Zuspruch

" ... wenn das Wasser bis zum Hals steht"

Predigttext: Matthäus 14, 22-33
Kirche / Ort: Trinitatiskirche / Berlin-Charlottenburg
Datum: 29.01.2017
Kirchenjahr: 4. Sonntag nach Epiphanias
Autor/in: Pfarrer Mag. theol. Ulrich Hutter-Wolandt

Predigttext: Matthäus 14, 22-33 (Übersetzung nach Martin Luther)

22 Und alsbald drängte Jesus die Jünger, in das Boot zu steigen und vor ihm ans andere Ufer zu fahren, bis er das Volk gehen ließe. 23 Und als er das Volk hatte gehen lassen, stieg er auf einen Berg, um für sich zu sein und zu beten. Und am Abend war er dort allein. 24 Das Boot aber war schon weit vom Land entfernt und kam in Not durch die Wellen; denn der Wind stand ihm entgegen. 25 Aber in der vierten Nachtwache kam Jesus zu ihnen und ging auf dem Meer. 26 Und da ihn die Jünger sahen auf dem Meer gehen, erschraken sie und riefen: Es ist ein Gespenst!, und schrien vor Furcht. 27 Aber sogleich redete Jesus mit ihnen und sprach: Seid getrost, ich bin's; fürchtet euch nicht! 28 Petrus aber antwortete ihm und sprach: Herr, bist du es, so befiehl mir, zu dir zu kommen auf dem Wasser. 29 Und er sprach: Komm her! Und Petrus stieg aus dem Boot und ging auf dem Wasser und kam auf Jesus zu. 30 Als er aber den starken Wind sah, erschrak er und begann zu sinken und schrie: Herr, rette mich! 31 Jesus aber streckte sogleich die Hand aus und ergriff ihn und sprach zu ihm: Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt? 32 Und sie stiegen in das Boot und der Wind legte sich. 33 Die aber im Boot waren, fielen vor ihm nieder und sprachen: Du bist wahrhaftig Gottes Sohn!

Exegetische und systematische-homiletische Erwägungen

Mt hat die MK-Version des Textes im wesentlichen (vgl. Mk 6, 45-52) übernommen und um die Szene vom Seewandel des Petrus erweitert (vgl. VV. 28-31). Damit hat die Perikope zwei Themenschwerpunkte: den Seewandel und die Rettung. Die Jünger sind bedroht von Dunkelheit, Wind und Wasser und hoffen auf Jesu Eingreifen, das sich dann allerdings erst in der vierten Nachtwache ereignet, d.h. zwischen drei und sechs Uhr im Morgengrauen; hier werden Anklänge an das Eingreifen Gottes im Alten Testament deutlich, der beim Auszug aus Ägypten (Ex 14,24) sowie in Ps 46 hilft, wenn der Morgen anbricht. Jesus kommt ähnlich wie Jahwe im AT den bedrohten Jüngern zur Hilfe. Er geht über das Wasser, eine Fähigkeit, die die Menschen in der Antike immer wieder beschäftigte, weil dies allein eine Gabe Gottes ist.

Die Struktur der kleinen Erzählung ist folgende: die Einleitung schafft die szenische Voraussetzung für das anschließende Geschehen, als Jesus seine Schüler mit dem Boot auf den See schickt und alleine zurückbleibt (14,22f.). Die Exposition macht auf die plötzlich eintretende Notsituation der Jünger (14,24) aufmerksam. Im Mittelpunkt findet sich die Begegnung mit dem Epiphanie-Christus, der auch als Wundertäter offenbar wird (14,25-27.32). Der Petrus-Einschub, der nicht in der Mk-Vorlage steht und auf Mt zurückgeht, macht eine mögliche Reaktion auf die Offenbarung Jesu deutlich (14,28-31). Für die Szene des Seewandels des Petrus gibt es im Neuen Testament keine Entsprechung, wohl aber in der außerchristlichen Literatur, beispielsweise in den Oden Salomos und in der Buddahlegende. Am Schluss findet sich die bekennende Akklamation Jesu durch seine Jünger (14,33).

Auszeit für Jesus im Gebet - Jesus nimmt sich wie bei anderen öffentlichen Auftritten eine Auszeit: es sucht die Einsamkeit auf dem Berg, um mit Gott ins Gespräch zu kommen. Der Berg gilt als Ort der Epiphanie Gottes, wie auch aus der späteren Verklärungsgeschichte (Mt 17,1-8) hervorgeht. Der Berg ist Ort der Gottesbeziehung, Mt braucht den Berg als geographischen Ort, um damit die Voraussetzung für das kommende Geschehen zu schaffen. Allein auf hoher See im Boot (14,24) - Mit wenigen Worten macht der Text auf die Situation des Bootes aufmerksam : es herrscht starker Gegenwind und bedrohlicher Seegang. Das Boot, das für die matthäische Gemeinde steht, gerät in Not, weil ihr Gegenwind durch die politische oder gesellschaftliche Situation entgegenschlägt.

Jesus geht über das Wasser, Zeichen seiner Epiphanie (14,25-27) - Die Not der Jünger dauert bis zum frühen Morgengrauen. Die Leser der Geschichte werden an Ereignisse aus der Geschichte Israels und aus dem Leben Jesu erinnert: Exodusgeschehen und an den Ostermorgen (Mt 28,1), als die Frauen am Grab Jesu von seiner Auferstehung erfuhren. Religionsgeschichtlich lässt sich der Gang Jesu über das Wasser, der seine Macht über die Wassergewalten zeigen soll, mit der Exodus-Überlieferung zusammenbringen, die Gottes Macht über das Meer bezeugt (vgl. Ps 77,20; Jes 43,16). Aber auch Texte der griechisch-römischen paganen Literatur zeigen, wie sehr Menschen von dem Gang über das Wasser fasziniert waren (vgl. Kommentar Ulrich Luz, 408). Jesu Gang über das Wasser verdeutlicht seine Vollmacht, er ist der Herr über alle Gewalten, mit denen sich die Gemeinde und auch jeder Einzelne konfrontiert sieht. Er ist der auferstandene Christus, der seiner Gemeinde Hilfe verspricht. Dass es sich um eine Epiphanieerzählung handelt, zeigt sich in dem Gebrauch der Anrede „Fürchtet euch nicht“; diese Anrede kennen wir auch aus den Ostererzählungen.

Petrus als Beispiel für Mut und Verzweiflung (14,28-31) - Petrus richtet sein ganzes Vertrauen auf Jesus. Der Ruf Jesu motiviert ihn, das Unmögliche zu wagen, er geht konkrete Schritte auf dem Wasser, weil er sich durch den Ruf Jesu angesprochen weiß. Und das, was er zunächst selber nicht glauben konnte, geschieht: Petrus geht über das Wasser auf Jesus zu. Als Petrus sich dann aber der Gefährlichkeit seines Handelns bewusst wird, schwindet sein Vertrauen und er droht wegen seiner Panik zu ertrinken. Nur ein Hilferuf, der an Jesus gerichtet ist, kann ihn vor dem Untergang bewahren. Petrus wird von Jesus gerettet, der ihn wegen seines Verhaltens nicht zurecht weist, sondern vielmehr sich in ihn hineinversetzt, in dem er Petrus als „Kleingläubigen“ bezeichnet. Der Begriff „kleingläubig“ kommt häufig bei Mt vor und verweist auf die alltäglichen Erfahrungen der Gemeinde, die immer wieder von Mut und Angst, von Vertrauen und Zweifel bestimmt sind. Der Evangelist möchte die Gemeinde zum Vertrauen ermuntern. Petrus dient in diesem Teil der Geschichte als Beispiel für das Vertrauen, das er und mit ihm die ganze Gemeinde Jesus entgegenbringt.

Mit Jesus im Boot bedeutet Rettung: (14,32f.) - Als Jesus dann mit Petrus ins Boot steigt geschieht das Rettungswunder: der Wind hört auf wunderbare Weise auf, die bedrohliche Situation ist gebannt. Am Schluss findet sich das Bekenntnis der Geretteten zu Jesus, er ist der Sohn Gottes. Das Bekenntnis der Jünger ist das Bekenntnis der matthäischen Gemeinde, das später von Petrus (vgl. Mt 16,16) und beim römischen (!) Hauptmann unter dem Kreuz Jesu (vgl. Mt 27,54) wiederholt wird. Die Erzählung spiegelt also eine Gemeindeerfahrung aus dem Lebensalltag wider. Sie ermutigt zum Vertrauen auf den Herrn der Gemeinde in Situationen von Bedrohung, Not, Krankheit, Unglück und Tod, Angst und Schuld. Im Vertrauen auf Jesus Christus kann Unmögliches gewagt werden! Das Vertrauen, das auf Jesus Christus gegründet ist, weist zurück auf Gott, der seinen Sohn in die Welt gesandt hat, damit die Menschen neu glauben und Gott in allen Dingen fürchten, lieben und vertrauen.

In der Geschichte wird die menschliche Gefühlswelt angesprochen, ist Mt ganz existentiell, weil den Hörern oder Lesern in ihrer augenblicklichen Situation offenbar das Wasser „bis zum Hals steht“. Und diese Momente haben wir Menschen heute auch, wenn wir uns nachdenklich fragen, warum es jetzt so schlecht geht oder weil Situationen für uns nicht nachvollziehbar sind und wir an uns selber und an anderen Menschen verzweifeln. Diese Situation hatten damals auch die Jünger im Boot. Schaffen sie es, mit dem Sturm und dem Seegang fertig zu werden oder warum sind sie jetzt gerade in diese gefährliche Situation geraten, so könnten die Fragen gelautet haben. Und dann lässt sie Jesus auch noch ganz allein. In diese Situation wird von Mt die Petrus-Perikope eingebaut. Petrus, der sich auf Jesus eingelassen hatte, bekommt es mit der Angst zu tun. Petrus möchte an etwas glauben, droht aber durch seine eigene Angst und sein fehlendes Vertrauen zu unterzugehen. In dieser allzu menschlichen Situation des Zweifelns und der Angst ruft ihm Jesus zu: Fürchte Dich nicht, ergreife meine Hand! Ein wunderbares Bild des Zuspruchs und der Hilfe, die hier dem ängstlichen Menschen Petrus und damit auch uns angeboten wird.

Lieder

"Du Morgenstern, du Licht vom Licht" (EG 74)
"Wenn wir in höchsten Nöten sein" (EG 366)
"Du höchstes Licht, du ewiger Schein" (EG 441)
"Such, wer da will, ein ander Ziel" (EG 346)
"Jauchzt alle Lande, Gott zu Ehren" (EG 279)
"Wie bin ich doch so herzlich froh"

Eingangsgebet

Guter und treuer Gott, wir sind zu diesem Gottesdienst gekommen, um miteinander auf dein Wort zu hören. Dieses Hören auf dein Wort tut uns gut und stärkt uns. Es gibt uns Trost in unserer Traurigkeit, es weckt Hoffnung in unserer Mutlosigkeit und weist uns einen Weg aus unserer Ausweglosigkeit. Wir danken dir guter Gott für deine Nähe. Und so bitten wir zu dir: Sprich zu uns dein Mut machendes Wort. Sprich zu uns, damit wir verstehen, was für uns gut und richtig ist. Sei mit uns und lege deinen Segen auf diesen Gottesdienst.

Fürbitten

Lasst uns beten zu Gott, unserem Vater, der uns in Jesus Christus seine Liebe zur Welt gezeigt hat: für die Völker dieser Welt, dass sie miteinander im Vertrauen dem Wohl der Menschen dienen; für die christlichen Kirchen und christlichen Gemeinschaften, dass sie sich für die Ärmsten ein setzen und für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung einstehen.

Wir bitten für die vielen Menschen, die jetzt in den Winterferien unterwegs sind, dass sie sich gut erholen und Kraft tanken für die kommende Zeit. Wir bitten für die Menschen, die ständig versuchen, dem Glück hinterher zu jagen. Dass die etwas von dem Licht und der Geborgenheit sehen, die seit Weihnachten durch Jesus Christus in die Welt gekommen ist. Wir bitten für die Menschen, deren Arbeitsplätze durch Rationalisierungsmaßnahmen bedroht sind, die arbeitslos oder obdachlos sind und die Angst um ihre Existenz haben.

Wir bitten für die Menschen, die von Naturkatastrophen bedroht sind, von Feuersbrünsten wie jetzt in Chile, von Schneelawinen wie jetzt in Italien, vom Krieg in Syrien, in Afghanistan oder in Nigeria oder von Hunger und Dürre wie in einigen Teilen Afrikas. Hilf guter Gott, dass alle diese Menschen nicht mit ihren Problemen allein bleiben, sondern dass sie Mitmenschen finden, die ihnen helfen. Wir bitten für die Menschen, die am Abgrund ihres Lebens stehen, die keine Hoffnung mehr haben, dass sie helfende Hände und Menschen finden, die sie trösten und ihnen die Angst vor dem Leben und der Zukunft nehmen. Lass uns leben in deinem Licht, das uns den Weg, die Wahrheit und das Leben verheißt.

Literatur

Kommentare: J. Gnilka, Das Matthäusevangelium Teil II (HThKNT I,2, Freiburg 1988); U. Luz (EKK I/2 1990); P. Fiedler (ThKNT 1 2006); M. Konradt, Das Evangelium nach Matthäus (NTD 1, Göttingen 2015). Sekundärliteratur: C. Böttrich, Petrus. Fischer, Fels und Funktionär (Biblische Gestalten 2), Leipzig 2001; Günther Bornkamm, Petrus im Matthäusevangelium, in: ders., Studien zum Matthäus-Evangelium. Hg. von Werner Zager, Neukirchen-Vluyn 2009, 379-395; E. Drewermann, Tiefenpsychologie und Exegese II, Olten/Freiburg 1985, 27-35; P. Dschulnigg, Gestalt und Funktion des Petrus im Matthäusevangelium, in: SNTU 14 (1989), 161-183; J. Gnilka, Petrus und Rom. Das Petrusbild in den ersten zwei Jahrhunderten, Freiburg 2002; J. Hartenstein, Jenseits der Komfortzone. Jesu Erscheinen auf dem See (Mt 14, 22-33), in: R. Zimmermann (Hg.), Kompendium der frühchristlichen Wundererzählungen. Bd. 1: Die Wunder Jesu, Gütersloh 2013, 454-464; B. Kollmann, Neutestamentliche Wundergeschichten, Stuttgart 2002; L. Oberlinner, Können Wunder schief gehen? Zur Petrus-Episode in der Seewandelgeschichte Mt 14,22-33, in: Heilungen und Wunder. Theologische, historische und medizinische Zugänge (Festschrift P. Trummer), Darmstadt 2007, 85-104; R. Schnackenburg, Petrus im Matthäusevangelium, in: A cause de l’évangile. Etudes sur les Synoptiques et les Actes (Festschrift J. Dupont), Paris 1985, 107- 143; A. Suhl, Der Wunderbegriff im Neuen Testament, Darmstadt 1980; G. Theißen, Urchristliche Wundergeschichten, Gütersloh 1974.

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Beim Lesen des Predigttextes kam mir ein Gedichtanfang der im Jahre 2006 verstorbenen jüdischen Lyrikerin Hilde Domin in den Sinn: „Ich setzte meinen Fuß in die Luft, und sie trug.“ Hilde Domin musste viele Verluste erleiden, sie dachte immer wieder an ihr Schicksal im Dritten Reich, sie dachte an ihr Exil, sie trauerte um ihre verstorbene Mutter, sie trauerte um ihre Ehe, sie dachte über Verlustängste nach. Und trotz aller Verlustängste in ihrem Leben war sie voll Vertrauen. Jesus hatte auch dieses Vertrauen, als er seinen Fuß aufs Wasser setzte, das ihn dann auch trug. Und Petrus in unserer Geschichte, er versucht es, aber er droht unterzugehen. Petrus kann so lange über das Wasser gehen, solange er mit Jesus in Kontakt steht. Doch wie war der Anfang dieser Geschichte Jesu mit seinen Jüngern? Jesus drängt die Jünger ins Boot zu steigen. Dunkle Wolken ziehen auf, es droht stürmisch zu werden, wie in einer kleinen Nussschale werden die Jünger in ihrem Boot hin und her geworfen. Der Sturm wird stärker, es ist dunkel, mitten in der Nacht sind sie auf dem See. Es ist ein Bild, dass wir aus stürmischen Zeiten unseres Lebens auch kennen: wir spüren unsere Ängste, wie geht es weiter, kommen wir wieder sicher ans Land? Sind die Wellen mächtiger, als wir es uns vorstellen können?

Und da ist sie wieder die Angst, unterzugehen in diesen stürmischen Zeiten. Mit einem kleinen Boot in finsterer Nacht, allein der stürmischen See ausgesetzt. Gibt es ein noch stärkeres Bild für unsere Angst, für unsere Sorgen? Vielleicht denken Sie jetzt an die Noahgeschichte, oder an die Exodus- und Jonageschichte. Auch hier war das Wasser übermächtig, waren die Menschen von den Fluten bedroht. Die Fluten, das sind die Bilder, die uns in Krisensituationen immer wieder in Kopf kommen und gar nicht verschwinden wollen: die schmerzliche Entdeckung, dass der Ehemann nach zwanzig Ehejahren plötzlich eine andere Frau liebt und deswegen seine Familie verlässt, der Verlust der Arbeit, der nur ganz schwer der Frau und den Kindern zu vermitteln ist, weil sie sich nun in einem bisher nie gekannten Ausmaß einschränken müssen. Ist das Haus noch zu halten, bekommen wir in dieser Situation das mit den Krediten noch hin oder droht die Zwangsversteigerung? Alles scheint gegen mich zu sein, so ist manchmal bei uns die Stimmung, und je mehr wir darüber nachdenken, umso schlimmer wird es. Unser Lebensboot scheint zu machen, was es will, es lässt sich nicht mehr steuern wie wir es wollen. Es fährt seine eigenen Wege. Wir sind den Stürmen anscheinend schutzlos ausgeliefert.

Im Morgengrauen kommt Jesus auf dem Wasser seinen Jüngern entgegen, um sie in ihrer Angst zu beruhigen. Doch anstatt sich von Jesus beruhigen zu lassen, schreien die Jünger auf, da sie ihn für ein Gespenst halten. Ihre Angst wird noch größer. Die Angst war bei den Jüngern so groß, dass sie die Hilfe, die ihnen Jesus geben wollte, nicht annahmen, sondern stattdessen noch ängstlicher wurden. Und dann scheint es schon wie eine Erlösung aus der für sie bedrückenden Situation zu sein, als Jesus ihnen zuruft: „Habt keine Angst. Ich bin es. Ihr braucht euch nicht mehr zu fürchten. Ich bin bei euch“. Jesus will den Jüngern ihr Vertrauen zurückgeben, er möchte, dass sie ihren Fuß in die Luft setzen und merken, dass sie getragen werden.

Petrus erkannte Jesus und bekam auf einmal Mut. Im Vertrauen auf Jesus steigt er aus dem Boot und verlässt damit die Gemeinschaft seiner Jünger. Er lässt die anderen zurück und eilt Jesus entgegen. Es klappt, er kann sogar übers Wasser laufen, weil er mit Jesus Blickkontakt hat und Petrus durch diesen Blick Jesu Vertrauen spürt. Doch dann passiert es: Petrus schaut wieder auf die Fluten und in diesem Augenblick kommen bei ihm Zweifel auf und er droht zu ertrinken. Und jetzt hält ihm Jesu seine Hand entgegen und Petrus kann sich bei ihm festhalten. Natürlich plagten Petrus Angst und Zweifel, er war, wie Jesus es nannte, „kleingläubig“ genauso wie die anderen Jünger.

Glauben bedeutet nicht, dass ich im Leben überhaupt keine Angst mehr haben muss, wenn ich nur meinen „großen“ Glauben an den Tag lege. Glaube bewahrt mich nicht automatisch vor der Angst. Vielmehr nehme ich, wenn ich glaube, die Angst ernst. Und Jesus kommt seinen Jüngern in ihrer Angst oder Panik entgegen, nimmt sie wahr, lässt sie nicht allein, sondern geht auf sie zu, auch wenn sie in ihm erst einmal ein Gespenst sehen. Vielleicht hat sich Petrus die Frage gestellt: wer kann schon übers Wasser gehen? Und sicher ist Petrus noch nie übers Wasser gegangen. Und trotzdem lässt er sich darauf ein und versucht es mit einer Bitte: „Wenn Du mir hilfst, dann will ich es versuchen”. Jesus reagiert sofort und sagt zu ihm: „Komm her!“ Und auf diese Aufforderung Jesu macht sich Petrus auf den Weg übers Wasser. Doch dann, als er schon den halben Weg hinter sich hatte, verlässt ihn plötzlich der Mut, es droht die Situation für ihn kritisch zu werden. Er droht er unterzugehen und vielleicht sogar zu sterben. Aber Jesus reicht Petrus die Hand und rettet ihn.

Im Gang des Petrus über das Wasser wird uns der Gang des christlichen Glaubensweges aufgezeigt. Jeder Christ, jede Christin hat seinen bzw. ihren eigenen Glaubensweg mit allen dazu gehörigen Höhen und Tiefen. Glauben bedeutet nichts Statisches, sondern Glauben ist lebendig, Glauben heißt leben mit allem, was an menschlichem Auf und Ab kommt. Blicken wir noch einmal auf Petrus. Er hätte bei einem weniger gefährlichen Wellengang, bei ruhigem Gewässer, kaum Zweifel gehabt, übers Wasser zu gehen und hätte am Ende auch Jesus sicher erreicht. Dass Petrus kein Glaubensmächtiger, sondern ein „Kleingläubiger“ ist, macht für mich die menschliche Seite dieses Jüngers aus. Und wenn ich mir klar mache, dass er als einziger Jünger aus dem Boot stieg, um zu Jesus zu kommen, dann war sein Glaube gar nicht so klein. Er eilt im Vertrauen auf Jesus ihm entgegen. Und der Grund für seinen Untergang kam daher, dass Petrus den Kontakt zu Jesus verloren hat, weil er ihm für einen kurzen Moment nicht mehr seine ganze Aufmerksamkeit schenkt, sondern den bedrohlichen Wellen und dem Sturm auf dem See.

Petrus macht in dieser Geschichte eine grundlegende Erfahrung: Jesus hält mich auch dann, wenn mir das Wasser schon bis zum Hals steht! Solche Erfahrungen zeigen uns, wie stark unser Vertrauen dann wirklich ist, wenn uns die Wellen des Lebens zu verschlingen drohen. Zum anderen können solche Erfahrungen unseren Glauben stärken, wodurch unser Glaubensseil vielleicht noch fester wird. Dazu gehören sicher auch Zeiten, in denen unser Glaubensseil zu zerreißen droht, weil wir es nicht schaffen mit Gott in Kontakt zu treten und den Kontakt zu halten und zu spüren, dass er uns immer wieder trägt. Auf das Kontakt halten kommt es an, um über das Wasser der Angst, um über die Unsicherheiten unseres Lebens, die Bedrohungen und Einsamkeiten, die unseren Lebens- und Glaubensweg immer wieder bestimmen wollen, gehen zu können. Darum ist es notwendig, in gutem Kontakt mit sich selbst und mit Gott zu sein. Oder um noch einmal den Gedichtanfang von Hilde Domin aufzunehmen: „Ich setzte meinen Fuß in die Luft und sie trug.“ Diese Erfahrung der Dichterin kann Positives in unserem Leben bewirken, weil es trägt und begleitet in allen unseren Lebenslagen.

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