Advent – Heil aus der Wüste

Johannes der Täufer - Die Sanftmut des Zornpredigers

Predigttext: Lukas 3,1-14
Kirche / Ort: Karlsruhe
Datum: 11.12.2016
Kirchenjahr: 3. Sonntag im Advent
Autor/in: PD Pfarrer Dr. Wolfgang Vögele

Predigttext: Lukas 3,1-14 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

Im fünfzehnten Jahr der Herrschaft des Kaisers Tiberius, als Pontius Pilatus Statthalter in Judäa war und Herodes Landesfürst von Galiläa und sein Bruder Philippus Landesfürst von Ituräa und der Landschaft Trachonitis und Lysanias Landesfürst von Abilene, als Hannas und Kaiphas Hohepriester waren, da geschah das Wort Gottes zu Johannes, dem Sohn des Zacharias, in der Wüste. Und er kam in die ganze Gegend um den Jordan und predigte die Taufe der Buße zur Vergebung der Sünden, wie geschrieben steht im Buch der Worte des Propheten Jesaja (Jesaja 40,3-5): »Es ist eine Stimme eines Predigers in der Wüste: Bereitet den Weg des Herrn, macht seine Steige eben! Alle Täler sollen erhöht werden, und alle Berge und Hügel sollen erniedrigt werden; und was krumm ist, soll gerade werden, und was uneben ist, soll ebener Weg werden, und alles Fleisch wird das Heil Gottes sehen.« Da sprach Johannes zu der Menge, die hinausging, um sich von ihm taufen zu lassen: Ihr Otterngezücht, wer hat euch gewiss gemacht, dass ihr dem künftigen Zorn entrinnen werdet? Seht zu, bringt rechtschaffene Früchte der Buße; und nehmt euch nicht vor zu sagen: Wir haben Abraham zum Vater. Denn ich sage euch: Gott kann dem Abraham aus diesen Steinen Kinder erwecken. Es ist schon die Axt den Bäumen an die Wurzel gelegt; jeder Baum, der nicht gute Frucht bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen. Und die Menge fragte ihn und sprach: Was sollen wir nun tun? Er antwortete aber und sprach zu ihnen: Wer zwei Hemden hat, der gebe dem, der keines hat; und wer Speise hat, tue ebenso. Es kamen aber auch Zöllner, um sich taufen zu lassen, und sprachen zu ihm: Meister, was sollen denn wir tun? Er sprach zu ihnen: Fordert nicht mehr, als euch vorgeschrieben ist! Da fragten ihn auch Soldaten und sprachen: Was sollen denn wir tun? Und er sprach zu ihnen: Tut niemandem Gewalt noch Unrecht und lasst euch genügen an eurem Sold!

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Bevor Johannes der Täufer auf die Bühne dieser Geschichte tritt, nimmt der Evangelist Lukas erst einmal einen doppelten Anlauf. Einen guten Ruf als ernsthafter Geschichtswissenschaftler hat er zu verlieren: Er muß nicht die schreienden Überschriften mit den viel zu großen Buchstaben malen, um die Erregung der Wutbürger anzufeuern. Auf diese Wutbürger komme ich noch zurück.

Lukas beginnt seine Geschichte wie ein seriöser Nachrichtensprecher der Tagesschau, im anthrazitfarbenen Anzug mit schmaler dunkelblauer Krawatte. Zuerst bestimmt er präzise das Datum und nennt dafür den römischen Kaiser, seine Statthalter, die regionalen Könige und die Hohepriester. Der Nachrichtensprecher von heute würde den Bundespräsidenten, die Kanzlerin, Ministerpräsidenten, Kardinäle und Landesbischöfe erwähnen. Auf diese Weise hat Lukas Zeit und Ort der Geschichte genau eingegrenzt. Alles ist nachprüfbar und kann belegt werden in zweiten und dritten Quellen. Diese Sachlichkeit und Genauigkeit schlägt alle in die Flucht, die es im vermeintlich postfaktischen Zeitalter damals wie heute mit der Wahrheit nicht so genau nehmen. Lukas sorgt sich sehr darum, harte Fakten von bloßem Geschwätz, Panikmache und Aufschneiderei zu trennen. Mit letzterem will er nichts zu tun haben.

Danach fängt die Geschichte immer noch nicht an. Denn in feiner Ironie fügt Lukas hinzu: Das Wort Gottes geschah zu Johannes, den Prediger in der Wüste. Das Wort Gottes trifft weder den Kaiser noch den Bundespräsidenten, weder den lokalen König noch den Großherzog, weder einen Hohepriester noch einen Landesbischof. Das Wort Gottes geschieht zu einem einfachen Menschen in der Wüste, weit ab von der Zivilisation, von Fortschritt, Aufklärung, Wissenschaft und vor allem weitab von allen Machtzentralen. Die anderen sind mit ihren Machtspielen beschäftigt, Johannes hört zu. Die erste Spitze des Lukas richtet sich gegen die politischen Aufschneider, die Wahrheit mit lautem Brüllen verwechseln. Die zweite Spitze richtet sich gegen die Machthaber, die denken, sie könnten alles bestimmen.

Gottes Wort und damit sein Trost, sein Heil kommt nicht aus der Zivilisation, sondern es kommt aus der Wüste, aus der Einsamkeit, von einem Menschen, mit dem kein Machthaber oder Würdenträger gerechnet hätte. Gottes Wort unterläuft das Kalkül der leicht- und eigensinnigen Menschen. Und das, so Lukas, wußte schon der Prophet Jesaja, dessen Heilsverheißung sich nun erfüllen soll.

Und ich höre in den Worten des Lukas eine dritte Spitze, nämlich gegen die Jammerer, gegen die Prediger der Verzweiflung, die überall nur Krise, Verschlechterung und Zusammenbruch sehen. Ich höre eine Spitze gegen die Prediger der Besitzstandswahrung. Sie denken in der Krise nicht zuerst daran, wie sich gute Lösungen finden lassen. Sie klammern sich an das, was sie bereits in die Scheunen ihres Besitzes gerettet haben. Lukas setzt evangelische Hoffnung gegen Besitzstandswahrung und Gottes Zukunft gegen Abschottung und Abgrenzung. Und noch mehr: Berge werden sich einebnen. Täler werden erhöht. Gottes Zukunft ändert alles, es geht nicht nur um ein Reförmchen, das an den Symptomen kurieren. Nach diesen politisch-theologischen Vorüberlegungen kann die evangelische Geschichte beginnen. Das Heil ist da, und es kommt aus der Wüste.

Die Geschichte beginnt damit, daß die von der Politik und den Priestern enttäuschten Menschen in die Wüste pilgern. In der spröden Bußgeschichte ist vieles wieder zu entdecken, das die Wutbürger heute beschäftigt: Protest gegen Großprojekte, Unbehagen über ein ungebändigtes Finanzsystem. Störungen einer überkomplexen Gesellschaft verursachen einen Reformstau, nicht bewältigte Krisen verursachen Ängste. Politikverdrossenheit zur Zeit Jesu suchte sich Hoffnungsträger, vor allem Propheten, diejenigen, die nicht aus dem religiösen und politischen Establishment kamen. Und da erschien der Täufer gerade zum rechten Zeitpunkt.

Zornig und ruppig klingt seine Botschaft in den Ohren der meisten. Ihr Schlangenbrut, brüllt Johannes und beschimpft seine Zuhörer. Kein freundliches Wort hat er übrig für seine Zuhörer. Die Wut des Johannes bricht sich in schneidenden Worten Bahn. Auf die Menge, die sich in der Wüste versammelt hat, regnet es Buhrufe, Drohungen und Forderungen. Bei Johannes läuft die aufgestaute Unzufriedenheit gegen eine Wand: In der Politik werdet ihr nichts erreichen. Die römische Besatzungsmacht sitzt fest im Sattel, sie kann nicht vertrieben werden. Die Betrügereien der Zöllner werdet ihr auch nicht abschaffen. Die Wutbürger, die ihren Zorn in politische Aktionen ummünzen wollten, sehen sich plötzlich selbst als Angeklagte.

Nun ging es Johannes nicht zuerst um die Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse. Die Umkehr, zu die er die Menschen aufrief, reichte tiefer. Die Botschaft lautete: Harmlos sind die Schwierigkeiten, die euch in der Gegenwart bewegen. Der barmherzige Gott wird alles von Grund auf verändern, wenn sein Reich kommt. Dieses Gottesreich stürzt alle menschlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse um: die politische Machtverteilung ebenso wie die klerikalen Hierarchien.

Ursprünglich war die Adventszeit neben der Passionszeit eine zweite Zeit der Buße. In der Gegenwart hat sie diese Bedeutung fast verloren. Kaufhäuser und Weihnachtsmärkte haben die Macht übernommen und präsentieren Advent als Einkaufszeit. Früher fragten sich die Menschen ganz ernsthaft: Was haben wir getan, daß Jesus kommen mußte, um uns zu erlösen? Jesus kann doch nicht ohne Grund gekommen sein. Im Winter, wenn es kalt wurde, war mehr Zeit zum Nachdenken. Die Menschen dachten nach über ihr Leben, und sie stellten es in Frage.

Zum Täufer kamen die Enttäuschten, weil sie aus ihrer Gleichgültigkeit aufgeschreckt waren. Johannes predigte in der Wüste und nicht in der Stadt; und das war kein Zufall. In der Wüste war Israel unterwegs, als es von Ägypten loszog. In die Einöde der Wüste sollte sich später Jesus zum Beten zurückziehen. Die Wüste ist ein Ort besonderer Gottes- und Selbsterfahrung. Mit nichts als Sand und Felsbrocken um sich herum ist der Mensch auf sich selbst gestellt, er wird nicht mehr abgelenkt, er wird aufmerksam. Er kann nachdenken, über sich, sein Leben, seine Fehler und seine Stärken. In der Wüste ist dem Menschen die Möglichkeit genommen, sich über sich selbst zu täuschen – so wie in der Stadt, wo ihn so viel ablenkt und einlullt, wo er erschlagen wird von der Menge des Glitzers und des Scheins. Um unsere Städte und Gemeinden herum liegen keine Wüsten. Aber uns helfen die alten Adventslieder, um zur Ruhe und Besinnung zu kommen, zum Beispiel das Lied „Mit Ernst, o Menschenkinder, das Herz in euch bestellt.“

Zurück zu Johannes dem Täufer: Er kleidete sich in Kamelhaar, er ernährte sich von Heuschrecken und wildem Honig, er lebte als Außenseiter und Einsiedler. Den meisten wird dieser Johannes fremd sein. Sein Auftreten ist schroff, kompromißlos und hart, und das schreckt ab. Aber es ist ihm ernst mit seiner Sache. Seine Worte atmen Durchsetzungskraft und Konsequenz. Die Botschaft lautet: Tut Buße. Bereitet euch vor auf dieses Reich. Buße heißt Umkehr zu einer anderen Erwartung. Buße ist mehreres: erstens die große Hoffnung auf das große Reich Gottes setzen und dabei diesem Gott alles überlassen. Die Menschen können nichts dazu beitragen. Und Buße heißt zweitens: auf die kleinen Zeichen achten, in denen Gottes Reich schon jetzt Gestalt annimmt. Manchmal reicht dafür eine Kerze aus, die uns einige Minuten zur Ruhe bringt.

Wenn wir das zulassen, die große Hoffnung und die Gewißheit der kleinen Zeichen, dann schmilzt das große Gewicht der Sorgen und Nöte ab. Johannes der Täufer hat davon gewußt. Er verstand sich stets als einen Propheten, der nur stellvertretend für einen anderen da ist. Die Gemeinsamkeit zwischen Jesus und Johannes ist am schönsten dort ausgedruckt, wo die beiden Mütter sich begegnen und die Söhne in den schwangeren Bäuchen hüpfen. Das erzählt Lukas am Anfang seines Evangeliums. Die Gemeinsamkeit der Babies wird sich fortsetzen in der Übereinstimmung ihres Predigens und Heilens.

Deswegen ist Buße für Johannes drittens die Vorbereitung auf den kommenden Christus. Johannes wußte, daß er nur eine Art Vorbote für Christus war. Deswegen findet die Erinnerung an Johannes den Täufer ihren bleibenden Platz in der Adventszeit. Wer umkehrt, wird aufmerksam und gespannt auf den Christus, dessen Geburt wir an Weihnachten feiern. Und der Heiland kommt als kleines Kind in der Krippe zur Welt. Im Gesicht des Glaubenden, der umkehrt, spiegeln sich deshalb vor allem Freude und Lächeln. Nur mit diesem Lächeln der Umkehr sind die zornigen Worte Johannes des Täufers zu ertragen. Denn wer umkehrt, der kann sich freuen, weil er vertraut, daß Gott seine Gnade nicht von den Menschen wegnimmt. Umkehr heißt: auf Gottes Gnade und Nähe vertrauen.

Mit dem Kind erscheinen weitere Zeichen der Hoffnung. Wir lassen uns im Advent an die Buße erinnern, wo wir alle mit Weihnachtsfeiern, Geschenke kaufen, Baumschmücken und Kerzenabbrennen gut und manchmal über die Grenze des Belastbaren hinaus beschäftigt sind. Umkehr heißt, Erwartung und Hoffnung neu ausrichten. Die Hoffnung neu ausrichten auf das kleine Kind von Bethlehem, das weder Revolutionäre noch politischer Agitator sein wollte. Wir achten auf die kleinen Zeichen der Hoffnung. Lukas versucht das in seinem Evangelium durchzubuchstabieren. Die Zöllner fangen an, nur so viel Geld einzunehmen, wie ihnen die Steuerbehörde erlaubt hat. Sie wirtschaften nicht mehr in die eigene Tasche. Die Soldaten verlieren sich nicht in Gewaltexzessen. Jesus wird Menschen von psychischen wie körperlichen Krankheiten heilen.

Im Advent kommt das Große und das Kleine zusammen. Das Großartige des Reiches Gottes und das winzige Baby in der Krippe. Und wenn wir das zulassen, die große Hoffnung und die Gewißheit der kleinen Zeichen, dann kann es zuerst Advent und dann Weihnachten werden. Johannes verweist auf Jesus. Beide verweisen auf Gottes Reich. Sie sind unsere Hoffnung. Auf dieses Reich gehen wir zu. Der Friede Gottes, welcher aus der Umkehr und dem Lächeln über das Kind in der Krippe kommt, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.

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Ein Kommentar zu “Advent – Heil aus der Wüste

  1. Pastor i.R. Heinz Rußmann

    Lukas will zuerst seinem guten Ruf als Historiker gerecht werden und beginnt mit Informationen zur politischen Lage zur Zeit des Johannes. Auch Pfarrer Dr. Vögele überzeugt, indem er anschauliche Bezüge zur heutigen Lage , z.B. zum Bundespräsidenten und zur “Wutbürger und Jammer- Zivilisation” zieht. Aber Gottes Wort kommt bei Johannes aus der Wüste. Lukas will Zeichen setzen zur großen Hoffnung auf Gottes Reich und das kleine Kind in Bethlehem. Johannes geht es um die Umkehr und Buße. Die Bußtradition im Advent ist ja leider im Schwinden durch den Warenhaus-Kaufrausch. Dabei ist Buße seit je die Vorbereitung auf das Kommen Christi. Analyse und Synthese sind nach Plato der Kern der Erkenntnis der Wahrheit. Pfarrer Dr. Vögele bringt sehr packend die vielen kleinen Zeichen der Liebe und die Umkehr im Advent mit der großen Hoffnung auf Gottes Reich bei Johannes und Jesus zusammen. So schlußfolgert der Prediger sehr überzeugend: Im Advent kommt das Große und Kleine zusammen, das Schon und Noch-Nicht des Heils durch Jesus. Eine packende Predigt mit schönen Formulierungen für das “postfaktische Zeitalter”.

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