Keine Angst vor dem Licht in uns

"Wenn du dich klein machst, dient das der Welt nicht" (Marianne Williamson)

Predigttext: Epheser 5,8-14
Kirche / Ort: Heiliggeistkirche / Heidelberg
Datum: 17.07.2016
Kirchenjahr: 8. Sonntag nach Trinitatis
Autor/in: Pfarrer Dr. Vincenzo Petracca

Predigttext: Epheser 5,8-14 nach der (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

Denn ihr wart früher Finsternis; nun aber seid ihr Licht in dem Herrn.
Lebt als Kinder des Lichts; die Frucht des Lichts ist lauter Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit. Prüft, was dem Herrn wohlgefällig ist, und habt nicht Gemeinschaft mit den unfruchtbaren Werken der Finsternis; deckt sie vielmehr auf. Denn was von ihnen heimlich getan wird, davon auch nur zu reden ist schändlich. Das alles aber wird offenbar, wenn's vom Licht aufgedeckt wird; denn alles, was offenbar wird, das ist Licht. Darum heißt es: Wach auf, der du schläfst, und steh auf von den Toten, so wird dich Christus erleuchten.

Exegetische Hinweise zum Predigttext

DIe Exegese schreibt die Autorenschaft des Epheserbriefes in der Regel einem Paulusschüler zu, nicht aber dem Apostel selbst. Einer der Gründe ist die Differenz in der Frage der Auferstehung. Paulus hat eine futurische Auferstehungsvorstellung: nach Röm 6,4f. wurden die Christinnen und Christen mit Jesus begraben und werden mit ihm auferstehen. Nach Eph 2,4-6 sind sie ebenfalls gestorben, aber sie sind mit Christus bereits auferstanden. Der Epheserbrief hat eine präsentische Auferstehungsvorstellung. Diese wirkt sich nun auch auf den Predigttext aus, indem geradezu paradox formuliert wird: "Ihr seid Licht in dem Herrn. Lebt als Kinder des Lichts" (Eph 5,8).

Leider zerreißt die vorgeschlagene Predigtperikope dieses Paradox, in dem der Text mit V 8b beginnt: "Lebt als Kinder des Lichts". Die Einheit von Indikativ und Imperativ, die den Text prägt, wird auseinander gerissen. Die Kommission, die seinerzeit die Perikopenordnung festlegte, intendierte anscheinend eine reine Paränese-Predigt und riss mit Gewalt nicht nur einen Satz auseinander, sondern auch einen Sinnzusammenhang. Dies ist für mich nur schwer nachvollziehbar und sowohl exegetisch als auch homiletisch nicht zu verantworten. Die Predigt geht daher über den gesamten V 8, bis zum vorgeschlagenen Vers 14, und entgeht so der Gefahr, nur Anspruch zu predigen und den Zuspruch zu vergessen. Im Gegenteil setzt die Predigt bewußt einen Schwerpunkt auf den Zuspruch von Vers 8a. Eph 5 ist charakterisiert durch die Einheit von Gesetz und Evangelium, die im Verständnis des Epheserbriefes in der präsentischen Auferstehung wurzelt.

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Liebe Kinder des Lichts! In der Lesung aus der Bergpredigt ruft Jesus uns zu: „Ihr seid das Licht der Welt!“ Und der Epheserbrief betont: „Ihr lebt in der Licht-Sphäre Gottes. Die Lebenskraft Gottes durchdringt euch. In Gott seid ihr Licht, nicht Finsternis. Das göttliche Licht ist in euch. Ihr seid Kinder des Lichts!“

Licht. Licht ist das gewaltigste aller Elemente. Ohne Licht gäbe es kein Leben auf der Erde. Die Ernte braucht Sonnenlicht. Die Blumen brauchen Licht. Die Tiere brauchen die Wärme des Lichts, um zu leben. Alles Lebendige wird vom Sonnenlicht am Leben erhalten. Licht schenkt Leben. Nach den ersten Versen der Bibel war Licht das erste Wort über der Schöpfung.
Finsternis. Anhaltende Finsternis macht traurig. Endlose Sonnenlosigkeit schlägt aufs Gemüt. Manche werden davon sogar depressiv. Übermäßige Finsternis, z.B. Dunkelhaft, ist eine Form der Folter. Wenn dagegen die Sonne nach düsteren Regenwochen wieder scheint, wird das Herz erwärmt. Das strahlende Sonnenlicht erweckt die Lebensgeister wieder. Licht vertreibt die Traurigkeit, bringt Freude. Franz von Assisi sagte: „Gott ist die Freude, daher hat er die Sonne vor sein Haus gestellt“. Licht gibt Wärme allem Erstarrten und Freude allem Lebendigen.
Licht. Wir brauchen Licht, um etwas zu sehen. In der Finsternis sehen wir nicht, wohin wir treten. Unsicherheit macht Angst. Nicht nur Kleinkinder haben in der Dunkelheit Angst. Das Licht vertreibt die Finsternis. Ein Lichtstrahl reicht hin, um viel Dunkel hell zu machen. Wenn das erste Morgenlicht am Horizont aufgeht, lichten sich die Gespenster der Nacht. Licht vertreibt die Angst und die finsteren Nachtgedanken.

Ihr seid Kinder des Lichts! Gott ist Sonne, heißt es in den Psalmen (Ps 84,12). Und der Epheserbrief ergänzt: „Gott, der Sonne und Licht ist, ist euer Vater! Ihr seid Kinder des Lichts!“nWir sind Kinder des Lichts. Licht ist in uns. Göttliches Licht. Freilich, diese Botschaft ist auf evangelischen Kanzeln leider selten zu hören. Über die Dunkelheit in uns und die Sünde wird seit Luther viel gepredigt. Oder über die Demut und die Bescheidenheit, mit der wir unser Licht unter den Scheffel stellen sollten. Aber über das göttliche Licht in uns? Diese jahrhunderteschwere Last wiegt schwer. Sie legt sich einem Trauma gleich über uns. Ich habe einmal Erstklässlern die Aufgabe gestellt: Sie sollen pantomimisch einen Pfarrer darstellen. Die Bewegung, die sie fast einmütig machten, war diese: (Der Gemeinde zeigen: der erhobene Zeigefinger).

Strafe. Miesepeter. Sinnenfeindlich. Enge. Bedrückung. Das verbindet man mit der Institution Kirche. Das verbinden viele auch mit den Christinnen und Christen überhaupt. Man nennt mich einen Seelsorger. Man meint damit, dass ich mich um die Dunkelheiten und Abgründe der Seele zu sorgen habe. Um die Krisenzeiten im Leben. Doch, wer verbindet damit auch die Sorge um das Große und Hohe? Um die Leichtigkeit des Seins? Um die Glanzzeiten im Leben? Um das Licht in der Seele? Um den göttlichen Funken, der in jedem von uns ist? Vielleicht, denkt man manchmal daran bei Taufen und Hochzeiten …
Und wir selbst? Hat sich dieses Trauma der Jahrhunderte auch auf uns gelegt? Haben wir es heimlich verinnerlicht? Empfinden wir uns selbst als Menschen des Lichts? Oder machen wir uns klein? Lieben wir uns selbst? Oder hören wir immer nur den ersten Teil des Satzes: „Liebe den Nächsten“. Und nicht mehr die Fortsetzung, die das Ganze in einen stimmigen und befreienden Rahmen setzt: „Liebe dich selbst genauso!“? Nehmen wir wahr, dass überirdisches Licht in uns ist? Dass Gottes Licht in uns scheint und durch uns auf andere? Oder verstecken wir unser Licht? Stellen es unter den Scheffel? Löschen gar das Licht in uns aus? Marianne Williamson schreibt (In: A Return to Love):

„Unsere tiefste Angst ist nicht, dass wir unzulänglich sind. Unsere tiefste Angst ist, dass wir unermeßlich machtvoll sind. Es ist unser Licht, das wir fürchten, nicht unsere Dunkelheit. Wir fragen uns: ,Wer bin ich eigentlich, dass ich leuchtend, begnadet, phantastisch sein darf?’ Wer bist du denn, es nicht zu sein? Du bist ein Kind Gottes. Wenn du dich klein machst, dient das der Welt nicht.
Es hat nichts mit Erleuchtung zu tun, wenn du schrumpfst, damit andere um dich herum, sich nicht verunsichert fühlen. Wir wurden geboren, um die Herrlichkeit Gottes zu verwirklichen, die in uns ist.
Sie ist nicht nur in einigen von uns, sie ist in jedem Menschen. Und wenn wir unser eigenes Licht erstrahlen lassen, geben wir unbewußt anderen Menschen die Erlaubnis, dasselbe zu tun. Wenn wir uns von unserer eigenen Angst befreit haben, wird unsere Gegenwart ohne unser Zutun andere befreien.“

Lebt als Kinder des Lichts! „Ihr seid Kinder des Lichts, so lebt nun auch als Kinder des Lichts.“ So fährt der Epheserbrief fort. Wir sind Kinder des Lichts, von Gott her, nicht aus unserem Tun. Dieses göttliche Licht in uns bringt freilich Früchte. Früchte des Lichts nennt sie der Predigttext. „Lebt als Kinder des Lichts“, meint, wir sollen diese Lichtfrüchte in uns reifen lassen. Sie nicht vorzeitig vom Baum abreißen. Sie hegen und pflegen. Drei Beispiele der Früchte des Lichts nennt der Predigttext: Güte, Gerechtigkeit und Wahrheit.

Früchte des Lichts: Güte, Gerechtigkeit und Wahrheit. Frucht des Lichts, die Güte. Heute enden zwei Ausstellungen in unserer Kirche. Die eine sehen Sie hier rund um den Altar. Wohin, wohin, heißt sie. 800 Papierkraniche, auf jedem ist ein Wunsch eines Flüchtlings gezeichnet oder geschrieben. Mit Origamitechnik wurden daraus Kraniche gefaltet. 800 Vögel der Sehnsucht nach der verlorenen Heimat. Es scheint, als suchten die Kraniche Schutz um und unter unseren Altar mit den großen Engelsflügeln. Einzelne Kraniche sind auch auf dem Altar, als hätten sie das Deck der rettenden Arche erreicht. Auf Facebook schrieb jemand zur Ausstellung: „Fliegende Gebete, mehr als eine stumme Sprache“. Wohin, wohin? Eine der Kernfrage unserer Tage. Auch wenn norgen die Kraniche hier nicht mehr zu sehen sein werden, so mögen sie uns doch ein Fingerzeig bleiben: Sie mögen uns den Weg weisen, uns der Flüchtlinge anzunehmen. In Güte. Mit offenen Armen. Und mit gütigem Herzen. Güte, eine Frucht des Lichts. „Ihr seid Kinder des Lichts, lebt als Kinder des Lichts und der Güte.“

Frucht des Lichts, die Gerechtigkeit. Die zweite Ausstellung, die endet, ist die Fotoausstellung über Südafrika. Das Zitat von Marianne Williamson wird oft der Nelson Mandela zugeschrieben. Das ist falsch, aber das Zitat könnte der Begleittext zur Südafrika-Ausstellung sein. Auch zwanzig Jahre nach Ende der Apartheit ist Südafrika gezeichnet von sozialer Ungerechtigkeit, Armut und Gewalt. Enttäuschung und Hoffnungslosigkeit haben sich breit gemacht. Freilich, Mut- und Hoffnungslosigkeit höre ich dieser Tagen auch bei vielen von uns, wenn sie die Krisen der Welt betrachten. Die Ausstellung tritt der Hoffnungslosigkeit entgegen und will ermutigen. Sie erzählt in Bildern von Menschen in Südafrika, die sich organisieren, um ihr schwieriges Leben in Würde zu gestalten. Sie gewinnen ihre Gestaltungsmacht zurück, indem sie ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen. So versichern sie sich wieder ihrer Menschlichkeit in Beziehung zu anderen. Sie lassen durch kleine Aktionen Risse in der Mauer von Ungleichheit, Armut und Gewalt entstehen. Gerechtigkeit, eine Frucht des Lichts. „Ihr seid Kinder des Lichts, lebt als Kinder des Lichts und der Gerechtigkeit.“

Frucht des Lichts, die Wahrheit. Wir werden nächste Woche freilich auch eine neue Ausstellung eröffnen. Sie heißt: “Sehen und Säen – Albert Schweitzer, Afrika und wir“. Es ist eine Ausstellung mit Fotos und Texten von Albert Schweitzer und der Schwierigkeit des Sehens. Um etwas zu verändern, müssen wir es zuerst überhaupt sehen: wahr-nehmen. Im Licht der Wahr-heit wahr-nehmen. Wahrheit und Wahrnehmung haben denselben Wortstamm. Eine neue Wahrnehmung steht immer am Anfang eines Veränderungsprozesses. Aus dem wahrhaften Sehen erst folgt das Säen. Aus Wahrnehmung kann Veränderung und Hilfe erwachsen. Einer der Texte der Ausstellung ist dieses Schweitzer-Zitat: “Das Beispiel ist nicht das wichtigste, es ist das einzige Mittel, um andere zu beeinflussen. Wenn wir einen Menschen sehen, der ehrlich bemüht ist, seinen Mitmenschen zu helfen, dann schöpfen wir neue Hoffnung.“ Wahrheit, eine Frucht des Lichts. „Ihr seid Kinder des Lichts, lebt als Kinder des Lichts und der Wahrheit.“

Liebe Kinder des Lichts, lassen Sie uns keine Angst vor dem Licht in uns haben! Wir sind Kinder der göttlichen Lebenskraft, des himmlischen Lichts! Lassen Sie uns aufwachen aus dem Schlaf der Finsternis! Lassen Sie uns leben, was wir sind: leben als Kinder des Lichts! Es gilt uns die Verheißung des Predigttextes: „Wach auf, der du schläfst, und steh auf von den Toten, so wird dich Christus erleuchten!“

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Ein Kommentar zu “Keine Angst vor dem Licht in uns

  1. Pastor i.R. Heinz Rußmann

    Eine Predigt über das Licht erweckt vermutlich erstmal wenig Interesse. In der Advents- bis Zur Epiphanias-Zeit wird ja sehr oft darüber gepredigt. Pfarrer Dr Petracca aber weckt sofort Interesse durch Superlative. Licht ist das gewaltigste Element, ohne welches es kein Leben gäbe. Dunkelheit macht depressiv, Licht macht Freude. Gott selbst hat die Freude vor sein Haus gestellt. Über die dunkle Sünde wird sonst oft lange gepredigt und dass wir klein und demütig leben sollen. Im Gegensatz zur Predigtpraxis betont der Prediger mitreissend den Vers aus dem Predigttext: “Ihr seid Kinder des Lichts”, und er bringt dazu das Zitat: “Wenn du dich klein machst, dient das der Welt nicht.” Die Früchte, wenn Du Gottes Licht leuchten lässt, sind Güte und Gerechtigkeizt und Wahrheit. Dazu berichtet der Pfarrer interessant zur Veranschaulichung von drei Ausstellungen zum Thema. Beispiele beeinflussen andere zum Guten. Wir sollen als das leben, was wir sind: Kinder des göttlichen Lichtes. – Eine sehr lebendige und originelle und aktuelle Predigt schenkt der Prediger den Zuhörenden. Zu unserer Predigttradition gehört doch eher die Warnung vor Hochmut und das Ideal der Demut. Zuviel Demut aber ist gefährlich und kann krank machen. Ein Narzisst zu sein, galt bisher als seelische Krankheit. In der Zeitschrift. “Psychologie heute” und im “Spiegel” im April wird neuerdings gesunder Narzissmus mit gesundem Selbstbewußtsein und Lebensfreude als vernünftiger Lebensmut verstanden. In diese Richtung weist auch diese aktuelle Predigt: Wir können doch froh und wohlgemut als Christen Kinder des Lichtes sein! Jesus ruft uns zu: Ihr seid das Licht der Welt. Als Jesus-Fan hätte ich mehr noch von Jesus gehört …

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