Einmütigkeit – Dank – Freude
Wie Paulus mit der Gemeinde in Philippi ins Gespräch kommt
Predigttext: Philipper 2,1-4 (Übersetzung nach Martin Luther)
Ist nun bei euch Ermahnung in Christus, ist Trost der Liebe, ist Gemeinschaft des Geistes, ist herzliche Liebe und Barmherzigkeit, so macht meine Freude dadurch vollkommen, dass ihr eines Sinnes seid, gleiche Liebe habt, einmütig und einträchtig seid. Tut nichts aus Eigennutz oder um eitler Ehre willen, sondern in Demut achte einer den andern höher als sich selbst, und ein jeder sehe nicht auf das Seine, sondern auch auf das, was dem andern dient.
Vorbemerkungen zum Predigttext
Der Philipperbrief ist gekennzeichnet durch die liebevolle, freundliche Art, mit der Paulus dieser Gemeinde begegnet. Immer wieder betont er, welche Freude es ihm bereitet, mit ihr Gemeinschaft zu haben. Er ist voller Dankbarkeit wegen der materiellen Unterstützung, die er von dort erfährt.
Aber das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es auch Probleme gibt. Sie werden sichtbar an der Liste der Ermahnungen, die der Apostel ausspricht. Auch wenn er es freundlich verpackt, macht er doch deutlich, woran es mangelt, woran gearbeitet werden muss: Fehlende Einmütigkeit, das Phänomen „Eigennutz“ und „eitle Ehre“, fehlende „Demut“, mangelnder Respekt. Regelrecht zornig wird der Apostel, wenn es um innergemeindliche Auseinandersetzungen geht. Alte, längst als überwunden erachtete Gesetzlichkeit verwirrt die Gemüter. „Hunde“ und „böswillige Arbeiter“ sind Ausdruck seiner Verbalattacke. Verstörende Wortwahl oder erfrischende Gradlinigkeit? Ich ziehe die zweite Version vor.
Den Begriff „Demut“ kann man heutzutage nur unter Vorbehalt verwenden. Er wird von Politikern und Sportlern inflationär verwendet und ist in seiner eigentlichen Bedeutung ruiniert. Er hat das ähnliche Schicksal wie der Begriff „Selbstkritik“, den Wilhelm Busch genial auf die Schippe nimmt. Ich gebe das kleine Gedicht hier wieder, obwohl ich es in der Predigt nicht verwende:
"Die Selbstkritik hat viel für sich.
Gesetzt den Fall, ich tadle mich;
so hab' ich erstens den Gewinn,
dass ich so hübsch bescheiden bin;
zum zweiten denken sich die Leut,
der Mann ist lauter Redlichkeit;
zum Dritten hoff ich dann zudem
auf Widerspruch, der mir genehm.
So kommt es denn zuletzt heraus,
dass ich ein ganz famoses Haus".
Die Ermahnungen des Paulus sind berechtigt. Sie betreffen christliche Gemeinschaften aller Zeiten, auch uns. Es ist gut, wenn sie zu heilsamer Erkenntnis führen, wie sie sehr schön in Luthers Beichtgebet in Worte gefasst wird:
„Du wollest mir armem, sündhaftem Menschen gnädig und barmherzig sein, mir alle meine Sünden vergeben und zu meiner Besserung deines Geistes Kraft verleihen.“
Die schönste Ermahnung des Philipperbriefes darf in dieser Predigt nicht fehlen: „Freuet euch in dem Herrn allewege, und abermals sage ich: Freuet Euch. Der Herr ist nahe“.
Paulus und Philippi
Mit keiner Gemeinde ist Paulus so herzlich verbunden gewesen wie mit der in Philippi. In der Apostelgeschichte (16,11ff.) wird erzählt, wie alles anfing, als er die Purpurhändlerin Lydia kennenlernt, eine „gottesfürchtige Frau“. Wie Paulus sie für den christlichen Glauben gewinnt, wie sie sich samt Familie taufen lässt und zu einer großzügigen Förderin der neugegründeten Gemeinde wird. Seitdem geht es mit der Gemeinde bergauf. Die Zahl ihrer Mitglieder ist beachtlich. Es werden Leitungsstrukturen geschaffen. Bischöfe und Diakone walten ihrer Ämter. Eine lebendige Gemeinde, wie man sie sich wünscht. Paulus ist voll des Lobes. Er freut sich darüber, dass seine Arbeit so viele gute und sichtbare Früchte hervorbringt.
Und dann gibt es etwas, womit er die Gemeinde in Philippi vor allen anderen Gemeinden auszeichnet: Er nimmt von ihr finanzielle Unterstützung an. Das ist insofern etwas besonderes, weil Paulus ansonsten großen Wert darauf gelegt hat, keine Gaben irgendwelcher Art anzunehmen. Er wollte unabhängig bleiben und sich nicht dem möglichen Vorwurf aussetzen, mit seiner Evangeliumsarbeit Geld zu verdienen. So hat er seinen Lebensunterhalt durch seine handwerkliche Fähigkeit als Teppichweber bestritten. Aber bei den Philippern war es anders. Er adelte sie dadurch, dass er sich von ihnen beschenken ließ. Das zeigt das große Vertrauensverhältnis, das ihn mit dieser Gemeinde verband. Er konnte diese Unterstützung auch gut gebrauchen, denn er saß im Gefängnis und war dankbar für die Hilfe, die ihm aus der Gemeinde zuteil wurde.
Trost der Liebe – und mehr
Paulus ist dankbar für die Entwicklung, die er in der Gemeinde von Philippi beobachten kann, und er freut sich darüber. Einiges wird in unserem Predigttext angesprochen: „Ermahnung in Christus“. Ich verstehe darunter die Fähigkeit, Kritik und Korrekturen am Verhalten anderer im Geiste Christ vorzunehmen, also mit Freundlichkeit, Geduld und Respekt. „Trost der Liebe“: Wie schön ist es, wenn wir jemandem, der traurig, niedergeschlagen oder verzweifelt ist, mit Liebe begegnen und ihn damit trösten. „Herzliche Liebe und Barmherzigkeit“: Das sind Kernstücke christlichen Wesens. Das alles gibt es in der Gemeinde von Philippi. Dafür ist Paulus dankbar. Das sind Früchte seiner Arbeit. Das sind Grundwerte, die in jeder christlichen Gemeinde von Bedeutung sind und froh und dankbar dürfen wir sein, wenn wir sie dort vorfinden, und wir sollten danach streben, so gut wir können, sie immer wieder Wirklichkeit werden zu lassen.
So erklingt in diesem Brief an die Philipper die Melodie dankbarer Freude. Aber es gibt auch störende Misstöne. Es ist erstaunlich, wie temperamentvoll, ja aufgebracht, wie wütend, ja wie zornig der Apostel reagiert, wenn er von denen redet, die in der Gemeinde Unruhe, Spaltungen und Streit verursachen. Er scheut sich nicht, sie abfällig als „Hunde“ und „böswillige Arbeiter“ zu titulieren, vor denen man eindringlich warnen muss. Als ich das jetzt noch einmal in Kapitel drei las, habe ich zunächst gedacht: „O Paulus, musstest du wirklich diese verbale Keule auspacken und damit auf deine Widersacher losgehen? Ging das nicht auf mildere, freundlichere, tolerantere Weise?“ „Nein“, sage ich jetzt. Paulus hat recht mit seinem Zorn, denn hier steht viel auf dem Spiel. Hier geht es um den Kern des Glaubens. Inzwischen finde ich es geradezu erfrischend, mit welcher Wucht er das Evangelium verteidigt und die kläffenden und hechelnden Hunde in die Schranken weist. Da zeigt sich, aus welchem Holz der Apostel geschnitzt ist: klare Kante, wenn es um die Substanz des Glaubens geht.
Einmütigkeit
Und dann gibt es noch ein Thema, das dem Apostel auf dem Herzen liegt. Er geht es an mit vornehmer Zurückhaltung, verpackt in freundliche Worte: „Macht meine Freude dadurch vollkommen, dass ihr eines Sinnes seid, gleiche Liebe habt, einmütig und einträchtig seid. Tut nichts aus Eigennutz oder um eitler Ehre willen, sondern in Demut achte einer den andern höher als sich selbst, und ein jeder sehe nicht auf das Seine, sondern auch auf das, was dem andern dient.“ Bei allem Lob für die Gemeinde, bei aller Freude über ihre gute Entwicklung, gibt es doch Defizite, die hier angedeutet werden. Wir hätten gern Genaueres erfahren. Einen kleinen Hinweis gibt es:
In Kapitel 4 werden namentlich zwei Frauen erwähnt, die sich anscheinend nicht gut gesonnen sind: Euodia und Syntyche. Wir wissen nicht, was zwischen ihnen stand. Aber eines steht fest: Beide haben sich beim Aufbau der Gemeinde bewährt. Manche Ausleger halten es sogar für möglich, dass sie seinerzeit dabei waren, als Paulus am Fluss einer Gruppe von Frauen begegnete. Man spürt, wie traurig der Apostel darüber ist, dass diese Wunde am Leib der Gemeinde entstanden ist. Ich höre ihn jammern und klagen: „Mein schöne und geliebte Gemeinde von Philippi. Was ist da los bei euch? Bitte, vertragt euch. Bitte, seid eines Sinnes. Bitte, findet wieder zueinander.“
Gibt es Grund dafür, die Gemeinde zu ermahnen: „Tut nichts aus Eigennutz oder um eitler Ehre willen“. Wir kennen aus eigener Anschauung, wie auch bei scheinbar selbstloser Hingabe an eine gute Sache sich mancher Eigennutz und manche Eitelkeit hineinmischen. Mit scharfem Blick entdecken wir diese charakterliche Schwäche bei unseren Mitmenschen genau, allerdings versagt bei uns selbst meist der kritische Blick.
Paulus ermahnt zur Demut. Er hat wohl genügend Anlass dazu. Hochmut ist ja auch keine erstrebenswerte Charaktereigenschaft. Sie war sicher nicht nur in Philippi eine unangenehme Erscheinung. Sie feiert auch in christlichen Kreisen heutzutage fröhliche Konjunktur. Aber „Demut“ ist inzwischen auch ein „verbranntes“ Wort, wenn wir daran denken, wie Politiker und Sportler damit hausieren gehen. Wie viele gebrauchen das Wort „Demut“, um ihre Umgebung, die Wähler, die Sportfans damit zu beeindrucken. Damit hat dieser Begriff seine Unschuld verloren. Er ist nur noch unter Vorbehalt zu gebrauchen.
Vorbildliche Gemeinde
Zum Schluss dieses Textabschnittes ermahnt der Apostel: Einer achte „den andern höher als sich selbst, und ein jeder sehe nicht auf das Seine, sondern auch auf das, was dem andern dient.“ Die wunderbare, ja vorbildliche Christengemeinde von Philippi muss es sich gefallen lassen, dass ihr diese Mahnung ins Stammbuch geschrieben wird. Es bleibt bei aller Anerkennung noch viel zu tun. Das gilt für Christen in Philippi und auch für uns. Der Anfang ist aber gemacht. Wir sind auf einem guten Weg.
Bei aller berechtigter Kritik, die auch auf uns zielt, möchte ich schließen mit der schönsten Mahnung, die Paulus ausruft: „Freut euch in dem Herrn, allewege und abermals sage ich: Freuet euch. Der Herr ist nahe“. Diese Gewissheit möchte uns erfüllen: Der Herr ist nahe. Er begleitet uns mit seinem Wort, erfüllt uns mit seiner Gegenwart, er gibt uns durch seinen Geist Kraft zu unserer Besserung und schenkt uns Hoffnung im Blick auf unsere Zukunft.
Niemand hilft uns so sehr wie ein kritischer Freund. Das hat der aktuelle Psychologe Carl Rogers gesagt. In seiner Predigt macht Pastor Krüger darauf aufmerksam, dass Paulus mit keiner Gemeinde so verbunden war, wie mit der Gemeinde von Philippi. Er hatte sie zusammen mit Lydia gegründet und sie florierte sehr gut.. Nur von dieser Gemeinde nahm Paulus Geld an zum Lebensunterhalt. Aber einige Christen in Philippi kritisiert Paulus mit klarer Kante und mit der verbalen Keule wegen ihrer Streitsucht und wegen ihres Hochmuts. Er fordert auf zur Liebe, die dem anderen dient. Der Pastor schließt mit den diplomatischen, konstruktiv kritischen Hinweis, daß auch bei uns es noch viel zu tun gibt . Er schließt seine sehr verständlich formulierte Predigt nach aller Kritik mit warmherzigen Worten des Paulus. Eine sehr lebendige, erfreuende und ermutigende Predigt für alle Zuhörer und Leser.