“Gott sei Dank”

Wir müssen nicht in die leere Weite des Himmels schauen

Predigttext: 2.Korinther 11,18.22-33; 12,1-10 (mit exegetischen und homiletischen Hinweisen)
Kirche / Ort: Magdeburg
Datum: 04.02.2018
Kirchenjahr: Sexagesimae (60 Tage vor Ostern)
Autor/in: Pastor Dr. habil. theol. Günter Scholz

Predigttext: 2.Korinther 11,18.22-33; 12,1-10 (Übersetzung nach Martin Luther)

11, 18 Da viele sich rühmen nach dem Fleisch, will ich mich auch rühmen. 22 Sie sind Hebräer? Ich auch! Sie sind Israeliten? Ich auch! Sie sind Abrahams Kinder? Ich auch! 23 Sie sind Diener Christi? Ich rede wider alle Vernunft: Ich bin's weit mehr! Ich habe mehr gearbeitet, ich bin öfter gefangen gewesen, ich habe mehr Schläge erlitten, ich bin oft in Todesnöten gewesen. 24 Von Juden habe ich fünfmal erhalten vierzig Geißelhiebe weniger einen; 25 ich bin dreimal mit Stöcken geschlagen, einmal gesteinigt worden; dreimal habe ich Schiffbruch erlitten, einen Tag und eine Nacht trieb ich auf dem tiefen Meer. 26 Ich bin oft gereist, ich bin in Gefahr gewesen durch Flüsse, in Gefahr unter Räubern, in Gefahr von meinem Volk, in Gefahr von Heiden, in Gefahr in Städten, in Gefahr in Wüsten, in Gefahr auf dem Meer, in Gefahr unter falschen Brüdern; 27 in Mühe und Arbeit, in viel Wachen, in Hunger und Durst, in viel Fasten, in Frost und Blöße; 28 und außer all dem noch das, was täglich auf mich einstürmt, die Sorge für alle Gemeinden. 29 Wer ist schwach, und ich werde nicht schwach? Wer wird zu Fall gebracht, und ich brenne nicht? 30 Wenn ich mich denn rühmen soll, will ich mich meiner Schwachheit rühmen. 31 Gott, der Vater des Herrn Jesus, der gelobt sei in Ewigkeit, weiß, dass ich nicht lüge. 32 In Damaskus bewachte der Statthalter des Königs Aretas die Stadt der Damaszener und wollte mich gefangen nehmen, 33 und ich wurde in einem Korb durch ein Fenster die Mauer hinabgelassen und entrann seinen Händen.

12, 1 Gerühmt muss werden; wenn es auch nichts nützt, so will ich doch kommen auf die Erscheinungen und Offenbarungen des Herrn. 2 Ich kenne einen Menschen in Christus; vor vierzehn Jahren – ist er im Leib gewesen? Ich weiß es nicht; oder ist er außer dem Leib gewesen? Ich weiß es nicht; Gott weiß es –, da wurde derselbe entrückt bis in den dritten Himmel. 3 Und ich kenne denselben Menschen – ob er im Leib oder außer dem Leib gewesen ist, weiß ich nicht; Gott weiß es –, 4 der wurde entrückt in das Paradies und hörte unaussprechliche Worte, die kein Mensch sagen kann. 5 Für denselben will ich mich rühmen; für mich selbst aber will ich mich nicht rühmen, außer meiner Schwachheit. 6 Denn wenn ich mich rühmen wollte, wäre ich kein Narr; denn ich würde die Wahrheit sagen. Ich enthalte mich aber dessen, damit nicht jemand mich höher achte, als er an mir sieht oder von mir hört. 7 Und damit ich mich wegen der hohen Offenbarungen nicht überhebe, ist mir gegeben ein Pfahl ins Fleisch, nämlich des Satans Engel, der mich mit Fäusten schlagen soll, damit ich mich nicht überhebe. 8 Seinetwegen habe ich dreimal zum Herrn gefleht, dass er von mir weiche. 9 Und er hat zu mir gesagt: Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft vollendet sich in der Schwachheit. Darum will ich mich am allerliebsten rühmen meiner Schwachheit, auf dass die Kraft Christi bei mir wohne. 10 Darum bin ich guten Mutes in Schwachheit, in Misshandlungen, in Nöten, in Verfolgungen und Ängsten um Christi willen; denn wenn ich schwach bin, so bin ich stark.

Exegetische Bemerkungen

Der 2. Kor ist bekanntlich eine Sammlung von 5 Briefen. In zeitlicher Reihenfolge: A: 2,14 – 7,4 (außer 6,14 – 7,1): Apologie, B: 10.1 – 13,10: Tränenbrief, C:1,1 – 2,13; 7,5-16; 13,11-13: Versöhnungsbrief, D: 8: Kollektenbrief I, E: 9: Kollektenbrief II.

Mit dem Predigttext befinden wir uns im Tränenbrief (Bezeichnung aus 2,4). Er ist ein knappes Jahr nach der Apologie geschrieben (54 n.Chr.). Die Verteidigung des Apostolats gegenüber den Gegnern (A) hatte die Wirkung verfehlt, weswegen der Tränenbrief (B) in zugespitzter Schärfe und Polemik notwendig wurde. Paulus prangert die Selbstdarstellung der „Superapostel“ an (11,5), die nur sich selbst empfehlen (10,12) und mit dem Wort vom Kreuz nichts anfangen können (11,4). Zu deren Selbstdarstellung gehört offenbar auch die Degradierung der Person des Paulus (10,10; vgl. 11,6). Paulus nimmt die Herausforderung an, indem er umgekehrt die Selbstdarstellung der „Superapostel“ als Narretei brandmarkt (11,16-29) und seine „Schwachheit“ als offenen „Wohnraum“ für den Einzug der „Stärke Christi“ darstellt (12,1-10). Dabei werden 11,16-33 und 12,1-10 durch das Thema „Rühmen“ zusammengehalten: in 11,16ff Darstellung äußerer Gefahren, in 12,1ff Kundtun innerer Erfahrungen.

Kapp. 11 und 12 laufen auf den Zielpunkt 12,9 zu: „Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft vollendet sich in der Schwachheit.“ Von diesem Grundton her ist alles noch einmal zu lesen und theologisch einzuordnen. Die Gnade, die Kraft Gottes bzw. Christi, die Schwachheit, der ausgeschlossene Selbstruhm, alle paulinischen Theologumena sind hier vereint.

Homiletische Bemerkungen

Der Predigttext-Vorschlag setzt 11,18.23b-33 in Klammern. Für mein Empfinden wird aber 12,1-10 ohne den Vorlauf in Kap. 11 nicht verständlich. Also nehme ich ihn hinzu: 11,18.22-33; 12,1-10. Das Thema Selbstdarstellung contra Christustransparenz scheint auf der Hand zu liegen. Ich vermeide es, wiewohl es sich nicht ganz verdrängen lässt. Ich fürchte, es führt zu sehr in klerikale Kritik, die für die Zuhörer weniger interessant ist. Außerdem ist uns im medialen Zeitalter Selbstdarstellung schon so sehr in Fleisch und Blut übergegangen, dass es mir schwer fällt, mich davon zu distanzieren, zumal sie ja zuweilen auch in den Dienst einer guten Verkündigung gestellt wird (?!). Darum scheint es mir angemessen, den Ton auf die Erfahrung der Gnade zu legen, damit man auf sie den Blick dann richten kann, wenn man auf sie angewiesen ist und alles von ihr erhofft. Dabei nehme ich das Erlebnis der „Entrückung“ ernst, ohne es für den einzigen Weg der Gnadenerfahrung zu halten.

zurück zum Textanfang

I. Paulus, der Held?

Es klingt wie das Inhaltsverzeichnis einer Autobiographie:

  • Meine jüdische Herkunft
  • Mein Weg zum Diener Christi
  • Mein Ringen um meine Gemeinden

(Predigen – Reisen – Kämpfen)

  • Verfolgt, geschlagen, im Gefängnis gelandet
  • Gefesselt, gesteinigt, knapp dem Tod entkommen
  • Schiffbruch erlitten
  • Unter die Räuber geraten
  • Geplagt von Hunger, Durst und Frost
  • Flucht aus dem Gefängnis in Damaskus
  • Nie aufgegeben – im Dienst für alle Gemeinden

Jede Überschrift hätte er zu einem spannenden Kapitel ausarbeiten können. Man hätte mit ihm mitgefiebert, mitgelitten, mitgekämpft, mitgesiegt – mit dem Held. Von welchem Held die Rede ist, haben Sie bereits erkannt: von Paulus, dem Apostel der Völker. Paulus aber hat keine Autobiographie geschrieben; schon gar nicht wollte er ein „Held“ sein. Er sagt nur, er könnte sich zum Helden stilisieren, wenn er wollte, so wie es viele andere tun; aber er will es nicht. Hören wir Paulus selbst:

(Lesung des Predigttextes, Teil 1: 2.Korinther 11,18.22-33)

II. Christus, der Held!

Da haben wir all die Stationen seines bewegten, bedrohten, entbehrungsreichen Lebens, seines gefahrvollen missionarischen Einsatzes. Und zugleich erfahren wir auch, warum er – wenngleich er die Tonleiter der Heldenoper beherrscht – sich nicht zum Helden stilisieren will: Weil durch all sein Wirken, seine Todesnöte, sein Entbehren und Scheitern hindurch Christus sichtbar werden soll. Christus, der ihn wieder aufstehen lässt, rettet und seine schwachen und ungeschickten Worte auf fruchtbaren Boden fallen lässt.

Nicht er ist der Größte, will er sagen, sondern Christus. Christus ist aber nicht irgendwo außerhalb seiner Person, sondern mit seiner Person verbunden. Wenn Paulus also Christus herausstellen will, geht das nur über seine Person. Christus hat keine andere Stimme als unsere Stimme … Genau! Christi Stimme soll laut werden, nicht meine Stimme, Christi Stimme soll laut werden durch meine Stimme. Eben das sagt Paulus im Folgenden: „Für denselben will ich mich rühmen, für mich selbst aber will ich mich nicht rühmen.“

III. Die Gnade Christi erkennen

Hören wir Paulus weiter, wie er seine Vorzüge schildert, aber wie unter einer Narrenkappe. Denn seine Vorzüge sind eigentlich – will er sagen – Gnade. Unter der Narrenkappe, wie gesagt, und verkleidet in der 3. Person:

(Lesung des Predigttextes, Teil II: 2.Korinther 12,1-10)

Wir erfahren ein außergewöhnliches Erlebnis in der Biographie des Paulus. Paulus findet sich für eine kurze Zeit in einer anderen Dimension wieder, im „dritten Himmel“, wie er sagt, bzw. im „Paradies“. Und dort hört er „unaussprechliche Worte, die kein Mensch wiederholen kann“. Man kann das als krankhafte Wahnvorstellung abtun. Dann kann man Paulus beiseite legen. Man kann aber auch mehr wissen wollen. Was hast du noch gehört? Was hast du gesehen? Paulus schweigt darüber. Jedes Wort zu viel wäre Selbstdarstellung. Er nimmt die Narrenkappe ab und lässt uns wissen: Dieses so außergewöhnliche Erlebnis ist eine Gnade, ein Geschenk Gottes. Du kannst es durch keine Technik hervorrufen. Es widerfährt dir. Nicht als Auszeichnung für besondere Verdienste, sondern vielleicht gerade dann, wenn du es nötig hast als Stärkung. Vielleicht gerade dann, wenn du das Wort Christi brauchst: „Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft vollendet sich in der Schwachheit.“

Was Paulus hier erlebt hat, Entrückung in die himmlische Welt, ist äußerst selten; aber es gibt Menschen, die mit beiden Beinen auf der Erde stehen und doch auch Solches oder Ähnliches erlebt haben. Lassen Sie uns aber nicht an der Esoterik kleben bleiben, sondern sehen wir darin genau das, was Paulus uns zu sehen lehrt: die Gnade Gottes, mit der er uns allen darin näher kommt. Die Gnade Gottes ist ganz nah. Wir müssen beileibe nicht in die leere Weite des Himmels schauen. Die Gnade Gottes ist spürbar in allem, was du bisher geschenkt bekommen hast: deine Familie, deine Zufriedenheit im Beruf, dein Lebensglück. Paulus lehrt mich, das nicht auf mein Erfolgskonto zu schreiben, sondern Gottes Gnade darin zu erkennen. Paulus lehrt mich, die großartigen Dinge in meinem Leben zu sehen und dankbar zu sein.

IV. Gottes Gnade zulassen

Gottes großartiges Walten in guten Zeiten zu erkennen, hat einen unschätzbaren Wert auch auf den Durststrecken des Lebens. Da gilt es dann, die Gnade Gottes zuzulassen. „Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft vollendet sich in der Schwachheit.“ Das Vertrauen darauf gibt Kraft. Es ist die Kraft Gottes in mir. Mancher Arbeitslose hat sich in dieser Kraft nicht unterkriegen lassen. Man nennt das auch Gottvertrauen. Gott kämpft mit uns, Gott bahnt uns manchen Weg, auch in unerwartete Richtungen, Gott führt uns zu dem Ziel, wohin er uns haben will. Seinem Walten Raum zu geben, ist die Stärke des Schwachen. Darum muss sich unter Christen niemand seiner Schwäche schämen, und der Starke nehme seine Stärke dankbar als Gnade an. „Gott aber sei Dank für seine unaussprechliche Gabe“ (2.Kor 9,15).

 

 

 

 

zurück zum Textanfang

Ein Kommentar zu ““Gott sei Dank”

  1. Pastor i.R.Heinz Rußmann

    Nach einer gründlichen Exegese und sehr einleuchtenden Predigtüberlegungen beginnt Pfarrer Dr Scholz sehr originell seine Predigt mit einer Art Lebenslauf des Apostels Paulus . Die Stationen aus seinem entbehrungsreichen Leben gäben eigentlich Anlass zur größten Angeberei. Aber Paulus ist dabei mit Christus total verbunden und nur auf Christus und dessen Wirken kann und will er als Christ stolz sein. Wichtig ist für Paulus, dass er eine Christus-Vision gehabt hat, die er als große Gnade erlebt hat. Auch gibt es bis heute Christen, welche eine Christus-Vision erleben, ja irgendwie haben doch alle Christen eine Erfahrung von Jesus- Nähe, die sie überzeugt hat und zu Christen gemacht hat. Wir Christen schauen nicht in die leere Weite des Himmels, sondern erleben großartige Dinge durch den Glauben. Das Vertrauen zu Gott gibt uns Kraft die Probleme des Lebens zu bestehen. Er führt uns zum Ziel. Die besonders zielstrebig aufgebaute Predigt mit innerer Dramaturgie überzeugt sehr sinnvoll, wie die Verbundenheit mit Jesus das Gottvertrauen stärkt. .

Ihr Kommentar zur Predigt

Ihre Emailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert.