„Der Seelen Seligkeit“
Hoffnung aus gutem Grund
Predigttext: 1.Petrus 1,3-9 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
3 Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns nach seiner großen Barmherzigkeit wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten,
4 zu einem unvergänglichen und unbefleckten und unverwelklichen Erbe, das aufbewahrt wird im Himmel für euch,
5 die ihr aus Gottes Macht durch den Glauben bewahrt werdet zur Seligkeit, die bereit ist, dass sie offenbar werde zu der letzten Zeit.
6 Dann werdet ihr euch freuen, die ihr jetzt eine kleine Zeit, wenn es sein soll, traurig seid in mancherlei Anfechtungen,
7 damit euer Glaube als echt und viel kostbarer befunden werde als das vergängliche Gold, das durchs Feuer geläutert wird, zu Lob, Preis und Ehre, wenn offenbart wird Jesus Christus. 8 Ihn habt ihr nicht gesehen und habt ihn doch lieb; und nun glaubt ihr an ihn, obwohl ihr ihn nicht seht; ihr werdet euch aber freuen mit unaussprechlicher und herrlicher Freude,
9 wenn ihr das Ziel eures Glaubens erlangt, nämlich der Seelen Seligkeit.
Vorüberlegungen
Als Einstieg lese ich den Predigttext in verschiedenen Übersetzungen. Der Luthertext scheint mir viel zu weit weg vom heutigen Sprachgebrauch. Also doch die gute Nachricht? Aber die „endgültige Rettung“ ist doch reichlich blass gegen „der Seelen Seligkeit“. Ich schwanke zwischen den Übersetzungen hin und her und finde keine, die mich begeistert. Also doch lieber Luther.
Beim Aufschreiben der Stichworte, die ich mir nach zweimaligem Lesen merken kann, kommt nicht viel zusammen. Zu viele Begriffe inhaltsschwere Begriffe sind aneinander gereiht.
Also einmal mehr: Mut zur Lücke und nicht das ganze Evangelium an einem Sonntag predigen.
Weiter hilft mir ein Gedanke von Antje Eddelbüttel, Predigtstudien, Bd 1, 2015, S.233: Christo und Jeanne-Claude haben 1995 den Reichstag verhüllt und so konnten die Deutschen dieses Bauwerk neu sehen. Der Petrusbrief schildert das Geheimnis des Glaubens in schillernden Begriffen, die das Gottesgeheimnis nicht enthüllen, sondern bewahren. Im Predigttext lese ich von unaussprechlicher und herrlicher Freude. In der Zeitung vom Dienstag von einem Lottogewinn in Höhe von über 75 Millionen Euro.
In der Predigt versuche ich diese Gedanken miteinander ins Gespräch zu bringen: die Freude; den Lottogewinn; eine Verhüllung, die erst sichtbar macht, die aber eine über zwanzigjährige Vorgeschichte hat und viel Arbeit war; das Ziel des Glaubens: die Seligkeit.
75 Millionen Euro hat am letzten Wochenende ein Lottospieler aus dem Rhein-Main-Gebiet gewonnen. 75 Millionen: der höchste Gewinn in Deutschland seit es Lotto gibt! Diese Nachricht beflügelt die eigene Phantasie. Dann ginge der nächste Urlaub nach Hawaii und der Traum vom eigenen Häuschen würde Wirklichkeit. Eine Nummer größer dürfte das Haus dann auch werden…
Ihre Träume, liebe Gottesdienstteilnehmende, sind vielleicht ganz andere. Mit so vielen Millionen könnten Sie … Die Lottogesellschaften raten zur Vorsicht. Sie geben drei Tipps: bloß nichts von dem Gewinn erzählen, weil sonst ganz viele Leute auftauchen, die einen anbetteln. Zweitens keine schnellen Ausgaben: ein Ferrari vor der Tür spricht eine deutliche Sprache. Und als Drittes: Sich von einer seriösen Bank oder Sparkasse beraten lassen. Das klingt ziemlich nach Spaßbremse, aber ist wahrscheinlich genau richtig. Ende der 70ger Jahre haben Sozialwissenschaftler Lottogewinner studiert. Sie wollten herausfinden, ob ein großer Gewinn glücklich macht. Zuerst einmal Ja. Aber nach einiger Zeit waren die Lottogewinner nicht mehr glücklicher als andere Menschen auch. Das Glück nutzt sich offenbar ab. Die Wissenschaftler folgerten aus ihrer Untersuchung: der Mensch ist nicht darauf angelegt, ständig im Glücksrausch zu sein. Das sei ein Erbe aus der Zeit als wir uns in freier Wildbahn behaupten mussten. Wer vor lauter Glück blind war, hat sich nicht oft genug umgeschaut, ob eine Gefahr lauert. Also fällt der Mensch nach großem Glück und großer Euphorie recht bald wieder in einen Normalzustand.
Normalzustand oder gar leichte Depression scheint auch der Zustand christlicher Gemeinden. Nun, da rede ich nicht nur von der Gegenwart, sondern auch von der Zeit als Gemeinden in Kleinasien den Brief des Petrus bekommen haben. Die Christen damals waren in der Minderheit. Ich stelle mir vor: voller Glück und Euphorie haben sie ihren neuen Glauben angenommen. Mit unaussprechlicher, herrlicher Freude haben sie gehört, dass Gott sie liebt und haben die Liebe erwidert. Schon erwarteten sie, dass Christus sehr bald mit grandioser Geste wiedererscheint und alle Welt in Ordnung bringt. Dann würde allen Menschen klar sein: Christus ist der Herr der Welt. Ein Fest würde beginnen; ein Glück, dass niemals endet. Aber das Glück kam nicht. Stattdessen wurden die Gemeinden vom Staat kritisch beäugt. Jeder einzelne Christ musste die Häme von Freunden, Kollegen und Nachbarn ertragen. Christus kam nicht mit großem Knall. Die Welt blieb nicht stehen. Es ging einfach weiter wie immer. Es war als würde einer ständig davon reden, dass er ja am kommenden Wochenende den großen Lottogewinn einstreicht und doch jeden Montag wieder mit leergefegtem Portmonee auftaucht. Über solche Typen lacht man nicht nur hinter vorgehaltener Hand. Denen grinst man offen ins Gesicht.
Kirchenmitgliedern grinst man heute auch mehr oder weniger mitleidig ins Gesicht. „Glaubt ihr den alten Kram wirklich?“ Bei uns hier in den Dörfern sind noch ungefähr 50 % der Menschen evangelisch. Nur ein paar Kilometer weiter in Mecklenburg-Vorpommern sind Christen schon ziemlich exotisch. Ich vermute, es ist kein Zufall, dass die Sorge vor zu großer Zuwanderung im Osten größer ist als anderswo in Deutschland. Die Wiedervereinigung war für die meisten Menschen kein Sechser im Lotto. Der Kapitalismus hat nicht die Lösung aller Probleme gebracht, nicht einmal mehr Wohlstand in jedes Haus. Jetzt fehlt den Menschen eine Wurzel, die trägt und eine Hoffnung auf gute Zukunft. Einige gehen auf die Straße und protestieren gegen Flüchtlinge, gegen die Lügenpresse und gegen die Regierenden. Es fällt ihnen schwer das eigene Leben in die Hand zu nehmen. Denn dazu muss man ein Ziel vor Augen haben. Die Künstler Christo und Jeanne-Claude hatten seit 1971 ein Ziel vor Augen: Sie wollten das Reichstagsgebäude in Berlin verhüllen. Lange Zeit war das schwierig, denn das Gebäude stand nahe der Berliner Mauer. Aber was viel schwerer wog: 1977, 1981 und 1987 wurde das Projekt von den jeweils amtierenden Bundestagspräsidenten abgelehnt. Als die Mauer fiel kam wieder Bewegung in die Sache. Die amtierende Bundestagspräsidentin Rita Süßmuth sagte den Künstlern ihre Unterstützung zu. Viele Menschen mussten aber noch überzeugt werden. Am 24. Febr.1994 debattierte der Bundestag in Bonn und stimmte dem Projekt „Verhüllter Reichstag“ zu. 1995 vom 24. Juni bis 7. Juli schimmerte in Berlin in silberglänzendem Gewebe und blauen Seilen. Die Berliner und ihre Gäste sehen etwas völlig Neues.
Glänzend verpackt uns der 1. Petrusbrief den christlichen Glauben. Was den Glauben ausmacht, was das Eigentliche ist, der Apostel kann es nicht auf den Punkt bringen. Und ich kann es schon gar nicht. Immer wieder aber wird der Versuch unternommen schönes Gewebe über den Glauben auszubreiten, um neugierig zu machen auf das, was Menschen nicht sehen können. Starke Seile werden immer neu gespannt, die den christlichen Glauben zusammenhalten, das gewisse Etwas darstellen. Petrus spannt die Seile mit einem Lächeln, mit Händeklatschen und Tanzschritten: Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus. Er hat uns neugezeugt. Wir hoffen aus gutem Grund auf die Zukunft. Weil Jesus auferstanden ist, werden auch wir leben. Auf uns wartet eine unglaubliche Erbschaft. Diese Erbschaft wird nicht aufgezehrt, wie ein Lottogewinn, sondern sie bleibt. Diese Erbschaft wird im Himmel für uns aufbewahrt. Es ist die endgültige Rettung, der Seelen Seligkeit. Hier haben wir es wieder: schimmerndes Gewebe. Seligkeit, ich kann Ihnen nicht beschreiben, wie ich das verstehe. Ich kann nur den schimmernden Stoff zeigen, der die Erbschaft umschließt, nicht die Erbschaft selbst. Aber für mich klingt es verlockend: die endgültige Rettung. Klingt nach mehr als 75 Million Euro. Geld muss angelegt werden oder sinnvoll ausgegeben, jeder Urlaub geht irgendwann zu Ende, auch an einem Traumhaus sind nach wenigen Jahren die ersten Reparaturen fällig. Seligkeit muss noch ganz anders sein als alles was ich kenne. Etwas wofür es keine Worte gibt. Das ist das große Ziel.
Christen sehnen sich danach, ohne es je gesehen zu haben. So wie viele sich einen Lottogewinn wünschen, ohne zu wissen, was genau sie damit machen werden. Eines ist sicher: Ihr werdet euch freuen mit unaussprechlicher, herrlicher Freude, wenn ihr das Ziel eures Glaubens erlangt. An dieser Stelle sehe ich es wieder vor mir, dieses mitleidige Lächeln: „Ja, warte du nur auf das große Ziel. Aber du wirst nur den schimmernden Stoff hochnehmen und es wird nichts, absolut nichts darunter sein.“ Diese Kritik ist berechtigt. Wir Christen haben Jesus nicht gesehen und haben ihn doch lieb; und wir glauben an ihn, obwohl wir ihn nicht sehen. Wie wahrscheinlich ein Lottogewinn ist, kann man exakt ausrechnen. Das ist eine Mathematikaufgabe. Wie sicher es ist, dass Sie und ich das Ziel des Glaubens erreichen, diese unaussprechliche Freude, das ist keine Frage des Mathematik. Aber dass es unsere Erbschaft im Himmel nicht gibt, kann auch niemand beweisen.
Jeanne-Claude und Christo haben von 1971 bis 1995 am Projekt „Verhüllter Reichstag“ gearbeitet. Immer wieder sind sie nach Berlin gereist, haben für ihr Projekt geworben, haben versucht Menschen für ihre Idee zu begeistern. Sie haben ernsthaft geplant: einen Betrieb in Deutschland gesucht und gefunden, der das silbrig schimmernde Garn spinnen kann, einen Betrieb gesucht, der den Stoff weben kann; eine Firma gefunden, die die blauen Seile gedreht hat; Gebäudekletterer angeworben und angeleitet, Monteure und Kranführer angestellt, für die Dokumentation gesorgt. Und, und, und den ganzen Kleinkram bedacht für das große Ziel. Genau das tun Christen im Alltag. Eltern bringen ihre Kinder zur Taufe, Konfirmanden lernen das Glaubensbekenntnis mühsam auswendig, Großmütter lehren die Enkel beim Zubettgehen die Hände falten, Väter erklären den Töchtern, dass die Osterzeit nicht am Ostermontag endet, sondern dauert bis Pfingsten, Frauen backen Kuchen für das Flüchtlingscafé, Männer streichen Kirchenbänke. Kein Himmel auf Erden. Aber Alltagsleben des Glaubens. Und ab und zu erinnern Christen an den Stoff aus dem die Träume sind: Auferstehung, Erbe, Seligkeit. Selten ist im Alltag die überschäumende, unaussprechliche Freude zur Stelle. Aber da ist die Hoffnung, dass der glänzende Stoff das Beste noch verhüllt. Die Hoffnung, dass unter dem Stoff nicht etwa eine zerschossene Ruine hervorkommt, sondern etwas ganz Neues. Das Ziel. Gott.