” Eins aber ist not …”

Sorge und Mühe sind wichtig, und zugleich ist dem Gebet zu seinen Zeiten nichts vorzuziehen

Predigttext: Lukas 10,38-42
Kirche / Ort: Paulusgemeinde / 76275 Ettlingen
Datum: 26.02.2017
Kirchenjahr: Estomihi
Autor/in: Pfarrerin Kira Busch-Wagner

Predigttext: Lukas 10, 38-42 (Übersetzung nach Martin Luther)

Als sie (nämlich Jesus und seine Schüler) weiterzogen, kam er in ein Dorf. Da war eine Frau mit Namen Marta, die nahm ihn auf. Und sie hatte eine Schwester, die hieß Maria; die setzte sich dem Herrn zu Füßen und hörte seiner Rede zu. Marta aber macht sich viel zu schaffen, ihnen zu dienen. Und sie trat hinzu und sprach: Herr, fragst du nicht danach, dass mich meine Schwester lässt allein dienen? Sage ihr doch, dass sie mir helfen soll! Der Herr aber antwortete und sprach zu ihr: Marta, Marta, du hast viel Sorge und Mühe. Eins aber ist not. Maria hat das gute Teil erwählt, das soll nicht von ihr genommen werden.

Gedanken zum Predigttext

"Chaque chose á sa place“ - jedes Ding an seinem Platz, alles zu seiner Zeit, das ist die exegetische Pointe, die Dieter Schellong vor vielen Jahren in etlichen Gleichnissen und Gleichnisworten erkannt hat. Etwa bei der Frage, warum die Jünger Jesu nicht fasten (Lk 5,33 und Parallelen) oder bei der, die seinem Aufsatz den Titel gegeben hat: „Was heißt: 'Neuer Wein in neue Schläuche'“ ? (in: Einwürfe 2/1985, hgg. Von Friedrich-Wilhelm Marquardt, Dieter Schellong, Michael Weinrich und dem Chr. Kaiser Verlag, S. 112-125). Was dran sei zu welcher Zeit - das dekliniert das ganze 10. Kapitel im Lukasevangelium. Die Größe, an der sich alles ausrichtet, ist die Gegenwart des Reiches Gottes. Reich Gottes mit „Gerechtigkeit und Friede und Freude im Heiligen Geist“ (Röm 14,17), mit Gemeinschaft, Hilfe, Solidarität, voller Leben und Sinn. Am Reich Gottes entscheidet sich, was dran ist. Ein Experiment

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Erinnen Sie sich an Experimente im Schulunterricht? Die Physiklehrerin baut eine Versuchsordnung auf. Und dann kommt die Frage: Was passiert, wenn ….? Bei einem Experiment weiß die Lehrkraft, wie der Versuch sich am Ende heraus entwickelt. So ein Experiment gilt manchmal als langweilig – wenn alle schon wissen, was herauskommt, auch wenn man es nicht erklären kann. Warum ein Spielzeugauto eine Schräge herunterfährt, aber nicht hinauf, zum Beispiel. Spannend wird’s, wenn der Ausgang nicht voraussehbar ist. Es reizt mich, mit Ihnen einen Versuch zu unternehmen. Drei Minuten Stille und nichts passiert und niemand macht was. Nur Stille. Und Sie bleiben bei sich. (Kann man tatsächlich ausführen). —

Drei Minuten sind um. Ich vermute: Bei Vielen gingen in dieser Zeit die Gedanken spazieren. Vielleicht zurück, in die Vergangenheit. Etwa zum Frühstück heute morgen, zu den Gesprächen dabei. Vielleicht dachten Sie an die vergangene Nacht, vielleicht an die vergangene Woche. Andere dachten an die Zukunft: Was ist heute Nachmittag dran, was morgen. Was bringt die Woche? Was muss ich noch organisieren, mit wem werde ich reden müssen, was steht an, wie klappt es mit dem Mittagessen – und so weiter. Man hätte die Gedanken auch hier lassen können. Oh, hinter mir zieht es. Da vorne sind Spinnweben zwischen den Leuchtern. In der Stille höre ich einen Vogel. Vor mir schnieft jemand, der hat Schnupfen. Ulkige Pfarrerin – das hatten wir noch nicht, Experiment in der Kirche. Ich habe auch mal ein Experiment gemacht in der Schule – damals war das nämlich so – schwupp, schon ist man in der Vergangenheit.

(Man könnte eine Umfrage kurz starten:) Bei wem waren die Gedanken überwiegend in der Vergangenheit? Bei wem eher in der Zukunft? Und wer hat sich vor allem mit der Gegenwart beschäftigt? Wahrscheinlich bestätigt die Umfrage die Behauptung, mit der ich in das Experiment hineingegangen bin: Die meiste Zeit beschäftigen unsere Gedanken sich mit der Zukunft. Oder mit der Vergangenheit. Mit den Gedanken ganz in der Gegenwart zu sein, ist selten. In der Gegenwart aber sind wir, wenn wir spielen. Oder wenn wir im Gespräch sind. Oder so vertieft in eine Tätigkeit, dass wir gar nichts um uns herum mitbekommen. Lassen Sie uns mit unserem Experiment im Hinterkopf auf das Predigtwort hören.

(Lesung des Predigttextes)

Sieben mal Zwölf Schüler, 72 Jünger, hatte Jesus – so erzählt es Lukas zu Beginn des 10. Kapitels – eingesetzt, um die Nähe des Reiches Gottes zu verkünden. Sie waren zurückgekommen mit guten Erfahrungen. Nicht einmal böse Geister, Dämonen, hatten ihnen etwas entgegensetzen können. Im Reich, im Machtbereich Gottes haben die Dämonen keine todbringende Macht mehr. Voll Freude wendet Jesus sich im Gebet an den Vater. Im Evangelium schließt sich jetzt an ein Gespräch unter Schriftgelehrten: Jesus und noch einer. Wie ist das mit dem ewigen Leben? Antwort: Gott lieben und den Nächsten! Und Jesus erzählt die Geschichte vom barmherzigen Samariter. Der barmherzig handelt an einem, der ihm ganz fernsteht. Der ihn sich aber jetzt, wo es ums Leben und vielleicht um den Tod geht, ihn sich jetzt diesen fernstehenden zum Nächsten nimmt. Und ihm hilft.

Das ist Jesu Antwort auf die Frage, wer das ewige Leben erbt. Es ist auch eine Antwort, wo sich Reich Gottes ereignet. Genau dort, wo der Samariter eingreift. In der Hilfe zum Leben. Und dann – so geht das Kapitel weiter – kommen Jesus und Schüler in ein Dorf. Die Marta nimmt sie auf. Sie macht sich zu schaffen, um ihnen den Tisch zu bereiten. Im einem Zeitalter ohne Kühlschrank vermutlich eine etwas aufwendigere Sache. Hat sie Hühner oder ein Schaf geschlachtet? Hat sie Brot gebacken? Hat sie Wasser aus einem Brunnen herangeholt? Hat sie einen Schlauch mit Wein besorgt? Hat sie Früchte gepflückt? Sie steht mehr als einem Dutzend Leute gegenüber und macht sich zu schaffen. Man kann sich ihre Gedanken gut vorstellen. Wie kann ich relativ schnell etwas auf den Tisch bringen. Was muss ich besorgen? Wer könnte mir helfen, dass alles klappt? Wer würde nicht die Fantasie entwickeln, wie schön es wäre, wenn man dann am Ende in einer guten Runde zusammensitzt und sich austauschen kann. Dann, dann, wenn alles gerichtet ist!

Was machen inzwischen die Gäste? Sie warten, sie ruhen sich schon mal aus, vielleicht versinken einige in ein Schläfchen. Sie können sich auf ein Essen freuen. Jesus selbst spricht offenbar bereits wieder, erzählt, verkündet, predigt, bedenkt im Gespräch die Schrift, er lehrt, unterrichtet, ist in seinem Element. Vielleicht geht es noch einmal um das Reich Gottes, um Gottes Gegenwart, um Ewiges Leben; vielleicht spricht er noch mal über den Zusammenhang von Schrift und Leben, von Lehre und Tun. Maria, Martas Schwester setzt sich zu Jesu Füßen und hört seiner Rede zu, heißt es im Evangelium. Jesus spricht, und Maria wird Schülerin, Jüngerin, nimmt die Position einer solchen ein. Zu jemandes Füßen sitzen bedeutet lernen. Zuhören. Sich auseinandersetzen mit dem Gedankengut eines Lehrers. Bis heute sitzen wir bei der Predigt.

Maria scheint ganz vertieft zu sein, konzentriert. Die Welt ist ausgeschlossen. Jesus redet. Und sie hört zu. Es ereignet sich etwas wie die Gegenwart des Reiches Gottes. Ein gutes Teil, sagt Jesus später dazu. Eine gute Wahl. Anscheinend unterbricht Marta den Vortrag Jesu. Die Schwester hilft ihr nicht! Lässt sie allein! Jesus soll Maria beauftragen! Wenn er schon Autorität als Lehrer hat, dann auch Autorität an der Seite von Marta. Maria soll helfen, um später den Tisch herrichten zu können, um später am Tisch zu dienen. Ihnen allen. Und Jesus? Er patzt Marta nicht etwa an: „Unterbrich mich nicht!“. Er nimmt wahr, was sie tut. „Du hast viel Sorge und Mühe“.

Jesus sieht Martas Arbeit. Und zugleich schützt Jesus den Moment. Er schützt Marias Lernen. Jesus schützt Marias Konzentration, wie eine gute Mutter das Spiel ihres Kindes manchmal schützt; ihre eigenen Belange vielleicht doch noch mal eine Viertelstunde aufschiebt. Jesus schützt die Gegenwart vor den Nöten der Zukunft, vor den Sorgen um das Essen, um die Bequemlichkeit, die Konvention. Jesus schützt die Gemeinschaft unter dem Wort, er schützt das Reich Gottes. Jetzt ist es da. Ich glaube, die Anordnung der Geschichten im Evangelium ist kein Zufall. Gerade Lukas geht es darum, die Tat, das Handeln nicht auszuspielen etwa gegen die Verkündigung.

Der Samariter in Jesu Gleichnis erfüllt exakt das Anliegen der Schrift, des Wortes Gottes. In seinem Handeln. Und zugleich ist zu bestimmten Zeiten genau anderes dran: das Tun zu unterbrechen. Das europäische Mönchtum hat sich darum auf der Spur des großen Benedikt die Tagzeitgebete gegeben: die Unterbrechung der Arbeit durch das regelmäßige Gebet. Sorge und Mühe sind wichtig. Und zugleich ist dem Gebet zu seinen Zeiten nichts vorzuziehen. Gebet spielt wie jedes Gespräch ganz in der Gegenwart. Meistens, das hat unser Experiment gezeigt, bewegen unsere Gedanken sich im Vergangenen oder in der Zukunft. Die Begegnung mit dem Reich Gottes findet jetzt statt. Immer wieder neu. Dazu lädt Jesus ein: Maria und Marta. Uns alle.

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Ein Kommentar zu “” Eins aber ist not …”

  1. Pastor i.R. Heinz Rußmann

    Sehr originell beginnt die Predigerin ihre Predigt mit der Aufforderung, minutenlang still zu sein . Originell ist auch, dass Jesus nicht allein mit den beiden Frauen im Haus ist, ( wie meistens gepredigt wird ) sondern wohl seine zwölf Jünger mit ins Haus genommen hat. Daher besonders das Problem der Versorgung. Jesus spricht intensiv mit Maria, die von ihm lernen will. Jesus fördert die Synthese von aktivem und medittiven Leben der Christen. Beides ist nötig. Arbeiten, essen, aber auch der Aufschwung der Seele zu Gott durch die Nähe Jesu. -Eine lebendige und überzeugende Predigt ! Sie passt eigentlich gut zur beginnnden Fastenzeit. Wir sollten uns nur die nötige Zeit nehmen, den Alltag etwas zu bearbeiten, aber jetzt das Gebet zu Gott und das Gespräch mit Jesus suchen und ihn fragen: was würdest du an meiner stelle tun ?

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