Epiphanias – Das Licht kommt aus Nazareth
Jesus von Nazareth nimmt den Bußruf Johannes des Täufers als Umkehrruf angesichts der Nähe des Gottesreiches, das in ihm selbst Gestalt annimmt und auf Beziehungen des Glaubens, der Liebe und Hoffnung beruht
Predigttext: Matthäus 4,12-17 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
Da nun Jesus hörte, dass Johannes gefangen gesetzt worden war, zog er sich nach Galiläa zurück. Und er verließ Nazareth, kam und wohnte in Kapernaum, das am Galiläischen Meer liegt im Gebiet von Sebulon und Naftali, auf dass erfüllt würde, was gesagt ist durch den Propheten Jesaja, der da spricht (Jesaja 8,23; 9,1): »Das Land Sebulon und das Land Naftali, das Land am Meer, das Land jenseits des Jordans, das Galiläa der Heiden, das Volk, das in Finsternis saß, hat ein großes Licht gesehen; und denen, die saßen im Land und Schatten des Todes, ist ein Licht aufgegangen.« Seit der Zeit fing Jesus an zu predigen und zu sagen: Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen!
Siehe, das neue Jahr hat begonnen, aber das alte Jahr ist geblieben. Die schlechten Gewohnheiten, die durch gute Vorsätze beseitigt werden sollten, haben ihre alte Macht halbwegs wieder hergestellt. Politische Mehrheitsverhältnisse oder das Bruttosozialprodukt verändern sich nicht von Dezember bis Januar. Das neue Jahr bleibt doch das alte, und winzige Veränderungen zum Besseren sind oft nur mit Lupe und Richtmikrophon wahrzunehmen. Es ist unendlich schwer, aus dem betonierten Tunnel der Gewohnheiten auszubrechen und im Leben einen neuen Kurs einzurichten.
Aus dem Fernsehen kennt jeder den Milliardär, der sein Geld mit Immobilien gemacht und Aufmerksamkeit mit peinlichen Sprüchen auf Twitter gewonnen hat. In knapp zwei Wochen, am 20.Januar, wird er auf einer Bühne vor dem Kapitol in Washington, D.C. stehen. Der leitende Richter des Supreme Court wird ihm eine Bibel hinhalten, und auf diese Bibel wird der Milliardär seinen Amtseid als neuer amerikanischer Präsident leisten. In Washington werden Proteste und Demonstrationen erwartet. In Europa geht das meist unter: Es ist üblich, dass jeder gewählte Präsident bei einem bekannten Dichter ein Gedicht in Auftrag gibt, das der Dichter dann bei der Einführungszeremonie vorliest. Sozusagen Zivilreligion in Reimen statt höhnische Sprüche auf Twitter. Das Gedicht wird die Befürchtungen und Ängste, die der neue Präsident wegen seiner Unberechenbarkeit auslöst, nicht besänftigen können. Aber auch der Milliardär wird längstens zwei Perioden amtieren und dann einem Nachfolger, vielleicht einer Nachfolgerin Platz machen.
Übergänge, zum neuen Jahr, lösen Befürchtungen aus. Die Gedanken wandern zum Alten, das bleibt. Befürchtungen und Hoffnungen richten sich auf das Neue, das kommt. Es muß sich gegen Tradition und Gewohnheit durchsetzen. Der Sprung aus der Gegenwart zurück nach Kafernaum und Galiläa, zu Sebulon und Naphtali, zu Johannes und Jesus fällt leicht in diesem Jahr. Beim Evangelisten Matthäus kommen die Weisen aus dem Morgenland, um das Jesuskind zu bewundern. Die Hirten fehlen bei ihm. Und sofort muss die arme Familie nach Ägypten fliehen, um einer Kindermord-Aktion in Bethlehem auszuweichen, mit der ein Provinzkönig sein Land terrorisiert.
Im Evangelium folgt ein Sprung von mehreren Jahrzehnten. Dann tritt Johannes der Täufer in der Wüste auf. Johannes tauft Jesus im Jordan. Beim Evangelisten Matthäus fehlt die wunderbare Geschichte der vorgeburtlichen Begegnung zwischen den Müttern Elisabeth und Maria, für die sich Lukas ausführlich Zeit nimmt. Als die beiden schwangeren Frauen voreinander stehen, da hüpft das noch ungeborene Kind im Bauch Elisabeths (Lk 1,41). Matthäus erzählt anders davon. Er fasst die Botschaft des Johannes in einem Satz von der Kürze einer Twitter-Nachricht zusammen: „Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen!“ (Mt 3,2) Johannes tauft Jesus im Jordan, er gerät dann aber in ein regionales politisches Machtspiel und wird verhaftet. Die Staatsmacht beendet abrupt seine Tätigkeit als Prediger und Bußrufer in der Wüste. Deswegen braucht er einen Nachfolger. Und dieser ist bald gefunden. Es ist das Baby, dem die Weisen aus dem Morgenland Gold, Weihrauch und Myrrhe gebracht haben.
Matthäus verschwendet nun keine Zeile seines Evangeliums auf die Jahre zwischen Krippe und Taufe. Der Junge ist von Nazareth nach Kapernaum umgezogen. Nichts von Ausbildung, Wehrdienst, Pubertätskonflikten, Ablösung von den Eltern. Es bleibt eine Lücke im Lebenslauf. Ganz unvermittelt geht es los. Bleiben wir vorher noch für einen Moment bei Kapernaum und Galiläa. Der kleine Ort am Nordufer des See Genezareth ist mit Rom, Washington, London und Brüssel selbstverständlich nicht zu vergleichen. In Kafernaum kommen nicht hunderttausende von Menschen zur Ämterübergabe von einem Propheten auf den anderen zusammen. Die Bibel, die in Washington der Richter dem gewählten Präsidenten für den Amtseid hinhalten wird, kommt auch bei Matthäus vor. Beim Propheten Jesaja steht, dass das Licht aus dem Norden Galiläas, aus den Gebieten Sebulon und Naphtali kommen wird. Bei einem Amtseid steht ein Versprechen und die Bitte um Vertrauen im Mittelpunkt, bei der ersten Predigt Jesu erfüllt sich eine uralte Verheißung. Der Prediger aus Nazareth, nun mit erstem Wohnsitz in Kapernaum, nimmt als Person seine besondere Rolle ein. Er ist Prediger, Heiler, Ratgeber und am wichtigsten: Heiland, Retter.
Das Licht kommt aus der galiläischen Provinz. Man muss sich nochmals den Unterschied klar machen: Präsidenten, wie andere Politiker auch, brauchen Batterien von Scheinwerfern, deren Licht auf den Prominenten ausgerichtet ist. Sie sorgen dafür, dass sie stets im Mittelpunkt der Kameras, der Mikrophone und der Aufmerksamkeit stehen. Der bibelkundige Matthäus hebt hervor, dass sich bei dem Mann aus Nazareth, der in Kapernaum predigt, genau umgekehrt verhält. Er ist das Licht. Ich bin das Licht der Welt, wird der Jesus des Johannesevangeliums sagen (Joh 8,12). Man muss sich den Gegensatz so scharf wie möglich vorstellen: Politiker ziehen die Aufmerksamkeit auf sich, Jesus von Nazareth strahlt sie aus. Was das heißt, davon gleich mehr.
Über das Stichwort des Lichtes hat diese Passage aus dem Matthäusevangelium Eingang in die Predigttexte zur Epiphaniaszeit gefunden. Epiphanias heißt: Der Heiland erscheint als strahlendes Licht, und deswegen zünden wir ab dem Advent Kerzen über Kerzen an, am Weihnachtsbaum, vor der Krippe, am Adventskranz. Noch in den Wunderkerzen von Silvester ist ein Abglanz des strahlenden Lichtes Gottes zu spüren. All die Kerzen strahlen die Gegenwart des Lichtes aus. Darin liegt ihr Sinn. Gott erscheint den Menschen in der Gegenwart. Dabei unterscheidet sich der Retter aus Nazareth vom Täufer im Jordan. Johannes predigt vom kommenden Gottesreich. Aber er redet daneben von einem kommenden Heiland. Als Jesus an den Jordan kommt, um sich taufen zu lassen, da weiß Johannes: Das ist der Heiland, auf den ich gewartet habe. Von ihm habe ich in meinen Bußpredigten gesprochen.
In Jesus wird das, was Matthäus Himmel- oder Gottesreich nennt, Gestalt. Er ist dieses Gottesreich. Darum macht es einen großen Unterschied, ob Johannes oder Jesus davon sprechen. Bei Johannes erscheint eine Zukunftsvision, welche politische und theologische Missstände der Gegenwart beseitigen soll. Bei Jesus geht es um eine Gegenwart, welche Menschen, Kranke, Arme, Gedemütigte, anzieht, weil sie das Heil erfahren oder schon erfahren haben. Johannes war, jedenfalls aus der Sicht der herrschenden Mächte, ein Störenfried. Jesus von Nazareth, als er zu predigen anfängt, stört auch, aber er stört als Heiland. Und das macht einen Unterschied. Wenn zwei Menschen dasselbe sagen, muss es nicht das gleiche sein. Und den Unterschied macht die Gegenwart von Gottes Reich aus.
In Jesus kommt Gottes Reich den Menschen damals sehr viel näher als in der Zukunftsvision des Johannes. Wenn Jesus dieses Reich verkörpert, dann darf man das Reich nicht als Territorium, nicht als umgrenztes Gebiet verstehen. Das Gottesreich nimmt in der Beziehung zu einem lebendigen Menschen Gestalt an. Und diese Beziehung beschreiben sämtliche Autoren der Bibel als Liebe: als Liebe zu Gott, als Liebe zu den anderen Menschen, als Liebe zu sich selbst. Das Reich Gottes stellt sich dar als ein Geflecht von Beziehungen des Glaubens, die alle den Prediger aus Nazareth in den Mittelpunkt rücken oder, anders gesagt, die der Prediger aus Nazareth ausstrahlt und bewirkt. Nationalstaaten konstituieren sich aus einem umgrenzten Gebiet, einem Staatsbürgerschaftsrecht und genauen Regeln, wer Bürger ist und wer nicht.
Gottes Reich besitzt kein Staatsbürgerschaftrecht; es ist kein Staat, sondern eine Gemeinschaft, die ausschließlich auf Beziehungen des Glaubens beruht. Gottes Reich steht und fällt mit Glaube, Liebe und Hoffnung. Nun ist dieses Reich Gottes nach Jesu Worten nicht einfach die positive Folie einer negativen Gegenwart. Gottes Reich kommt, dass er einen Impuls setzt. In der Folge verwandelt sich die Gegenwart. Das hängt zusammen mit einem Stichwort der Predigt Jesu, das ich bisher ausgespart habe. Übereinstimmend erklären Jesus und Johannes: Tut Buße! In der Gegenwart ist das zum verstaubten Wort geworden, das aus der Alltagssprache verschwunden ist. Was ist mit Buße gemeint? Im Alltag denkt man an einen Fehler, den man begangen hat. Buße ist dann so etwas wie eine Gegenleistung oder ein Ersatz, der zum begangenen Fehler ein Gegengewicht setzt. Johannes der Täufer überbietet dieses Alltagsverständnis theologisch. Und Jesus überbietet die theologische Bußtheorie des Johannes.
Johannes der Täufer sprach am Jordan nicht von Verfehlungen einzelner Menschen. Eher sah er die Buße als die Bewegung der Umkehr aus einer schlechten, verkehrten, in sich zerstrittenen Welt. Aus diesem Zustand können sich die Menschen selbst nicht heraushelfen. Sie sind angewiesen auf das Reich Gottes, dem sie sich zuwenden können. Diese Bewegung, also Umkehr und Zuwendung nennt Johannes der Täufer Buße. Das Reich Gott blieb allerdings für Johannes den Täufer eine Hoffnung, die noch in der Zukunft liegt. Und genau das überbietet Jesus von Nazareth in seiner Predigt. Sie besitzt zwar denselben Wortlaut wie die Predigt des Johannes. Aber in Jesus von Nazareth ist dieses Reich Gottes Gestalt geworden. Die Nähe des Reiches Gottes erklärt sich durch die Nähe der Person, die da spricht.
Die geforderte Buße erweist sich plötzlich nicht als Wiedergutmachung, sondern als Umkehr zum Glauben an den, der hier predigt. Für das Volk, vor dem Jesus damals als leibhaftige Person stand, ist das mit Augen zu sehen und mit Händen zu greifen. Zweitausend Jahre nach Jesu Predigt verhält sich das ganz anders. Und ich bin überzeugt, Matthäus, der Evangelist, hat das gewusst. Denn schon der Anfang, der Beginn der Predigt Jesu, verweist auf das Ende des Evangeliums, die letzte Predigt Jesu, bevor er sich den Blicken der Jünger entzieht.
Matthäus beendet sein Evangelium mit dem Taufbefehl. Jesus sagt: „ Darum gehet hin und lehret alle Völker: Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe. Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“ (Mt 28,19-20) Seit Jesus predigte, heilte und lehrte, gilt dieser Satz: Ich bin bei euch. Und deswegen können wir von Gottes Reich jetzt, in der Gegenwart, etwas spüren. Es wird Gestalt in der Barmherzigkeit, in der Liebe der Gemeinde, in Respekt und Anerkennung der gegenseitigen Schwächen. Es hebt die Missstände der Gesellschaft, von denen wir wahrlich heute noch genug haben, nicht auf, aber es bringt sie auf einen anderen, besseren Weg. Dieser Weg führt direkt in das Reich, auf das wir warten und hoffen. – Der Friede Gottes, welcher höher ist als alles, was wir Menschen tun, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Durch die aktuelle USA – Präsidenten – Wahl von Trump schafft Pfarrer Dr. Vögele einen einleitenden Bezug zum Predigttext. Parallelen in der Gegenwart bringen einen Bezug zur Vergangenheit. Der Evangelist Matthäus springt auch gleich von der Geburt des Gottessohns Jesus zu seiner Amtseinführung bei der Taufe des Johannes. Es bleibt eine Lücke im Lebenslauf Jesu von der Geburt zur Taufe. Trump wird auf die Bibel verpflichtet werden beim Amtseintritt. Jesus übernimmt bei seiner Taufe auch das Amt des Täufers Johannes. Johannes aber erwartet eher einen Richter als Messias, der das Böse und Misstände zerstört. Jesus ist aber nach den Evangelien ein Prediger, Heiler und Ratgeber und am wichtgsten der Heiland, Sohn Gottes und Retter. Jesus ist das Licht der Welt. In der Beziehung der Glaubenden zu Jesus nimmt das Reich Gottes schon jetzt Gestalt an. Nötig aber ist bei Jesus wie bei Johannes die Umkehr zum Gott wohlgefälligen Leben von jedem von uns. Wir können schon jetzt etwas spüren: In der Nächsten – und Feindesliebe der Gemeinde, beim Respekt und der Hilfe für die Armen. Jesus bringt alles auf einen besseren Weg, bis Gottes Reich endgültig kommen wird nach Johannes und Jesus. – Eine klar formulierte und gut aufgebaute Predigt, welche informativ und eindringlich beim Thema bleibt.