Wunderbare Blüte Trost
Zur richtigen Zeit das richtige Wort, das Richtige tun
Predigttext: 2. Korinther 1,3-7 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Barmherzigkeit und Gott allen Trostes, der uns tröstet in aller unserer Trübsal, damit wir auch trösten können, die in allerlei Trübsal sind, mit dem Trost, mit dem wir selber getröstet werden von Gott. Denn wie die Leiden Christi reichlich über uns kommen, so werden wir auch reichlich getröstet durch Christus. Haben wir aber Trübsal, so geschieht es euch zu Trost und Heil. Haben wir Trost, so geschieht es zu eurem Trost, der sich wirksam erweist, wenn ihr mit Geduld dieselben Leiden ertragt, die auch wir leiden. Und unsre Hoffnung steht fest für euch, weil wir wissen:wie ihr an den Leiden teilhabt, so werdet ihr auch am Trost teilhaben.
Vorbemerkung
In der vorliegenden Predigt habe ich unter dem Stichwort „Trost“ versucht, den Gehalt von 1. Korinther 1,3-7 in die heutige Zeit zu transformieren. Man kann wohl exemplarisch über die Situation des Paulus predigen, aber meine Erfahrung ist, dass meine Zuhörer/innen lieber da angesprochen werden wollen, wo ihr Herz pocht. Insofern habe ich auch darauf verzichtet, hin- und herzublenden zwischen Heute und den Erfahrungen des Paulus, die vielen heutigen Zuhörer/innen fremd sind. Um nachvollziehbare Anschaulichkeit über die theoretischen Gedanken hinaus habe ich mich bemüht.
Auf dem Schulhof – ich spielte mit den Jungs in der Pause Fußball – kam ein Mädchen aus der dritten Klasse heulend zu mir gerannt – und zeigte mir seine Schürfwunde am linken Arm, die es sich beim Pausenspiel zugezogen hatte. Nun, ich hatte weder Pflaster noch ein Desinfektionsspray zur Hand. Aber unverrichteter Dinge wollte ich das schluchzende Mädchen auch nicht wieder wegschicken. So entschloss ich mich kurzerhand zu einer für das Mädchen überraschenden Tat. Ich nahm ihren Arm, hielt ihre Schürfwunde vor meinen Mund und blies dreimal spürbar darauf. Ich schaute die Kleine dann an und sagte: Jetzt ist alles wieder gut. Zu meiner Überraschung lächelte sie und sprang “geheilt” davon, um mit ihren Freundinnen weiter zu spielen. Im Nachhinein habe ich mich dann gefragt, was denn wirklich zur “Heilung” des Mädchens geführt hat. Es lag wohl daran, dass ich sie in ihrem Schmerz ernst genommen habe. Ich hätte ja auch sagen können: “Das ist doch alles halb so schlimm!” Ich hätte ihren Schmerz zu einem Wehwehchen klein reden können. Oder hätte sagen können: “Stell dich nicht so an, der Arm ist doch noch dran”. Um ihr zu verdeutlichen, dass sie einfach nur wehleidig ist. Vermutlich aber hätte das ihren Schmerz nur noch viel größer gemacht. Es wären ihr noch mehr Tränen die Wangen heruntergekullert. Man kann also nur jemanden beruhigen, wenn man seine Aufregung ernst nimmt. Man kann nur jemanden trösten, wenn man seinen Schmerz wahrnimmt. Man kann nur jemanden “heilen”, wenn man sein Leiden mitfühlt. Wir erleben nicht nur sonnige Tage. Von Zeit zu Zeit da ziehen düstere Wolken über uns hinweg. Sorgen belasten das Herz. Kummer führt zu einer gedrückten Stimmung. Es ist einem zum Jammern und Klagen zumute. Ganz gleich, ob Schmerz, Krankheit oder Leid einen überschatten, Trostlosigkeit macht sich breit, die unsere Tage verdunkeln. Dann haben wir Trost nötig. Und solchen Trost, egal wie belastet wir uns fühlen, können wir uns nicht selbst zusprechen. Denn niemand kann sich wie Münchhausen am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen. In solchen Zeiten brauchen wir ein Gegenüber. Jemanden, dem wir uns anvertrauen können. Dem wir sagen können, was uns schmerzt und was unsere Seele belastet. Einen Menschen, der Zeit für uns hat und uns zuhört.
Es gibt Menschen, die zur richtigen Zeit das richtige Wort sagen. Zu ihnen gehörte auch Pfarrer Krummacher. Einmal besuchte er eine kranke Frau. Sie war sehr niedergeschlagen und verzweifelt. Die Krankheit hatte ihre Pläne durcheinander gebracht. Furcht und Hoffnungslosigkeit lagen wie eine erdrückende Last auf der Frau. Der Pfarrer sprach sehr einfühlsam und verständnisvoll mit ihr. Natürlich sprach er auch von den Verheißungen, die in der Bibel stehen. Aber die Frau ließ sich leider nicht ermutigen. Da stand der Pfarrer auf, trat ans Fenster, schaute eine Weile nach draußen und sagte: “Was haben Sie nur für schlechte Bäume in Ihrem Garten!” “Wieso?” fragte die Frau. “Na ja,”, antwortete der Pfarrer, “die Bäume sind kahl und dürr. Ich sehe kein einziges Blatt. Wieso lassen Sie die Bäume nicht umhauen?” Die kranke Frau schaute den Pfarrer verwundert an und entgegnete: “Es ist doch Winter. Wenn der Frühling kommt, dann schlagen sie bestimmt wieder aus”. Pfarrer Krummacher schaute die Frau an und sagte: “Mit den Bäumen wissen Sie gut Bescheid, aber mit sich selbst kommen Sie nicht zurecht. In Ihrem Herzen ist jetzt auch Winter, aber Sie glauben nicht, dass der treue und barmherzige Gott Ihnen einen neuen Frühling schaffen kann”. Jetzt schien die Frau etwas begriffen zu haben. Sie nickte zustimmend mit dem Kopf. Es folgte ein gutes Gespräch. Hoffnung und Zuversicht brachen auf wie das zarte Grün nach einem bitterkalten Winter.
Die richtigen Worte finden, das ist gewiss nicht einfach Manchmal hilft ein Bild. Wie eben erzählt. Das zu einer neuen Sichtweise führt. Es kann auch eine überraschende Tat sein. Wie das Behauchen einer Schürfwunde. Die den Schmerz auf wundersame Weise vergessen macht. Es kann auch nur das einfache Zuhören sein. Das sich Einlassen auf die innere oder äußere Not eines Menschen. Wie etwa Hiob, der leidgeprüfte Mann im Alten Testament, der sich öffnen will: “Ertraget mich, dass ich rede, …” Es ist Hiob wichtig, dass er seinen Schmerz jemanden kundtun kann. “… und danach spottet über mich!” Das ist ihm dann völlig egal. Hiob braucht einfach nur Menschen, die bereit sind, ihm zuzuhören. Wir wissen sicher aus eigener Erfahrung, wie das von der Seele Reden uns spürbar erleichtert. Einen Menschen zu trösten, bedeutet in erster Linie, den Sorgen, dem Kummer, dem Leid standzuhalten. Sich dem Belastenden auszusetzen und zuzuhören, um zu verstehen. Es kann sein, dass Beistand, den wir leisten, unser Beistehen und Aushalten, uns selbst unter die Haut oder an die Nieren geht, wie wir sagen. Darum gibt es auch Menschen, die sich scheuen, Menschen zu begegnen, die ihr Päckchen zu tragen haben. Weil sie den Schmerz und das Leid anderer nicht ertragen. Von Jesus wird erzählt, dass er die Gefühle des seelischen Schmerzes in der Begegnung mit Leidenden kennt. Es geht ihm dabei so, wie es wörtlich in den Evangelien heißt, dass es ihm die Eingeweide umdreht. Ein starker Ausdruck, der zeigt, dass das Leid anderer Jesus nicht kalt und ungerührt gelassen hat.
Wo finden wir Trost, wenn wir ihn nötig haben? Am ehesten bei denen, die selbst schmerzliche Erfahrungen gemacht haben und Trost nötig hatten. Bei denen, die mitfühlend und einfühlsam sein können. Bei Menschen, denen Gott die Gabe der Empathie geschenkt hat, die sich in andere Menschen hineinversetzen können und mitfühlend das Unabänderliche aushalten oder dazu beitragen, einen anderen Blick auf das Leben zu gewinnen. Vielerorts haben sich Selbsthilfegruppen gebildet. Hier treffen sich Menschen mit dem gleichen Schicksal. Menschen, die füreinander Verständnis haben. So kann man sein eigenes Leid frei heraus erzählen. Und die Erfahrungen der anderen gereichen einem zum Trost. Man spürt, nicht allein zu sein und ermutigt sich gegenseitig. Trösten hat in der Sprache des Alten Testaments mit Auf- und Durchatmen zu tun. In den Psalmen spricht der Beter: ‘Bedrückt die Menge der Sorgen mein Herz, so erquickt dein Trost meine Seele’ (Ps 94,19). Da schüttet jemand sein Herz vor Gott aus und erfährt, dass er danach wieder auf- und durchatmen kann. Zu Gott kann man klagen und rufen, wie in Psalm 69 zu hören ist: ‘Gott, hilf mir! Denn das Wasser geht mir bis an die Kehle. Ich versinke in tiefem Schlamm, wo kein Grund ist. Ich bin in tiefe Wasser geraten, und die Flut will mich ersäufen’. Da wendet sich ein Mensch zum Himmel und erfährt “den Gott allen Trostes, der uns tröstet, damit wir andere trösten können”, wie Paulus ihn nennt. Auch unsere diesjährige Jahreslosung spricht vom tröstenden Gott, der uns zuspricht: “Ich will euch trösten, wie eine Mutter euch tröstet” (Jesaja 66,13). Klingt das nicht außerordentlich hoffnungsfroh! Lassen Sie mich mit einem Trost-Bild schließen:
Ein Gärtner hatte aus der Frucht einer schönen Rose eine neue Pflanze gezogen. Er wartete Jahr um Jahr, dass sie Blüten brächte. Aber der Strauch entwickelte nur Stacheln, zahlreiche harte, schmerzhafte stechende Spitzen. Beim Bearbeiten des Bodens unter der Pflanze bluteten ihm die Hände. Eines Tages beschloss er, den Dornstrauch auszuhacken und zu verbrennen. Bevor er seine Werkzeuge an die Wurzel anlegte, betrachtete er noch einmal den Busch, um sich dann endgültig von ihm zu trennen. Da entdeckte er an einem kräftigen Zweig eine Knospe. Nein, dachte er, jetzt will ich ihn nicht fällen. Erst muss ich sehen, was aus dieser Knospe wird. Jeden Tag ging er zu der sich entwickelnden Blüte, gab der Pflanze Nahrung und entfernte mit blutenden Händen wild wachsende Kräuter und Gräser aus ihrem Wurzelbereich. Eines Morgens öffnete sich die fertige Rose, und der Gärtner konnte sich nicht satt sehen an ihrer Schönheit. Ihr Duft erfüllte den Garten und erfreute ihn. Seine blutenden Hände vergaß er nicht, aber sie fielen nicht mehr ins Gewicht beim Anblick der herrlichen Blüte. Er sah, dass auch andere Zweige Knospen angesetzt hatten, und es wurde ihm bewusst, dass nur dieser Strauch zwischen seinen Stacheln zu seiner Zeit solche Blüten hervorbringen konnte.
So ist es auch wohl mit dem Trost, der als wunderbare Blüte zwischen den Dornen und Stacheln unseres Leben aufblüht und uns ermutigt.
Weil die Wörter Trost und trösten im Predigttext sehr häufig vorkommen, zentriert Pfarrer Klein seine Predigt auf das Trösten und aktualisiert es für unsere trostbedürftige Zeit. Er beginnt anrührend mit der Schmerz-Tröstung eines Kindes auf dem Schulhof durch eine Symbol-Handlung. Trösten kann man nur, wenn man das Leiden mitfühlt. Wichtig ist auch, die richtigen Worte zu finden, das zeigt sehr einleuchtend das Beispiel von Pfarrer Krummacher. Sehr tröstlich ist auch das empathische Zuhören, wie schon Hiob zeigt. Der Beistand kann auch an die Nerven gehen oder wie es bei Jesus heißt einem “die Eingeweide umdrehen”. Trost finden wir gewöhnlich bei Menschen, welche selbst Schweres mitgemacht haben und z.B. in Selbsthilfe-Gruppen. Die Predigt schließt mit dem hoffnungsfrohen Bild des erst unfruchtbaren Rosenstrauchs. Wegen einer einzigen hoffnungsvollen Blüte kommt der ganze Strauch zum prächtigen Blühen. Pfarrer Klein hält eine sehr eindrückliche und zeitgemäße Thema-Predigt mit vielen Beispielen und entlässt die Gemeinde mit der Hoffnung. Er nimmt dafür in Kauf, dass diesmal Paulus und Jesus kaum vorkommen. – Ergänzen möchte ich noch ein Beispiel vom Pastoral-Psychologen Pastor Dr. von Schlippe: Ein Schaf, das sich in Dornen verfangen hat, ist untröstlich gefangen. Blökt es, kommen entweder Helfer oder Wölfe! Jesus ist der tröstliche gute Hirte, weil er sein verlorenes Schaf sucht, er befreit es und nimmt es auf seine Schultern. Tröstliche Christen gehen wie Jesus zu den Menschen, die sich verfangen haben und befreien sie liebevoll.