“Tragt in die Welt nun ein Licht”

Die "Reformation" des Johannes von Patmos

Predigttext: Offenbarung1,9-18(19)
Kirche / Ort: Hamburg
Datum: 21.01.2018
Kirchenjahr: Letzter Sonntag nach Epiphania
Autor/in: Pastor Christoph Kühne

Predigttext: Offenbarung 1,9-18(19) (Übersetzung nach Martin Luther)

9 Ich, Johannes, euer Bruder und Mitgenosse an der Bedrängnis und am Reich und an der Geduld in Jesus, war auf der Insel, die Patmos heißt, um des Wortes Gottes willen und des Zeugnisses von Jesus.
10 Ich wurde vom Geist ergriffen am Tag des Herrn und hörte hinter mir eine große Stimme wie von einer Posaune,
11 die sprach: Was du siehst, das schreibe in ein Buch und sende es an die sieben Gemeinden: nach Ephesus und nach Smyrna und nach Pergamon und nach Thyatira und nach Sardes und nach Philadelphia und nach Laodizea.
12 Und ich wandte mich um, zu sehen nach der Stimme, die mit mir redete. Und als ich mich umwandte, sah ich sieben goldene Leuchter
13 und mitten unter den Leuchtern einen, der war einem Menschensohn gleich, angetan mit einem langen Gewand und gegürtet um die Brust mit einem goldenen Gürtel.
14 Sein Haupt aber und sein Haar war weiß wie weiße Wolle, wie der Schnee, und seine Augen wie eine Feuerflamme
15 und seine Füße wie Golderz, das im Ofen glüht, und seine Stimme wie großes Wasserrauschen;
16 und er hatte sieben Sterne in seiner rechten Hand, und aus seinem Munde ging ein scharfes, zweischneidiges Schwert, und sein Angesicht leuchtete, wie die Sonne scheint in ihrer Macht.
17 Und als ich ihn sah, fiel ich zu seinen Füßen wie tot; und er legte seine rechte Hand auf mich und sprach zu mir: Fürchte dich nicht! Ich bin der Erste und der Letzte
18 und der Lebendige. Ich war tot, und siehe, ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit und habe die Schlüssel des Todes und der Hölle.
19 Schreibe, was du gesehen hast und was ist und was geschehen soll danach.

(Eigenen Übersetzung, Christoph Kühne)

Ich, Johannes, euer Bruder und Mitgenosse an der Trübsal und der Königsherrschaft und Erduldung in Jesus Christus, ich bin auf die Insel, genannt Patmos, gekommen, wegen des Wortes Gottes und (wegen) des Leidens Jesu.

Am Herrentag (= Sonntag) bin ich im Geist in einen besonderen Zustand gekommen, und ich habe hinter mir gehört ein gewaltiges Geräusch wie von einer Posaune, das sagt: Was du siehst, schreib in ein Buch, und schick es den sieben Gemeinden: nach Ephesus und nach Smyrna und nach Pergamon und nach Thyatira und nach Sardeis und nach Philadelphia und nach Laodikeia!

Und ich drehte mich um, um das Geräusch zu sehen, das mit mir gesprochen hatte; und als ich mich umgedreht hatte, sah ich 7 goldene Leuchter und inmitten der Leuchter jemanden ähnlich einem Menschensohn, gekleidet mit einem bis auf die Füße reichendem Gewand und umgürtet unter der Brust mit einem goldenen Gürtel; aber sein Haupt und die Haare leuchteten wie leuchtende Wolle, wie Schnee, und seine Augen waren wie eine Feuerflamme, und seine Füße waren Golderz/Halbgold ähnlich wie im Ofen gebrannt, und seine Stimme wie eine Getose von vielen Wassern, und er hatte in seiner rechten Hand sieben  Sterne, und aus seinem Mund marschierte ein zweischneidiges scharfes Schwert heraus, und seine Erscheinung war, wie die Sonne scheint in ihrer (ganzen) Kraft.

Und als ich ihn sah, fiel ich sogleich zu seinen Füßen wie tot; und er legte seine Rechte auf mich und sagte: Fürchte dich nicht! Ich der Erste und der Letzte und der Lebende. Und ich bin zu Tode gekommen, und siehe, lebend bin ich in die Ewigkeiten der Ewigkeiten. Amen. Und ich habe die Schlüssel des Todes und des Hades.

Schreib nun auf, was du gesehen hast und was ist und sich danach ereignen wird! …

Gedanken beim ersten Lesen des Predigttextes

Ich bleibe verwirrt zurück, nachdem ich diese Geschichte gelesen habe. Dabei fing alles so an, wie man es aus der Bibel gewohnt ist: Ein Mensch wird vom Geist ergriffen, er wird angesprochen, und er bekommt einen Auftrag. Er weigert sich oder erhebt Einwände. Johannes, auf die Insel Patmos verbannt, bricht zusammen, als er jene helle Gestalt sieht. In diesem Zustand  erhält er im folgenden Kapitel genaue Anweisungen über das, was er verschiedenen Gemeinden in der heutigen Türkei schreiben soll …

Gibt es einen Bezug zu mir, zu unserer Gesellschaft, zu unserer Kirche heute? Leben wir heute in „Bedrängnis“? Sind wir heute wirklich Mitgenossen „am Reich und an der Geduld Jesu“? Würden wir uns heute - 2018 - über eine solche Vision freuen? Würde sie uns heute (weiter-) helfen? Oder würden wir bei einem solchen „Gesicht“ nicht einen Psychiater zuhilfe rufen?

Anmerkungen zum Predigttextext

Johannes hört Geräusche wie von einer Posaune oder auch von großen Wassermassen, die zu ihm sprechen: Wer „spricht“ mit dem Seher? Wer ist der, der dem „Menschensohn“ (= Menschen) ähnlich ist? Diese „Gestalt“ steht inmitten von sieben goldenen Leuchtern. Ist hier der siebenarmige Leuchter, die Menora, gemeint? Wie sieht jene Gestalt aus? Sie hat ein fußlanges Gewandt an. Sie trägt einen goldenen Gürtel unter der Brust. Kopf und glänzende, helle Haare lassen an Wolle erinnern oder an Schnee. Diese Gestalt hat Augen wie Feuerflammen, also einen flammenden, brennenden Blick. ER scheint durch alles hindurchzusehen. Die Gestalt hat in der rechten Hand sieben Sterne. Ein kosmisches Zeichen für die sieben Gemeinden? Eben noch hat Johannes ein Geräusch wie von Wassermassen gehört, jetzt sieht er, wie aus seinem Mund ein Schwert „herausmarschiert“. Dieses Schwert war eine gefürchtete Waffe, die beidhändig geführt wurde. Dieses „Gesicht“ war furchterregend. Doch auch dieser Anblick wird noch verstärkt! V 16bß: Die ganze äußere Erscheinung war ein Blick in die Sonne, die mit voller Kraft scheint.

Die Folge: Johannes bricht zusammen, fällt hin zu Füßen dieser Gestalt, wird ohnmächtig. Dennoch hört und spürt er, was geschieht. Zuerst spürt er die rechte Hand der Gestalt auf sich. Wird Johannes wachgerüttelt? Wird er beschützt? Als Erstes hört er:

  • Fürchte dich nicht! Und dann folgt eine Selbstvorstellung mit kryptischen Worten. Sie beginnt mit dem Gottesnamen:
  • ICH BIN (der ich bin - so in Ex 3,14), der Name Gottes, der mit seinem Volk mitgeht, der es aus Ägypten herausführt, der Anfang und Ende ist,
  • der Lebendige - wenngleich er zu Tode gekommen ist. Doch ER lebt, wie der Seher eben gesehen hat! Johannes hat DAS LEBEN geschaut. Wie zur Bekräftigung fügt hier eine Textvariante ein Amen! ein. Jener hat die Schlüssel von Tod und „Hades“ in der Hand. D.h. es gibt keinen Schrecken, keine Angst mehr.

Danach erfolgt noch einmal der Auftrag an Johannes, mit dem Schreiben zu beginnen (V19a).

Lieder

"Wachet auf, ruft uns die Stimme" ("Kein Aug hat je gesehn") EG 147
"Der du die Zeit in Händen hast" (EG 64)
"Wach auf du Geist der ersten Zeugen" (EG 241)
"Sonne der Gerechtigkeit" (EG 263)
"Fürchte dich nicht gefangen in deiner Angst" (EG 612 Kh-W)
"Tragt in die Welt nun ein Licht" (EG 588 Kh-W)

Text

Luthers Erklärung zum dritten Glaubensartikel vom Hl. Geist (EG 806.2.3)

 

 

zurück zum Textanfang

Im vorigen Jahr 2017 haben wir die Reformation Martin Luthers gefeiert. 10 Jahre lang hatte es Konzerte, Vorträge, Events gegeben, die an den Thesenanschlag in Wittenberg erinnern sollten. Wer von uns hat nicht wenigstens an einem Termin teilgenommen? Was meinen Sie, ist bei dieser Reformationsdekade seit 2006 herausgekommen? Nach Ansicht prominenter „Augenzeugen“: Nichts! Vielmehr verweisen sie darauf, dass die Reformation eigentlich jetzt erst beginnt, dass es um die NÄCHSTEN 10 Jahre geht – in Erinnerung an den rasanten Verlauf der Reformation nach 1517. Ich lade Sie ein, mit dem heutigen Gottesdienst die Reform der Kirche voranzutreiben. Ganz im Sinne Martin Luthers! Los gehts!

Aber wie sollen wir beginnen? Der heutige Predigttext aus der Offenbarung könnte uns eine Hilfe sein. Oder ist er zu verrückt, verquer, zu schwierig? Fest steht, dass der Seher Johannes seine Vision zwar nicht auf der Wartburg erhalten hat wie Martin Luther, aber nicht weniger einsam auf der Insel Patmos. Und wie Martin Luther drängt auch ihn „der Geist“ zur Veröffentlichung. Aber wem kann man solche Bilder, Erkenntnisse und Durchblicke zumuten? Einer Kirchengemeinde? Der Welt? Luther hat aufgeschrieben, was Gott ihm gesagt hat, und es hat eine Wirkung gezeigt, die bis heute reicht. Kann Johannes, der Seher, das Werk der Reformation heute weitertreiben? Hört den Abschnitt aus Offenbarung.

(Lesung des Predigttextes)

Die Bilder sind übermächtig. Ist Johannes, der Seher, im Drogenrausch? Im Text steht, der Geist hätte ihn in diese Bilder geführt. Dann müssten wir versuchen, diese Bilder zu verstehen – besonders, wenn wir glauben, dass sie uns helfen für unseren Glauben, für die Zukunft unserer Kirche. Wie fangen wir an? Auch ich bin verwirrt, habe Probleme mit dieser Vision. Und dennoch ahne ich, dass wir ohne eine Vision des Hl. Geistes schlechte Karten haben für eine effektive und heilsame Reformation unserer Kirche auf Erden.

Doch wie gehen wir jetzt mit diesen Bildern von Johannes um? Johannes bricht zusammen, als er sie gesehen hat, und nur eine schützende Hand bringt ihn zurück ins Leben: Schreib jetzt auf, was du gesehen hast! Für eine neue Reformation brauchen wir eine schützende Hand. Was der Seher schaut, bringt seine Vorstellungen durcheinander. Doch genau dies soll er sieben Gemeinden in der heutigen Türkei mitteilen, Wort für Wort, Bild für Bild. Erbaulich ist dies nicht. Wie werden die Gemeinden damals das Schreiben des Johannes aufgenommen haben?

Beginnen wir mit der „Reformation“ des Johannes. Er hat sich weder den Ort der Vision gewählt noch den Zeitpunkt, noch die Bilder. Es ist über ihn gekommen wie ein Traum, wie eine Katastrophe, wie ein Zufall. Und doch war es all dies nicht. Es war ein Sonntag, als er jene „Stimmen“ hörte. War er im Gottesdienst mit anderen zusammen? War er allein? Hat er gebetet? Es ist wie der Schall einer Posaune, die ihn sich umdrehen lässt. Und er sieht sieben goldene Leuchter. Diese umgeben eine Gestalt, die aussieht „wie ein Mensch“. Sein Gewand reicht bis auf die Füße. Die Augen sind „wie Feuerflammen“. Ein durchdringender Blick? Ein Blick, vor dem man sich nicht verbergen kann? Alles an der Gestalt ist leuchtend, glänzend. Die Stimme klingt wie tosendes Wasser. Urgewaltig, nicht lieblich. Diesem Klang kann er sich nicht entziehen. In der rechten Hand hat die Gestalt sieben Sterne – vielleicht ein kosmisches Symbol für die sieben Gemeinden, die Johannes anschreiben soll? Und dann das furchterregende Bild von dem Schwert, das aus dem Mund der Gestalt „herausmarschiert“. Davor kann sich niemand schützen! Und dann der Glanz der Gestalt, als ob man direkt in die Sonne blickt. Der Seher bricht zusammen. So beginnt seine Erneuerung. Das Neue ist noch nicht zu ertragen?!

Vielleicht haben wir hier schon einige wichtige Hinweise auf die Erneuerung der Kirche. Wieviel haben wir geplant, entworfen. Wir haben Experimente gemacht, Events gefeiert. Wollten nur das Beste für die Kirche. Wollten attraktiv sein für die Menschen. Viele haben mindestens eins der großen Luther-Oratorien mit Begeisterung erlebt. Doch ein Aufbruch ist bislang ausgeblieben. Haben wir zu viel gemacht und zu wenig vertraut – dem Geist, dem Herrn der Kirche?

Die Bilder der Offenbarung haben nichts mehr gemein mit den schönen Naturbildern Jesu. Sie sind drastisch, direkt. Das Schwert, das aus dem Mund jener Lichtgestalt „herausmarschiert“, hatte die Römer dazu gebracht, Helm und Rüstung zu verstärken. Doch auch Jesus hat „Schwertworte“ gesagt, wenn er von Entscheidungen gesprochen hat. Auch Paulus hat gesagt, dass das Wort Gottes „durch Mark und Bein“ geht. Dass es gut von böse trennt. Dass es ins Gewissen trifft. Dass es unerbittlich ist, wenn es um das wahre Leben geht. Dem Wort Gottes kann sich keiner entziehen. Der Klarheit des Sonnenlichts kann ich aus eigener Kraft nicht standhalten. „Ich  glaube, dass ich nicht aus eigener Vernunft noch Kraft an Jesus Christus, meinen Herrn, glauben oder zu ihm kommen kann. Sondern der Hl. Geist hat mich durch das Evangelium berufen, mit seinen Gaben erleuchtet, im rechten Glauben geheiligt und erhalten …“ So erläutert Martin Luther den dritten Artikel unsere Glaubensbekenntnisses. Diese Erfahrung hat der Johannes damals auch gemacht. Luther und der Seher, der Apostel Paulus und viele Propheten sind von Gott und seiner Gnade überwältigt worden. Und wir?

Johannes spürt die Hand Gottes. Am Tiefpunkt sagt ER die tröstenden Worte: Fürchte dich nicht! Dies trifft genau in unsere Situation. Wieviel Angst um die Zukunft der Kirche, des Glaubens, der Gemeinden ist unter uns! Und sie ist berechtigt. Auch die Angst des Sehers war berechtigt. Und DENNOCH: Fürchte dich nicht! Vielleicht fühlen wir uns wie die Hirten auf dem Feld, als sie von der Botschaft der Engel – der Frohen Botschaft! – überwältigt waren. Auch die Botschaft an Johannes ist eine Frohe Botschaft: Das Wort Gottes ist klar, leben- und sinnschaffend. Das Wort Gottes, wie es in Jesus Christus Gestalt angenommen hat, ist durch den Tod, die Angst, die Hoffnungslosigkeit gegangen. Ist auferstanden. Und lebt. Und hat die Schlüssel für das Leben.

Johannes hat damals das Buch der Offenbarung geschrieben und an die sieben Gemeinden in der heutigen Türkei geschickt. Auch wir sollten aufschreiben, wo uns das Wort Gottes berührt, gewandelt und erschreckt hat, erneuert und auf den Weg gebracht hat. Es geht doch um ein Leben, das Gott wiederstrahlt. ER ist doch unseres „Fusses Leuchte und ein Licht auf unserem Wege“ (Ps 119,105).

Und so wird es in der Welt licht werden. Und wenn wir auch als Kirche schrumpfen und immer kleiner werden. Hauptsache, SEIN Licht scheint in unserer Welt. Und wir sind nach Paulus „Kinder des Lichts“ (1 Th 5,5). Ist das nicht eine gute Erneuerung, eine fröhliche Reformation – ein Projekt für die nächsten 10 Jahre? Lasst uns HEUTE damit beginnen: Tragt in die Welt nun ein Licht!

 

 

 

zurück zum Textanfang

Ein Kommentar zu ““Tragt in die Welt nun ein Licht”

  1. Pastor i.R.Heinz Rußmann

    Sehr originell und aktuell parallelisiert Pastor Kühne die Vision des Johannes auf der Insel Patmos mit dem weltgeschichtlichen Turmerlebnis von Martin Luther und mit dem vergangenen Reformationsjahr 2017. Johannes und Luther haben ihr Gotteserlebnis weitergetragen und missioniert an die sieben Gemeinden beziehungsweise zuerst nach Deutschland. Zur Aktualisierung schildert der Pastor die Offenbarung des Johannes mit Hilfe der Bilder und dem Anfang der Erneuerung. Trotz großem Einsatz ist heute der große Aufbruch bei uns bisher nicht erfolgt, nur in China gibt es Millionen neue Christen. Die Worte Jesu gehen aber auch nach Paulus heute durch Mark und Bein. Johannes, Paulus und Luther als ernsthafte Sucher sind von Gott und seiner Gnade überwältigt worden. Johannes hört die wunderbar tröstenden Worte Jesu: Fürchte dich nicht. Jesus ist durch den Tod gegangen, er ist auferstanden und lebt. Bei wieviel Beerdigungen spendeten diese Worte tiefen Trost. Wir sind Kinder des Lichts und tragen Jesu Licht in die Welt. Sehr lebendig predigt Pastor Kühne den schwierigen Text. Trotz Abwendung etlicher ehemaliger Mitglieder in diesen Tagen vertieft er den Glauben der Christen.

Ihr Kommentar zur Predigt

Ihre Emailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert.