“… dass Menschen Mut bekommen, neues Vertrauen zu wagen, sich den Schwierigkeiten ihres Lebens zu stellen”

Gottes Bündnispolitik - Wenn Gott trotz aller Enttäuschungen neu anfangen kann, dann gilt das um so mehr für die Menschen, die ihre Enttäuschungen und Krisen verarbeiten

Predigttext: Jeremia 31,31-34
Kirche / Ort: Karlsruhe
Datum: 13.05.2018
Kirchenjahr: Exaudi (6. Sonntag nach Ostern)
Autor/in: Pfarrer PD Dr. Wolfgang Vögele

Predigttext: Jer 31,31-34 (Übersetzung nach Martin Luther)

Siehe, es kommt die Zeit, spricht der Herr, da will ich mit dem Hause Israel und mit dem Hause Juda einen neuen Bund schließen, nicht wie der Bund gewesen ist, den ich mit ihren Vätern schloss, als ich sie bei der Hand nahm, um sie aus Ägyptenland zu führen, mein Bund, den sie gebrochen haben, ob ich gleich ihr Herr war, spricht der Herr; sondern das soll der Bund sein, den ich mit dem Hause Israel schließen will nach dieser Zeit, spricht der Herr: Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben, und sie sollen mein Volk sein, und ich will ihr Gott sein. Und es wird keiner den andern noch ein Bruder den andern lehren und sagen: »Erkenne den Herrn«, denn sie sollen mich alle erkennen, beide, Klein und Groß, spricht der Herr; denn ich will ihnen ihre Missetat vergeben und ihrer Sünde nimmermehr gedenken.

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Wenn im Kreißsaal des Städtischen Klinikums eine dreißigjährige Frau nach stundenlangen Wehen ein kleines Baby zur Welt bringt, dann gelten dem Neugeborenen ungeteilte Aufmerksamkeit, Liebe und Fürsorge. Die Eltern, die Hebamme, das Ärzteteam und die Schwestern bemühen sich nach Kräften um das hilflose Neugeborene. Auch wenn eine Hebamme Tausende von Geburten erlebt hat, wird sie von diesem Vorgang immer wieder fasziniert sein. Neues Leben kommt auf die Welt. Und niemand wird die Frage stellen, ob es sinnvoll war, diesem jungen Baby über diese ersten Tage auf der Erde zu helfen, es zu füttern und sich um sein Wohlergehen zu sorgen. Dem kleinen Kind gilt ungefragt und ungezwungen sämtliche Liebe, Aufmerksamkeit und Zärtlichkeit.

Obwohl dieses wunderbare Baby sich noch nie Gedanken darüber gemacht und noch gar nichts aktiv dazu beigetragen hat, ist es allein durch seine Geburt zum Partner in Verträgen, Bündnissen und Gemeinschaften geworden. Es gehört zur Familie, es bekommt die Staatsbürgerschaft seiner Eltern, darum hat es Rechte und Pflichten, die es im Alter von ein paar Tagen noch gar nicht kennt. Es hat Anspruch auf Bildung in Kindergarten und Schule, dazu kommen im Notfall Ansprüche auf medizinische, soziale, pädagogische Hilfe. Das Kleingedruckte wird das Baby erst lesen, wenn es erwachsen geworden ist.

I.

Das ist ein entscheidendes Kennzeichen sozialen Lebens in der Gesellschaft: Vom ersten Tag ihres Lebens sind Menschen eingebunden in Gruppen, Verbände, Staaten, Gemeinschaften und Organisationen. Alle dienen sie unterschiedlichen Zwecken: Schutz, Hilfe, Versorgung. Daseinsvorsorge sagen die Juristen. Sie haben gemeinsam, daß sie Vertrauen voraussetzen. Jeder vertraut, daß sich die anderen ebenfalls an die Regeln halten. Wer über einen Zebrastreifen läuft, muß darauf vertrauen, daß der Autofahrer nicht plötzlich aufs Gaspedal drückt. Wer eine schwere Operation benötigt, muß darauf vertrauen, daß der Arzt Sorgfalt übt und die Techniken des chirurgischen Eingriffs beherrscht. Das Kind, das in die Schule geht, muß darauf vertrauen, daß die Lehrer und die Mitschüler es fördernd, angemessen und respektvoll behandeln.

Menschen leben ganz selbstverständlich in Bindungen – in Bündnissen, Verträgen und vertrauensvollen Verabredungen. Menschen brauchen dafür Vertrauen, wenn sie sich in die Hände anderer begeben, beim Arzt, bei der Lehrerin, beim Finanzbeamten und bei der Polizeistreife.

Trotzdem werden viele Bürgerinnen und Bürger in diesen Tagen gerade wegen fehlenden Vertrauens nervös, auch wenn viele das nicht offen ansprechen. Sie bemerken, daß man sich auf vieles, was selbstverständlich war, nicht mehr richtig verlassen kann. Sie trauen den Nachrichten nicht mehr, weil sie fake news fürchten. Sie verlieren das Vertrauen in die Demokratie, besonders in die Europäische Union, weil sie in ihr ein Geld verschwendendes bürokratisches Monster sehen. Sie fürchten, daß mit dem Erstarken der Rechtspopulisten in Deutschland, Frankreich, Polen und Ungarn die europäischen Demokratien nicht mehr in der Lage sind, die drängenden politischen Probleme von Asylpolitik, Generationengerechtigkeit, Klimawandel und Gesundheit zu lösen.

Viele Menschen machen sich darüber Sorgen, und es ist nicht sicher, ob die Politiker in Parlamenten und Ministerien diese Sorgen auch richtig ernst nehmen. Man muß dafür gar nicht auf die so genannten „Reichsbürger“ kommen, welche sich den sozialen und politischen Institutionen der Bundesrepublik durch nostalgische Tricks und Spielchen entziehen. Sorgen machen sich auch diejenigen, die weiterhin wählen gehen, die Regeln beachten und sich darüber hinaus engagieren.

Wenn Menschen miteinander Bündnisse und Verträge schließen, um politische und soziale Institutionen aufzubauen, so sind diese nie selbstverständlich, krisenfrei. Auch das beste Bündnis, der beste Vertrag kann durch Risiken, Schwierigkeiten und Probleme in Frage gestellt werden. Menschliche Bünde und Verträge sind gefährdet, sie werden immer wieder gebrochen. Pacta sunt servanda, sagte deswegen einmal ein sehr umstrittener bayerischer Politiker mit Lateinkenntnissen, und da hatte er recht: Verträge müssen eingehalten werden.

II.

Ich halte mich deshalb so lange bei politischen und sozialen Verträgen auf, weil sie zumindest in Europa und in den Vereinigten Staaten unmittelbar von der Theologie beeinflußt sind. Was die politische Theoretiker wie Thomas Jefferson und James Madison im 18.Jahrhundert über Demokratie, Gewaltenteilung und Innenpolitik dachten, das hat wesentlich die Theologie Luthers und noch mehr Calvins vorgegeben. Was in Genf, Zürich und Wittenberg über das Verhältnis zwischen Menschen und Gott gedacht wurde, das beeinflußte später in Washington, Philadelphia und Frankfurt die Art und Weise, wie Bürgerinnen und Bürger ihr Zusammenleben demokratisch und sozial organisierten.

Der Prophet Jeremia spricht vom neuen Bund zwischen Gott und den Menschen, und der neue göttliche Bund beeinflußt auch den menschlichen Vertrag. Umso wichtiger ist es, genau auf die Worte des biblischen Propheten zu hören. Das Volk Israel hat den am Sinai besiegelten Bund mit Gott mehrfach gebrochen: Es ist um das Goldene Kalb herum getanzt, es hat mit benachbarten Völkern falsche Verträge abgeschlossen, viele seiner Könige haben nur an ihre eigene Machtbereicherung und nicht an das Wohl des Volkes gedacht. Und wer also biblisch über Vertragsbruch, fehlende Bundestreue und Vorteilsannahme redet, der kommt gleich der Gegenwart mit fake news, Verschleierung und Vertuschungsversuchen gefährlich nahe. So gewinnt der alte Jeremia plötzlich Nachrichtenaktualität. Vom neuen Bund redet Jeremia auf der ersten Seite, mit großer Überschrift.

Was fällt auf an der theologischen Vertragstheorie des Propheten Jeremia? Gott und die Menschen sind ungleiche Vertragspartner, das ist die Voraussetzung. Insofern kann Gott von den Menschen etwas verlangen. In dem neuen Vertrag, der die alte Geschichte von Konflikten und Zerwürfnissen aufhebt, steht die sehr ungewöhnliche Klausel, daß Gott die Herzen der Menschen erreichen will. Bündnisse und Verträge werden meist in einem Geist der Vernunft und der Nüchternheit geschlossen, es geht um Finanzierungen, Öffnungsklauseln, Sperrvermerke, Vertragsstrafen.

Mit der Vernunft kann man auch tricksen: Erinnern Sie sich an die Fußballprofis, die vor den Mikrofonen betonen, sie könnten nie bei einem anderen Verein spielen als dem gegenwärtigen, gleichzeitig aber verschweigen, daß sie längst mit einem Verein im Ausland über einen besseren Vertrag verhandeln, weil der alte Vertrag eine Öffnungsklausel vorsieht, für den Fall, daß bessere Angebote eintrudeln.

III.

Bei Jeremia geht es nicht um Macht- und Geldpoker, nicht um Kaufpreise und Ablösesummen. Gott sucht die Herzen der Menschen. Es ist zu fürchten: Er sucht die Herzen der Menschen, weil er mit dem Appell an die Vernunft seiner menschlichen Vertragspartner nicht durchdringen konnte. Im Herzen eines Menschen ist das aufbewahrt, was seinen innersten Kern ausmacht. Im Herzen schlägt der Puls, der Orientierung und Handlungsrichtung eines Menschen bestimmt. Und dort, nirgendwo anders, soll sich der Glaube ansiedeln. Denn nur dort ist der Mensch ganz bei sich selbst, weil alle Orientierungen an dem, was die anderen machen, wegfallen.

In der Vergangenheit war das nicht so. Es erwies sich im Verhältnis des Volkes Israel zu Gott, daß sich das Volk immer wieder abkehrte, eigene Wege verfolgte, dem Willen Gottes einfach nicht entsprechen wollte. Aber die Vergangenheit läßt der Prophet Jeremia nun auf sich beruhen. Sein Thema ist nicht das Scheitern, sondern die Zukunft mit allem Neuen, das sie bringt. Wie kann Gott die Herzen der Menschen erreichen?

Mit dem Befolgen von Geboten und simpler Vertragstreue ist es nicht getan. Die Pointe liegt in folgendem. Jeremia sagt: Wer Gott erkennt, der erkennt auch den Bund an, den er mit den Menschen geschlossen hat. Es geht um den Gott, der sich den Menschen so sehr zuwendet, daß er einen Bund mit ihnen schließt. Gott erkennt man daran, daß er mit den Menschen einen Bund schließt. Gott erkennt man daran, daß er barmherzig ist. Und die Barmherzigkeit Gottes findet ihr Ziel darin, daß Gott die Sünden und Verfehlungen der Menschen nicht anrechnet.

Jeremia entwirft dieses Szenario als großartiges Panorama der Zukunft. Er macht den Menschen Hoffnung auf den neuen Bund, weil ihn ihr gegenwärtiges Elend anrührt. Gott steht zu seinen Verheißungen. Und das macht die Welt- und Gotteserfahrung des Volkes Israel, von den Zeiten Jeremias bis in die Gegenwart aus, daß es stets Gottes Zusagen über alle Erfahrungen des Leides, der schweren Verfolgung und der Unterdrückung gestellt hat. Stets stand die Überzeugung höher, daß Gott in Treue zu seinen Verheißungen steht.

Und das beruht auf der Erfahrung, daß Gott sich nicht aus der Wirklichkeit erschließen läßt. Denn diese Wirklichkeit ist imprägniert mit vielem, was Gottes Willen nicht entspricht und seinen Geboten zuwiderläuft. Gott läßt sich nicht daraus erkennen, daß die Geschicke der Welt zugunsten derer ausgehen, denen Glück, Geld und Erfolg wie von selbst in die Hände fallen. Vielmehr läßt sich Gott daraus erkennen, daß er mit dem Volk Israel zuerst, dann aber mit allen Menschen einen Bund eingehen will.

Dieser neue Bund Gottes richtet sich gegen alles Mißtrauen, gegen alle Angst und gegen alle Verzweiflung. Gottes Treue in seinem Bund zu den Menschen ist das Gegenbild zu einer Wirklichkeit, in der immer neue Katastrophen und Leiderfahrungen Verzweiflung steigern, Mutlosigkeit befördern und Angst vergrößern. Auf der Oberfläche läßt sich das nicht bewältigen. Deswegen schreibt Jeremia in aller Hoffnung auf eine neue, bessere Zukunft. So daß Menschen, die diese Worte lesen, Mut bekommen, neues Vertrauen zu wagen, sich den Schwierigkeiten ihres Lebens zu stellen und sich nicht entmutigen zu lassen. Wenn Gott trotz aller Enttäuschungen neu anfangen kann, dann gilt das um so mehr für die Menschen, die ihre Enttäuschungen und Krisen verarbeiten.

Im simplen Befolgen von Regeln geht das Leben nicht auf. Dazu ist es viel zu komplex. Gottes Bund mit den Menschen – so lautet die Lösung, die Jeremia anbietet. Der Trost im Glauben gelangt in die Tiefe des Herzens, dorthin wo Menschen das aufbewahren, was ihnen am wichtigsten und teuersten ist. Dort aber sind sie auch am empfindlichsten und verletzlichsten. Genau dort setzen der neue Bund und die neue Hoffnung an.

Der Friede Gottes, welcher höher als alle Enttäuschungen, verletztes Vertrauen und gebrochene Verträge, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.

 

 

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