Vorbild(er)
Christlicher Glaube und verantwortliches Leben
Predigttext: 1.Petrus 2,21-25 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
21b Christus hat gelitten für euch und euch ein Vorbild hinterlassen,
dass ihr sollt nachfolgen seinen Fußtapfen;
22 er, der keine Sünde getan hat und in dessen Mund sich kein Betrug fand;
23 der nicht widerschmähte, als er geschmäht wurde, nicht drohte, als er litt,
er stellte es aber dem anheim, der gerecht richtet;
24 der unsre Sünde selbst hinaufgetragen hat an seinem Leibe auf das Holz,
damit wir, der Sünde abgestorben, der Gerechtigkeit leben.
Durch seine Wunden seid ihr heil geworden.
25 Denn ihr wart wie die irrenden Schafe;
aber ihr seid nun bekehrt zu dem Hirten und Bischof eurer Seelen.
Von Pastor Friedrich von Bodelschwingh stammt der Ausspruch: „Es geht kein Mensch über die Erde, den Gott nicht liebt“. Gottes Liebe steht immer im Raum. Aber wie steht es bei uns als Christen und Christinnen mit unserer Nächstenliebe, unserer Barmherzigkeit, mit unserem Willen zum Guten gegenüber jedem Menschen, der uns begegnet? Haben wir nicht gleich die Schere im Kopf? Wie sehr lassen wir uns auch als Christinnen und Christen beeinflussen von all den Vorurteilen, die immer wieder neu und von verschiedenen Seiten geschürt werden gegenüber denen, die anders, uns fremd sind und störend unsere Wege kreuzen. Momente der Gewissensanfechtung, die uns, gerade als Christinnen und Christen, die innere Positionsbestimmung nicht einfach machen. Jede und jeder kann dafür Beispiele finden. Wie hätte ich mich in dieser oder jener Situation, gegenüber diesem oder jenem Menschen, besser verhalten können? Mit einer solchen Frage im Gepäck begegnet uns der Predigttext aus dem 1.Petrusbrief zum Sonntag „Misericordias Domini“.
“Misericordias Domini” – der lateinische Sonntagsname erinnert uns an die Barmherzigkeit Gottes. Gott hat sie uns in Jesus Christus gezeigt, und Gott ruft uns durch Ihn, diesen Weg der Barmherzigkeit zu gehen. Der 1.Petrusbrief gehört zu den sogenannten „katholischen“ Briefen, d. h. er wendet sich an die gesamte Christenheit. Sein Anliegen ist, die Gemeinden zu „guten Taten“ (V.15) in barmherzigem Umgang mit allen Menschen aufzurufen. Wie lebensnah doch die biblischen Texte sind! Aber die Art, wie wir miteinander leben sollen, hat einen Grund: Das Heil, das uns Gottes durch Jesus Christus bereitet hat. Der Autor des Briefes, wahrscheinlich ein Heidenchrist, zur Zeit der Christenverfolgungen unter dem römischen Kaiser Dominitian, stellt uns vor Augen, was Christus für uns getan hat und was unsere angemessene Antwort darauf ist.
„Christus hat gelitten für euch und euch ein Vorbild hinterlassen, dass ihr sollt nachfolgen seinen Fußtapfen“, mit diesem Aufruf beginnt der kleine Briefausschnitt, der unser Predigttext ist. Dann entfaltet der Autor des Briefes, worin das Vorbild Jesu besteht: Jesus hat kein Unrecht getan, kein unwahres Wort gesprochen, keine Beleidigung zurückgegeben, keine Vergeltung geübt. Alles stellte er Gott anheim, er vertraute auf Gottes Gerechtigkeit. Jesu Weg war aber noch mehr als vorbildhaft im menschlichen Umgang, sein Weg war Befreiungs- und Heilstat: „Er hat unsre Sünde selbst hinaufgetragen an seinem Leibe auf das Holz … Durch seine Wunden seid ihr heil geworden“.
Die ersten Gemeinden, die diesen Brief empfingen, waren in ihrem Leben und Glauben verunsichert. Sie galten in ihrem gesellschaftlichen und politischen Umfeld als Fremde und Störenfriede. Wie sollten sie sich mit ihrer christlichen Überzeugung in einem nichtchristlichen Staatswesen verhalten und im Alltag bewähren? In den Gemeinden gab es wohl auch Sklaven – welche Haltung sollen diese gegenüber ihren Herrn einnehmen? Oder welche Auswirkung hat der christliche Glaube für das Miteinander von Mann und Frau, von Frau und Mann?
Der 1. Petrusbrief ruft zu einem Leben in Liebe und in Verantwortung vor Gott auf. Am Leben der Christen soll man die Barmherzigkeit Gottes und das Vorbild Christi ablesen können. Ein Leben im christlichen Glauben führen bedeutet, sich täglich darauf zu besinnen, dass wir getauft sind und Gott dadurch mit uns ein neues Leben begonnen hat. Dies fasst der Briefautor mit den Worten zusammen: „Denn ihr wart wie die irrenden Schafe; aber ihr seid nun bekehrt zu dem Hirten und Bischof eurer Seelen“. Dabei klammert er das Thema „Leiden“ nicht aus. In keinem der neutestamentlichen Briefe kommt das Wort „leiden“ so oft vor wie im 1. Petrusbrief. Der Autor sieht unschuldiges menschliches Leiden in einer Beziehung zum Leiden Christi. Wie Jesus sein unschuldiges Leiden getragen hat, soll auch unsere Gesinnung bestimmen, wenn uns Unrecht zugefügt wird und wir dadurch leiden müssen. Den Verfasser des Briefes erinnert das Leiden Jesu an den leidenden Gottesknecht, dieser ist den Gemeinden aus den gottesdienstlichen Lesungen aus dem Buch des Propheten Jesaja bekannt. Sich auf Worte aus dem 53. Kapitel beziehend spricht er den Gemeinden zu: „Durch seine Wunden seid ihr heil geworden“.
„Misericordias Domini“ – Fülle der Barmherzigkeit Gottes! Gottes Barmherzigkeit ist in Jesus Christus Mensch geworden. Noch einmal Friedrich von Bodelschwingh: „Es geht kein Mensch über die Erde, den Gott nicht liebt“. Diese barmherzige Liebe Gottes soll auch unser Herz und Gewissen nicht kalt lassen.
Die Predigt beginnt mit einem klaren hoffnungsvollen Akkord! „Gottes Liebe steht immer im Raum“. Konfrontiert mit einem Aber der menschlichen Entsprechung, einer christlichen Verunsicherung: Wie sollen Christen (wir Lesenden!) sich in einem nichtchristlichen Staatswesen verhalten? Die Predigerin stellt uns Hörenden das Vorbild Christi vor Augen. Zur Imitation Christi gehört auch das „Leiden“, das wir wie Christus tragen dürfen. „Durch seine Wunden seid ihr heil geworden!“ ruft der biblische Autor den Gemeinden (uns!) zu. „In dir ist Freude / in allem Leide“. Schon den damaligen Hörenden scheint die Aufforderung des Apostels nicht leicht gefallen zu sein. Und eine Schere im Kopf von Vorurteilen ist oft besser als das Glaubenswagnis zum Leben. Vielen Dank für diese Predigt!