Streitschlichten
Wege in der Nachfolge Jesu von Nazareth
Predigttext: 1.Korinther 1,26-31 (Übersetzung nach Martin Luther)
Seht doch, liebe Brüder, auf eure Berufung. Nicht viele Weise nach dem Fleisch, nicht viele Mächtige, nicht viele Angesehene sind berufen. Sondern was töricht ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, damit er die Weisen zuschanden mache; und was schwach ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, damit er zuschanden mache, was stark ist; und das Geringe vor der Welt und das Verachtete hat Gott erwählt, das, was nichts ist, damit er zunichte mache, was etwas ist, damit sich kein Mensch vor Gott rühme. Durch ihn aber seid ihr in Christus Jesus, der uns von Gott gemacht ist zur Weisheit und zur Gerechtigkeit und zur Heiligung und zur Erlösung, damit, wie geschrieben steht (Jeremia 9,22- 23): »Wer sich rühmt, der rühme sich des Herrn! «
Kurze Exegese zum Predigttext
Teil 1
Paulus hatte von Streitigkeiten in Korinth gehört, welche die Gemeinschaft bedrohen. Offenbar geht es um Angeberei und Rechthaberei. Paulus geht auf ein Thema ein, das damals genau so aktuell ist wir heute: das Rühmen durch den Narzissmus . Christen fühlen sich auf verschiedene Weise als besonders gute und gutmütige Menschen und blicken leicht auf Menschen mit anderen Charakter-Schwerpunkten herab. Paulus macht sie daruf aufmerksam, dass jedes Angeben unchristlich ist. Christen sollen doch daran denken, dass die meisten Christen damals in Korinth eher aus den unteren Schichten der Bevölkerung stammen. Erst später stoßen ja auch Gebildete und Wohlhabende zur Kirche. Gott hat wie Jesus eine Vorliebe für die Außenseiter und Schwachen. Christen fühlen sich von Jesus geliebt, weil sie sonst nur schwache Sünder waren. An der Spitze der christlichen Religion steht nicht ein Kaiser , ein großer Wissenschaftler, Kriegsheld oder Gladiator, sondern ein gekreuzigter Heiland, der auch in Armut und in den Finsternissen des Lebens und im Tod bei uns sein kann. Dafür könnten wir allein uns rühmen.
Teil 2
Christen gehören alle zu Christus. Von Gott aus sind die Christen durch Jesus Christus verbunden, durch den auferstandenen, kosmischen Christus. Durch Christus werden wir erstens weise, zweitens gerecht, drittens heilig erlöst und viertens frei und zwar von Gott her.
Überlegungen zur Predigt
Im ersten Teil sollte über das immer aktuelle Thema der Streitigkeiten in der Gemeinde gepredigt werden. Auseinandersetzung, Diskussion und konstruktive Kritik sind unbedingt nötig, aber Feindseligkeit ist tödlich. Es geht dabei häufig ganz menschlich um offene, besonders aber verkappte Angeberei. Wie die moderne Psychologie nach dem bedeutenden Prof. Friedemann Schulz von Thun auch zeigt, hat jeder im inneren Team seiner Seele einen besonderen Charakter-Schwerpunkt, auf den er stolz ist. Paulus hat die vier offenbar schon gekannt. Wir sind 1. stolz auf unsere Weisheit, d.h. Intelligenz. Oder wir sind 2. stolz auf unseren liebevollen, heiligen Lebensstil. Verbreitet sind 3. die gerechten Christen, die auf ihre Korrektheit und Wahrhaftigkeit stolz sind und nie lügen. Oder wir sind 4. stolz auf unsere christliche Selbstbestimmung und Freiheit. Uns macht keiner Vorschriften. Auf alle pingeligen Gesetzeshüter Christen blicken sie herab. Durch Schulz von Thuns vier Pole kann man den nicht besonders prägnanten Paulus-Text heute dem Hörer nahebringen. Auch schon Sören Kierkegaard, Fritz Riemann: Grundformen der Angst und Eugen Drewermann verwenden diese Neurosenlehre. Jeder kann sehen, dass überall im Leben, in Filmen und in der Literatur und Politik die vier Pole herrschen. Überall geraten die vier Pole gegeneinander. In vielen Ehen, Vereinen, Betrieben und Kirchengemeinden herrscht deshalb Krieg.
Im zweiten Teil kann man dann sinnvoll über die Lösung predigen, welche Paulus betont: in Christus verbunden sein und ihm nachfolgen. Motto: Was würde Jesus tun?Denn Jesus verbindet im Fließgleichgewicht alle vier Pole. Zerstrittene Pole können sich nicht weiter polarisieren, auseinandergehen und verfeinden, sondern im gemeinsamen Feld in der Mitte können sich Gegner treffen und versöhnen. Das ist ein wichtiges Thema für die christliche Predigt. Das Großartige und Originelle des Textes ist, dass Paulus offenbar schon die vier Pole entdeckt hat und dass Jesus sie verbindet und versöhnt in der Kirche durch Gott.
Literatur: Prof. Friedemann Schulz von Thun: Miteinander reden Bd. 3. - Prof. Ulrich Wilckens, Das Neue Testament. - Eugen Drewermann: Psychoanalyse und Moraltheologie, Bd. 1, S.122ff.
Streitigkeiten in unserer Gemeinde wird es wohl auch im neuen Jahr geben. Wir sind einfach zu verschieden. Ich erzähle immer angeberisch, dass es in meiner früheren Kirchengemeinde mehr gutmütige Menschen mit Herzensbildung gab als in anderen Vereinen. Aber auch in meiner Gemeinde gab es selten, aber heftig Streitigkeiten über das Beste für die Gemeinde. Über die beste Uhrzeit für den Gottesdienst-Beginn am Sonntag konnte schon ein Streit toben. Dabei sind wir schon beim Predigttext. Der Apostel Paulus hatte von einem Boten erfahren, dass die Christen in der damals bedeutenden christlichen Gemeinde im griechischen Korinth zerstritten waren. Paulus hatte die Gemeinde dort im Jahr 49 n. Chr. aus Juden und Heiden gegründet, und die Gemeinde war zuerst sehr lebendig.
Fragt man nach der Hauptursache der Streitigkeiten, war es nicht so sehr die lebendige Verschiedenheit in der damaligen Weltstadt Korinth. Oder dass ein anderer Missionar mit Namen Apollos Paulus angegriffen hatte mit seiner Lehre. Nein, Paulus beklagt den Hochmut und die Arroganz der Christen in den verschiedenen Gruppen. Jede glaubte das richtige Christentum und den richtigen Glauben zu haben und fühlte sich darin den anderen hoch überlegen. Das Problem ist sehr alt und kehrt immer wieder ein. Damals gab es ja schon vorher den Konflikt von Jesus und Paulus mit den frommen Juden um die strenge Gerechtigkeit durch Gebotsbeachtung und dagegen die christliche Liebe und Vergebung. Gesetz und Evangelium waren später auch der Hauptstreitpunkt von Luther mit dem Katholizismus.
Die moderne Psychologie versucht es heute für uns so zu erklären und zu verstehen: Jeder von uns braucht vier verschiedene Pole, damit unser Leben gelingt: Wir müssen erstens gerecht sein und nicht lügen und betrügen. Wer aber nur gerecht ist, wird zum pingeligen Ordnungshüter und Fanatiker, der allen Menschen knallhart alle Fehler um die Ohren haut. Wir sollen zweitens auch liebevoll und warmherzig sein, damit auch andere Menschen uns mögen und wir nicht vereinsamen. Wenn wir zu liebevoll sind, klammern wir die geliebten Menschen und nehmen ihnen die Freiheit. Wir müssen uns drittens auch von Menschen distanzieren können, um den anderen ihre Selbstständigkeit zu geben und den Überblick zu behalten. Wenn wir aber zu distanziert sind, will keiner mehr mit uns Kühlschränken etwas zu tun haben. Viertens sollten wir frei , selbstbewusst, voller Ideen und lebendig sein und keine geduckten Sklaven.
Das weltweite Problem, welches sogar Kriege und Religionskriege fördert, besteht darin, dass wir alle auf unserem Hauptpol stolz und eingebildet sind. Dadurch können wir andere Menschen mit anderem Schwerpunkt oft überhaupt nicht verstehen und akzeptieren. Der Gerechtigkeits-Fan verachtet den Freiheitstypen als ungerechten Chaoten. Der wiederum verachtet den Gerechten als kleinkarierten Pingel. Der Distanzierte verachtet den Liebetypen, weil der ohne enge Kontakte nicht leben kann. Der Liebetyp verachtet den eiskalt Distanzierten. Alle vier extremen Fehlverhalten sorgen gewöhnlich dafür, dass wir vereinsamen, weil andere uns so einseitig nicht ertragen können.
Die schreckliche Tragödie besteht aber auch darin , dass in der Liebe und Ehe oft die gleichen Typen sich erst verlieben und dann heiraten. Aber dann gibt es leicht zu wenig Neuerungen und neuer Schwung fehlt. Leicht tritt Langweile auf. Oder noch schlimmer: Die gegensetzlichen Typen fliegen verliebt aufeinander zu und klammern einander. Der Partner hat genau das, was mir fehlt. Er wird Ordnung in mein Leben bringen oder Liebe oder Distanz oder Freiheit. Später zerstreiten sie sich dann andauernd wegen Unverständnis des Partners. Die Gegensätze werden immer schärfer und polarisieren sich.
Um solche Konflikte ging es damals auch in der christlichen Gemeinde in Korinth: Welche Lösung empfiehlt Paulus den Christen? Christus hilft , weil er in seinem Leib, in der Kirche und in der Nachfolge uns alle an einen Tisch setzt, das heißt an das gemeinsame Feld zwischen uns. Die Weisheit, Gerechtigkeit, die heilige Liebe und Erlösung mit Freiheit gehören zum Gespräch und zur Auseinandersetzung. So wie die Annäherung und Versöhnung. Wenn ich den Charakterschwerpunkt des Gegners im Blick habe, kann ich ihn besser verstehen und akzeptieren. Ich kann für das Verständnis von meinem Schwerpunkt werben und besser einen versöhnenden Kompromiss mit den Wünschen des anderen aushandeln und Frieden machen. Das gilt für den persönlichen Bereich, für die Gemeinde und überall. Man kann als Bote Jesu manches Verständnisvolle und Verständige vermitteln.
“Du musst doch sehen, dass auch der andere durch sein Leben und seinen Glauben diesen positiven Schwerpunkt hat und gleichzeitig gewisse Schwächen”, kann man sagen. Das kann auch Auswirkungen haben im großen Rahmen zwischen Religionen und Kirchen. Als Nachklang des Luther-Jahr kann man sich erinnern, dass Martin Luther genau die Pole Gesetz und Evangelium im Blick hatte. Luther hatte damals entdeckt, dass die Katholiken den Gerechtigkeits- und Gebotscharakte des Glaubens zu stark in den Vordergrund stellten und die Gnade vernachlässigten. Dadurch entfernten sie sich von Jesus und wurden strenge Fanatiker. Das drehte Luther um. Katholiken entsprachen mit anderen Worten dem gerechten Lebensstil der Ordnungstypen. Luther entdeckte durch Paulus, dass Jesus uns zum Glauben befreit hatte. “Zur Freihheit hat uns Christus befreit“, war der Schwerpunkt der Evangelischen, die eher dem Liebe- und Freiheitstyp entsprachen. Die Gebote erfüllen sie frei und liebevoll.
Mir den Gedanken zum Streitschlichten nach Paulus könnten sich heute auch sich Katholiken und Evangelische annähen, weil der Organismus des kosmischen auferstandenen Christus zusammen gehört. Auch sonst sind wir zum Streitschlichten in der Nachfolge Jesu berufen. Oder wollen wir uns darum streiten?