” … dass viele Gott danken”
Erntedank 2016
Predigttext: 2.Korinther 9,6-15 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
6 Ich meine aber dies: Wer da kärglich sät, der wird auch kärglich ernten; und wer da sät im Segen, der wird auch ernten im Segen.
7 Ein jeder, wie er's sich im Herzen vorgenommen hat, nicht mit Unwillen oder aus Zwang; denn einen fröhlichen Geber hat Gott lieb.
8 Gott aber kann machen, dass alle Gnade unter euch reichlich sei, damit ihr in allen Dingen allezeit volle Genüge habt und noch reich seid zu jedem guten Werk;
9 wie geschrieben steht (Psalm 112,9): »Er hat ausgestreut und den Armen gegeben; seine Gerechtigkeit bleibt in Ewigkeit.«
10 Der aber Samen gibt dem Sämann und Brot zur Speise, der wird auch euch Samen geben und ihn mehren und wachsen lassen die Früchte eurer Gerechtigkeit.
11 So werdet ihr reich sein in allen Dingen, zu geben in aller Einfalt, die durch uns wirkt Danksagung an Gott.
12 Denn der Dienst dieser Sammlung hilft nicht allein dem Mangel der Heiligen ab, sondern wirkt auch überschwänglich darin, dass viele Gott danken.
13 Denn für diesen treuen Dienst preisen sie Gott über eurem Gehorsam im Bekenntnis zum Evangelium Christi und über der Einfalt eurer Gemeinschaft mit ihnen und allen.
14 Und in ihrem Gebet für euch sehnen sie sich nach euch wegen der überschwänglichen Gnade Gottes bei euch.
15 Gott aber sei Dank für seine unaussprechliche Gabe!
Exegetische Bemerkungen
Dieser Text findet sich im 2Kor, einem wohl echten Paulusbrief. Die Figur des Paulus, seine Aufgabe und sein Leben als Apostel, sind zentral. Eine Ausnahme dahingehend bietet das 9. Kapitel, in dem es um das Geben geht. Kurz zusammengefasst heißt das: Gott gibt, damit wir geben können. Wer empfängt, erkennt darin Gott und dankt ihm. Die meiner Ansicht nach zentralen Themenworte sind demnach δίδωμι und διακονία. Dazu kommt in V.15 der Dank, χάρις, mit dem die Perikope und auch das Kapitel schließen.
δίδωμι zählt zu den häufigsten Worten im NT, da das Geben ein zentrales neutestamentliches Thema beschreibt: Liebe ist Geben. Die Diakonie bedeutet im NT im engeren Sinn eine Aufwartung bei Tisch oder im weiteren Sinne Fürsorge für die Verpflegung und den Lebensunterhalt. Darüber hinaus steht es auch für jede Dienstleistung, die aus echter Liebesgesinnung heraus geschieht. Dies ist eine wichtige Vokabel für die Bedeutung und den Aufbau christlicher Gemeinden.
Für die Verknüpfung der Gemeinden untereinander ist gerade im Urchristentum die Kollekte ein wichtiges Hilfsmittel – dies ist ebenfalls noch Thema des Kapitels.
Aufbau der Perikope (und somit die drei elementaren Stichworte der Predigt):
Gott gibt, damit wir geben können
Wenn wir geben, dann erkennen die Menschen darin Gott und danken ihm (diakonischer Dienst untereinander)
Gott sei Dank!
Verwendete Literatur
Thaddäus A. Schnitker, Art. Erntedankfest, in: RGG4, Sp. 1464f. - U. Schnelle, Einleitung in das Neue Testament, 3.Aufl., Göttingen 1999 . - Artikel zu den oben aufgeführten Lexemen im ThWNT. - www.daskirchenjahr.de.
Alles ist ruhig um mich herum. Keine Staubsaugergeräusche mehr, kein Autolärm, keine anderen Stimmen. Ich sitze auf meinem Balkon. Was für ein Tag! Der Tag schien heute länger als 24h zu dauern. Aber jetzt ist alles geschafft. Um diese Uhrzeit wird wohl niemand mehr anrufen, Computer und Smartphone zum Mails- und Nachrichten-Checken bleiben aus. Ich atme tief ein und spüre der frischen Luft in meinem Körper nach. Nun nehme ich die sanften Geräusche des Abends wahr: Manches Vogelgezwitscher, das Brummen der Traktoren auf den Feldern. Mein Blick wandert in Richtung der untergehenden Sonne. Ein Lächeln breitet sich in meinem Gesicht aus, ich summe ein Lied, und ich weiß gar nicht genau, warum. Ich weiß und fühle gerade nur eins: Danke, lieber Gott! Es ist schön in deiner Welt! Diese letzten beiden Sätze werden wir, liebe Gemeinde, heute alle laut aussprechen, in allem, was wir heute sprechen, singen und beten: Danke, lieber Gott! Es ist schön in deiner Welt!
Denn heute feiern wir das Erntedankfest. Das Erntedankfest ist sehr alt und das einzige Fest im Kirchenjahr, das mit der Natur verbunden ist. Alle anderen Feste sind ausgerichtet an Leben und Sterben Jesu und dann mit Pfingsten auch an der Wirkung des Heiligen Geistes. Das Erntedankfest ist also etwas Besonderes. Es fällt aus dem Rahmen.
Vielleicht ist es auch genau dazu da: Einmal innezuhalten, bildlich gesprochen aus dem Rahmen zu fallen, herauszutreten aus dem Alltagstrott und sich und sein Leben von außen zu betrachten: Was macht mein Leben aus? Was mache ich hier eigentlich? Was genieße ich und nehme es meist als selbstverständlich hin? Das Erntedankfest lässt den Menschen dankbar auf die Schöpfung und sein eigenes Leben blicken. Der Dank äußert sich auch darin, dass wir bereit sind zum Teilen dessen, was letztlich ohnehin nicht uns gehört. Das Danken und Teilen hat auch der heutige Predigttext zum Thema. Als Predigttext für heute ist ein Auszug aus dem 2. Korintherbrief vorgesehen.
(Lesung des Predigttextes)
Beim Vorlesen klang das ein bisschen kompliziert, aber diese kurze Episode beschreibt genau genommen ein Dreieck: Gott gibt uns – wir geben den Menschen – die Menschen erkennen darin Gott und danken ihm. So wünscht sich das Gott!
Schauen wir uns das Dreieck mal genauer an.
Gedanke 1: Gott gibt uns
Liebe ist Geben – diese Aussage wird von Gott genauso getroffen wie von Menschen. Eine Charaktereigenschaft, die wir von ihm haben. So hat er uns Menschen geschaffen. Er wollte uns so, ihm ähnlich, wir sollen gerne geben, so, wie er uns gern beschenkt, jeden Tag aufs neue. Jeden Tag sorgt sich Gott darum, dass es Leben gibt auf der Erde. Psalm 104 beschreibt dies so eindrücklich. Es heißt dort: “Du lässest Wasser in den Tälern quellen, dass sie zwischen den Bergen dahinfließen, dass alle Tiere des Feldes trinken […] Du feuchtest die Berge von oben her, du machst das Land voll Früchte […]. Du lässest Gras wachsen für das Vieh und Saat zu Nutz den Menschen, dass du Brot aus der Erde hervorbringst, dass der Wein erfreue des Menschen Herz und sein Antlitz schön werde vom Öl und das Brot des Menschen Herz stärke. Es warten alle auf dich, dass du ihnen Speise gebest zur rechten Zeit. Wenn du ihnen gibst, so sammeln sie; wenn du deine Hand auftust, so werden sie mit Gutem gesättigt. Verbirgst du dein Angesicht, so erschrecken sie; nimmst du weg ihren Odem, so vergehen sie und werden wieder Staub”. – Ja, Gott beschenkt uns, jeden Tag aufs neue, er gibt Leben und was dazu gehört, und er nimmt auch Leben und führt es zu ihm zurück. Das sollte uns immer wieder klar werden: Das, was wir haben, ist nicht selbst gemacht. Es stammt von Gott.
Gedanke 2: Wir geben den Menschen um uns herum
Dazu steht im Predigttext ein zentrales Wort: Diakonie! Diakonie ist griechisch und wird häufig gebraucht im NT. Diakonie meint eigentlich Fürsorge für die Verpflegung und den Lebensunterhalt. Darüber hinaus steht es auch für jede Dienstleistung, die aus echter Liebesgesinnung heraus geschieht. Dies ist eine wichtige Vokabel für die Bedeutung und den Aufbau christlicher Gemeinden. Bei uns ist das Wort „Diakonie“ eher als Bezeichnung für eine konkrete Einrichtung gemeint. Und wenn wir hier vor Ort konkret keine Diakonie-Station haben, so gerät, wie es mir scheint, das ganze Wort schnell aus unserem Blickfeld. Das ist nicht gut! Diakonie muss immer in unserem Blickfeld sein.
Christliche Gemeinschaft funktioniert nur, wenn wir einander dienen, wenn keiner nur an sich selbst denkt, wenn wir uns umeinander kümmern. Ganz wichtig dabei ist auch konkrete Hilfe: Geld einsammeln für Menschen, die weniger haben als wir. Dazu entwirft die Kirchensynode jedes Jahr einen festgelegten Kollektenplan, in dem viele eben diakonische Projekte gefördert werden. Die Kollekte einzusammeln ist ein wichtiger Dienst, den wir seit Anbeginn der ersten christlichen Gemeinden ausüben. Wie schön, dass wir das nicht abgeschafft haben! Das ist ein guter Teil unseres diakonischen Handelns, aber noch nicht alles. Auch wir sollten jeden Tag aufs neue andere Menschen beschenken, gutes Leben ermöglichen, wie Gott das auch bei uns tut.
Gedanke 3: Alle danken Gott
Ich weiß, dass sagt sich so einfach. „Danke“ ist so ein einfaches Wort, das wir auch von unseren Kindern einfordern. Aber danken wir selbst oft genug? Neulich ist mir eine Postkarte in die Hände gefallen, an die ich mich während der Predigtvorbereitung für Erntedank gern erinnere: Man sieht auf der Vorderseite eine Familie am gedeckten Esstisch sitzen und die Ehefrau fragt ihren Mann: „Wollen wir vielleicht vorher beten?“ Darauf antwortet der Mann entsetzt: „Wieso? Stimmt was mit dem Essen nicht?“ Die Postkarte trägt den Titel: Tischgebet – nicht mehr selbstverständlich. Wenigstens vor der warmen Mahlzeit am Tag kann man Gott Danke sagen:
Danke, dass wir genügend zu essen haben, dass wir uns sogar aussuchen können, was wir kochen und essen,
Danke, dass wir hier bei uns abends noch spazieren gehen können, ohne dass wir gleich überfallen und erstochen werden,
Danke dafür, dass wir Freunde haben, die fragen, wie es uns geht.
Danke für die Alltäglichkeiten, die unser Leben schön machen,
Danke für das spätsommerliche Bild, wenn die Strohballen auf den Feldern stehen und von der Morgensonne angestrahlt werden,
Danke für das Eichhörnchen, das ich jeden Tag vor meinem Fenster sitzen sehe und mich lächeln lässt.
Bei jedem von uns gibt es Dinge, Ereignisse und Personen, für die man dankbar sein kann. Es muss uns nur bewusst werden. Dieser Tag, das Erntedankfest, ist ein Fest gegen die Selbstverständlichkeit. Heute rufen wir uns das paulinische Dreieck ins Gedächtnis: Gott gibt uns – wir geben anderen Menschen – die Menschen erkennen darin Gott und danken ihm. Und das Schöne daran ist: Wenn dieses Dreieck unter uns Menschen funktioniert, dann geschieht das auch mit Freude. Wenn jemand mit strahlenden Augen „Danke“ sagt, dann wird es einem selbst gleich warm um’s Herz, und es schleicht sich ein Lächeln auf das Gesicht.
Heute wollen wir Gott auch so ein Lächeln auf sein Gesicht zaubern, indem wir einander beschenken und danke sagen. Wie machen wir das jetzt konkret? Zunächst finde ich es schön, dass heute viele Menschen hier sind und an diesem Gottesdienst teilhaben und mitwirken. Das ist ein wichtiges Zeichen für unsere Gemeinschaft – Gemeinschaft ist das, was Christen ausmacht. Deshalb feiern wir nachher auch ein Agapemahl. Agapemahl heißt Liebesmahl. Das heißt, dass wir gemeinsam Brot und Weintrauben miteinander teilen und essen. Als Zeichen dafür, dass Gott uns genügend zu essen und zu trinken gegeben hat und wir dies teilen und weitergeben können. Darüber hinaus steht heute auch die Diakonie im Zentrum, der Liebesdienst, den wir weltweit erweisen. Wir spenden heute ganz bewusst die Kollekte für „Brot für die Welt“.
Heute ist es auf jeden Fall dran, den Blick über unseren Tellerrand zu erheben und auf die Menschen in anderen Erdteilen zu blicken. Heute wollen wir für die Menschen spenden, die einen ganzen Tag für ein einziges Brot arbeiten würden, für diejenigen, die glücklich sind, in die Schule gehen zu dürfen, für diejenigen, denen wir es durch unsere Spende möglich machen, einen Arzt aufzusuchen. Und wir sagen heute zu unserem eigenen Leben laut und deutlich: Danke, guter Gott. Du meinst es gut mit uns. Du hast uns so reichlich beschenkt. Wir wollen gut mit diesen Gaben haushalten und andere Menschen immer im Blick behalten. Danke für alles.