“Christ ist geboren …”

Weihnachten - ein Fest für alle Sinne

Predigttext: Jesaja 9,1-6
Kirche / Ort: Hamburg
Datum: 24.12.2017
Kirchenjahr: Christvesper
Autor/in: Pastor Christoph Kühne

Predigttexte: Jesaja 9,1 -6 (Übersetzung nach Martin Luther)

Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell.
2 Du weckst lauten Jubel, du machst groß die Freude. Vor dir wird man sich freuen, wie man sich freut in der Ernte, wie man fröhlich ist, wenn man Beute austeilt.
3 Denn du hast ihr drückendes Joch, die Jochstange auf ihrer Schulter und den Stecken ihres Treibers zerbrochen wie am Tage Midians.
4 Denn jeder Stiefel, der mit Gedröhn dahergeht, und jeder Mantel, durch Blut geschleift, wird verbrannt und vom Feuer verzehrt.
5 Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter; und er heißt Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst;
6 auf daß seine Herrschaft groß werde und des Friedens kein Ende auf dem Thron Davids und in seinem Königreich, daß er's stärke und stütze durch, Recht und Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit. Solches wird tun der Eifer des HERRN Zebaoth.

(Eigene Übersetzung Christoph Kühne)

Das Volk, Wandernde in Dunkelheit - sie sahen ein großes Licht. Bewohner eines finsteren Landes - ein Licht glänzte über ihnen. Vermehrt hast du das Volk, vergrößert ihm die Freude: Sie freuten sich vor dir wie beim Freudenfest am Erntetag, wie man jauchzt beim Verteilen der Beute. Denn das Joch seiner Last und die Geissel seiner Schultern, den Stock seines Treibers hast du zerschmettert wie am Midjan-Tag. Denn jeder Stiefel, der mit Gedröhn marschiert und jeder Mantel, mit Blut verschmiert - er wird zum Brand, zum Fraß des Feuers. Denn ein Königskind wurde uns geboren, ein Sohn uns gegeben, und die Herrschaft ruht auf seinen Schultern. Und man nennt seinen Namen: „der Ungewöhnliches rät“, „Gott ist stark“, „Vater der Beute“, „Friedensfürst“ - zur Mehrung der Herrschaft und zum Frieden ohne Ende auf Davids Thron und auf seinem Königreich, um dieses zu festigen und zu stützen mit Recht und Gerechtigkeitvon jetzt an bis in Ewigkeit. Der Feuereifer des HERRN der Heerscharen wird dies bewirken!

Gedanken beim ersten Lesen des Predigttextes

Immer öfters habe ich den Eindruck, dass wir Menschen „im Finstern wandeln“. Die Regierungsbildung in unserem Land war schwieriger als gedacht, die Zustände in Südafrika, wo wir kürzlich unsere Ferien verbracht haben, die vielen Menschen in der Welt, „die da wohnen im finstern Lande“ - all das lässt mich verzweifeln. Und dann das plötzliche Licht. Ein Jubel. Große Freude. Wie am ersten Tage der Schöpfung! Und die Ankündigung, dass ein Kind geboren sei. Mit unglaublichen Namen. Und dieses Kind sei trotz alledem auf die Welt gekommen. Vielleicht in einem der vielen Townships, die wir noch vor ein paar Tagen gesehen haben. Und Gott selber hätte sich für diese Geburt eingesetzt! Ich lese diesen Text voller Erstaunen.

Lieder

 44 "O du fröhliche" (EG 44)
"Freuet euch ihr Christen alle" (EG 34)
"Jesus ist kommen" (EG 66)
"Freu dich Erd und Himmelszelt" (EG 47)

Literatur: Roland Gradwohl, Bibelauslegungen aus jüdischen Quellen Bd1.

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Wie schön, dass wir an diesem Weihnachtstag hier versammelt sind! Es liegt doch immer noch ein großes Geheimnis über diesem Fest. Und das trotz aller Schmähungen, Ironien, Karikaturen. Vielleicht geht es Ihnen wie mir, dass ich so schnell gar nicht sagen kann ,was mich in diesen Gottesdienst gezogen hat. Aber ich bin froh, hier zu sein! Und vielleicht erwarte ich doch eine Antwort auf die Konfirmandenfrage: Was bedeutet eigentlich Weihnachten? Was ist das Besondere, das „Alleinstellungsmerkmal“ dieses Ereignisses?

Gut, jeder weiß, dass am heutigen Tag Jesus geboren wurde. Auch die Geschichten um die Krippe sind noch bekannt. Ochs und Esel haben sich neben Maria und Joseph aufgestellt. Viele weitere Geschichten und Legenden ranken sich um Weihnachten und sind auf den Weihnachtsmärkten zu sehen, zu schmecken, zu riechen und zu hören gewesen. Ein Fest für alle Sinne! In der Bibel wird die Frage nach der Bedeutung von Weihnachten ebenfalls mit verschiedenen Texten beantwortet. Neben den bekannten Geschichten der Evangelisten Matthäus und Lukas soll nun heute ein Text zur Sprache kommen, der gute 750 Jahre vor Bethlehem entstanden ist. Die Kirche meint seit jeher, dass diese Worte eines alttestamentlichen Propheten die Frage nach der Bedeutung von Weihnachten gut beantworten könnten. Aber hören Sie selbst den Text aus Jesaja 9,1-6.

(Lesung des Predigttextes)

Es klingt wie ein Lied – diese Worte des Propheten Jesaja. Und einige von Ihnen werden dieses große Lied kennen. Mit seinen starken Bildern – schon zu Beginn, wo es fast um eine Schöpfung der Welt geht. Da ist Finsternis, Dunkelheit. Da ist Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung. Da ist Tohuwabohu, Wüste und Leere in der Welt, in den Menschen, in den Herzen. Und dann plötzlich: licht! Kein allmählich nahender Tag, wie jetzt in dieser Winterzeit sondern, als ob jemand das Licht anknipst. Und die Nacht ist vorbei, die Dunkelheit besiegt, die trüben Gedanken weggeblasen.

Das ist das Bedürfnis von depressiven Menschen, dass mit einem Mal wieder licht um sie sei. Und wer von uns kennt dies Gefühl nicht, sich immer tiefer verstrickt zu haben in dunkle Gedankengänge, aus denen man mit eigener Kraft nicht mehr herauskommt? „Seelenfinsternis“ beschreibt ein Psychoanalytiker die eigene Depression. Jesaja zeigt das Bild eines ganzen Volkes, das in der Seelenfinsternis sass und die Erfahrung machte, dass es schlagartig licht wurde. Und dieses Licht kam von außen, von einem Du, von dem Anderen, von Gott. Kann man sich wirklich selber aus einer Depression herausarbeiten? Jesaja: Du, Gott, hast dem Volk die Freude gegeben und „vergrößert“, vermehrt.

Was ist Weihnachten eigentlich? Das Erlebnis, dass Freude wie ein Licht angeht, sich ausbreitet, Hoffnung weckt. Der Evangelist Lukas wird diese Freude zum Grundthema seines Evangeliums machen. Und dabei ist die Geburt Jesu die „Initialzündung“, wie ein Blitz, wie das Licht eines Bewegungsmelders. Jesaja beschreibt diese Freude, „die allem Volke widerfahren wird“ wie Freude und Spaß der Menschen auf dem Oktoberfest. Und er legt sogar noch einen drauf: Die Leute freuen sich ausgelassen wie bei der Verteilung der Beute nach einem Feldzug. „Wir sind noch mal davongekommen!“ jauchzen sie und spüren, dass sie noch leben. Weihnachten mit einer urigen Freude. Mit Essen und Trinken, Glühwein und einer fetten Gans! Mit Geschenken und Verbrüderungen!

Doch wie ist es zu dem plötzlichen Licht, zu dieser ausrufernden Freude gekommen? Vielleicht finden wir noch eine Antwort auf unsere Konfirmandenfrage!? Unser Prophet nennt drei Gründe für diese Weihnachtsfreude: “Das Joch seiner Last und die Geissel seines Nackens, den Stock seines Treibers hast du zerschmettert wie am Midjan-Tag”.

Ich bin genauso schockiert wie Sie über das Ereignis, das hinter diesem Vers steht. Der Midjan-Tag erinnert an einen merkwürdigen Sieg des Richters Gideon über die Midianiter. Im alttestamtlichen Richterbuch (Kap. 7) wird erzählt, wie sich der Häuptling (oder auch Richter) Gideon einer Übermacht von Feinden gegenübersieht. Was soll er tun? Gott sagt zu Gideon, er solle seine Streitmacht reduzieren. Da es immer noch zu viele sind, führt Gideon seine Soldaten an ein Wasser. Sie sollen trinken. Und wer das Wasser wie ein Hund leckt (!), der gehört zu den 300 Auserwählten, die gegen die Feinde kämpfen dürfen: Sie bekommen jeder eine Posaune und einen Tonkrug mit Fackel in die Hände. Auf ein Zeichen hin zerschlagen die Männer die Krüge und blasen die Posaune – worauf hin ein heilloses Getümmel unter den Midianitern anfängt und sich jeder gegen jeden richtet und schließlich die Flucht antreten – während die Israeliten einfach nur stehenbleiben. Eine Jericho-Episode, die vielleicht kabarettistisch aufgeführt wurde und bei der die Zuschauer schallend gelacht haben …

Der 2. Grund für die Freude der Verzweifelten: “Jeder Stiefel, der mit Gedröhn marschiert und jeder Mantel, mit Blut verschmiert – er wird zum Brand, zum Fraß des Feuers”. Gewalt führt zu Gewalt. Die Gewaltspirale endet im Chaos. „Die Stiefel und blutverschmierten Gewänder sind kaum mehr verwendbar und sollen wohl auch als Zeichen der verhassten Fremdherrschaft nicht mehr verwendet werden. Deshalb wirft sie das siegreiche Israel ins Feuer“ schreibt ein jüdischer Exeget zu unserer Stelle (S. 147). Also gehts um einen Neuanfang nach der Krise. Kein Nachhängen an morbiden Gedanken, sondern – Freude über ein neues Leben, über eine neue Schöpfung, über eine Zeit des Friedens.

Doch der 3. Grund ist der eigentliche und weihnachtliche Grund der Freude des Volkes: “Ein Königskind wurde uns geboren, ein Sohn uns gegeben, und die Herrschaft ruht auf seinem Nacken”. Hier ist es nun: das Christkind, dessen Geburt in hoffnungslosen und finsteren Zeiten Freude ansagt. Lukas: „Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volke widerfahren wird. Denn euch ist heute der Heiland geboren …!“ Und dieses Kind trägt die Königswürde auf seinen Schultern, seinem Nacken. Das Joch auf dem Nacken, die Geissel des Treibers, ist zerbrochen. „Mit diesem Kind ist die Wende angebrochen, und dieses Kind wird dafür sogen, dass der Krieg nicht wiederkehrt.

Wie einst das Joch auf des Volkes „Schulter“ lastete, so lastet jetzt die Herrschaft auf seinen Schultern (S. 148)“. So jener jüdische Exeget. Und dies ist ein „Grund ewiger Freude“! Doch dies ist erst einmal nur eine Geburtsanzeige und eine Geburtsbestätigung. Der Kronprinz ist geboren. Aber wer ist der (königliche) Vater? Jesaja: Uns ist das Kind geboren. Uns, den Leuten, die wir hier versammelt sind. Der Sohn Gottes ist unser Kind, durch das das Neue unter uns angebrochen ist. Durch das es unter uns licht geworden ist. Durch das die Finsternis ein für allemal beseitigt und getilgt ist. „Welt ging verloren, Christ ist geboren. Freue dich, freue ich, o Christenheit!“

Natürlich trägt das Kind die besten Namen: „der Ungewöhnliches rät“, „Gott ist stark“, „Vater der Beute“, „Friedensfürst“. Für unsere Ohren klingt vielleicht „Vater der Beute“ etwas merkwürdig. Aber wenn wir uns in frühere Zeiten der Verteilung von Beute zurückversetzen, dann können wir vielleicht etwas von jener Freude nachempfinden. Das AT ist eben auch sehr archaisch in seiner Sprache, seinen Vorstellungen. Die Namen des Kindes wollen Sicherheit geben und Zuversicht. Und manchmal bringt uns auch etwas Unerwartetes oder Ungewöhnliches zum Lachen – wie ein Kind, dass etwas sagt, womit wir nicht gerechnet haben.

Finden wir noch eine Antwort auf unsere Konfirmandenfrage, was eigentlich Weihnachten bedeutet? Vielleicht liegt in Weihnachten auch das Ungewöhnliche, Überraschende, das uns zum Lachen bringt. Vielleicht liegt hier auch der Sinn der Weihnachtsgeschenke, die eine Überraschung sind, die wir auspacken, voller Staunen und Neugierde. Und dann die Freude über das Geschenk: Damit habe ich gar nicht gerechnet! Du hast mir eine große Freude gemacht! Danke!

Und eben dies ist das Geschäft unseres Gottes, dass er das Ungewöhnliche tut, dass er es plötzlich licht sein lässt und dass sich Friede ausbreitet, wo eben noch Finsternis war. Und dass an Weihnachten die Welt neu erstanden ist. Halleluja!

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