” … als sprächen sie alle eine gemeinsame Sprache”

Pfingsten - einende Geistkraft

Predigttext: 1. Mose / Genesis 11,1-11
Kirche / Ort: Dortmund
Datum: 05.06.2017
Kirchenjahr: Pfingstmontag
Autor/in: Pfarrer Johannes Gerrit Funke

Predigttext: 1. Mose / Gen 11,1-11 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 2017)

Es hatte aber alle Welt einerlei Zunge und Sprache.

Als sie nun von Osten aufbrachen, fanden sie eine Ebene im Lande Schinar und wohnten daselbst. Und sie sprachen untereinander: Wohlauf, lasst uns Ziegel streichen und brennen! - und nahmen Ziegel als Stein und Erdharz als Mörtel und sprachen: Wohlauf, lasst uns eine Stadt und einen Turm bauen, dessen Spitze bis an den Himmel reiche, dass wir uns einen Namen machen; denn wir werden sonst zerstreut über die ganze Erde.

Da fuhr der HERR hernieder, dass er sähe die Stadt und den Turm, die die Menschenkinder bauten. Und der HERR sprach: Siehe, es ist einerlei Volk und einerlei Sprache unter ihnen allen und dies ist der Anfang ihres Tuns; nun wird ihnen nichts mehr verwehrt werden können von allem, was sie sich vorgenommen haben zu tun. Wohlauf, lasst uns herniederfahren und dort ihre Sprache verwirren, dass keiner des andern Sprache verstehe!

So zerstreute sie der HERR von dort über die ganze Erde, dass sie aufhören mussten, die Stadt zu bauen. Daher heißt ihr Name Babel, weil der HERR daselbst verwirrt hat aller Welt Sprache und sie von dort zerstreut hat über die ganze Erde.

Exegetische Skizze

Bei der Übersetzung des Textes fiel mir auf, dass sowohl in der Geschichte vom Turmbau zu Babel als auch in der von Israel in Ägypten jeweils zwei Termini vorkommen, die im AT eher rar sind. Es handelt sich um die Nomina „Ziegel“ (hebr.: lvanah) und „(Lehm-)Mörtel“ (hebr.: chomär). Ersteres findet sich in Ex 1, 14; 5, 7f.16f.18f; letzteres in Ex 1, 14. Hinzu kommt ein analog konstruiertes Syntagma in Gen 11, 4, bzw. Ex 1, 10. Es beginnt mit der Aufforderungspartikel „Auf! Los!“ (hebr.: hava – man denke an das Lied ´Hava nagilah`); es schließt sich eine verbale Kohortativform der 1. Pers.Plural an; es folgt ein mit „damit…nicht“ (hebr.: pän) eingeleiteter Nebensatz. Schließlich wird in beiden Geschichten von einem Herabsteigen Gottes erzählt, wo sich das Blatt zu wenden beginnt (Gen 11, 5+7; Ex 3, 8).

Aus diesen Beobachtungen ergeben sich die Grundgedanken der Predigt. Es geht um versteckte Schattenwelten hinter den Fassaden imponierender Megaprojekte menschlicher Geschichte. In denen gehen Menschen regelrecht verloren. Wir erleben ähnliche Schattenwelten, die man auch als Folge von Sprachverwirrung und Zerstreuung verstehen kann, wo immer wir in „Kommunikationslöchern“ wie in schwarzen Löchern versinken. Gott vernimmt uns jedoch auch dort.

Die Erzählung vom Turmbau mündet in ein offenes Ende ein – eine unsichere Geschichte beginnt. Doch im Stillen enthält sie schon den Keim der Verheißung, dass Gott Menschen neu aus der Zerstreuung sammeln wird. Auch hier kann uns ein gemeinsamer Sprachgebrauch zum entscheidenden Hinweis werden, wie er in Gen 11, 1-9 hier und der Berufung Abrahams in Gen 12, 1-3 dort vorliegt. Während im Predigttext Menschen das Land finden, in dem sie siedeln wollen, hört Abram, dass er sich auf den Weg in ein Land machen soll, das Gott ihm zeigen wird. Während Menschen sich hier einen Namen machen wollen, heißt es zu Abram: „Ich werde deinen Namen groß machen.“

Das Gedicht „Fragen eines lesenden Arbeiters“ von Bert Brecht findet sich in der Werkausgabe Edition Suhrkamp, Frankfurt/Main 1967 / 1990 – Bd. 9, S. 656f.

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Als Gott die Sprache verwirrte und die Menschen zerstreute, hat er zugleich fürsorglich und rettend für uns alle gehandelt. Er hat uns sein Wort gelassen, welches weiterhin wie mit einerlei  Zunge und Sprache zu uns redet. Gewiss: wir kennen die Bibel in ganz unterschiedlichen Landes- und Muttersprachen. Wir müssen ihre Texte übersetzen. Die Geschichte vom Turmbau zu Babel ist uns z.B. ursprünglich in hebräischer Sprache überliefert. In diesem Gottesdienst hören wir sie in verschiedenen Arten, wie man sie ins Deutsche übersetzen kann. Aber Gottes Wort spricht aus ihr zu uns wie mit einerlei Sprache und Rede. Denn die biblischen Geschichten stehen untereinander in einem jederzeitigen direkten Austausch. Sie sind, auch wenn sie in der Bibel verstreut stehen, in ständiger Korrespondenz miteinander und spielen sich dabei Bälle hinüber und herüber zu wie es ein perfektes Team machen würde. Hören wir einmal, was uns dabei als rettendes Wort aus der Geschichte vom Turmbau zu Babel zu Teil werden kann.

Diese Geschichte erzählt, wie Menschen eine Ebene im Land Sinear finden. Gedacht ist an die weite Ebene im Unterlauf der beiden großen Ströme Euphrat und Tigris. Dort erfinden sie, wie man heute sagen würde, eine neue Technologie, die innovativ ist. Man findet, wie man Ziegel- und Backsteine künstlich herstellen und dazu Erdharz als Ersatz für Lehm-Mörtel einsetzen kann.  „Wir bauen uns eine Stadt“, sagen sie daraufhin.  „Wir wollen Ziegel ziegeln und einen Brand brennen. Und die Ziegel dienten ihnen als Steine; Erdharz ersetzte ihnen den Lehm-Mörtel”. So die Geschichte vom Turmbau zu Babel. Kaum sind diese Worte erklungen, schaltet sich eine andere biblische Geschichte ein. Sie klingt mit an, ähnlich wie es in der Musik zugeht, wenn ein Ton anklingt und sofort lauter Ober- und Untertöne mitschwingen. Diese Geschichte erzählt folgendes: „Israel in Ägypten: Man setzte Sklaventreiber über die Kinder Israel, die sie mit schwerster Arbeit bedrückten. Sie mussten dem Pharao die Städte Pithom und Ramses erbauen. Sie mussten schuften und rackern mit Ziegeln und Lehm-Mörtel.“

Plötzlich taucht mitten in den ersten Planungen für Babels Stadt und Turm eine Schattenwelt auf, die man sonst gar nicht bemerkt. Man könnte auch sagen: indem die biblischen Geschichten mit einerlei Sprache und Rede erzählen, obwohl sie verstreut in der Bibel stehen, lassen sie uns plötzlich wie mit einem zweiten Gesicht wahrnehmen. Wir sehen mit einem Mal, wie an der gleichen Stelle, wo soeben eines der großen Stadtbauprojekte der Weltgeschichte starten soll,  ganze Heerscharen von Sklaven sich quälen und wie sie drangsaliert werden. Wir ahnen ihr Leiden. Wir fühlen das Unrecht, das ihnen angetan wird. Ihr Name wäre sicherlich ganz vom Erdboden gelöscht. Nicht die geringste Spur würde je von ihrem Dasein zeugen. Ihre Anteile am gemeinsamen Werk blieben mit Sicherheit für immer und ewig unterschlagen, würde nicht die biblische Erzählung von Israel in Ägypten sie für uns hier gleichsam einspielen. Doch das tut sie immer deutlicher.

Los! Auf! Wir bauen uns eine Stadt mit einem Turm, dessen Spitze an den Himmel reicht, damit wir nicht zerstreut werden über die ganze Erde.“ Dieser Antrieb reitet die Leute von Babel und stachelt sie zu ihrem Megaprojekt an. „Los! Auf! Wir halten sie klein, sprach der König von Ägypten, damit sie nicht eines Tages mehr werden als wir!“ So tönt es zurück aus der Geschichte von Israel in Ägypten. Man spürt: das ist das brutale Motto jener Schattenwelten, die uns diese biblische Geschichte wie aus dem Nichts einspielt. Denn diese Schattenwelten gehören dazu, auch wenn sie meistens hinter den stolz präsentierten Fassaden verschwinden und ihre Spuren so verwischt werden, dass  nicht einmal emsigste und redlichste Geschichtsforschung sie je auffinden könnte. Bertolt Brecht hat ein Gedicht verfasst, das diese Schattenwelten mitten in unserer Geschichte sehr anschaulich auf den Punkt bringt:

Wer baute das siebentorige Theben?
In den Büchern stehen die Namen von Königen.
Haben die Könige die Felsbrocken herbeigeschleppt?
Und das mehrmals zerstörte Babylon
Wer baute es so viele Male auf? In welchen Häusern
Des goldstrahlenden Lima wohnten die Bauleute?
Wohin gingen an dem Abend, wo die Chinesische Mauer fertig war
Die Maurer? Das große Rom
Ist voll von Triumphbögen. Wer errichtete sie? Über wen
Triumphierten die Cäsaren? Hatte das vielbesungene Byzanz
Nur Paläste für seine Bewohner? Selbst in dem sagenhaften Atlantis
Brüllten in der Nacht, wo das Meer es verschlang
Die Ersaufenden nach ihren Sklaven.

Der junge Alexander eroberte Indien.
Er allein?
Cäsar schlug die Gallier.
Hatte er nicht wenigstens einen Koch bei sich?
Philipp von Spanien weinte, als seine Flotte
Untergegangen war. Weinte sonst niemand?
Friedrich der Zweite siegte im Siebenjährigen Krieg. Wer
Siegte außer ihm?

Jede Seite ein Sieg.
Wer kochte den Siegesschmaus?
Alle zehn Jahre ein großer Mann.
Wer bezahlte die Spesen?

So viele Berichte.
So viele Fragen.

Wir kennen ähnliche Schattenwelten wahrscheinlich auch auf ganz persönliche Weise. Es gibt Momente wohl im Leben eines jeden Menschen, in denen man auf eine unbeschreibliche Weise für sich bleibt. Man kann darin schier alle Hoffnung verlieren, sie je mit anderen teilen zu können. Was einen zutiefst quält, plagt oder verletzt – wer könnte das je wirklich ganz verstehen? Wer interessiert sich überhaupt dafür? Wer nimmt davon Notiz? Und selbst wenn sich jemand dafür interessiert, haben wir dann die Worte, um es wirklich so auszudrücken, wie es uns quält oder auf der Seele liegt?

Solche Schattenwelten haben etwas von dem, was man in der Astrophysik schwarze Löcher genannt hat. Schwarze Löcher fangen im Universum alle Materie ein, die in ihre Reichweite gelangt und verdichten sie zu einer Masse, aus der nicht einmal mehr das Licht herausdringen kann.  Ich möchte sie jetzt symbolisch nehmen.  Manches, was in uns und unter uns lebt, wird wie aufgesogen von einer Nacht, aus der heraus nichts mehr dringt – kein Licht, kein Ruf, kein Lebenszeichen, keine Erinnerung. Es ist, als wäre es wie gefangen in einem schwarzen Loch und für immer verloren darin. Wird es wirklich so sein – auf immer und ewig?

Die biblischen Geschichten, in denen Gott in seinem Wort wie mit einerlei Sprache und Rede zu uns spricht, lassen uns aufatmen und schenken uns eine gewaltige neue Hoffnung. Wo die eine gerade begonnen hat, zu berichten, wie Gott das babylonische Megaprojekt auf seine Maße zurechtstutzt, da schickt sich die andere auch schon an, zu erzählen, wie Gott eine rettende Geschichte von Grund auf neu startet. „Gott stieg herab, um die Stadt und den Turm zu besehen, die die Menschenkinder bauten.“ So klingt es hier. Doch schon hallt es von der anderen Seite zu uns herüber, was Gott zu Mose sagen wird: „Ich habe das Elend meines Volkes in Ägypten gesehen. Ihr Schreien über ihre Drangsal habe ich gehört und ihre Leiden bemerkt. Ich bin herabgestiegen, um sie zu retten.“

Gottes Ohren können auch schwärzeste schwarze Löcher nicht vorenthalten, was Menschen je in aussichtsloser Verlorenheit geschrien und gerufen haben. Nicht einmal die Ansätze solchen Schreien und Rufens, die gleichsam noch wie in unserer Seele erstickt und geknebelt bleiben mögen, weil unsere Mittel nicht reichten, um sie nach außen zu bringen – nicht einmal sie bleiben ihm verborgen. Er vernimmt sie wie man eine deutliche Stimme vernimmt. Ihm entgeht nicht, was in den am besten verborgenen und geheim gehaltenen Winkeln der Menschengeschichte je gelitten und ertragen wurde. Für ihn gibt es keine schwarzen Löcher, in denen einfach verschwindet, was er zum Leben berufen hat. Er nennt die „mein Volk“, die für ein solches Verschwinden schon sichere Kandidaten waren. Er geht ihnen nach, als wäre ihr Geschick ein Stück von ihm selber. So sammelt uns Gottes Wort aus aller Zerstreuung. Es sammelt uns persönlich aus unseren inneren Zerstreuungen. Wir können durch es zu uns selber zurückfinden und die werden, die Gott in uns sieht. Gott sammelt sich mithilfe seines Wortes auch eine neue Gemeinde aus allen Zeiten und Räumen.

Die Geschichte vom Turmbau zu Babel leitet zuletzt wie von selber über zu einer neuen Verheißung. Zwar scheint es, dass die Menschen am Ende der Erzählung vom Turmbau zu Babel von Gott in eine offene und unsichere Geschichte der Zerstreuung hinein entlassen werden. Doch wie verborgen wartet in ihr bereits eine Verheißung darauf, zu uns zu sprechen – in der einerlei Sprache und Rede von Gottes Wort. Ihre Losung lässt uns ahnen, aus welcher Zerstreuung heraus das geschehen wird. Wo Menschen, wie es in der Geschichte vom Turmbau eingangs heißt, aufbrachen und ein Land finden, in dem sie sich niederlassen, da sagt Gottes Verheißung nur kurze Zeit später zu Abraham: „Zieh heraus aus deinem angestammten Hause und geh in ein Land, das ich dir zeigen werde.“  In Babel wollen die Leute sich selber einen Namen machen. In der Geschichte der Verheißung wird für diesen von Gott gesorgt werden: „Ich will dir einen großen Namen und dich segnen“, heißt es in ihr. Dieser Weg hat später zu dem denkwürdigen Tag geführt, an den uns die Pfingstgeschichte erinnert. Da haben Menschen erlebt, wie Gottes Geist sie einander auf wunderbare Weise zu verstehen half – so als sprächen sie alle eine gemeinsame Sprache. Da war für einen Moment  abgetan, was sie sonst einander entfremdet.

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