Die notwendige Kultur – Erbarmen, Güte, Liebe

Dass der Mensch nach der paulinischen Rechtfertigungslehre nicht durch das Tun guter Werke gerecht wird, bedeutet nicht, dass er sie nicht tun solle

Predigttext: Epheser 2,4-10
Kirche / Ort: Aurich
Datum: 07.08.2016
Kirchenjahr: 11. Sonntag nach Trinitatis
Autor/in: Pastorin Theda Frerichs

Predigttext: Epheser 2,4-10 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

4 Aber Gott, der reich ist an Barmherzigkeit, hat in seiner großen Liebe , mit der er uns geliebt hat,
5 auch uns, die wir tot waren in den Sünden, mit Christus lebendig gemacht – aus Gnade seid ihr selig geworden -;
6 und er hat uns mit auferweckt und mit eingesetzt im Himmel in Christus Jesus,
7 damit er in den kommenden Zeiten erzeige den überschwänglichen Reichtum seiner Gnade durch seine Güte gegen uns in Christus Jesus.
8 Denn aus Gnade seid ihr selig geworden durch Glauben und das nicht aus euch: Gottes Gabe ist es,
9 nicht aus Werken, damit sich nicht jemand rühme.
10 Denn wir sind sein Werk, geschaffen in Christus Jesus zu guten Werken, die Gott zuvor bereitet hat, dass wir darin wandeln sollen.

Exegetische (I.) und homiletische (II.) Hinweise zum Peedigttext

I. Der Predigttext aus dem nachapostolischen Epheserbrief zeigt inhaltlich deutlich Anklänge an die paulinische Rechtfertigungslehre: Die Gnade, die aus dem Glauben erwächst, nicht aus Werken, vgl. Gal 2,16; Röm 3,21-24, ebenso der Aufruf, niemand möge sich selbst rühmen (vgl. Röm 3,27). Einen etwas anderen Akzent betont Eph 2,10: dass der Mensch nicht durch das Tun guter Werke gerecht wird, bedeutet nicht, dass er sie nicht tun sollte. Gerade im Epheserbrief wird der christlichen Lebensführung eine große Bedeutung beigemessen. Sie gilt als Ausdruck der Liebe und Barmherzigkeit, die Gott schenkt.

In Eph 2 wird zunächst beschrieben, dass der Menschen früher der widergöttlichen Macht ausgesetzt war. Er war unfrei, ohnmächtig, bevor sich Gott seiner erbarmt hat.
Im Anschluss daran wird der Zustand der Gnade breit entfaltet. Nach dem Epheserbrief sind die Christen bereits – durch die Taufe gerettet. Gottes Heilsplan in Christus schließt sie mit ein, er gibt ihnen im ewigen Leben einen Platz an seiner Seite.

Der Aufruf, sich nicht zu rühmen, erinnert an Paulus, jedoch ist dem Verfasser wichtig, dass sich die Christen durch ihre Lebensführung von der heidnischen Umwelt absetzen. Der Glaube gilt nicht als menschliche Leistung, sondern als Gottes Geschenk.

Gottes Erbarmen geht so weit, dass er die guten Werke, die wir vollbringen sollen, schon vorher bereitgestellt und zubereitet hat. Mit unserer Neuschöpfung hat uns Gott auch die Kraft, seinen Geist, gegeben, die entsprechenden Werke zu vollbringen.

II. Unsicherheit und Angst begleiten viele Menschen in diesem Sommer. Die Urlaubstage, auf die sich viele das ganze Jahr gefreut haben, sind von Meldungen über Terroranschläge in der ganzen Welt und in unserem Land überschattet. Die Auswirkungen von Gewalt und Krieg, die die meisten von uns nur aus den Geschichtsbüchern kennen, sind nicht nur für jeden persönlich, sondern auch in der Gesellschaft spürbar. Sollen wir uns abschotten oder schaffen wir es, die Menschen, die unsere Hilfe brauchen, bei uns aufnehmen und ihnen einen Platz einzuräumen?

Wie passt der Abschnitt aus dem Epheserbrief in diese unsere Zeit? Er macht uns demütig bewusst, dass wir alle aus der Gnade Gottes leben. Daraus können wir schöpfen. Wir können teilhaben an Gottes Willkommenskultur, die er mit Jesus Christus auf diese Welt gebracht hat. Ihre Kennzeichen sind Erbarmen, Güte und Liebe. Unsere Antwort in diesem Sinne gegen Gewalt, Hass und Terror können sein: Demut, Kraft, Barmherzigkeit gegenüber denen, die bei uns Rettung suchen und ein neues Leben anfangen wollen.

Lieder

EG 503 "Geh aus, mein Herz" (EG 503)
EG 302 "Du meine Seele, singe" ( EG 302)
"Du bist meine Zuflucht" (verschiedende Liederhefte)
"Herr, segne uns" (verschiedene Liederhefte)

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Urlaubsstimmung

Endlich Urlaub! Endlich die Seele baumeln lassen, sich vom Stress des Alltags erholen. Vielleicht sind Sie mittendrin in dieser schönsten Zeit des Jahres. Haben Sie frei? Können sich nun die angenehmsten Fragen stellen? Welches Buch lese ich jetzt? Welchen Ausflug machen wir heute? Wo kann ich mich am besten entspannen? Selig, wer sich mit diesen Gedanken beschäftigt. Glücklich, wer sich in diesen Sommertagen erholen und sich beschenken lassen kann. Dazu hören wir die Worte des Predigttextes aus dem Epheserbrief.

(Lesung des Predigttextes)

Wie Sonnenstrahlen fallen diese Worte am heutigen Sonntagmorgen in unser Leben und wollen Wurzeln schlagen. Gott ist barmherzig, er ist gütig. Er nimmt er uns an, macht uns lebendig. Ja, wir sind durch und durch geliebte Menschen, die bei Gott einen festen Platz haben. Das lasst uns festhalten, wenn wir uns einer anderen Seite in diesem Sommer zuwenden, die keiner mehr übersehen kann. Beim ersten Blick morgens in die Zeitung sehen wir, wo wir bei uns und in der Welt in diesen Tag mit Terror und Gewalt zu tun haben. Auch im Urlaub verfolgt uns das. Steige ich noch bedenkenlos in einen Zug ein? Bewege ich mich angstfrei auf berühmten Plätzen, die von vielen Menschen besucht werden? Komme ich von meiner Urlaubsreise heil wieder nach Hause? Bei vielen von uns reisen diese oder ähnliche Gedanken mit. Hilft es, die Reise abzusagen und zu Hause zu bleiben? Was tun in dieser unsicheren Zeit? Die Experten sagen: Vor Terror kann man sich nicht schützen, das gehört zum allgemeinen Lebensrisiko.

Gerettet

Hören wir noch einmal aus dem Predigttext: „Aber Gott, der reich ist an Barmherzigkeit, hat in seiner großen Liebe mit der er uns geliebt hat, auch uns, die wir tot waren in den Sünden, mit Christus lebendig gemacht“. Wenn wir genau hinhören, so ist auch der Predigttext für heute keine leichte Strandlektüre. Der Verfasser schreibt von der Liebe und Barmherzigkeit Gottes, aber er erinnert auch daran, dass es andere Zeiten gab. Zeiten, in denen die Menschen unter dem Einfluss des Todes, der Sünde standen. Bevor sie der Liebe und Güte Gottes begegnet sind, waren sie dem Bösen ganz und gar ausgeliefert, ja sie waren tot. Erst Gott hat sie lebendig gemacht, hat sie auferweckt mit Jesus Christus. „Gott hat uns gerettet!“ ruft der Epheserbrief der Gemeinde zu. Doch nicht euer Verdienst ist es, mahnt er die Christen, allein Gottes Barmherzigkeit habt ihr es zu verdanken, dass ihr am Leben seid.

„Du bist gerettet! Du bist in Sicherheit!“ Diese Worte klingen paradiesisch für Menschen, die gerade einem Anschlag auf ihr Leben entkommen konnten. Ein junger Mann geht vor zwei Wochen plötzlich auf wehrlose Menschen in einem Regionalzug bei Würzburg los. Mit einer Axt und einem Messer hat er sich bewaffnet und damit mehrere Menschen schwer verletzt. Von Polizisten wird der 17-jährige erschossen. – „Du bist gerettet! Du bist in Sicherheit!“ Diese Worte klingen paradiesisch für Menschen, die aus ihrer Heimat fliehen müssen. Wie dieser junge Mann aus dem Zug. Er ist Täter und Opfer zugleich. Was hat ihn getrieben, in diesem Land, das ihm Schutz und ein Dach über dem Kopf bot, ein schlimmes Verbrechen zu begehen? Menschen haben ihn hier aufgenommen. Er hatte eine gute Prognose. Er lebte bei einer Pflegefamilie, hatte eine Lehrstelle in Aussicht. Und doch: Eines Tages rastet er aus. Die Gewalt lässt ihn nicht los. Keiner kannte ihn, so scheint es im Rückblick. Keiner stand ihm wirklich nah, dem unbegleiteten Flüchtling, der mutterseelenallein aus seiner Heimat geflohen war. Was mag wohl der Gastfamilie durch den Kopf gegangen sein, die den Jungen nur zwei Wochen vor der Tat aufgenommen hatte, um ihm ein neues Zuhause zu geben? Wie viel Hoffnung steckte darin und wie viel Zutrauen in den Jungen und in seine Zukunft?

„Du bist gerettet! Du bist in Sicherheit!“ Aber was ist, wenn diese Botschaft in einem Menschen nicht ankommt? Wenn die Seele immer noch im Damals lebt, da, wo Bomben und Granaten fielen, wo der Hass regiert, wo die Sünde ist, wie es der Epheserbrief ausdrückt. Was ist, wenn der Terror einen Menschen nicht mehr los lässt? Auch der Attentäter hat an etwas geglaubt. Die Ermittler haben nach der Tat ein Schriftstück in seinem Zimmer bei der Gastfamilie entdeckt. Es ist ein Abschiedsbrief an den Vater. “Und jetzt bete für mich“, heißt es darin „dass ich mich an diesen Ungläubigen rächen kann, und dass ich in den Himmel komme”.

Einst und Jetzt

Einst war der Tod beherrschend, und jetzt ist es das Leben. Für den Epheserbrief ist dies eine wichtige Unterscheidung. Nur wer sich seiner Vergangenheit stellt, sich auseinandersetzt mit Erlebnissen, auch mit Gedanken und Ideen, kann sich der Zukunft, dem Leben im Hier und Jetzt zuwenden, kann der Rettung und den Rettern vertrauen. An eine andere Stelle im Epheserbrief muss ich nun denken. In einer Fürbitte für die Gemeinde bittet der Apostel darum, „dass ihr in der Liebe eingewurzelt und gegründet seid“ (Epheser 3,17) Ich hätte diesem jungen Attentäter in Würzburg gewünscht, dass er nicht in Hass und Gewalt, sondern in der Liebe und Güte seines Gottes Wurzeln geschlagen hätte. Stattdessen endet sein junges Leben mit einer Kugel aus einer Polizeiwaffe.

Gottes Willkommenskultur

Es ist Sommerzeit, ja, wir machen trotz allem Urlaub. Wir erholen uns und leben weiter. Wir gehen aus dem Haus, wir besuchen fremde Länder. Obwohl wir nirgends sicher sein können. Wir werden in diesen Tagen wieder daran erinnert, wie wenig wir selbst in der Hand haben. Auch der Epheserbrief betont: „Aus Gnade seid ihr selig geworden“. Wir sind die Guten? Nein, das sicher nicht! Sondern: „Gott, sei mir Sünder gnädig!“ Weil Gott uns nicht fallen lässt, helfen wir Menschen, die bei uns einen Platz finden wollen. Wir sind fest gegründet, fest verwurzelt in der Liebe Gottes. Das ist Gottes Werk. Mögen auch die Menschen unter uns Wurzeln schlagen, die noch keinen festen Halt fühlen. Egal, welcher Religion sie angehören. Dazu können wir beitragen im Vertrauen darauf, dass Gottes Liebe durch uns wirkt, die wir selbst empfangen haben und wie wir in Gottes Namen weitergeben.

Wenn Terror und Angst, Krieg und Tod, kurz: Wenn das Gestern uns überfällt, halten wir ihm entgegen, wovon wir selbst leben. Lasst uns antworten mit Liebe, Güte, Erbarmen, mit Weite, Freiheit und Offenheit, so wie Gott uns begegnet. Unser Predigttext aus dem Epheserbrief ist im Geist des Apostel Paulus verfasst. „Lasst euch nicht vom Bösen überwinden“, rät Paulus, „sondern überwindet das Böse mit Gutem“ (Römer 12,21).

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2 Kommentare on “Die notwendige Kultur – Erbarmen, Güte, Liebe

  1. Pastor i.R. Heinz Rußmann

    Sehr frohgemut und gleichseitig ernst und aktuell predigt Pastorin Frerichs über den anspruchsvollen Predigttext. Sie stimmt die Hörenden zuerst ein in die frohe Sommersonne im Urlaub und am Sonntagmorgen. Dazu passt die Botschaft, dass der gütige Gott uns lebendig macht. Dann kommt aber auch ihre ernste Sicht auf den Terror heute zur Sprache, vor dem niemand sich echt schützen kann. Auch der Predigttext ist “keine leichte Strandlektüre”. Die Christen lebten damals vor ihrer Bekehrung wie tot mit böser Sünde. Gott hat sie auferweckt zum wahren, liebevollen Leben durch Christus. Durch Christus werden wir Christen auch heute gerettet, “Du bist gerettet, Du bist in Sicherheit”. Das sind frohe Worte für uns und Menschen, welche in Terroranschlägen gerettet wurden. Auch Flüchtlinge sind frei und gerettet. Nur der Flüchtling, der gerade ein Attentat verübte, wurde vom Terror nicht frei. Der Epheserbrief sagt, dass für die Christen nicht der Tod beherrschend ist, sondern das Leben, das in Jesu Liebe gegründet ist. Sie sind frei. Das entspricht der frohen Sommerstimmung an Anfang und jetzt am Schluss der Predigt. Wir vertrauen darauf, dass Gottes Liebe in uns wirkt. Auf dem Terror antworten wir Christen mit Liebe. Sehr warmherziig und froh endet diese Predigt, welche sich dem Problem des Terrors stellt und es mit dem Guten überwinden will. – Die Sommersonne der Predigt wird zwar durch schwere Probleme etwas abgedunkelt. Ingesamt aber kann die frohe Botschaft Gottes hell und warm die Herzen und Sinne der Hörenden oder Lesenden erleuchten. Ermutigt und getröstet werden sie vermutlich in den Alltag wandern.

  2. Joachim Deserno

    “Stattdessen endet sein junges Leben mit einer Kugel aus einer Polizeiwaffe.” Es wäre schön gewesen, wenn die Predigerin noch ein Wort verloren hätte über die Familie, deren Leben auf einer Urlaubsreise (ihr Predigteinstieg) zerstört wurde. Doch ihre Gedanken gelten dem jungen Mann, und sie weiß genau, dass er nur deshalb töten will, weil er selbst Krieg und Gewalt erlebt hat. “Was hat ihn getrieben?” Natürlich die Einsamkeit, natürlich die Vergangenheit. Nicht vielleicht auch ein wenig die mörderische Ideologie, der er sich verschrieben hat? Ich glaube nicht, das das Böse so überwunden wird.

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