“Was würde Jesus tun?”

Das Wichtigste ist, die Hoffnung um Gottes Willen nie aufzugeben

Predigttext: Jesaja 29,17-24
Kirche / Ort: St. Thomas-Kirche / Lübeck
Datum: 03.09.2017
Kirchenjahr: 12. Sonntag nach Trinitatis
Autor/in: Pastor i.R. Heinz Rußmann, Kommentator beim Heidelberger Predigt-Forum

Predigttext: Jesaja 29,17-24 (Übersetzung nach Martin Luther)

Die große Wandlung

Wohlan, es ist noch eine kleine Weile, so soll der Libanon fruchtbares Land werden, und was jetzt fruchtbares Land ist, soll wie ein Wald werden. Zu der Zeit werden die Tauben hören die Worte des Buches, und die Augen der Blinden werden aus Dunkel und Finsternis sehen; und die Elenden werden wieder Freude haben am HERRN, und die Ärmsten unter den Menschen werden fröhlich sein in dem Heiligen Israels. Denn es wird ein Ende haben mit den Tyrannen und mit den Spöttern aus sein, und es werden vertilgt werden alle, die darauf aus sind, Unheil anzurichten, welche die Leute schuldig sprechen vor Gericht und stellen dem nach, der sie zurechtweist im Tor, und beugen durch Lügen das Recht des Unschuldigen. Darum spricht der HERR, der Abraham erlöst hat, zum Hause Jakob:Jakob soll nicht mehr beschämt dastehen, und sein Antlitz soll nicht mehr erblassen. Denn wenn sie sehen werden die Werke meiner Hände – seine Kinder – in ihrer Mitte, werden sie meinen Namen heiligen; sie werden den Heiligen Jakobs heiligen und den Gott Israels fürchten. Und die, welche irren in ihrem Geist, werden Verstand annehmen, und die, welche murren, werden sich belehren lassen.

Überlegungen zur Exegese von Jesaja 29,17-24 und zur Predigt

Der Kerngedanke meiner Auslegung und Predigt ist, dass der Predigttext zwar im Buch des Propheten Jesaja Kapitel 1 bis 39 steht , aber verfasst wurde vom Propheten Deuterojesaja, dem Verfasser der Kapitel 40 bis 55. Beide Propheten sind getrennt durch zwei Jahrhunderte und geistige Welten. Der erste Jesaja lebte um 730 vor Christi Geburt und war ein Gerichtsprophet. Deutero - Jesaja dagegen war ein Heilsprophet, der den nach Babylon deportierten Israeliten das Heil und die Rückkehr nach Jerusalem angekündigt hat, die auch tatsächlich erfolgte. Er wirkte vermutlich von 547 bis 538 v. Chr. und verbreitete obige Hoffnung, die im Wesentlichen verwirklicht wurde. Der Predigttext passt nur zur Heilsbotschaft von Deutero-Jesaja.

Wer sich als Christ intensiv und fasziniert mit Deutero -Jesaja beschäftigt, sieht manche Parallelen zu Jesus. Beide gingen durch eine große Stadt, durch Babylon bzw. Jerusalem und predigten überall Trost und Heil und eine große Hoffnung. Vermutlich erlitt Deutero-Jesaja dabei die Feindschaft der Babylonier und den Märtyrer-Tod (Jesaja 53). Seine Worte haben große Nähe zu Jesu Botschaft und seinem Wirken. Ich möchte vermuten, dass Jesus Christus selbst durch Deuterojesaja und dessen Hoffnungs-Predigt und Sühnetod in seiner Verkündigung und seinem Handeln beeinflusst wurde. Das alles erleichtert es sehr, den alttestamentlichen Text heute zu predigen als frohe Botschaft und Vorläufer des Evangeliums.

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Wenn man die ganze umfangreiche Bibel heute mit dem Alten und Neuen Testament auf dreißig Kapitel reduzieren müsste, dann sollte ein Kapitel von “Deuterojesaja” dabei sein. Das hat der bekannte katholische Theologe und für mich großartige moderne Bibelausleger Eugen Drewermann zu Recht gesagt. Deuterojesaja heißt „der zweite Jesaja“ , und der Einfachheit halber will ich ihn in der Predigt “Deutero” nennen. Deutero ist aktuell, weil seine Worte großes Gottvertrauen und Hoffnung verbreiten, auch für uns in unserer verwirrenden Zeit. Verödete und durch Klima-Erwärmung zerstörte Länder sollen wieder fruchtbares Land werden. Die Elenden und Ärmsten werden wieder fröhlich sein und sich an Gott freuen. Menschen werden das Buch mit Gottes Wort wieder hören und verstehen. Tyrannen an der Regierung, Spötter, Unheilstifter und ungerechte Richter wird es nicht mehr geben. Die Menschen werden endlich Verstand annehmen und an Gott glauben und ihre Nächsten lieben. Alle Sünden sind vergeben. Das alles hat der Prophet verkündigt, und es ist zum Teil eingetreten mit der Rückkehr nach Jerusalem und neuer Freiheit der Juden in ihrer Heimat. Es ist eine Vision auch für unsere Zeit. Wie konnte es dazu kommen?

Der Prophet lebte in Babylon als ein Mitglied des Volkes Israel, welches dorthin verschleppt worden war. Wirtschaftlich ging es ihnen nicht sehr schlecht. Aber sie lebten dort quasi als Sklaven, fern der Heimat und von ihrem Tempel in Jerusalem. Sie hatten starkes Heimweh. Der Prophet war nicht nur mit Gott und dessen Plänen sehr verbunden, sondern hatte auch großen politischen Überblick. Er hörte davon, dass am Horizont der Zeitgeschichte im Norden die Perser mit ihrer Streitmacht unter Kyros auftauchten. Die Perser glaubten nicht an viele schreckliche Götter wie die Babylonier, sondern an den einen Gott und Schöpfer. Die Perser waren also den Juden viel näher im Glauben als die Babylonier. Sicher würden sie die Juden befreien von den Babyloniern. Also verkündete Deutero, dass ein Retter kommen wird, und die Juden mit Gottes Hilfe gewiss befreien wird. So gewiss wie das von den Propheten angekündigte Unheil über Israel gekommen war als Strafe mit der Verschleppung nach Babylon, so gewiss wird auch das von Deutero angekündigte Heil und die Rückkehr nach Jerusalem geschehen.

Seine Botschaft war: „Tröstet , tröstet mein Volk !, spricht euer Gott. … Predigt ihr, dass ihre Knechtschaft ein Ende hat.!“ (Jes 40,1 f.) Diese Botschaft hat Deutero in den jüdischen Gottesdiensten verkündigt. Damit ist der Prophet auch als Wanderprediger durch die Stadt gezogen und hat mit wunderbaren Trostworten die Israeliten ermutigt, an die neue Freiheit und Heimat zu glauben. Einige der schönsten Taufsprüche und Konfirmations-Sprüche stammen von Deutero wie „Fürchte Dich nicht, spricht dein Gott, ich habe Dich erlöst, ich habe Dich bei Deinem Namen gerufen, Du bist mein !“ Seine Worte trösten auch uns auch heute, wenn wir die Kapitel 40 bis 55 des Jesajabuches lesen. Durch diese Botschaft des Propheten hielten die Juden durch, bewahrten sie die Hoffnung und und kamen wieder nach Haus, nach Jerusalem. Allerdings machte Deutero sich ähnlich wie Jesus (z. B. bei den Pharisäern) auch Feinde bei den Babyloniern, deren Niederlage Deutero ankündigte und nicht feige verschwieg. Deswegen opferte er sich auf und nahm in Kauf, dass er starb für die Hoffnung der jüdischen Gläubigen in Babylon. Der Knecht Gottes wurde er genannt.

Ähnlich wie Jesus ist Deutero unermüdlich zu den Menschen gewandert als eine Lichtgestalt von Gott und hat ihnen vom Kommen des Reiches Gottes gepredigt. Ja, ich glaube, dass Jesus selbst zum Teil Deutero als ein Vorbild hatte. Auch sein Tod am Kreuz für unsere Sünden hat Deutero unserem Jesus schon vorgelebt und hat sich geopfert. Als Christen sollen wir Jesus nachfolgen und auch wie Deutero für Gott uns einsetzen. Leidende und Angeschlagene sollen wir trösten, Mut machen, Hoffnung bringen. Gerade den Bettlern und Mühseligen und Beladenen sollten wir uns zuwenden. Eine sehr überzeugende Initiative unter Christen ist heute die “Was würde Jesus tun ?“ – Bewegung aus Nordamerika.

Unsere Lebenssituation und unsere Möglichkeiten sind sehr unterschiedlich. Aber immer haben wir Gelegenheiten, etwas im Sinne Jesu zu verbessern. Immer und überall können wir danach fragen, bevor wir weitergehen: Was würde Jesus an meiner Stelle tun? Das Wichtigste ist, die Hoffnung um Gottes Willen nie aufzugeben. Vor zwanzig Jahren musste ich direkt vor einer lebensgefährlichen Operation unterschreiben, dass sie mit eins zu acht Wahrscheinlichkeit tödlich enden kann. Ich betete: „Lieber Gott, ganz gleich, was geschieht, ich gehöre zu Dir. Amen“. Das predigte Deutero, und das schenkt uns Jesus, der bei uns ist alle Tage bis an der Welt Ende. Ein großes Vertrauen auf Gott überfiel mich nach dem Gebet. So möge Gott auch Dich stets begleiten – alle Tage bis an der Welt Ende.

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Ein Kommentar zu ““Was würde Jesus tun?”

  1. Pastor i.R. H.D. Krüger

    Eine Predigt, die Mut macht und das Gottvetrauen stärkt. Der Glaubensbogen wird gespannt von Deuterojesaja über den irdischen Jesus bis zum gegenwärtigen Christus. Sehr schön hat der Prediger die bekannte und zu Recht beliebte “Kernstelle” aufgenommen: “Fürchte Dich nicht, spricht Dein Gott, ich habe Dich erlöst, ich habe Dich bei Deinem Namen gerufen, Du bist mein!” Gut gefallen mir auch, wie die Verbindung zwischen dem Propheten und Jesus beschrieben wird. Diese christologische Interpretation findet man selten und gehört zu den besonderen Vorzügen dieser beeindruckenden Predigt.” Pastor i.R. Hans-Dieter Krüger

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