Leben in Fülle für Alle – ohne Furcht

Den Frieden einüben und lernen

Predigttext: Micha 4.1-5
Kirche / Ort: Heiliggeistkirche / Heidelberg
Datum: 06.11.2016
Kirchenjahr: Drittletzter Sonntag im Kirchenjahr
Autor/in: Pfarrer Dr. Vincenzo Petracca

Predigttext: Micha 4, 1-5 (Übsetzung nach Martin Luther, Revision 2017)

In den letzten Tagen aber wird der Berg, darauf des HERRN Haus ist, fest stehen, höher als alle Berge und über die Hügel erhaben. Und die Völker werden herzulaufen, und viele Heiden werden hingehen und sagen:Kommt, lasst uns hinauf zum Berge des HERRN gehen und zum Hause des Gottes Jakobs, dass er uns lehre seine Wege und wir in seinen Pfaden wandeln! Denn von Zion wird Weisung ausgehen und des HERRN Wort von Jerusalem. Er wird unter vielen [Revision 1984: großen] Völkern richten und mächtige Nationen [Revision 1984: viele Heiden] zurechtweisen in fernen Landen. Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen. Es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen. Ein jeder wird unter seinem Weinstock und Feigenbaum wohnen, und niemand wird sie schrecken. Denn der Mund des HERRN Zebaoth hat's geredet. Ein jedes Volk wandelt im Namen seines Gottes, aber wir wandeln im Namen des HERRN, unseres Gottes, immer und ewiglich!

Homiletische Vorbemerkungen

Micha 4,1-5 ist neu in die revidierte Perikopenordnung aufgenommen worden. Das Motiv "Schwerter zu Pflugscharen" (Mi 4,3) kommt noch an zweiten anderen Stellen im Alten Testament vor: in Joel 4,10 und in Jes 2,4. Letztere ist Predigttext in der alten Perikopenordnung und auch in der revidierten. Im Ergebnis kommt nun das Motiv "Schwerter zu Pflugscharen" zweimal in der revidierten Perikopenordnung vor. Diese Doppelung wird der Wirkungsgeschichte von Mi 4 in der Friedensbewegung geschuldet sein. Der Slogan "Schwerter zu Pflugscharen" wurde ausgehend von der Umschiedeaktion im Wittenberger Lutherhof 1983 zum Slogan der Friedensbewegung in der DDR und später auch in West-Deutschland. Im zugehörigen Logo, das in der DDR vor allem auf Aufnähern zu sehen war und das bis heute das Logo der am 6. November beginnenden ökumenischen Friedensdekade ist, ist neben dem Slogan auch der explizite Bezug auf den Micha-Text zu lesen: "Schwerter zu Pflugscharen - Micha 4,3". Da in der Gemeinde, die ökumenische Friedensdekade nicht begangen wird, fehlt in der Predigt der Bezug darauf. Die Predigt nimmt indes das Motiv „Schwerter zu Pflugscharen“ mit seiner Wirkungsgeschichte im Kontext von Mi 4,1-5 in den Blick und aktualisiert es auf heutige Gewaltkonflikte.

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Lutherjubiläen 1983 und 2017

In dieser Woche begann das Reformationsjubiläum. Am 31. Oktober 2017 jährt sich zum fünfhundertsten Mal der Thesenanschlags Luthers in Wittenberg. Ein Jahr lang, bis zu diesem Tag gedenkt die evangelische Kirche weltweit mit Veranstaltungen und Feiern des Jubiläums: 500 Jahre Reformation. Im März wird hierzu in Wittenberger Lutherhof eine Skulptur aufgestellt werden. Das Thema der Skulptur ist “Schwerter zu Pflugscharen”. Mit dieser Skulptur an genau diesem Ort wird an ein anderes Lutherjubiläum angeknüpft: Zum 500. Geburtstag von Martin Luther im Jahr 1983 fand in Wittenberg die spektakulärste Aktion der Friedensbewegung der DDR statt. 2000 Menschen hatten sich im Lutherhof am späten Abend eingefunden. In der Mitte des Hofes stand ein Amboss, ein Feuer loderte. Ein Kunstschmied schmiedete auf dem Amboss ein Schwert in eine Pflugschar um. Schwerter zu Pflugscharen umzuschmieden ist Schwerarbeit. Das Eisen muss sehr heiß sein, damit das Metall richtig glüht und bearbeitbar ist. Der Schmied braucht größte Muskelkraft, um mit einem schweren Hammer das Metall zu schlagen. Eine laute, schweißtreibende und beschwerliche Arbeit.

Frieden wird in der Geschichte das letzte Wort haben

Der biblische Hintergrund der Skulptur und der Schmiedeaktion ist unser heutiger Predigttext. Das Buch Micha schildert: Am Ende ziehen die Menschen herbei, aus allen Himmelsrichtungen, aus allen Nationen und Völkern. Sie haben unterschiedliche Glaubensrichtungen und Religionen und sie konvertieren am Ende nicht etwa zum Judentum oder zum Christentum, sondern jeder wandelt in seinem Glauben. Aber alle Menschen werden vom göttlichen Frieden angezogen, hören die göttliche Weisung. Sie ist universell. Diese Weisung ist Friede in Gerechtigkeit. Das Friedenswort zeigt Wirkung unter den Völkern. Mit Gewalt wird nicht mehr gedroht, Kriegsvorbereitungen sind tabu, die Menschen lernen nicht mehr, Krieg zu führen. Die Kriegsschwerter werden zu Pflugscharen konvertiert, die Kampfspeere zu Sicheln. Eine Konversion von Waffen zu Agarwerkzeugen. Statt Tod zu bringen sollen sie Leben fördern. Es wird das Bild eines paradiesischen Zustandes gemalt, indem man friedlich unter seinem Weinberg wohnt und das Leben genießt. Leben in Fülle für alle. Leben ohne Furcht. Das ist die Vision des Prophetenbuchs. Es verheißt, was für immer und ewig Bestand haben wird, ist nicht die Gewalt der Gewalttätigen, nicht das Diktat der Kriegstreiber und -gewinner, nicht die Logik des Krieges. Das letzte Wort über der Menschheit wird Friede sein.

Das Prophetenbuch spricht nicht nur von einem fernen Morgen, sondern auch von heute! Es will uns heute Mut machen: Habt Vertrauen! Habt einen langen Atem! Auch wenn Ihr Gewalt, oder gar Terror und Krieg erleidet, sie haben nicht Bestand. Was Bestand hat in Raum und Zeit ist Frieden. Und ein zweites sagt der Predigttext für heute: Die Friedensweisung gilt nicht erst in einer fernen Zukunft. Nicht erst am St. Nimmerleinstag. Gottes Friede kommt zum Ziel, aber es ist nicht etwa Gott selbst, der im Predigttext die Schwerter und Speere zerstört oder umrüstet. Die Nationen konvertieren Schwerter zu Pflugscharen und Speere zu Sicheln. Anders gesagt, wir sind heute gefragt, mit Abrüstung und Rüstungskonversion Ernst zu machen. Grundsatz ist dabei: Was früher dem Tod soll künftig dem Leben dienen. Und es gibt viel zu tun in unserem Land: Alle 14 Minuten stirbt weltweit ein Mensch durch eine deutsche Waffe. Die in unserem Land oder im Ausland mit deutschen Lizenzen produzierten Waffen feuern bestehende Konflikte an. Von der daraus resultierenden Gewalt versuchen viele Menschen sich durch Flucht zu retten. Waffenexporte produzieren Flüchtlinge. Unsere badische Landeskirche ist dagegen der “Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!” beigetreten. Ziel ist es, Rüstungshandel grundsätzlich zu verbieten. Schritte dahin sind ein Stopp von Rüstungsexporten in Krisengebiete und in Diktaturen.

Aber der Predigttext geht noch weiter: Es geht ihm positiv um das Erlernen und Einüben des Friedens. Sein Grundsatz ist: Wer den Frieden will, muss den Frieden vorbereiten. Die Friedensdenkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland versteht entsprechend zivile Konfliktbearbeitung als vorrangige Aufgabe (Pkt. 4.4). Wer den Frieden will, muss den Frieden vorbereiten. Dies bekräftigt Jesus. In der Bergpredigt lehrt er gar völlige Gewaltlosigkeit. Er will uns darauf aufmerksam machen: Unser Handlungsspielraum mit Gewaltsituationen umzugehen ist größer als wir gemeinhin meinen. Auf Unrecht muss man nicht mit Rache reagieren. Auf Gewalt nicht mit Gegengewalt. Weder in privaten Konflikten. Noch in Konflikten zwischen Gruppen oder Staaten.

Gegen Gewalt setzt Jesus die Annäherung und den Frieden. Gegen Feindschaft setzt er die Liebe als Grundlage der menschlichen Gesellschaft. Und er hat die Feindesliebe selbst bis ins Letzte gelebt. Bei seiner Gefangennahme wehrte er sich nicht und verbot, ihn gewaltsam zu verteidigen. Was sollte man mit dem Schwert tun? Andere damit schrecken? Zuschlagen? Nein! Nach dem Matthäusevangelium sprach er zu einem seiner Begleiter, der das Schwert gezückt hatte: “Stecke dein Schwert an seinen Ort! Denn wer das Schwert nimmt, wird durch das Schwert umkommen.” (Mt 26,52). Wer den Frieden will, muss den Frieden vorbereiten, nicht etwa den Krieg. Der frühere Papst Johannes Paul II. hat es so auf den Punkt gebracht: „Frieden ist unsere Aufgabe. Jedem – den Christen, den Glaubenden, allen Männern und Frauen guten Willens – sage ich: Habt keine Angst, den Frieden zu wagen, den Frieden zu lehren. Frieden wird in der Geschichte das letzte Wort haben”.

Schwerter zu Pflugscharen

Auch die Schmiede-Aktion in Wittenberg war nicht gedacht als Veranschaulichung des paradiesischen Friedens in einer fernen Zukunft. Die Aktion verstand den Micha-Text sehr aktuell. Die öffentliche Benutzung des Slogans “Schwerter zu Pflugscharen” war damals in der DDR verboten, er galt als politisch gefährlich. Entsprechend war die Stasi in großer Zahl bei der Aktion dabei, griff aber nicht ein. Die Schmiedeaktion fand innerhalb des Kirchentages in der DDR statt und Bilder von knüppelnden Sicherheitskräften auf dem Kirchentag wollte man um jeden Preis vermeiden. Die Menschen, die bei der Schmiedeaktion enthusiastisch dabei waren, bestärkte die Aktion freilich in ihrem Protest gegen Militarismus und in ihrer Überzeugung: Keine Gewalt! Das Umschieden des Schwertes wurde zum Symbol der Friedensbewegung im Osten und das Logo mit der Inschrift “Schwerter zu Pflugscharen – Micha 4,3” zu ihrem Leitmotiv. Dies mündete sechs Jahre später in die Erfahrung der Friedlichen Revolution in der DDR. Nächste Woche, am 9. November, jährt sich der Mauerfall zum 27. Mal.

Es war damals so: Nach dem Friedensgebet in der Leipziger Nikolaikirche am 25.September 1989 liefen zum ersten Mal rund 8000 Menschen mit Liedern und Kerzen Richtung Hauptbahnhof. Zwei Wochen später waren es bereits 70.000. Sie riefen „Keine Gewalt“ – von diesem Ruf hing alles ab. Der damalige Pfarrer der Nikolaikirche Christian Führer schreibt darüber: „Für mich… resultiert die Friedliche Revolution aus dem Geist Jesu der Gewaltlosigkeit, die in den Kirchen jahrelang besonders durch die Bergpredigt Jesu vermittelt wurde. Die Gewaltlosigkeit als Handlungsmaxime drang heraus aus den Kirchen, ergriff die Massen und wurde konsequent auf der Straße praktiziert. Mit dem gewaltigen Ruf ,Keine Gewalt!’ wurde ein letztlich ungeliebtes und bedrückendes System hinweggefegt.“ Horst Sintermann, Mitglied des Zentralkomitees der SED, sagte im Nachhinein: „Wir hatten alles geplant. Wir waren auf alles vorbereitet. Nur nicht auf Kerzen und Gebete.“

Gottes Reich ist nicht unser Besitz

Für mich war die Friedliche Revolution ein kurzes Aufleuchten des Reiches Gottes. Einer Sternschuppe gleich am nächtlichen Himmel. Sie leuchtet für jeden sichtbar auf. Doch nur für einen flüchtigen Augenblick. Wie sie gekommen ist, so erlischt sie wieder. Zurück bleibt die Finsternis. Irgendwann leuchtet irgendwo anders eine Sternschuppe, die wiederum verlischt. Das Reich Gottes ist wie solche Sternschuppen. Indes, Licht und Finsternis wechseln sich stets ab. Erst am Ende der Zeiten wird es für immer hell sein: das Reich Gottes in Gänze da sein. Das Prophetenbuch Micha gewährt uns einen Blick auf dieses künftige Friedensreich. Das göttliche Reich liegt uns voraus und zieht uns zu sich hin, aber es ist nicht unser Besitz. Das Reich Gottes erreichen wir niemals mit unseren Bemühungen. Wir vollbringen in unserer Lebenszeit nur einen winzigen Bruchteil des Unternehmens, das Gott mit seiner Erde vorhat.

Unsere Situation ist etwa so: Wir bereiten den Boden und bringen das Saatgut in die Erde. Eines Tages wird es aufbrechen und keimen. Wir begießen die Keime in der Gewissheit, dass sie eine weitere Verheißung in sich bergen. Wir bauen heute auf Fundamenten, die schon von anderen gelegt wurden und die nach uns auf weiteren Ausbau angelegt sind. Wir können nicht alles tun. Nichts, was wir tun, ist vollkommen. Wenn wir uns das vor Augen führen, ist das ein befreiendes Gefühl. Es macht uns fähig, etwas zu tun. Und es so gut zu tun, wie wir können. Es mag wenig sein. Es mag unvollkommen sein, aber das ist gut so. Unser Mangel ist die Gelegenheit für Gott. Gott kann ins Spiel kommen, um selbst den Rest zu tun. Daher, liebe Gemeinde, lassen Sie uns den Predigttext als Orientierung zum Frieden nehmen. Der Initiator der Schmiede-Aktion in Wittenberg war Friedrich Schorlemmer. Er sagte damals bei der Aktion: “Ein jeder braucht sein Brot, seinen Wein, und Frieden ohne Furcht soll sein. Pflugscharen schmelzt aus Raketen und Kanonen, dass wir zusammen in Frieden wohnen”.

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