Umkehr zum Leben
Zurück zu dem Gott Israels, der sich dem Paulus von Tarsus durch Jesus Christus im hellen Licht offenbarte, ihn in die Krise stürzte und zur Umkehr bewegte
Predigttext: Apostelgeschichte 9,1-9 (10-20) (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
Die Bekehrung des Saulus
Saulus aber schnaubte noch mit Drohen und Morden gegen die Jünger des Herrn und ging zum Hohenpriester und bat ihn um Briefe nach Damaskus an die Synagogen, damit er Anhänger des neuen Weges, Männer und Frauen, wenn er sie dort fände, gefesselt nach Jerusalem führe. Als er aber auf dem Wege war und in die Nähe von Damaskus kam, umleuchtete ihn plötzlich ein Licht vom Himmel; und er fiel auf die Erde und hörte eine Stimme, die sprach zu ihm:Saul, Saul, was verfolgst du mich? Er aber sprach:Herr, wer bist du? Der sprach:Ich bin Jesus, den du verfolgst. Steh auf und geh in die Stadt; da wird man dir sagen, was du tun sollst. Die Männer aber, die seine Gefährten waren, standen sprachlos da; denn sie hörten zwar die Stimme, aber sahen niemanden. Saulus aber richtete sich auf von der Erde; und als er seine Augen aufschlug, sah er nichts. Sie nahmen ihn aber bei der Hand und führten ihn nach Damaskus; und er konnte drei Tage nicht sehen und aß nicht und trank nicht.
Es war aber ein Jünger in Damaskus mit Namen Hananias; dem erschien der Herr und sprach:Hananias! Und er sprach:Hier bin ich, Herr. Der Herr sprach zu ihm:Steh auf und geh in die Straße, die die Gerade heißt, und frage in dem Haus des Judas nach einem Mann mit Namen Saulus von Tarsus. Denn siehe, er betet und hat in einer Erscheinung einen Mann gesehen mit Namen Hananias, der zu ihm hereinkam und die Hand auf ihn legte, damit er wieder sehend werde. Hananias aber antwortete:Herr, ich habe von vielen gehört über diesen Mann, wie viel Böses er deinen Heiligen in Jerusalem angetan hat; und hier hat er Vollmacht von den Hohenpriestern, alle gefangen zu nehmen, die deinen Namen anrufen. Doch der Herr sprach zu ihm:Geh nur hin; denn dieser ist mein auserwähltes Werkzeug, dass er meinen Namen trage vor Heiden und vor Könige und vor das Volk Israel. Ich will ihm zeigen, wie viel er leiden muss um meines Namens willen. Und Hananias ging hin und kam in das Haus und legte die Hände auf ihn und sprach:Lieber Bruder Saul, der Herr hat mich gesandt, Jesus, der dir auf dem Wege hierher erschienen ist, dass du wieder sehend und mit dem Heiligen Geist erfüllt werdest. Und sogleich fiel es von seinen Augen wie Schuppen und er wurde wieder sehend; und er stand auf, ließ sich taufen und nahm Speise zu sich und stärkte sich.
Saulus blieb aber einige Tage bei den Jüngern in Damaskus. Und alsbald predigte er in den Synagogen von Jesus, dass dieser Gottes Sohn sei.
Exegetische und homiletische Vorüberlegungen
Trotz der Länge des Predigttextes einschließlich der Verse in den Klammern sollte der gesamte Bibelabschnitt berücksichtigt werden. Das Damaskuserlebnis und die anschließende Begegnung mit Hananias gehören inhaltlich zusammen. Es empfiehlt sich, den Predigttext in zwei Teilen zu lesen, entweder in der Predigt selbst oder den ersten Abschnitt als Schriftlesung. In Apg 9,1-9 hat Paulus die Erleuchtung, die ihn so stark trifft, dass er zu Boden fällt. In Apg 9,10-20 wird Saulus/Paulus zur Verkündigung des Evangeliums an Heiden und an Israel berufen. Die Bekehrung hat die Berufung zur Folge. Saulus/Paulus vollzieht den Weg von Tod und Auferstehung. Sein Leben wird neu ausgerichtet, zuvor bedarf es der Buße.
Die Wirkungsgeschichte der Perikope ist bestimmt durch Redewendungen, die Eingang in die deutsche Umgangssprache gefunden haben: „Damaskus-Erlebnis“ „Wie Schuppen von den Augen fallen“ „Vom Saulus zum Paulus werden“. Diese Formulierungen sind sprichwörtlich für eine radikale neue Erkenntnis und einen Sinneswandel geworden. Die Deutungen der Redewendungen bergen die Gefahr, die Perikope antijudaistisch zu interpretiertiern. Die Polarisierung: vor der Bekehrung: Saulus, Jude, Pharisäer, arrogant, und nach der Bekehrung: Paulus, Christ, Apostel, demütig, führt in die Irre und schürt den Antisemitismus. Saulus und Paulus sind keine zwei verschiedenen Namen.
Saulus ist die lateinisierte Form von dem hebräischen Scha’ul, Paulus ist der griechische Name. Saulus/Paulus ist und bleibt Jude. Als Jude verkündet er das Evangelium von Jesus Christus. Saulus/Paulus erfährt wohl eine Wandlung. Er schließt sich der christlichen Gemeinde an, lässt sich taufen, gehört jetzt zu denen, die er zuvor bekämpft hat. Saulus/Paulus, der es gewohnt ist, zu agieren, wird plötzlich lahm gelegt. Er liegt am Boden, kann nicht mehr sehen, er muss sich führen lassen, er muss geschehen lassen, was Gott, bzw. Jesus an ihm wirken. Er tut nichts, Gott alles. Sein Leben wird verwandelt, es bekommt eine neue Richtung. Der Missionsauftrag macht sein Leben nicht leichter. Ihm wird angekündigt, dass er um Jesu willen leiden wird. Saulus/Paulus nimmt seine Berufung an. Als aktiver Mann, der eifrig für seinen Glauben eintritt, nimmt er seine neue Aufgabe wahr.
Wenige Verse nach der Perikope lesen wir, dass er in der Synagoge das Evangelium predigt und dass diese Lehre auf harten Widerstand trifft. Die Lehre empfinden manche einflussreiche Juden als so anstößig, dass sie ihm nach dem Leben trachten. Heimlich wird Saulus/Paulus aus der Stadt gebracht. Da alle Stadttore bewacht werden, um ihn aufzustöbern, wird er nachts von einem Freund in einem Korb an der Stadtmauer herunter gelassen. Aus dem Verfolger ist ein Verfolgter geworden. Dennoch hält Saulus/Paulus an Jesus Christus fest. Hananias spielt eine wichtige Rolle in der Perikope. Ohne ihn wäre Saulus/Paulus nicht sehend geworden, im körperlichen und übertragenen Sinn. Die Handauflegung könnte als eine Art Ordination verstanden werden. Jesu Jünger sind beauftragt, zu taufen und die Gemeinde zu bauen, sie sind sogar beauftragt, Heilungen vorzunehmen (Mt 10,1).
Literatur: Ben-Chorin, Schalom, Paulus, Der Völkerapostel in jüdischer Sicht, 9. Aufl., München 1994.
(Lesung des Predigttextes, 1.Teil, V. 1-9)
I Saulus schnaubte noch mit Drohen und Morden gegen die Juden. Saulus, der mit griechischem Namen Paulus heißt, ist ein übereifriger Verfechter der jüdischen Religion. Für ihn sind die Jüdinnen und Juden, die in Jesus Christus den Messias erkennen und diesen neuen Weg innerhalb des Judentums eingeschlagen haben, Ketzer. Er verfolgt sie mit Macht. Er hat der Steinigung des Stephanus, des ersten christlichen Märtyrers, zugestimmt. Er hat Gefallen an seinem Tod. Saulus bekämpft aktiv die christliche Gemeinde, er geht in die Häuser, in denen Frauen und Männer des neuen Glaubens wohnen, verschleppt sie und sorgt dafür, dass sie ins Gefängnis kommen. Er selbst bekennt, dass er die neue Lehre bis auf den Tod verfolgt hat. Wenn er christliche Gemeindeglieder aufgespürt hat und sie zum Tode verurteilt werden sollten, so gab er seine Stimme dazu. Durch Strafen zwang er sie dazu, in den Synagogen zur Lästerung. Er wütete maßlos gegen sie, verfolgte sie bis in die fremden Städte. Es verschlägt mir den Atem.
Es ist bekannt, dass Saulus ein eifriger Pharisäer war, der Christinnen und Christinnen verfolgte, bevor er bekehrt wurde. Aber dass er derartig strategisch gegen sie vorging, um sie zu vernichten, war mir in dieser Deutlichkeit nicht bewusst. Saulus selbst wird sich im Dienst des Gottes der Väter und Mütter Israels gesehen haben. Obwohl er doch als gelehrter Pharisäer die Gebote Gottes kennt und das Shema Israel als frommer Jude jeden Tag gesprochen haben wird: „Du sollst Gott lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft“, so hat er in seinen Verhaltensweisen darin scheinbar keinen Widerspruch entdecken können. Ebenfalls hat Saulus das elementare Gebot: „Du sollst nicht töten“ nicht mit seinem gewaltsamen religiösen Eifer in Verbindung gebracht. Er glaubt, die jüdische Religion verteidigen zu müssen und alle nach seinem Verständnis nicht Rechtgläubigen ausrotten zu müssen.
Paulus dient gewissermaßen einer höheren Sache. Dabei ist die christliche Religion in ihren Anfängen eine Richtung innerhalb des Judentums. Die christliche Urgemeinde versteht sich nicht als neue eigenständige Religion, sondern als eine Glaubensprägung innerhalb des Judentums. Nicht jeder fromme Jude, nicht jeder Pharisäer hat die christliche Gemeinde verfolgt. Der Eifer des Saulus ist kein typisch jüdischer oder pharisäischer Zug, es hat genug jüdisch-pharisäische Zeitgenossen des Saulus gegeben, die diesen Eifer nicht praktizierten. Saulus war fanatisch, diesen Charakterzug sollte er auch nach seiner Bekehrung behalten, nur in veränderter Wegrichtung.
II Ausgerechnet dieser Mann, der Jüdinnen und Juden bis zum Tod verfolgt, ist dazu auserwählt, Zeugnis von Jesus Christus abzulegen und einer der wichtigsten Apostel zu werden, der Heiden missioniert und christliche Gemeinden Türkei gründet. Auf dem Weg nach Damaskus, wohin er unterwegs ist, um Frauen und Männer des neuen Weges aufzuspüren, und sie gefesselt nach Jerusalem zu bringen, stellt sich Jesus ihm in den Weg. Ein leuchtendes Licht kommt plötzlich vom Himmel herab. Es ist so stark und mächtig, dass er zu Boden fällt. Eine Stimme spricht zu ihm: „Saul, Saul, was verfolgst du mich?!“ Saulus spricht: „Herr, wer bist du?“ Jesus antwortet: „Ich bin Jesus, den du verfolgst.“ Jesus stellt sich mit denselben Worten vor wie Gott sich Mose vorgestellt hat, als der im brennenden Dornbusch seine Berufung und Beauftragung erhielt. Durch die göttliche Selbstvorstellung „Ich bin Jesus“ wird der Gott Israels sichtbar. Jesus ist kein anderer Gott, er ist der erwartete Messias. Saulus ist überwältigt von dem gewaltigen Licht, er erlebt eine Theophanie. Sie wirft ihn um und drückt ihn zu Boden. Er wird so geblendet von dem Licht, dass er blind wird.
Theophanien, Gotteserscheinungen, lösen starke Gefühle aus und werfen Menschen aus der Bahn. Göttliches Licht ist ein Merkmal einer Theophanie. Als Mose vom Berg herabsteigt mit den Zehn Geboten, leuchtet sein Angesicht. Der Glanz Gottes leuchtet noch auf dem Gesicht des Moses. Ein helles Licht bricht mitten in der Nacht auf den Feldern von Bethlehem hervor, als die Engel die frohe Botschaft verkünden. Das strahlende Licht löst zunächst Angst und Schrecken aus. Saulus ist am Boden, er ist zutiefst erschüttert. Jesus konfrontiert ihn mit seinen Taten. Wer seine Jüngerinnen und Jünger verfolgt, verfolgt ihn selbst. Paulus wird mit Blindheit geschlagen, seinen Begleitern, die das alles beobachtet haben, verschlägt es die Sprache. Hilflos wie ein kleines Kind ist er auf die Führung seiner Begleiter angewiesen. Die nehmen ihn bei der Hand und bringen ihn nach Damaskus. Drei Tage kann er nichts sehen, drei Tage fastet er, er isst und trinkt nichts. Fasten ist ein Zeichen der Buße.
Saulus kehrt in sich, ist der Finsternis seiner eigenen Taten ausgeliefert. Seine Erleuchtung führt in die Krise, ist nicht verbunden mit Glücksgefühlen, hat nichts gemein mit der Erleuchtung, wie z.B. Buddha sie gehabt hat. Buddhas Erleuchtung lag in der Linie seines bisherigen Lebens. Saulus Erleuchtung deckt den Widerspruch seines bisherigen Lebens auf. Drei Tage ist es dunkel um ihn und in ihm, drei Tage nimmt er keine Speise zu sich, drei Tage ohne Wasser. Das bringt einen Menschen physisch und psychisch an die Grenze. Drei Tage bedarf es der Reinigung, damit er wieder neu aufstehen kann. Drei Tage war Jona im Bauch des Fisches, bevor er wieder ausgespuckt wurde. Drei Tage durchschritt Jesus im Totenreich, bevor er auferstand. Drei Tage Dunkelheit und Fasten – eine symbolische Zeit für Tod, bevor Auferstehung geschieht.
(Lesung des Predigttextes, 2.Teil, V.10-20)
Noch einer hat eine Erleuchtung: Hananias, ein gläubiger Mann aus Damaskus. Seine Erleuchtung ist nicht so spektakulär. Jesus erscheint dem Hananias und gibt ihm den Auftrag, zu Saulus zu gehen, ihm die Hände aufzulegen, damit er wieder sehend wird. Hananias wehrt sich dagegen, er weiß genau, wer Saulus ist. Jesus beruhigt ihn, Saulus habe sich gewandelt, er betet, er hat ihn auserwählt, zu missionieren. Saulus soll zu den Heiden, gehen, zu Königen und Juden, um das Evangelium zu verkünden. Er selbst habe ihn auf seinen, Hananias Besuch vorbereitet. In einer Vision ließ er ihn wissen, dass ein frommer Christ zu ihm kommen würde und ihn wieder sehend machen würde. Saulus würde um seines Jesu Namens willen viel leiden müssen. Hananias vertraut Jesus und geht los, geht in die Straße, die die Gerade heißt, findet Saulus, spricht seinen ehemaligen Feind mit „lieber Bruder“ an, legt ihm die Hände auf, verschafft ihm wieder sein Augenlicht.
Saulus fällt es wie Schuppen von den Augen, er kann wieder sehen, hat einen inneren Wandlungsprozess durchlaufen. Er steht auf, lässt sich taufen, nimmt Speise zu sich und stärkt sich. Das Fasten ist vorbei, die Nacht der Finsternis überwunden. Er sieht wieder klar, muss sich nicht mehr führen lassen, erkennt den nächsten Schritt, weiß, was er jetzt zu tun hat. Er nimmt seinen Auftrag an, predigt in den Synagogen, dass Jesus der Sohn Gottes ist. Saulus ist seinem Selbstverständnis nach immer Jude geblieben. Auch die Taufe ist kein Beleg für eine Wendung vom jüdischen Saulus zum christlichen Paulus.
Die Taufe weist zwar auf die Zugehörigkeit zur christlichen Gemeinde hin, die aber zu der Zeit noch eine Gruppe innerhalb des Judentums bildet. Ebenfalls der Name Paulus bedeutet keine Abkehr vom Judentum. Die Redewendung „vom Saulus zum Paulus werden“ lenkt in eine falsche Richtung, wenn wir glauben, dass Saulus der jüdische Name sei und Paulus nach seiner Bekehrung der christliche. Es war im griechischen Umfeld durchaus üblich, seinen hebräischen Namen zu hellenisieren. In seiner Lehre ist Saulus, der auch Paulus heißt, ein jüdischer Theologe geblieben. Sein Charakter hat sich nicht verändert. Er bleibt der, der er ist: ein eifriger, der sich für eine Sache einsetzt. Die Sache hat sich geändert, nicht der Mensch. Er bringt mit Eifer das Evangelium zu den Heiden, aber jetzt verfolgt er niemanden mehr. Er leidet selbst um des Evangeliums willen, muss oft fliehen vor Menschen, die ihm nach dem Leben trachten, sitzt des mehrmals im Gefängnis.
III Saulus/Paulus ist umgekehrt. Es ist eine Umkehr zurück zu dem Gott Israels. Es ist der Gott Israels, der sich ihm durch Jesus Christus im hellen Licht offenbart, das ihn in die Krise stürzt, ihn zur Umkehr bewegt, die zu einem Leben in Wahrhaftigkeit führt. Die wenigsten von uns haben wahrscheinlich ein Damaskuserlebnis erfahren. Uns fällt es auch nicht immer wie Schuppen von den Augen, wohin der nächste Schritt führt. Wir tappen oft genug im Dunkeln, suchen nach dem Weg, stoßen an Grenzen, sind blind für seine Sache, suchen nach Befreiung. Wir kennen das, dass unser Leben so verläuft, dass etwas nicht in Ordnung ist.
Wir kennen das, dass sich etwas ändern muss, wenn die Richtung nicht mehr stimmt, wenn wir vielleicht zu übereifrig an einer Sache festhalten, die nicht aufbaut, sondern vom Leben wegführt und zerstört. Aber das andere kennen wir auch: dass wir Auferstehung erleben. Dass unser Leben gelingt, dass wir Augenblicke erfahren, in denen wir wieder sehen können, was nötig ist und wohin unser Weg führt. Das kennen wir auch, dass wir Augenblicke erleben, in denen wir aufstehen und uns einem Menschen oder einer Aufgabe zuwenden. Jesus Christus ist der Weg zum Leben. In ihm kommen wir zum Heil. Er ist es, dessen Licht uns leuchtet, er ist es, der sich uns zeigt und uns zur Umkehr ruft, wenn die eingeschlagene Richtung in die Irre führt. Der Gott Israels ist auch unser Gott, der sich in Jesus bekannt gemacht hat. In Gemeinschaft sind wir alle miteinander verbunden.