Weite und Freiheit

Wie eine Taufe ein Leben verändert

Predigttext: Apostelgeschichte / Acta 8,26-39
Kirche / Ort: 78234 Engen
Datum: 08.07.2018
Kirchenjahr: 6. Sonntag nach Trinitatis
Autor/in: Pfarrer em. Dr. theol. Hans-Rudolf Bek

Predigttext: Apostelgeschichte / Acta 8,26-39(Übersetzung nach Martin Luther)

26 Aber der Engel des Herrn redete zu Philippus und sprach: Steh auf und geh nach Süden auf die Straße, die von Jerusalem nach Gaza hinabführt und öde ist.
27 Und er stand auf und ging hin. Und siehe, ein Mann aus Äthiopien, ein Kämmerer und Mächtiger am Hof der Kandake, der Königin von Äthiopien, welcher ihren ganzen Schatz verwaltete, der war nach Jerusalem gekommen, um anzubeten.
28 Nun zog er wieder heim und saß auf seinem Wagen und las den Propheten Jesaja.
29 Der Geist aber sprach zu Philippus: Geh hin und halte dich zu diesem Wagen!
30 Da lief Philippus hin und hörte, dass er den Propheten Jesaja las, und fragte: Verstehst du auch, was du liest?
31 Er aber sprach: Wie kann ich, wenn mich nicht jemand anleitet? Und er bat Philippus, aufzusteigen und sich zu ihm zu setzen.
32 Der Inhalt aber der Schrift, die er las, war dieser (Jesaja 53,7-8): »Wie ein Schaf, das zur Schlachtung geführt wird, und wie ein Lamm, das vor seinem Scherer verstummt, so tut er seinen Mund nicht auf.
33 In seiner Erniedrigung wurde sein Urteil aufgehoben. Wer kann seine Nachkommen aufzählen? Denn sein Leben wird von der Erde weggenommen.«
34 Da antwortete der Kämmerer dem Philippus und sprach: Ich bitte dich, von wem redet der Prophet das, von sich selber oder von jemand anderem?
35 Philippus aber tat seinen Mund auf und fing mit diesem Wort der Schrift an und predigte ihm das Evangelium von Jesus.
36 Und als sie auf der Straße dahinfuhren, kamen sie an ein Wasser. Da sprach der Kämmerer: Siehe, da ist Wasser; was hindert's, dass ich mich taufen lasse? 37
38 Und er ließ den Wagen halten und beide stiegen in das Wasser hinab, Philippus und der Kämmerer, und er taufte ihn.
39 Als sie aber aus dem Wasser heraufstiegen, entrückte der Geist des Herrn den Philippus und der Kämmerer sah ihn nicht mehr; er zog aber seine Straße fröhlich.

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Ortskunde mit Taufe (Europa)

Wieder genießen wir die Gastfreundschaft unserer katholischen Mitchristen hier in der alten St. Nikolauskirche auf dem Altstadthügel von Aach, bis hoffentlich bald der Umbau unserer evangelischen Christuskirche abgeschlossen ist. Und von hier aus blicken wir hinunter zur Aachquelle, wo die Donau als fertiger Fluß aus dem Karstgebirge der Hegaualb hervorströmt, nachdem sie nördlich davon in großen Löchern verschwunden ist. Nun heißt sie „Aach“, das kommt von Aqua, lateinisch „Wasser“, und unser Fluß strömt von hier aus nicht mehr als Donau ins Schwarze Meer, sondern durch den Bodensee und Rhein in die Nordsee. Wir leben also, das ist unser Privileg, an der größten europäischen Wasserscheide, das mag uns Kraft zu nötigen Entscheidungen geben, die in unserer Zeit fällig sind – am Ende der Predigt werden wir es sehen.-

Vor einem Monat erlebte ich hier in dieser Kirche einen Taufgottesdienst. Unser Gemeindepfarrer erklärte das Taufgeschehen als ein Mysterium, als das wunderbare, helle Geheimnis: Gott nimmt dieses Kind unwiderruflich auf in seine Kirche, es darf eintreten in den Lebensraum des Reiches Gottes, es bleibt in Gottes Hand, was immer sein künftiges Schicksal bringen wird.  Heute im Predigttext hören wir eine urchristliche Taufgeschichte, sie handelt von einem Mann mit einem schweren Schicksal, der nach dem Sinn seines Lebens sucht und mitten in der Wüste, auf einer langen Reise, unverhofft in eine Geschichte verwickelt wird, an deren Ende er sagt: Bitte, ich möchte getauft werden. Lukas erzählt es in seiner Apostelgeschichte, Kap. 8,26-39 :“…“

(Lesung des Predigttextes)

Traurige afrikanische Lebensgeschichte

Der erste Afrikaner wird getauft, ein Mann aus Abessinien, und dieses Land wurde dann ein erstes christliches Land, bedeutsam für uns bis heute, davon werden wir zum Schluß hören. Zunächst aber werden wir fasziniert von dieser einzigartigen Geschichte, sie ist wirklich eine erstaunliche Geschichte voller Zufälle, die in Wirklichkeit Wunder sind, durch einen Engel von oben her eingeleitet, Schritt für Schritt vom Finger Gottes geführt, bis an diesem Menschen geschieht, was geschehen soll. Was ist das für ein Mensch? Welches Schicksal hat er zu tragen?

In der Lutherbibel heißt er „der Kämmerer“, d.h. der Finanzminister der Königin von Äthiopien. Aber im griechischen Text heißt er „Eunouchos“, d.h.  ein Entmannter. Kastraten wurden in der Antike oft an Königshöfen angestellt, oft sogar in hohen Stellungen. Dieser Mann war Herr über die königliche Schatzkammer. Er hatte Macht und Reichtum, doch war er glücklich? Wohl kaum. Als Eunuch war er nicht als vollwertiger Mensch anerkannt, sondern hatte Demütigungen, Hohn und Spott auszuhalten. Das war sein schweres Schicksal, das macht ihn zu einem Menschen der Sehnsucht und der Sinnsuche und führte ihn auf seine Reise nach Jerusalem, er muß irgendwie gehört haben, dort wohnt ein Volk, dessen Gott sich der Armen und Erniedrigten erbarmt und sie an sein Herz zieht. Mit dieser Sehnsucht kommt er nach Jerusalem und steht am Eingang des Vorhofs zum Tempel, den auch Heiden, Nichtisraeliten betreten dürfen. Er denkt: Ja, dann darf also auch ich da hinein. Aber dann die große Enttäuschung: Es wird ihm verwehrt, weil er ein Entmannter ist. Im 5.Buch Mose (Dtn. 23,2) heißt es: „Ein Entmannter soll nicht in die Gemeinde Gottes kommen“.

Welch furchtbare Enttäuschung für den armen reichen Mann ! Die ganze weite Reise hat er umsonst gemacht, was kann er jetzt noch tun? Geld hat er genug, so kauft er sich wenigstens eine Schriftrolle dieses heiligen Volkes, und die liegt nun während seiner Rückreise auf seinen Knien. Es ist die Jesajarolle, eine solche wurde übrigens 1947 in den Höhlen von Qumran gefunden und ist nun ausgestellt im berühmten „Schrein des Buches“ in Jerusalem. Der Afrikaner fängt auf seinem Reisewagen an zu lesen, laut und Wort für Wort, wie in der Antike üblich. Er liest allerdings nicht auf Hebräisch, er hat die griechische Übersetzung des AT, die Septuaginta, erworben. Griechisch konnten alle Gebildeten der damaligen Welt lesen.

Göttliche Zufälle

Und dann der göttliche Zufall, der Apostel Philippus, vom Engel in die Wüste geführt, trifft auf den Reisewagen, hört den fremden Mann lesen und weiß, was er jetzt zu tun hat. Die beiden kommen ins Gespräch über jene geheimnisvolle Schriftstelle im Buch Jesaja, die von dem Gottesknecht handelt, der wie ein Lamm zur Schlachtbank geführt wurde. Fragen werden gestellt und beantwortet: Wen meint da der Prophet – sich selbst oder einen anderen? Jesus ist damit gemeint, der Gekreuzigte und Auferstandene, das erkennt das ganze Urchristentum, das Neue Testament ist voll davon. Und so ist jetzt der Apostel Philippus in seinem Element – „ausgehend von dieser Schriftstelle erzählte er ihm die Frohbotschaft von Jesus“. Die paßt genau für diesen Mann der Sehnsucht, dem all sein Reichtum nichts hilft in seinem Leid und seiner Erniedrigung. Philippus konnte ihn trösten mit Blick auf das Schicksal Jesu, das dem seinen so ähnlich war. Auch Jesus in seinem Sterben am Kreuz wurde alles genommen, seine Ehre, seine Menschenwürde, sein Leben. Aber Gott hat ihn hoch erhöht in der Auferweckung aus dem Tode, Gott hat ihn an sein Herz genommen und ihm die höchste Ehre gegeben. Schau, du fremder Mann, konnte Philippus ihm sagen, das tut Gott an jedem von uns, der tief unten ist.

Taufe im Teich

Als Christen wissen wir, Gott nimmt uns mit Jesus an sein Herz, Gott hebt uns hoch empor, gibt uns unsere Würde, daß wir mit dem Sohn Gottes zusammen seine Kinder sind – und er hat uns dafür ein Zeichen  gegeben: Die heilige Taufe, sie besiegelt die Würde, daß wir Gottes Kinder sind, gleich welcher Hautfarbe und Herkunft wir sind und durch welches Schicksal wir gezeichnet sind. Der Äthiopier macht große Augen, fragt und fragt und will alles wissen, was die Christen so glücklich macht – wie im Zeitraffer erhält er seinen christlichen Elementarunterricht, der sonst den Katechumenen galt im Urchristentum, den Taufbewerbern. Und so kommt die Geschichte zum Ziel. Sie kommen an eine Wasserstelle, also an eine Oase mitten in der Wüste, wie wunderbar, und der Äthiopier fragt:  „Hier ist Wasser – was hindert daß ich getauft werde, daß ich hier und jetzt ein Christ werde?“ „Wenn du von ganzem Herzen glaubst, ist es recht.“ Und der Äthiopier antwortet: Ja, ich glaube, daß Jesus Christus der Sohn Gottes ist.

Und dann geschieht es. Philippus und der Äthiopier stehen neben einander im Wasser, so ähnlich wie auf heiligen Ikonen Jesus neben Johannes dem Täufer im Wasser stehend die Taufe empfängt, so wird der fremde Mann  getauft, d.h.  mit dem ganzen Körper untergetaucht, und durch diese heilige Handlung gehört er fortan als Christ zur Gemeinde.

Weltweite Kirche der Freiheit

Und zum Schluß heißt es: Der Eunuch zog voller Freude auf seiner Straße weiter. Seine Sehnsucht ist erfüllt, seine weite Reise war doch nicht umsonst. Er bleibt ein Entmannter, Verspotteter, für die anderen kein vollwertiger Mann. Aber er ist jetzt ein von Gott Angenommener, er trägt mit seiner Taufe das Siegel der höchsten Würde, ich gehöre zur Gemeinde Gottes, zur Gemeinschaft derer, die Jesus von Nazareth folgen auf den Wegen der Erniedrigung im Kreuz zur Erhöhung in der lichten Weite der Auferstehungswelt. Welch eine Verwandlung, welch eine wunderbare Freiheit und Weite!

Diese Weite und Freiheit ist das Markenzeichen der weltweiten Kirche Christi in allen Völkern und Erdteilen. Gott gibt ihr offene Türen, alle dürfen eintreten, keiner darf diskriminiert werden wie der Eunuch vor der Tempelmauer zu Jerusalem. Er war der erste Afrikaner, der getauft wurde. Seine Geschichte gilt bis heute als die Gründungsgeschichte der koptisch-orthodoxen Kirche in Abessinien, die die erste und älteste afrikanische Kirche ist. Heute ist Abessinien eines der ärmsten Länder Afrikas – und wir sehen die schlimmen Bilder fast täglich im Fernsehen: Von Afrika aus gefährlich übers Mittelmeer, vertrieben durch die Armut, Gewalt und Korruption dieses chaotischen Erdteils, kommen die Menschen heute zu uns nach Europa, und kein Land will sie aufnehmen. So beschämend reagieren wir Europäer. Überfordert. Ratlos. Mit politischen Konflikten, die Europa spalten, wir stecken in  einer tiefen Krise – Und wir selbst, wir persönlich, wie verhalten wir uns in dieser Lage?

Die anrührende Geschichte von der Taufe des ersten Afrikaners hat uns ergriffen, sie hat uns erfreut und zum eigenen Christsein zurückgerufen. Aber unerwartet und unsanft sind wir zum Schluß gelandet in unserer harten Gegenwart mit all ihrer Ratlosigkeit. Offensichtlich stehen wir heute mit unserem Christsein und Menschsein in einer Bewährungsprobe. Wir befinden uns in einer Schicksalsstunde des 21. Jahrhunderts. Bitten wir Gott, daß wir darin nicht versagen und nicht die Augen verschließen vor unserer Verantwortung. Ja, der Friede Gottes, der all unser Begreifen übersteigt – er bewahre unsere Herzen und Sinne, er leite all unser Denken und Handeln in Christus Jesus, unserem Herrn.

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Ein Kommentar zu “Weite und Freiheit

  1. Pastor i.R.Heinz Rußmann

    Sehr lebendig und aktualisierend predigt Pfarrer Dr Bek die bekannte Geschichte vom Kämmerer aus dem Morgenland, des ersten Afrikaners in der Kirchen- Geschichte. Nach einer einleitenden Information über den Kirchort und einen Taufgottesdienst. Dann erzählt er das Ereignis der Bekehrung ,des kürzesten Konfirmandenunterrichts und der Taufe und großen Freude sehr empathisch und verständlich. Die Weite und Freiheit und Freude des Christentums wird sehr deutlich. Jeder kann Christ werden und ist ewig mit Gott verbunden. Allerdings bringt der Pfarrer auch die heutige Verpflichtung der Christenheit für Abessinien, eins der ärmsten Länder der Erde, zur Sprache. Nach einer der besonders beliebten und erfreulichen Geschichten der Bibel auch für Kinder landet er bei den Problemen heute und kann nur wie wir um den Frieden Gottes bitten ,der höher ist als alle Vernunft und um unsere Nachfolge für Jesus.

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