Verbinden und Gemeinschaft stiften

Erntedank 2016 - Geben ist kein Almosen, sondern ein Akt der Gerechtigkeit

Predigttext: 2. Korinther 9,6-15 - mit Exegese
Kirche / Ort: 26721 Emden
Datum: 02.10.2016
Kirchenjahr: Erntedankfest
Autor/in: Dipl.-Theol. Pfarrerin Christiane Borchers

Predigttext: 2.Korinther 9,6-15 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

6 Ich meine aber dies: Wer da kärglich sät, der wird auch kärglich ernten; und wer da sät im Segen, der wird auch ernten im Segen.
7 Ein jeder, wie er's sich im Herzen vorgenommen hat, nicht mit Unwillen oder aus Zwang; denn einen fröhlichen Geber hat Gott lieb.
8 Gott aber kann machen, dass alle Gnade unter euch reichlich sei, damit ihr in allen
Dingen allezeit volle Genüge habt und noch reich seid zu jedem guten Werk;
9 wie geschrieben steht (Psalm 112,9): »Er hat ausgestreut und den Armen gegeben; seine Gerechtigkeit bleibt in Ewigkeit.«
10 Der aber Samen gibt dem Sämann und Brot zur Speise, der wird auch euch Samen geben und ihn mehren und wachsen lassen die Früchte eurer Gerechtigkeit.
11 So werdet ihr reich sein in allen Dingen, zu geben in aller Einfalt, die durch uns wirkt Danksagung an Gott.
12 Denn der Dienst dieser Sammlung hilft nicht allein dem Mangel der Heiligen ab, sondern wirkt auch überschwänglich darin, dass viele Gott danken.
13 Denn für diesen treuen Dienst preisen sie Gott über eurem Gehorsam im Bekenntnis zum Evangelium Christi und über der Einfalt eurer Gemeinschaft mit ihnen und allen.
14 Und in ihrem Gebet für euch sehnen sie sich nach euch wegen der überschwänglichen Gnade Gottes bei euch.
15 Gott aber sei Dank für seine unaussprechliche Gabe!

Exegetische und homiletische Vorüberlegungen

Vom Segen der Geldsammlung ist in Kapitel 9 des zweiten Korintherbriefes die Rede. Paulus wirbt in der heidenchristlichen Gemeinde in Korinth um Spenden. Die Spenden sollen der judenchristlichen Gemeinde in Jerusalem zugutekommen. Die Jerusalemer Gemeinde steht der Heidenmission des Paulus kritisch gegenüber. Paulus erhofft sich von den Spenden, dass die Judenchristen in Jerusalem die Heidenchristen in Korinth anerkennen und damit auch seine eigene Heidenmission mehr von Jerusalem anerkannt wird. Der Spendenaufruf dürfte von daher nicht ganz uneigennützig sein. Paulus betont ausdrücklich, dass die korinthische heidenchristliche Gemeinde sich zu Christus bekennt und für die Schwestern und Brüder in Jerusalem Fürbitte hält.

Paulus stellt das Verbindende und Gemeinschaftsstiftende heraus. Paulus hat Erfolg bei den Korinthern. Sie sammeln reichlich für ihre Glaubensschwestern und -brüder in Jerusalem. In der Gemeinde in Jerusalem hingegen wird kaum zur Kenntnis genommen, dass sie Spenden erhalten hat. Darüber dürfte er sehr enttäuscht gewesen sein. Paulus begründet die Spendensammlung nicht diakonisch, sondern theologisch. Durch die Geldsammlung wird nicht nur einem Mangel abgeholfen, sondern auch das Lob Gottes in der Welt vermehrt. Gott ist der Geber aller Gaben. Er schenkt überreichlich und in Fülle. Ihm gebühren die Ehre und das Lob. Gott ist der Zadik, der Gerechte, der ausstreut und den Armen gibt (V.9). Geben ist kein Almosen, sondern ein Akt der Gerechtigkeit.

Lied: "Freuet euch der schönen Erde" (EG 510)

zurück zum Textanfang

“Bald kommt John und holt uns ab“, sagt Ulrike zu ihrer Freundin Regina. „Es ist ihm sehr wichtig, dass wir beide mitkommen. In dem Dorf, wo er aufgewachsen ist, veranstaltet die Gemeinde heute ein Fest.“ „Können wir denn da überhaupt dran teilnehmen?“, fragt Regina zweifelnd. „Aber ja, in Kenia ist das ganz anders als in Deutschland. Hier freuen sich die Leute über Besuch aus Deutschland, auch wenn sie ihn nicht kennen. „Ich komme gern mit“, sagt Regina, „wann bekomme ich schon die Gelegenheit wieder, an einem Fest in einem kenianischen Dort mitzufeiern.“ Im Hotelzimmer ziehen Ulrike und Regina sich hübsche kenianische Kleider an. Das Telefon läutet im Hotelzimmer. Ulrike nimmt ab. Es ist der Rezeptionist am Empfang: „Sie werden unten in der Hotelhalle erwartet.“ „Danke“, antwortet Ulrike und legt auf. Ulrike und Regina schnappen sich ihre Taschen und fahren mit dem Fahrstuhl nach unten. Dort steht John, der langjährige Bekannte von Ulrike. „Hallo“, begrüßt John die Frauen. „Geht’s gut?“ „Sehr gut“, antworten sie und steigen in das Auto, das John für sie bereithält. Es geht los.

John steuert das Auto aus der Stadt heraus. Bald lassen sie die Häuser hinter sich. Die geteerte Asphaltstraße weicht einem braunen Pistenweg. Weit erstreckt er sich in eine Ebene mit vereinzelten Büschen und Bäumen. Die Sonne brennt, es wird heiß im Auto. Sie fahren bereits zwei Stunden. „Das Dorf liegt aber weit draußen“, wundert sich Regina erschöpft. John lacht. Er kennt es nicht anders, weite Wege ist er gewohnt. Er verlässt den Hauptweg und biegt in einen von Bäumen gesäumten Seitenweg ein. „Dort“, sagt John und zeigt mit der Hand auf eine Ansammlung von Lehmhäusern, „dort liegt mein Heimatdorf.“ Das Auto holpert über die unwegsame trockene Landschaft und stoppt in der Nähe des ersten Lehmhauses.

Durchgeschüttelt steigen die Frauen aus. John springt aus dem Auto und begrüßt herzlich die ihm entgegenkommenden Kinder und Jugendlichen. Unter ihnen sind seine jüngeren Schwestern Nala und Napirai. Mit einem lachenden Gesicht nimmt John seine Schwestern in den Arm. Die Wiedersehensfreude ist groß. „Das sind Ulrike und Regina“, stellt er seine beiden deutschen Begleiterinnen vor. Die ältere Nala reicht den weißen Frauen freudestrahlend die Hand. Die jüngere Napirai versteckt sich scheu hinter ihrer älteren Schwester. „Die Haut der fremden Frauen ist so weiß. Ob das Weiße abfärbt?“, fragt sie sich insgeheim und traut sich nicht, Ulrike und Regina die Hand zu geben. „Kommt“, winkt John Ulrike und Regina zu. „Ich will euch zu meinem Vater führen.“ Ulrike und Regina gehen mit, gefolgt von mehreren Kindern und Jugendlichen.

Johns Vater steht angelehnt an einem Baumstamm. Sein Gesicht ist von der Sonne gegerbt. Freudestrahlend nimmt er seinen Sohn in den Arm. Anschließend begrüßt er freundlich Johns Gäste. John übersetzt das Suaheli seines Vaters. Alle gehen zu den Leuten auf dem Dorfplatz. Auf dem Platz neben dem Schulgebäude steht ein riesiger Tamarindenbaum. Bankreihen und Stühle sind darunter aufgestellt. Die mächtige Baumkrone spendet angenehmen Schatten. Zwei Stühle sind in der ersten Reihe freigehalten. „Setzt euch“, bittet Johns Vater und zeigt auf die beiden freien Stühle „Diese Plätze sind für euch, ihr seid unsere Ehrengäste“. Ulrike und Regina nehmen Platz. Sie sind überrascht und gerührt von so viel Ehre und Freundlichkeit.
Vorne ist ein Tisch angeordnet, darauf steht ein geflochtener großer Korb. Johns Vater schreitet zum Tisch, stellt sich dahinter, nimmt das Mikrophon in die Hand und ergreift das Wort. Ein Dolmetscher übersetzt für Ulrike und Regina. Sie sind die einzigen, die kein Suaheli sprechen.

“Verehrte Gäste aus Deutschland, liebe Leute“, beginnt Johns Vater. „Ich danke euch, dass ihr gekommen seid, um unsere Familie zu unterstützen. Mit eurer Hilfe kann meine Tochter Napirai die Schule in der Hauptstadt, in Nairobi, besuchen.“ Im Folgenden erklärt er, dass sie bei ihrer Tante frei wohnen kann, dass die Schule aber Geld kostet. Er erläutert weitere Einzelheiten. Ulrike und Regina sind beeindruckt von dem, was sie hier erleben. Dieser einfache Mann aus einem abgelegenen Dorf in Kenia erkennt die Bedeutung einer Ausbildung für seine Tochter. Er hat gewiss nicht zu seiner Tochter gesagt: „Du heiratest ja sowieso.“ Er vertritt gewiss nicht die Einstellung, dass eine Ausbildung für ein Mädchen überflüssig sei. Der Vater setzt sich für die Ausbildung seiner Tochter ein, ist sich nicht zu schade, eine ganze Dorfgemeinschaft um Hilfe zu bitten. Die beiden deutschen Frauen sind auch beeindruckt von dem, was jetzt passiert. Nachdem der Vater seine Rede beendet hat, klatscht die Menge begeistert in die Hände. Singend und tanzend erheben sich die ersten Leute von ihren Plätzen. Sichtbar zwischen Zeigefinger und Ringfinger halten sie einen Geldschein in der Hand. Sie bewegen sich auf den Tisch zu und legen ihren Geldschein in den Korb. Singend und tanzend nehmen die Menschen wieder ihren Platz ein.

Ulrike und Regina lassen sich mitnehmen, machen es den Feiernden nach. Sie reihen sich in die Tanzenden ein, nehmen ebenso einen Geldschein zwischen ihre Finger, legen ihn im Vorbeitanzen in den Korb. Dreimal erheben sich die Feiernden, dreimal tanzen sie nach vorne zum Tisch, dreimal legen sie ihre Gaben in den Korb. Es folgen Dankesreden vom Vater und von anderen Persönlichkeiten. Sie loben Gott für die Gaben. Als das Fest seinen Höhepunkt überschritten hat, lösen Ulrike und Regina sich aus der Gemeinschaft der Feiernden und machen sich auf den Heimweg. Sie sind berührt von der Hilfs- und Opferbereitschaft dieser Menschen. Sie haben viel geben: an Geld und Herzenswärme. Sie haben von dem Wenigen, das sie haben, abgegeben. Zwei Frauen hatten ein Huhn beigesteuert. Möglicherweise besaßen sie kein Geld. Sie wollten dennoch geben. Sie möchten nicht von der gebenden Dorfgemeinschaft ausgeschlossen sein.

John fährt die beiden Frauen über den staubigen Pistenweg zurück. Ulrike und Regina sind je in ihren Gedanken versunken. Die Sonne färbt den Abendhimmel leuchtend rot. Bald liegen die weiten Baumlandschaften hinter ihnen, sie erreichen die Stadt. John liefert die beiden Frauen wieder wohlbehalten an der Hotelrezeption ab. Das Schulgebäude in Johns Heimatdorf, dessen Vorplatz mit seinem großen Tamarindenbaum zum Treffpunkt und Festplatz geworden ist, ist mit Hilfe von Kirchengemeinden aus Deutschland errichtet worden. Menschen aus Deutschland spendeten die Baumaterialien, die Menschen in Kenia setzten ihre Arbeitskraft ein. Es entstand eine Grundschule, die den Kindern aus dem Dorf die erste grundlegende Bildung vermittelt. Die Gaben haben Gemeinschaft gestiftet und führten zum Gotteslob.

„Einen fröhlichen Geber hat Gott lieb“, schreibt der Apostel Paulus an die Gemeinde in Korinth. Die Gemeinde im griechischen Korinth hat reichlich und gern die ärmeren Geschwister in der Jerusalemer Gemeinde unterstützt. Ein ganzes Jahr hat die korinthische Gemeinde im Gottesdienst die Kollekte für ihre fernen Schwestern und Brüder in Jerusalem gesammelt und sie in der Fürbitte bedacht. Selbst, wer wenig besitzt, hat gespendet. Die Gemeinschaft mit den Geschwistern in Jerusalem liegt den Korinthern am Herzen. Paulus ermutigt sie zu spenden, nimmt ihnen ihre Befürchtungen. Sie brauchen keine Angst zu haben, dass sie durch Spenden selbst Mangel leiden werden. Der Geber aller Gaben ist Gott. Sie geben weiter, was sie zuvor empfangen haben. Gott sorgt für sie. Er spendet reichlich. „Gott gibt Samen und Brot“, dessen ist sich Paulus gewiss. In Hungersnöten geraten Menschen in Versuchung, den Samen nicht in die Erde zu geben, damit er Frucht bringt, sondern ihn aufzuessen. Paulus versichert den Korinthern: Sorgt euch nicht, Gott gibt beides: Samen, den ihr in die Erde säen könnt und Brot, das ihr backen könnt. Gottes Gaben reichen aus.

Paulus versteht die Kollekte als einen Akt der Gerechtigkeit. Wer gibt, braucht sich nicht besonders gut oder mildtätig vorzukommen. Die Gabe gehört zu den Pfeilern des Glaubens. Wie Gott seine guten Gaben ausstreut, so soll und kann auch die Gemeinde ihre Gaben ausstreuen. Die Empfänger werden Gott dafür loben. Durch Geben wird das Lob Gottes in der Welt vermehrt. Der Kreislauf schließt sich. Gott gibt seine Gaben, Menschen loben und danken, und leiten den Überfluss weiter. Diese wiederum nehmen dankend an und preisen Gott. Das Lob Gottes erklingt hell und stark in der Welt. Geben verbindet, Geben stiftet Gemeinschaft. Arme Menschen sind keine Almosenempfänger. Sie sind Menschen, die ein Recht auf Gottes Gaben haben, ebenso wie wir, die wir von Gott reichlich gesegnet sind.

zurück zum Textanfang

Ihr Kommentar zur Predigt

Ihre Emailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert.