GOTT IST LIEBE
Sage mir, wie du mit Menschen umgehst, und ich sage dir, wer dein Gott ist
Predigttext: 1. Johannes 4,7-12 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
Ihr Lieben, lasst uns einander lieb haben; denn die Liebe ist von Gott, und wer liebt, der ist von Gott geboren und kennt Gott. Wer nicht liebt, der kennt Gott nicht; denn Gott ist die Liebe. Darin ist erschienen die Liebe Gottes unter uns, dass Gott seinen eingebornen Sohn gesandt hat in die Welt, damit wir durch ihn leben sollen. Darin besteht die Liebe:nicht dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt hat und gesandt seinen Sohn zur Versöhnung für unsre Sünden. Ihr Lieben, hat uns Gott so geliebt, so sollen wir uns auch untereinander lieben. Niemand hat Gott jemals gesehen. Wenn wir uns untereinander lieben, so bleibt Gott in uns, und seine Liebe ist in uns vollkommen.
(Eigene Übersetzung Christoph Kühne)
7 Ihr Lieben! Lasst uns einander lieben, weil die Liebe aus Gott ist, und jeder, der liebt, ist aus Gott geboren und (er-) kennt Gott.
8 Wer nicht liebt, hat Gott nicht erkannt, weil Gott Liebe ist.
9 Darin ist die Liebe Gottes in uns erschienen, dass Gott seinen einzig geborenen Sohn in die Welt gesandt hat, damit wir durch ihn leben.
10 Darin besteht die Liebe: nicht, weil wir Gott geliebt hätten, sondern weil er selbst uns geliebt und seinen Sohn gesandt hat als Versöhnung für unsre Sünden.
11 Ihr Lieben, wenn Gott uns derart geliebt hat, dann müssen wir uns einfach lieben!
12 Niemand hat Gott jemals gesehen (wie im Theater); wenn wir einander lieben, bleibt Gott in uns, und seine Liebe ist in uns zu ihrem Ziel gekommen (vollendet, lat: perfecta).
Gedanken beim Lesen
Aussagen über die Liebe interessieren mich immer. Aber was ich in der Lutherischen Übersetzung lese, macht mich nachdenklich: Die Liebe besteht darin, dass „ER uns geliebt hat“. Und in der Fortsetzung: Weil ER uns geliebt hat, sollen wir Menschen uns auch lieben. Kann ich diese Aussage in der Eheberatung verwenden? Und auch den anschließenden Gedanken: Wenn wir uns lieben, dann ist Gott in uns! Haben wir mit diesem Johannestext eine neue „Liebesmethode“?
Anmerkungen zum Text
Der Briefausschnitt aus dem 1 Joh ist gut überliefert. „Johannes“ spricht seine Leser zärtlich und wie ein Vater an: „Ihr Lieben“. Es geht um die Liebe, die „aus Gott“ ist. Das Bild einer Geburt legt sich nahe und zeigt sich auch in den folgenden Versen: Wer liebt, ist „aus Gott geboren“. Eine erste Anmerkung vom cod. alexandrinus will hier vorschnell Gott als Objekt der Liebe. Dabei geht es dem Autor um die „irdische“ Liebe des Nächsten. Denn „Gott ist Liebe“ (8bß). In der Liebe leuchtet die größere Liebe Gottes auf, der sich mit seinem Sohn in die Welt eingelassen hat: Dieser Geburtsvorgang Gottes bringt uns Menschen zur Welt, wenn wir einander lieben.
Gott bleibt uns Menschen unbekannt. Wir können ihn nicht sehen und beobachten wie einen Schauspieler auf der Bühne. Wir können ihn mit unserer Liebe auch nicht zwingen, geschweige denn ihm näher kommen. Wir können lieben, weil wir geliebt werden: In der menschlichen Liebe und Sexualität leuchtet eine größere Liebe auf, die es wahrzunehmen gilt.
Wenn sich Menschen auf Liebe einlassen, können sie spüren, dass Fehler oder Vergehen nebensächlich, ja getilgt werden. Daher ist Liebe geradezu eine (lebenserhaltende) Pflicht, ja, ein Gottesdienst, in dem Gott perfectus ist - wie es in der lateinischen Übersetzung heißt: Gott kommt in unserer Liebe zum Ziel.
Lieder
"O Herr, mach mich zu einem Werkzeug deines Friedens" (EG 416)
"Liebe ist nicht nur ein Wort"
"Schalom, Schalom, wo die Liebe wohnt"
"Weil wir von Liebe leben"
Die wunderbare Befreiung des Lebens durch das Internet hat dazu geführt, dass bereits Grundschüler im Netz surfen und sich je nach Belieben Pornos ansehen können. Die Vorstufe finden wir in jedem Kiosk in Form von Illustrierten mit barbusigen Damen. Die Reizschwelle scheint aufgehoben, eine Kontrolle unmöglich zu sein. „Liebe“ also, wohin man blickt. Offenbar scheint es dennoch immer weniger Lust auf Beziehungen zu geben, denn die Zahl der Singles steigt. Wenn man Glück hat, findet man auch verheiratete Menschen. Die meisten haben ihr Glück dabei schon ein paar mal probiert. Die Vermittlungsinstitute haben Hochkonjunktur wie z.B. Parship oder – ungebrochen – die Anzeigen in Zeitungen und Zeitschriften. Parship, „Deutschlands größte Partnervermittlung“, meldet sogar, dass sich alle 11 Minuten ein Single über PARSHIP verliebe und dass 9 von 10 PARSHIP-Paaren zusammenblieben (PARSHIP-Paarbefragung 2013 in Koop. mit der Uni Duisburg-Essen). Der heutige Predigttext stammt von „Johannes“, einem unbekannten Autor, der um 100 n.Chr. seinen Text an seine „Lieben“ schreibt. Er könnte in Syrien oder in der Türkei gelebt haben und war sehr von dem Evangelisten Johannes beeinflusst.
(Lesung des Predigttextes)
Es geht um Liebe in diesem Text. Der Gedankengang des Autors ist ein wenig verwirrend, kreisend, meditativ, vielleicht ein Lied. Beginnen wir mit dem Negativen! „Johannes“ sagt: Wer nicht liebt, hat Gott nicht erkannt. Denn Gott ist Liebe. Vielleicht sagen wir: Das ist uns zu anstrengend, erst Gott zu lieben, damit wir dann einen Menschen lieben können. Und „Johnnes“ gibt uns Recht: Gott können wir gar nicht lieben! Anmerkung: Ein Mann, der unseren Text vervielfältigt hat vor vielen hundert Jahren, hat „übersetzt“: Wer “Gott” liebt, der hat die wahre Liebe gefunden. Doch interessanterweise verweist uns unser „Johannes“ immer wieder auf die menschliche Liebe. Denn in ihr geschieht Entscheidendes.
Doch noch einmal zurück: Die Kirche lehrt doch, dass wir erst einmal Gott lieben sollen, damit wir mit den Menschen ins Reine kommen!? Ja, sogar im Doppelgebot der Liebe steht: Wir sollen Gott und den Nächsten lieben! Haben wir mit unserem Abschnitt aus dem Johannesbrief eine Palastrevolution vor uns? Müssen oder dürfen wir die Bibel neu schreiben? Was würde Jesus dazu sagen? Doch auch bei ihm finden wir Gleichnisse und Heilungen, die sehr menschlich klingen. Sie haben mit Menschen zu tun, die mit Menschen auskommen wollen. Ist das Doppelgebot der Liebe ab heute ausgehebelt? Sehen wir uns den Abschnitt noch einmal an! „Johannes“: Lasst uns einander lieben! sagt er – und ich verzichte einmal auf die Unterscheidung von sexueller und menschlicher Liebe. Liebe ist Liebe, würde „Johannes“ sagen und gibt ihr einen hohen Stellenwert.
Wenn Menschen einander lieben, geschieht mehr als man mit wissenschaftlichen Methoden messen kann und auch mehr, als die Beteiligten erkennen und verstehen. Damit kommt nun ein neuer Gedanke! Diesen Gedanken kann jeder nachvollziehen, der schon einmal geliebt hat. Und wer von uns hätte noch nie geliebt? „Wenn wir einander lieben, bleibt Gott in uns, und seine Liebe ist in uns zu ihrem Ziel gekommen“. So heißt es im 12. Vers. Also wenn wir uns lieben, dann geschieht Größeres als nur der Austausch von Säften und Worten. Dann geschieht Leben. Dann ereignet sich ein Wunder. Dann gibt es keine Fehler mehr oder Ungerechtigkeiten. Dann kommen wir zur Welt. Dann sind wir auf der Erde mitten im Himmel – oder im Himmel und mitten auf der Erde. Dann kommen wir zur Welt. „Dann bleibt Gott in uns.“
„Johannes“ schreibt sogar von „Versöhnung“ in der Liebe. Wer dies erlebt hat, wird anders weiterleben. Er wird die Menschen anders sehen, mit den Augen der Liebe, mit den Augen Gottes, versöhnlicher, freundlicher, liebevoller. Ja, er hat Gott erfahren, obwohl er Gott weder gesehen hat noch jemals sehen wird. Ein absurder Gedanke? Offenbar können wir Gott nur über die Bande sehen und erfahren. Und diese Bande heißt: Liebe. Menschliche Liebe. Also: Gottes Wort halten und Liebe üben, wie schon der Prophet Micha vor 2.500 Jahren seinen Mitmenschen in Palästina zugerufen hat.
Liebe üben – das ist auch der Ruf unseres „Johannes“ aus dem 1. Jahrhundert nach Christus in unsere Zeit und Welt. Was wir davon haben? Wir dürfen wieder die Lust an dem Menschen spüren, die Freude am Gespräch, die Lust an der Auseinandersetzung. Dies geht insbesondere in der aktuellen Begegnung und funktioniert vielleicht auch übers Netz. Aber der Blick auf den Menschen ist „Johannes“ wichtig – ob in der U-Bahn, im Bus, an der Ampel, im Geschäft, am Telefon. Denn Mensch zeigt Gott. Sage mir, wie du mit Menschen umgehst, und ich sage dir, wer dein Gott ist.
Kennzeichen einer gelungenen Liebe: eine versöhnliche Haltung, ein realistischer Blick auf diese Welt und ein Vertrauen auf die Liebesfähigkeit des Andern. „Johannes“ schreibt sogar davon, dass unsere Liebe gar nicht so wichtig ist wie die Liebe des Nächsten, die in mir aufscheint, die mich hell macht, dass ich sehe, was notwendig ist. Vielleicht können wir dies verstehen, wenn wir die Liebe der Eltern ihrem Kind gegenüber wahrnehmen: Das Kind liebt die Eltern, weil diese ihre Liebe über das Kind ausgeschüttet haben oder um das Kind gelegt haben wie einen schützenden und wärmenden Mantel. Da habt ihr ein Bild von Gott, sagt „Johannes“. Erzählt davon, wie ihr zu leben begonnen habt, zu lieben, zu hoffen!
So können wir in diese neue Woche gehen mit dem Aufruf zur Liebe. Dabei müssen wir uns nicht irritieren lassen von Zeitungsbildern, Illustrierten oder auch Parship. Wir sehen die Menschen neu, gehen neu auf sie zu, sprechen neu mit ihnen, sehen sie mit neuen Augen an, gehen vielleicht mit unserer Liebe ein Risiko ein. Und doch werden wir durch die Liebe neu leben. Neue Bande werden uns miteinander verbinden. Dann wird Gott aufgehen, aufblitzen, aufleuchten! Versprochen!