Advent
Warten mit Israel auf Recht und Gerechtigkeit
Predigttext: Jeremia 23, 5-8 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
Siehe, es kommt die Zeit, spricht der HERR, dass ich dem David einen gerechten Spross erwecken will. Der soll ein König sein, der wohl regieren und Recht und Gerechtigkeit im Lande üben wird. Zu seiner Zeit soll Juda geholfen werden und Israel sicher wohnen. Und dies wird sein Name sein, mit dem man ihn nennen wird: »Der HERR unsere Gerechtigkeit«.
Darum siehe, es wird die Zeit kommen, spricht der HERR, dass man nicht mehr sagen wird:»So wahr der HERR lebt, der die Israeliten aus Ägyptenland geführt hat! «, sondern:»So wahr der HERR lebt, der die Nachkommen des Hauses Israel herausgeführt und hergebracht hat aus dem Lande des Nordens und aus allen Landen, wohin er sie verstoßen hatte. « Und sie sollen in ihrem Lande wohnen.
Vorbemerkung zum Predigttext
Die Erwartung des Messias wird in diesem Predigttext vor allem als Erwartung eines gerechten Herrschers beschrieben, der seinem Land Sicherheit bringt und den Einwohnern ermöglicht, in frieden zu leben. In der Predigt versuche ich, diese gegenwärtige Bedeutung zu profilieren und einen Maasstab zu geben, wie ein gerechte Regierung auszusehen hat. Der eschatologische Aspekt der Messiaserwartung soll zwar nicht vergessen werden, aber die Predigt soll vor allem die Gegenwart beleuchten und Orientierung spenden, in dem die Kriterien einer gerechten Herrschaft und Regierung aufgezeigt werden. Dass natürlich der Text speziell an Israel gerichtet ist und nicht so einfach von Kirche und Christen vereinnahmt werden kann, ist klar, kann aber hier nicht weiter erörtert werden.
Wäre das nicht toll? Ein gerechter Herrscher, der niemanden bevorzugt, der tatsächlich nach Verhalten und nicht nach Vorurteil Recht spricht? Einer, der sich nicht von Interessengruppen abhängig macht, sondern von seiner Verantwortung leiten lässt? Einer, der erkannt hat, dass nicht das Land groß sein muss, sondern sich Menschen in seinem Land entfalten und ihre Gaben einbringen können? Einer, der die Fähigkeit zur Selbstkritik besitzt und nicht glaubt, immer Recht zu haben? Einer oder eine, die unbequeme Wahrheiten ausspricht, aber trotzdem nicht gegen Menschen anderer Tradition und Religion hetzt?
Einer, der sein Land nicht nur in Anhänger und Gegner unterteilt, sondern auch Menschen anderer Meinung echtes Interesse an Verbesserung unterstellt? Dabei sind derzeit ja vor allem diese Herrscher und Präsidenten an der Macht oder werden gewählt, die sich nicht an Regeln von Anstand und Höflichkeit halten, sondern ohne Rücksicht poltern und drohen. Da wird derzeit wieder deutlich, dass gerade die viel kritisierten diplomatischen Formen eben nicht unterschiedliche Meinungen verschleiern, sondern tatsächlich dazu helfen, einen Ausgleich zu finden und ein Klima zu stiften, in dem Gespräche möglich sind und Lösungen ins Auge gefasst werden. Ob in den USA, der Türkei oder auch in Russland finden gerade solche Herrscher Zustimmung, die rücksichtslos ihre eigenen Interessen durchsetzen. Dabei ist es doch die Verantwortung der Mächtigen, nicht die Macht zu mehren, sondern Menschen ein Leben in Freiheit zu ermöglichen.
Es gibt sie doch nicht mehr, diese Welt, die als Lösung der Probleme nur einen starken Mann braucht, der Widerstände überwindet. Unsere Welt ist nicht nur kompliziert geworden, sondern sich auch näher gekommen. Die Not der Welt spielt sich nicht mehr nur in der Ferne ab, sondern kommt uns entgegen. Da hilft es nicht, einfach Mauern zu bauen, um Probleme draußen zu halten, sondern es braucht Ideen und Vorstellungen, um Schwierigkeiten und Ängste zu überwinden. Und es braucht Erinnerung an die eigenen Wertvorstellungen und die Entschlossenheit, sie durchzusetzen. Dabei geht Vieles nicht schnell, sondern langsam voran. Das müßt ja auch ihr als Konfis immer wieder lernen.
Es gibt ihn nicht, den schnellen Erfolg, sondern da Beharrlichkeit und Einsatz, Durchhaltevermögen und Standhaftigkeit, um weiter zu kommen. Es stimmt eben nicht, dass sich der Erfolg schnell einstellt. Deshalb ist es auch kein Wunder, dass es schon einen Reiz hat, auf einen zu warten, der Probleme nicht nur anspricht, sondern sie auch auf einen Schlag löst. Würde es Euch als Konfis nicht auch gefallen, auf jemanden zu warten, der weiß, was ihr wollt, der Euch versteht und einfach das schafft, was ihr Euch wünscht und vorstellt?
Deshalb haben ja auch gerade diese Parteien und Leute so großen Zulauf, die vorgeben zu sagen, was die Leute wirklich wollen. Nämlich zurück in eine Welt, die überschaubar ist, eine Welt, in der die Menschen gleicher Meinung sind und die Vorstellungen vom Leben teilen. Eine Welt, in der alles Fremde und Ungewohnte draußen bleiben muss. Dabei ist natürlich auch die Angst vor dem Fremden und Unbekannten durchaus verständlich. Und nicht alles, was neu und unbekannt ist, stellt sich als harmlos oder als Bereicherung heraus. Aber gerade auch immer wieder Neues zu lernen und sich auch neuen Herausforderungen zu stellen, ist doch das, was das Leben ausmacht und ihm Sinn verleiht. Und natürlich braucht es Zeit, bis Bedrohungen erkannt und Möglichkeiten dagegen ergriffen werden.
Unsere Welt ist eben nicht so, dass es einfache Lösungen gibt. Dass aber alles so bleiben soll wie es ist, war noch nie eine realistische Einstellung. Unser Leben besteht aus Veränderungen. Ob im privaten Leben oder auf der Welt. Da gibt es Herausforderungen, die neue Chancen eröffnen, aber auch Veränderungen, die Bedrückung und Belastung bedeuten können. Und auch mit Religion und Glaube machen wir ganz neue Erfahrungen. Für viele ist Glaube und Religion kaum mehr von Bedeutung, und auf einmal kommen Menschen zu uns, für die der Glaube eine ganz wichtige Rolle in ihrem Leben spielt. Und dann müssen wir tatsächlich Stellung beziehen und überlegen, wie wir Menschen mit anderen Vorstellungen gegenüber treten wollen. Dabei kommen selbst die Bischöfe unsere beiden Kirchen in Verlegenheit.
Die Kritik, dass die beiden Bischöfe vor einigen Wochen bei ihrem Besuch auf dem Tempelberg in Jerusalem auf Bitten der Gastgeber das Kreuz ablegten, ist natürlich berechtigt. Denn nicht nur Respekt gegenüber anderen Religionen ist nötig, wir dürfen diesen Respekt auch für die eigene Religion und Kultur erwarten. Und was sollen dann all die Christen denken, die wegen ihres Glaubens in vielen muslimischen Ländern benachteiligt oder verfolgt werden? Da braucht es dann schon auch immer wieder Klarheit, um Toleranz und Rücksicht nicht nur zu üben, sondern auch zu verlangen.
Eigentlich ist es ja schon lange vorbei, dass wir auf einen warten, der alle Probleme löst. Dabei ist gerade diese Erwartung ein Kennzeichen unseres Glaubens.
Advent. Die Zeit des Wartens, die Zeit der Ankunft des Messias. Immer noch verstehen Menschen den Messias als den von Gott gesandten Erlöser, der alle Not beendet. Damit sind dann nicht die kleinen oder großen Probleme gemeint, mit denen wir uns täglich herumschlagen müssen, sondern auch die gossen Fragen der Menschheit, die Fragen nach dem endgültigen Sinn des Lebens, die Frage nach Krankheit und Leid, nach Schuld und Tod. Die Sehnsucht nach einem Erlöser war seit jeher verbreitet. Gerade dann, wenn Menschen nicht mehr weiterwussten, wenn sie in Not waren und keinen Ausweg mehr gesehen haben. Die Erwartung eines Messias. Auf ihn warten wir an jedem Advent.
Was hat sich seither geändert? Ändert sich überhaupt etwas auf der Welt? Der Krieg in Syrien dauert immer noch an, im Jemen leiden Menschen abseits der Öffentlichkeit, Anschläge und Terror bringen Leid und Tod. Und da können wir nur froh sein, wenn es gelingt, rechtzeitig Gewalt zu verhindern. Advent, die Zeit der Erwartung. Hören wir heute an diesem ersten Advent, wie Gott der Herr, auf unsere Erwartungen antwortet. Hören wir, wie Gott selbst durch seinen Propheten Jeremia diese Erwartung der Menschen an einen Messias bestätigt und wach hält. Diese Erwartung ist der Predigttext für den heutigen ersten Advent, wie er geschrieben steht im 23. Kapitel des Propheten Jeremia.
(Lesung des Predigttextes)
Der Messias
Trotzdem ist da nichts von einem großartigen Erlösungsversprechen zu hören. Nichts von einem künftigen Paradies, in dem alles besser wird. Das wird auch kommen. Aber trotzdem es geht um unsere jetzige irdische Gegenwart. Es geht um das, was uns jetzt hier und heute belastet und bedrückt, freut und hoffnungsfroh macht.
Recht und Gerechtigkeit
Das ist immer noch entscheidend. Darauf kommt es immer wieder an. Dass Menschen gleiche Chancen haben, dass nicht der eine gleicher ist als der andere. Heute zum ersten Advent wird ja auch wieder die Sammlung „Brot für die Welt“ eröffnet.
Gut und wichtig
Aber trotzdem ist zu fragen, warum es in all den Jahren mit all dem Geld nicht wirklich gelungen ist, nicht nur für einzelne, sondern für viele Menschen und Länder Besserung zu schaffen. Eigentlich müsste Afrika angesichts von langjähriger Unterstützung und Hilfe schon längst ein blühender Kontinent sein. Stattdessen regieren dort immer noch Leute, die nicht an ihre Verantwortung, sondern nur an die eigenen Vorteile denken. Leute, die ihr Land als Privatbesitz betrachten. Dagegen der Messias: Der für Recht und Gerechtigkeit eintritt. Wo das fehlt, wo Menschen der Gewalt ausgeliefert sind, wo das Recht des Stärkeren gilt, wo der Recht bekommt, der die besseren Waffen hat, wo der machen kann, was er will, wenn er zu dem richtigen Clan gehört, wird sich eben nichts ändern. Deshalb wir immer wieder in der Bibel an dieses Recht erinnert. Recht und Gerechtigkeit im Verständnis der Bibel hat nichts mit der Sicherung von Ansprüchen auf Unterstützung zu tun, sondern mit dem Recht auf Entfaltung des Lebens. “Zu seiner Zeit soll Juda geholfen werden und Israel sicher wohnen.“
Leben und wohnen in Sicherheit. Darauf kommt es an. „Israel soll sicher wohnen.“ Es geht um Israel, um die Juden als Volk Gottes. In der letzten Woche war ich in Israel. Und da ist immer wieder zu sehen, welcher Aufwand nötig ist, um Sicherheit herzustellen. Immer noch gibt es zu viele, die Israel die Berechtigung zu leben absprechen. Das ist im Lande dort keine unwirkliche Bedrohung, sondern echte Erfahrung. Sicherheit. Das Versprechen Gottes. Weil er eben an unserem wirklichen Leben interessiert ist. In Sicherheit leben zu können, ist uns selbstverständlich und wird erst zu etwas Besonderem, wenn Unsicherheit herrscht. Wir haben hier immer noch das, was wir brauchen, wir können unser Leben gestalten. Auch Ihr als Konfis. Natürlich gibt Anstrengung und Anforderungen immer wieder. Und wie ich weiß, ist gerade die Belastung bis Weihnachten noch besonders stark. Arbeiten und Tests sind zu schreiben. Und vielleicht müsst Ihr auch auf Freizeit verzichten. Aber das sind doch alles Anforderungen, die Ihr erfüllen könnt. Andere würden für ihr Leben gern mit Euch tauschen.
Die Erwartung des Messias
„Dem David einen gerechten Sproß“. Ein Nachkomme aus dem Hause Davids. Sie bleibt wichtig, die Geschichte und Tradition, es zählen eben nicht nur Gegenwart und Zukunft. Es ist diese Verbindung mit der eigenen Geschichte, die immer wieder unser Leben bestimmt, aber nicht behindert.
Der Messias
Es sind keine Wunderdinge, die Gott hier den Menschen verspricht. Sondern dass sie ihr Leben einfach gestalten können. Gott ist eben nicht an seiner himmlischen Verehrung interessiert, sondern an unserer eigenen Gegenwart. Das ist ein besonderes Kennzeichen unseres Glaubens. Dieses Interesse Gottes an uns. Advent, das Warten auf das Weihnachtsfest. Dann kommt er tatsächlich auf die Welt. Der Messias. Dorthin, wo sich unser Leben abspielt. In diese Welt die wir gestalten können, in der wir Sinn erfahren, aber auch Enttäuschungen aushalten müssen. In diese Welt, die Gott liebt. Das ist das Bekenntnis Gottes zu unserer Welt. Das Versprechen des Messias. Dass es um Gerechtigkeit geht. Dass Menschen endgültig nicht mehr um ihr Recht auf Leben betrogen werden. Das ist die Hoffnung, die tatsächlich der Messias verkörpert. Auch diese Hoffnung wird er einlösen. Da bin ich mir sicher.
Wäre es also nicht toll? Auf einen zu warten, der alle Probleme löst und aus der Welt schafft? Die Hoffnung auf den Messias vertröstet nicht in den Himmel, sondern richtet unseren Blick wieder auf die Erde. Dass wir hier unser Leben schätzen, wahrnehmen und ausfüllen. Weil unserem Gott unser Leben wichtig ist. Gott sei Dank. Das bleibt. In Ewigkeit.