Zwischen Angst und Hoffnung

Bedrängendes einander mitteilen, miteinander teilen, nach Wegen der Überwindung suchen

Predigttext: Philipper 3,17-21
Kirche / Ort: Gaiberg b. Heidelberg
Datum: 30.10.2016
Kirchenjahr: 23. Sonntag nach Trinitatis
Autor/in: Pfarrer Helmut Staudt

Predigttext: Philipper 3, 17-21 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 2017)

Ahmt mit mir Christus nach, Brüder und Schwester (sic!), und seht auf die, die so wandeln, wie ihr uns zum Vorbild habt. Denn viele wandeln so, dass ich euch oft von ihnen gesagt habe, nun aber sage ich's auch unter Tränen: Sie sind die Feinde des Kreuzes Christi. Ihr Ende ist die Verdammnis, ihr Gott ist der Bauch und ihre Ehre ist in ihrer Schande; sie sind irdisch gesinnt. Wir aber sind Bürger im Himmel; woher wir auch erwarten den Heiland, den Herrn Jesus Christus, der unsern geringen Leib verwandeln wird, dass er gleich werde seinem verherrlichten Leibe nach der Kraft, mit der er sich alle Dinge untertan machen kann.

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“In dich hab’ ich gehoffet, Herr; hilf, daß ich nicht zuschanden werd”, heißt es in dem einem Psalm (31) nachgedichteten Wochenlied (EG 275). Es ist die Hoffnung und die Bitte, dass ich nicht untergehe, ins Nichts versinke. Ich denke dabei an die vielen, die in einer beruflichen Krise stecken. Wir hören es oft genug, fast täglich. Da wird eine Firma dichtgemacht, und dann fallen eben soundsoviele Arbeitsplätze weg. Fallen einfach weg. Der Arbeitsplatz bedeutete Brot und Lohn, auch Sinn für die Menschen, die zum Betrieb gehörten. Erst schinden und dann zuschanden werden? Das alles wird oder soll mit Sozialplänen abgefedert, irgendwie gemildert werden … Aber es braucht schon einen starken Glauben und starke Stützung seitens der Familie, um – trotz Abfindung – nocheinmal einen sinnvollen Anfang zu finden. Vielleicht gibt es einen Neuanfang. Möglich auch, dass sich die Krise als sinnvolle Chance erweist. Aber zunächst ist da der große Bruch. Arbeitslosigkeit – wird der Betroffene darüber zuschanden und am Ende zum Gespött der Nachbarn?: ‘Der hat die Kurve nicht mehr gekriegt, ist versumpft, raucht ständig, hängt nur noch rum …’ Aber wer sieht die Angst dieser Menschen?

“Ahmt mit mir Christus nach, Brüder und Schwestern”, ruft der Apostel Paulus seine Gemeinde in Philippi auf.

Während der letzten Monate hat sich in unserem Land eine Angststimmung breit gemacht. Mal sind es die Meldungen von wilden Demonstrationen oder die Meldungen von geplanten Anschlägen. Es kann eine Rauchsäule sein, irgendwo bei Mannheim oder Ludwigshafen, eine Polizeisirene und gleich danach ein rasender Rettungsdienst – und schon die bange Frage: Was ist passiert? Wir hören täglich von Kriegen, von der Ukraine bis in den Kongo, sehen Bilder von Aleppo oder Mossul oder Bilder vom Erdbeben in Italien, Geretteten oder Gescheiterte von Lampedusa. Ich weiß nicht, wie das weitergehen und enden soll. Aber ich möchte die Gemeinde aufrufen: Habt keine Angst, die Angst auszusprechen, manchmal auch herauszuschreien, das ist besser als es in sich hineinzufressen.

Bei Vielen von uns lösen die Flüchtlinge Angst aus. Fragen und Unsicherheit, und immer wieder die ganz einfache und durchaus berechtigte Frage: Was tun die hier? Werden sie richtig Deutsch lernen? Gibt es Arbeit für sie? Wie kriegen diese Menschen den Tag herum, wenn sie nicht arbeiten dürfen, auch nichts in unseter Sprache lesen können? Aber haben diese jungen Leute nicht genauso Angst wie wir – und noch mehr. Denn sie fragen: Wie geht es mit mir weiter? Sie haben Angst vor behördlichen Anhörungen, vor dem Bundesamt, vor der Polizei, vor jedem Brief, der sie hier erreicht und den sie nicht verstehen. Angst vor Verlegung und Verlusten, vor Nachrichten aus der Heimat, vor Fragen der Verwandten um Hilfe.

Die Frage an uns: Wie gehen wir mit ihrer Angst um? Es wird so schön gesagt, lasst uns das Brot mit ihnen teilen. Das tun einige, viele, die Gesellschaft, der Staat, die Kirche, sie sorgen dafür, dass sie die Geflüchteten nicht hungern. Aber können wir auch ihre Angst teilen, mitteilen und mit beseitigen? Nichts weniger als das, denn solche Angst reicht in die Tiefe unserer Seelen. Damit wird die Frage der Betreuung von Flüchtlingen eine religiöse Frage, eine Glaubensfrage. Ich sage das nicht, um den ohnehin schon überlasteten Pfarrern und Gemeinde-Ältesten noch eine Aufgabe zuzuschieben. Nein, wenn wir an Gott glauben und hoffen, dass er uns aus den Nöten helfe, dann darf und muss diese Frage gestellt werden, dann muss Gott auch für unsere und die Ängste dieser Menschen dasein, die die Wellen des Krieges und des Mittelmeeres uns ins Land gespült haben. Das ist nicht die Frage, ob wir es schaffen, sondern die Frage, ob wir Gott hier anstellen, damit er etwas schaffe. Dass er es schaffe, die Angst hinweg zu nehmen und in eine Zukunft umzuwandeln. Nicht die Angst, sondern die Hoffnung soll uns regieren, dass es Gott gelingt, uns die Angst zu nehmen und die Zukunft aufzuschließen.

Dann könnte es sein, dass Gott für uns wie eine große Burg, wie ein großer Burghof ist, wir alle tummeln uns darin, beim Essen und Trinken, beim Versuch, miteinander eine Verständigung zu erreichen. Ich findes es schön, wenn bei solchen Anlässen, die Einen einen Atlas, die Anderen ein uraltes deutsch-arabisches Wörterbuch mitbringen und die Nächsten auf ihrem Handy ein Sprachprogramm einstellen und dann mühsam die Aussprache ertasten. Eine Burg ist dazu da, “frei und ritterlich zu streiten” und nicht, um sich faul hinter den Mauern zu verschanzen und einen bösen Feind zu vernichten. Es gilt, bei aller Wachsamkeit, doch zu feiern und zu leben, zu arbeiten und zu hoffen.

Lohnt es sich noch, an die Worte des Apostels Paus in unserem Predigttext zu erinnern? Er, der auch fast heimatlos in den Ländern umherreiste, ruft seine Gemeinde in Philippi dazu auf, ihn zum “Vorbild“ zu nehmen. Das ist keine Eitelkeit. Das Leben des Apostels Paulus war ebenfalls und viel mehr als das unsrige von Angst erfüllt. Er war jahrelang unterwegs, mal mit guten Empfehlungen, mal gejagt. Und trotzdem diese starke Hoffnung auf Gott, der ihn in aller Unsicherheit bewahren wird. Der so weit herumreisende Paulus konnte nicht von einer Burg oder einem Burghof träumen, aber doch von einem Haus irgendwelcher Christen, die ihn in ihren beschützenden Mauern aufnahmen. Dass solche Häuser und Wohnzimmer, Gemeinderäume oder internationale Cafes uns allen zur Hoffnung werden, uns Mut machen, das bitten wir, das hoffen wir. Nocheinmal der Apostel Paulus: “Ahmt mit mir Christus nach, Brüder und Schwestern”.

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