratur, Düsseldorf 1999, S. 271-281. - Eric-Emmanuel Schmitt, Das Evangelium nach Pilatus, Frankfurt am Main 2005.
Lieder
"Ist Gott für mich, so trete" (EG 351, 1-4)
"Ein feste Burg ist unser Gott" (EG 362)
"Ach, bleib mit deiner Gnade" (EG 347)
Judas, wer bist du?
Nur das Kreuz ist erleuchtet in der dunklen Kirche. Vertraute Klänge dringen an mein Ohr. Johann Sebastian Bachs Matthäuspassion. „Und als er noch redete, siehe, da kam Judas, der Zwölfen einer, und mit ihm eine große Schar mit Schwertern und mit Stangen von den Hohenpriestern und des Ältesten des Volkes. Und der Verräter hatte ihnen ein Zeichen gegeben und gesagt: Welchen ich küssen werde, der ist’s, den greifet! Und alsbald trat er zu Jesum und sprach: Gegrüßest seist Du, Rabbi!“ hören wir den Evangelisten singen. Doch dann wird die Musik leiser. Vor dem erleuchteten Kreuz erscheint eine männliche Gestalt, gehüllt in einen schwarzen Ledermantel, die blonden Haare wirr und zerzaust. Er fällt nieder vor dem Kreuz. Betet er? Hält er Zwiesprache mit dem Gekreuzigten? Ja, er spricht! Nur leise zwar, aber doch sind seine Worte deutlich zu verstehen: „Gegrüßet seist Du, Rabbi!“ Langsam wendet er sich um, sieht uns an, spricht uns an – eindringlich und doch wieder zärtlich, im Wissen um den, der vom Kreuz her die dunkle Silhouette des Mannes mit hellem Licht umgibt.
Es ist, als würden wir zu Zeugen des nur allzu bekannten Geschehens, von dem der Evangelist gerade sang. Doch Judas spricht weiter: „‘Gegrüßet seist Du, Rabbi‘ – das waren die vier Worte, die wir vereinbart hatten, wir beiden, er und ich, zum Zeichen, dass es kein Zurück mehr gab für uns, von nun an nicht mehr. Ich ging auf ihn zu, sehr langsam, beinahe bedächtig, er lächelte, ich küsste ihn, und wir umarmten einander. … Der letzte Liebesbeweis: Judas aus Kerioth küsst seinen Herrn. Und er, Jesus von Nazareth, sagte zu mir: ‚Mein Freund‘ “ (Kuschel, S. 271f). Doch etwas ist anders. Judas ist anders. Dieser Judas bricht aus aus dem Bild, das mich die Evangelien von klein auf gelehrt haben, aus dem Bild, das ich mir von ihm gemacht habe: Judas als Inbegriff des Bösen. Und auch mir wurde von Kindheit an eingetrichtert, dass er der Hauptschuldige am Tode Jesu ist: einer, der für Geld bereit ist, alles zu tun, sogar Jesus zu verraten. Ein Judasbild mit fatalen Folgen, Grundstein für Judenhass, grausame Verfolgung und Ermordung.
Ich beginne zu fragen, zu hinterfragen, ihn, den Jünger Judas: Wie passen diese Worte der Liebe zu der Kälte des Verrats? Wie die innige Verbundenheit zum Stoß in den Tod? Wer bist du, Judas! Verräter oder Vertrauter? Feind oder Freund? Von Hass zerfressen oder willenloses Werkzeug im Heilsplan Gottes? Mit solch verwirrenden Fragen im Herzen, die die dramatische Verteidigungsrede des Judas Ischarioth „Ich, ein Jud“ – aus der Feder des Walter Jens in mir hinterlassen hat, wende ich mich noch einmal dem Predigttext aus dem Johannes-Evangelium zu.
Judas, wo sitzt du?
Ich begegne der vertrauten Szene des letzten Abendmahls, das Jesus mit seinen Jüngern zu sich nimmt. Doch bei aller Vertrautheit ist die verwirrende Dramatik der Situation spürbar in jedem Wort, in jeder Geste: Geborgenheit und Gefährdung, Gemeinschaft und Einsamkeit, Vertrauen und Verrat, Verbundenheit und Trennung. Und obwohl Jesus nur zu genau um den Fortgang der Ereignisse weiß, um den Verrat, mit dem das Ende seiner Lebensgeschichte besiegelt ist, beschreibt Johannes ihn nach der intimen Geste der Fußwaschung als „im Geist betrübt“, ja „verwirrt“ – so die angemessenere Übersetzung. Umgeben ist Jesus von seinen Jüngern: von dem, den er ihn liebte und der seinen Platz an Jesu Brust gefunden hatte, vielleicht, weil sie einander besonders vertraut und nahe waren. Vertraut und nahe wie Jesus und Judas in dem Einpersonenstück von Walter Jens? Vertraut und nahe genug, um zum Verräter zu werden, weil Gottes Heilsplan es so braucht und vorsieht?
Bei Johannes ist jener Jünger namenlos, lediglich Bote der Frage nach dem Verräter und der Antwort Jesu. Aber wo sitzt du dann, Jünger Judas? Neben Petrus, der Jesus dreimal verleugnen wird? Zwischen denen, die im Garten Gethsemane einschlafen, obwohl Jesus sie bittet, mit ihm wach zu bleiben? Oder gegenüber denen, die nach der Verhaftung Jesu die Flucht ergreifen? Jeden von ihnen bewegt, auch unausgesprochen, die bange Frage: Herr, bin ich’s? Also noch einmal: Wo sitzt du, Jünger Judas? Ein Fingerzeig wäre hilfreich! Ein Fingerzeig wäre deutlich! Ein Fingerzeig wäre entlarvend! Jedoch weit mehr, als mir lieb ist, wie jeder Selbstversuch lehrt: Bei dem ausgestreckten Zeigefinger, der Judas anklagt, weisen drei Finger derselben Hand auf den Ankläger zurück.
Judas, wer bin ich?
Nein, so einfach ist das mit Judas nicht. Nein, so einfach macht Judas uns es nicht.
Er lässt sich nicht pressen in ein schwarz-weißes Weltbild, in dem klar zu trennen ist zwischen Gut und Böse. Vielmehr eröffnet uns der Jünger Judas einen erkenntnisreichen und verständnisvollen Blick für die Vielschichtigkeit und die Verstrickung von Gut und Böse, von gutem Willen und von Schuld, von großer Tragik und einer unverhofft hoffnungsvollen Nähe zu uns. Um diese Hoffnung zu entdecken und zu teilen, sie für unser Leben und über unseren Tod hinaus lebendig werden zu lassen, ist es hilfreich, zunächst alle über Jahrtausende tradierte Vor-Urteile über ihn, den Verräter, den Geldgierigen, den Schuldigen am Jesu abzubauen und auszuräumen. Denn seien wir mal ehrlich: Was hat Judas mit seinem Verrat verbrochen? Hat er ein Geheimnis verraten? Oder sein Versteck auffliegen lassen? Das war überhaupt nicht nötig. Denn Jesus predigte öffentlich, und jeder wusste, wo er zu finden war. Lediglich für den richtigen Zeitpunkt zur Festnahme brauchten die Gegner Jesu einen Helfer, einen Verräter – oder wie man es auch übersetzen kann: einen Überlieferer.
Und: Steht ein Betrag von 30 Silberlingen tatsächlich für Geldgier? Oder überzeugen nicht eher die Hinweise aus Theologie und Literatur, die die Traditionslinie aus dem Buch des Propheten Sacharja aufgreifen und umso mehr auf eine Verbundenheit von Judas und Jesus im Glauben hinweisen? Bei Sacharja sind es ebenfalls 30 Silberlinge, die die Oberen in Israel dem im Dienste Gottes stehenden Hirten zahlen, als dieser seinen Dienst beenden will. Und schließlich die in meinen Augen noch viel gewichtigere Frage: Was wäre geschehen, wenn Judas Jesus nicht ausgeliefert hätte? Wenn er sich dem Heilsplan Gottes entzogen und einfach nichts getan hätte? Dann wäre Jesus nicht am Kreuz, nicht für uns gestorben – vielleicht eines natürlichen Todes in gesegnetem Alter. Dann wüssten wir nichts von einer Auferstehung und würden am Ostermorgen nicht unsere Hoffnung auf ein Leben feiern, das den Tod überwunden hat.
„ Angenommen, ich hätte nein gesagt in der Sekunde, da mir Jesus befahl, nicht länger zu zaudern – `tu schnell, was du tun mußt!‘ – gesetzt, ich hätte mich geweigert: wäre ich dann nicht – nur dann! – an Gott zum Verräter geworden? Bedenkt: Ohne Judas gibt es kein Kreuz, ohne das Kreuz keine Kirche, ohne mich, den Überlieferer, keine Überlieferung der Botschaft, dass wir erlöst sind“ (a.a.O. S. 278f), lässt Jens den Judas – dabei Bezug auf unseren Predigttext nehmend – feststellen. Und er überlässt es uns, unsere Erlösungsbedürftigkeit und unsere Erlösungsgewissheit in ihm, dem Judas zu entdecken. Es ist seine Geradlinigkeit, seine bedingungslose Glaubenstreue und Einwilligung in Gottes Heilsplan, in den Jesus selbst eingewilligt hat und ihm vertraut, die ihn, den Judas bereit macht, Schuld auf sich zu nehmen, schuldig zu werden. Judas hat keine Wahl, und er scheitert in der in der leisen Hoffnung, Jesu könne vielleicht doch noch, in der letzten Sekunde, über seine Gegner triumphieren. Stattdessen muss er erkennen, dass nicht erst ein Verrat, selbst schon die „Überlieferung“ nur Tod bringt: den Tod Jesu und seinen eigenen. „Ich habe Blut vergossen”, wird er am Ende eingestehen.
Hoffnung für Judas – Hoffnung für uns
Guter Wille und Schuld, Versagen, nicht die Wahl haben zwischen Gut und Böse, richtig und falsch, sondern nur auswählen zu können zwischen größerem und kleinerem Übel – all das sind Lebenssituationen, die mir vertraut sind, die mich erlösungs-bedürftig machen. Wie Judas lebe ich vom Verständnis und von der Vergebung, die not-wendig und erfahrbar ist in der Gemeinschaft mit Gott und miteinander, ganz so wie damals beim letzten Abendmahl Jesu heute im Gottesdienst.
Dürfen wir also Hoffnung haben? Hoffnung für Judas und Hoffnung für uns? Hoffnung, dass unser Schuldigwerden und Versagen an so Vielen in so Vielem wenn nicht auf Verständnis, so wenigstens auf Vergebung stößt? Hoffnung für all die, die mit großer Schuld gestorben sind? In seiner Verteidigungsrede fordert Judas diese Hoffnung ein: „Hilf mir, Herr, erbarme dich meiner! Gib mir ein Zeichen, das mir sagt: Du hast recht getan, Judas!“ (a.a.O. S. 280) Der Mann am Kruzifix auf dem Altar bleibt stumm. Aber die Bibel berichtet davon, dass Jesus hinabgestiegen ist in das Reich des Todes, weil nichts, aber auch gar nichts, die Menschen scheiden kann von der Liebe Gottes. Es gibt also Hoffnung auch für Judas, weil Jesus nicht nur durch ihn, sondern auch für ihn gestorben ist. Zusammen mit Judas dürfen wir hoffen.
Judas und sein Verrat stehen im Mittelpunkt des Predigtextes. Wer ist Judas ? Schon in der Kindheit haben wir in der Kirche gelernt, dass Judas seinen Freund, den edlen Gottessohn Jesus zum Tode verraten hat. Er ist deshalb der böseste aller Menschen. Als Gottessohn-Mörder hat er später den furchtbaren Antisemitismus gefördert. Wer aber war Judas wirklich ?, fragt Pfarrerin Janssens. Der Predigttext zeigt beim Abendmahl Judas noch als einen Freund von Jesus. Aber immer wieder und heute besonders überzeugend gibt es neue, positive Deutungen der tragischen und intelligenten Gestalt des Judas. Er hat Jesus besonders gut verstanden und gehört zu Gottes Heilsplan. Wenn er Jesus nicht verraten hätte, gäbe es keine Kreuzigung Jesu und keine Auferstehung und keine Kirche, auch heute. Judas hatte das Gefühl, Gottes Willen zu tun. Immer wieder gibt es die These, er wollte durch die Verhaftung bewirken, dass Jesus sich endlich als messianischer Machthaber zeigt und die Römer vertreibt. Realistischer ist die Annahme: Judas wollte erreichen, dass der Hohe Rat der Juden endlich mit Jesus sprechen musste. Judas war überzeugt, dass Jesus den Hohen Rat sicher von seinem Gesetzes-Verständnis überzeugen konnte und es einen neuen wegweisenden Weg für alle Juden durch einen Kompromiss gab. Judas stand in dem schauerlichen Konflikt, Gottes Willen zu tun und dabei schuldig zu werden. Im Schlußteil predigt Pfarrerin Janssens über die Hoffnung, dass Gott Judas und uns vergeben wird durch Jesus. Nichts kann uns und Judas scheiden von der Liebe Gottes.- Die Predigt macht Mut , heute differenziert und dadurch interessant über Judas zu predigen ! Judas ist nicht der böseste aller bisherigen Menschen. Die Pfarrerin zitiert Drewermanns Auslegung im Johannesevangelium. Als Drewermann- Fan möchte ich darauf hinweisen, dass in seinem Markus-Kommentar noch Ausführlicheres steht. Ein bemerkenswert interessante und lebendige Predigt sicher für alle Zuhörer !