„Herr, mach uns stark im Mut, der dich bekennt …“
Vom ewigen Advent - Liedpredigt zu EG 154
Ev. Gesangbuch, Lied 154: „Herr, mach uns stark im Mut, der dich bekennt ...“
Am 19. Oktober 1945 bekannte die nach dem Zweiten Weltkrieg gebildete Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) erstmals eine Mitschuld evangelischer Christen an den Verbrechen des Nationalsozialismus. Die Selbstanklage des Stuttgarter Schuldbekenntnisses lautet: „Wir klagen uns an, dass wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben“. Diesem wohl bekanntesten Satz des Stuttgarter Schuldbekenntnisses kann in der Adventszeit ein ganz besonderer Sinnbezug zufallen. Die Wochen vor dem Weihnachtsfest, vor dem Fest der Geburt unseres Herrn und Heilandes Jesus Christus, sind wie die Passionszeit eine Bußzeit im Kirchenjahr. Schuld und Buße, Bekenntnis und barmherzige Vergebung gehören zusammen. Gleichzeitig richtet die Adventszeit unsere Gedanken auf die Wiederkunft unseres Herrn am Ende der Zeit hin. Wir denken an das Jüngste Gericht und an die Verheißung der Vergebung der Sünden und des ewigen Lebens. So sprechen wir Christen das auch im apostolischen Glaubensbekenntnis. „Ich glaube an die Vergebung der Sünden, die Auferstehung der Toten und das ewige Leben“.
Advent ist die vor zwei Jahrtausenden geschehene Geburt des Erlösers mitten in unserer Welt, aber auch seine lebendige Gegenwart mitten in seiner Gemeinde. Das mit dem Ewigkeitssonntag schließende Kirchenjahr hält also durch die Wiederaufnahme der Mahnung an die Wiederkunft Jesu Christi im Advent die Perspektive der Ewigkeit offen – weit über die Feier der Menschwerdung Gottes zu unserer Erlösung hinaus. Advent ist die vor zwei Jahrtausenden geschehene Geburt des Erlösers mitten in unserer Welt, aber auch seine lebendige Gegenwart mitten in seiner Gemeinde und seine Wiederkunft an einem Zeitpunkt, den keiner von uns kennt. Die Verbindung von Krippe und Kreuz weist darauf hin, dass bei aller Weihnachtsidylle die eigentliche und tiefe Bedeutung des Weihnachtsgeschehens nicht verdrängt werden darf. Dies zu bedenken soll uns nicht die Vorfreude auf Weihnachten und die Freude am Weihnachtsfest nehmen. Ganz im Gegenteil soll es uns eine tiefere Freude vermitteln.
Bei den Liedern zum Ende des Kirchenjahrs steht in unserem Evangelischen Gesangbuch ganz am Ende das Lied 154: „Herr, mach uns stark im Mut, der dich bekennt“. Anna Martina Gottschick hat 1972 die Strophen 1 bis 5 dieses neuen Liedes vom ewigen Advent zu einer Melodie von Ralph Vaughan Williams aus dem Jahre 1906 geschrieben. Advent ist eine geheimnisvolle Zeit. Als wollte die Verfasserin des Liedes uns einen Adventskranz binden, zündet sie uns mit den Strophen 1 bis 4 vier Lichter an, indem sie entsprechend den biblischen Verheißungen die Geheimnisse des christlichen Glaubens benennt.
Strophe 1 “Herr, mach uns stark im Mut, der dich bekennt …”
Das Lied beginnt mit einer zweifachen Gebetsbitte – um Kraft im Mut zum Bekennen unseres Herrn und darum, dass wir bei seiner Wiederkunft im ewigen Advent bei ihm sein und ihn von Angesicht zu Angesicht schauen dürfen. So wie der Auferstandene selbst das Licht der Welt ist, sollen wir Menschen es auch sein. „Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben“, sagt Jesus (Johannes 8, 12). Glaube und Bekennen dieses Glaubens und ewiges Leben gehören zusammen. Unser mutiges Bekenntnis, das immer von neuem der Kraft Gottes bedarf, ist ein Licht für die Menschen. Die Menschen brauchen dieses Licht in der Dunkelheit unserer vergänglichen Welt. Glaube und Bekennen dieses Glaubens und ewiges Leben gehören zusammen: „Wer … mich bekennt vor den Menschen, den will ich auch bekennen vor meinem himmlischen Vater.“ (Matthäus 10,32) „Wer überwindet, der soll mit weißen Kleidern angetan werden, und ich werde seinen Namen nicht austilgen aus dem Buch des Lebens, und ich will seinen Namen bekennen vor meinem Vater und vor seinen Engeln.“ (Offenbarung 3, 5)
Strophe 2 “Tief liegt des Todes Schatten auf der Welt …”
Der zweite Vers beschreibt das Geheimnis der Auferstehung. Er spricht von dem unauslöschlichen Glanz Gottes, der sogar die Finsternis um den Schatten des Todes erhellt. „Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell.“ (Jesaja 9, 1) Der Vers erinnert an den Lebenshauch Gottes, der alles erschaffen hat und selbst ein Totenfeld wieder zum Leben rufen kann (Hesekiel 37,1-10). „Die Toten werden auferstehen unverweslich, und wir werden verwandelt werden. Denn dies Verwesliche muss anziehen die Unverweslichkeit, und dies Sterbliche muss anziehen die Unsterblichkeit.“ (1. Korinther 15, 52 f.)
Strophe 3 “Welch ein Geheimnis wird an uns geschehn …”
Der dritte Vers versucht, sich dem Geheimnis des Trostes und der Verwandlung zu nähern, die wir erleben werden, wenn aus Glauben Schauen wird. Es wird kein Leid, keine Tränen und keinen Schmerz mehr geben, wie sie zum irdischen Leben dazu gehören. „Und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen.“ (Offb 21,4)
Strophe 4 “Aber noch tragen wir der Erde Kleid …”
Im vierten Vers nimmt unser Lied nochmals unser Leben in der vergänglichen Welt in den Blick, das auch geprägt ist durch das Gefangensein in Irrtum, Schuld und Leid. Das Geheimnis der Liebe und Treue Gottes zu seiner Schöpfung, der Befreiung des Menschen durch Gott wird hier angesprochen: die Erkenntnis der Wahrheit, die Vergebung der Schuld und das endgültige Ende alles Bösen. Aus Glauben wird die gnädige Rechtfertigung des Sünders.
Strophe 5 “So mach uns stark im Mut, der dich bekennt …”
Mit der fünften Strophe des Liedes nimmt die Verfasserin die Gebetsbitte am Anfang wieder auf. Das Gebet ist die Klammer für die einzelnen Liedverse. Die letzte Strophe hat bis auf ein einziges Wort denselben Wortlaut wie die erste. Lediglich das Wort „so“ unterscheidet sie von der Anfangsstrophe. Damit kommt noch einmal zum Ausdruck, dass wir Menschen immer auf Gottes Hilfe angewiesen sind. Aber auch das unverbrüchliche Vertrauen der Betenden in die Erhörung des Gebets spricht aus diesen Worten. Nun schließt sich der Kranz und ist damit gebunden. Das zweifache Gotteslob am Ende jeder Strophe bestärkt, was dem Menschen aufgetragen ist, erinnert aber auch an das, was neben dem Gebet Himmel und Erde verbindet, das Lob des Schöpfers, Erlösers und Trösters gemeinsam mit den himmlischen Chören der Engel. Das himmlische Jerusalem steht vor unseren Augen als das Ziel aller Wege. Auch die heutige Zeit und die heutige Gesellschaft brauchen ein mutiges Zeugnis christlichen Glaubens, das Bekenntnis zu Gott, der im Gekreuzigten und Auferstandenen begreiflich geworden ist.
Auch das Stuttgarter Schuldbekenntnis kann mit seiner Selbstanklage vier adventliche Lichter auf unseren Adventskränzen bezeichnen: mutiges Bekennen – treues Beten – fröhliches Glauben – brennendes Lieben. Vier Lichter, die uns im Advent aufgehen sollen: Mut brauchte man 1945, diese Worte zu sprechen. Auch die heutige Zeit und die heutige Gesellschaft brauchen ein mutiges Zeugnis christlichen Glaubens, das Bekenntnis zu Gott, der im Gekreuzigten und Auferstandenen begreiflich geworden ist. Wir müssen zu der Welt reden vom Reich Gottes, aber – wie Bonhoeffer sagte – „kein halbes, sondern ein ganzes Wort, ein mutiges, ein christliches Wort“. Treues Beten und das Tun des Gerechten machen den Christenmenschen aus. Ein wirklich fröhlicher Glaube kann nur aus tiefer Ernsthaftigkeit entstehen. Und brennende Liebe zu unserem Gott und zu unseren Mitmenschen bringen uns bei der uns in der Nachfolge Jesu Christi aufgetragenen Arbeit am Reich Gottes näher.